Die Überwindung eines Stigmas – Eine Besprechung der unbekannteren Seiten der Pflanzengattung Erythroxylum
Bio-News vom 14.11.2019
Die Pflanzengattung Erythroxylum ist vor allem für ihre Verwendung in Coca-Cola oder als Kokain bekannt. Der kontroverse Anbau der Pflanzen ist eine wichtige Einkommensquelle der ländlichen Bevölkerung südamerikanischer Länder. Eine neue interdisziplinäre Übersichtsarbeit beleuchtet nun die Domestizierungsgeschichte der Gattung und untersucht zahlreiche mögliche positive Anwendungsgebiete von Erythroxylum, z.B. als Arzneimittel.
Seitdem die westliche Welt die südamerikanische Pflanzengattung Erythroxylum für sich entdeckt hat, wird der Gebrauch des vielseitigen Genus mit der Herstellung von Erfrischungsgetränken, wie Coca-Cola, oder dem Missbrauch der aufbereiteten Pflanzeninhaltsstoffe in Form von Kokain assoziiert. Jedoch verwenden die indigenen Völker Südamerikas bereits seit tausenden von Jahren verschiedene Erythroxylum-Arten in ihrer traditionellen Medizin. Zusammen mit Wissenschaftlern verschiedener Kolumbianischer Forschungsinstitute hat IPK-Wissenschaftler Dr. John D’Auria eine Übersichtsarbeit über die gebrandmarkte Pflanzengattung geschrieben. Sie hoffen, durch die Beleuchtung der vielen – positiven – potentiellen Anwendungsgebiete von Erythroxylum-Arten einen neuen Dialog über die kontroverse Gattung anzustoßen.
Publikation:
David A. Restrepo et al.
Erythroxylum in Focus: An Interdisciplinary Review of an Overlooked Genus
Molecules 24, 3788
DOI: 10.3390/molecules24203788
Der Pflanzengenus Erythroxylum umfasst über 230 Arten und wird bereits seit tausenden von Jahren von südamerikanischen Gemeinden angebaut und verwendet. E. coca wird sogar als eine der ältesten angebauten medizinischen Pflanzenarten betrachtet - Nachweise der Coca-Verwendung reichen über 8000 Jahre zurück. Trotzdem ist recht wenig über die Biologie der verschiedenen Erythroxylum-Arten bekannt, da ein vergleichsweise modernes Stigma neuen Forschungsansätzen einen Dämpfer aufsetzt. Biochemiker Dr. John D’Auria: „Schon seit Langem wird der Begriff „Coca“ entweder mit Coca-Cola oder mit Kokain gleichgestellt. Daher hat die Gattung eine ziemlich, oder sogar extrem, negative Konnotation – insbesondere Kokain hat einen starken sozialen und ökonomischen Schaden hinterlassen.“
Trotz des gehinderten wissenschaftlichen Fortschritts und dem Verbot des Anbaus in einigen Regionen ist Erythroxylum, insbesondere Erythroxylum coca, heutzutage eine der wichtigsten geldbringenden Nutzpflanzen in südamerikanischen Ländern wie Kolumbien, Peru und Bolivien. Und obwohl es politische Bemühungen gibt, den Coca-Anbau zu unterbinden, sieht es nicht so aus, als ob die Pflanze in der nächsten Zeit ihre marktwirtschaftliche Stellung in der südamerikanischen Gesellschaft verlieren wird.
Mit Blick auf die moderne Erythroxylum-Stellung hat Dr. D’Auria, ein Forscher des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), gemeinsam mit einer Gruppe kolumbianischer Wissenschaftler ein Überblickspaper über die Domestizierungsgeschichte und die möglichen Anwendungsgebiete von Erythroxylum ausgearbeitet. Der Artikel erschien vor Kurzem in „Molecules“. Dr. D’Auria: „Einige Erythroxylum-Stoffe sind gefährlich und sollten entsprechend kontrolliert werden. Mit der Überblicksarbeit sagen wir nun behutsam: hier sind andere Stoffe und alternative Möglichkeiten, mit denen man aus diesen Pflanzen medizinische und pharmazeutische Präparate herstellen könnte.“
Dr. D’Auria fährt fort: „Leute kauen auch heutzutage noch Coca, um ihren Durst zu verringern oder Muskelschmerzen zu lindern. Und es gibt zahlreiche potentielle Anwendungen in der modernen Medizin, beispielsweise im Gebiet Zahngesundheit oder bei Eingriffen in den oberen Atemwegen.“ Es besteht die Hoffnung, dass eines Tages diese Anwendungsgebiete helfen werden, den Anbau und die Verwendung von Erythroxylum in eine positive Bahn zu bringen, ohne dabei die Existenzgrundlage der südamerikanischen Coca-Bauern zu zerstören.
In der Zwischenzeit liegt der Forschungsschwerpunkt von Dr. D’Auria und seiner Forschungsgruppe „Metabolische Diversität“ am IPK in Gatersleben darin zu verstehen, wie Nutzpflanzen, beispielsweise Weizen oder Alfalfa, ihren Stoffwechsel verändern können. D’Auria betont: „Wir sind nicht mit einem speziellen Stoff oder Stoffwechselprodukt verheiratet. Wir sind dabei, Variationen des primären und des spezialisierten Stoffwechsels in Pflanzen, sowie die genetisch- und biochemisch-bedingten Variationen, zu untersuchen. Wir möchten mit dem erarbeiteten Wissen Kulturpflanzen in Deutschland und Europa mit Bezug auf den Klimawandel verbessern.“ Nichtsdestotrotz wird Dr. D’Auria auch weiterhin die einzigartigen Stoffwechselpfade der Erythroxylum-Gattung untersuchen. Dr. D’Auria: „Es gibt andauernde Bemühungen, die Coca-Pflanze zu verstehen. Unser Ziel ist es, eines Tages die spezialisierten biosynthetischen Pfade vollständig zu verstehen, damit wir in der Zukunft verbesserte nutzbare Pflanzen herstellen können.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.