Ein Gecko-inspirierter Roboter



Bio-News vom 06.09.2021

Eine kürzlich veröffentlichte Studie veranschaulicht, dass Geckos gleiten können: Videoaufnahmen zeigen, wie die Reptilien von einem Baum zum nächsten fliegen und dann erfolgreich eine harte Landung hinlegen. Experimente mit einem dem Tier nachempfundenen Roboter bestätigen die Vermutung, dass die Fortbewegungsfähigkeit eines Geckos nicht allein seinen Füßen zu verdanken ist. Der Schwanz spielt eine ebenso wichtige Rolle.

Geckos inspirieren immer wieder technische Entwicklungen: So dienen zum Beispiel die Haftlamellen an ihren Füßen, dank derer sie mühelos glatte, senkrechte Flächen erklimmen und sich sogar kopfüber hängend an der Decke bewegen können, als Vorbild für Klebestreifen. Jetzt kommt eine Eigenschaft hinzu, mit der sich auch die Fortbewegung von Robotern verbessern lassen könnte: Der Saumschwanz-Hausgecko ist in der Lage, durch die Luft zu gleiten und mit hohem Tempo unbeschadet zu landen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart, des Siena College in New York und der University of California in Berkeley konnten das Geheimnis lüften, wie dem Reptil dies gelingt. Ihre Beobachtungen in der Natur erweiterten sie um Experimente an Gecko-inspirierten Robotern im Labor. Am 2. September wurde die Arbeit mit dem Titel "Tails stabilize landing of gliding geckos crashing head-first into tree trunks" in Nature Communications Biology veröffentlicht.


Ardian Jusufi mit seinem Gecko-Roboter

Publikation:


Siddall, R., Byrnes, G., Full, R.J. et al.
Tails stabilize landing of gliding geckos crashing head-first into tree trunks
Commun Biol 4, 1020 (2021)

DOI: 10.1038/s42003-021-02378-6



Der Gecko (Hemidactylus platyurus) hat seinen natürlichen Lebensraum hoch oben in den Regenwäldern von Singapur. Um Räubern zu entwischen, ist er in der Lage, von Baum zu Baum zu springen und durch die Luft zu gleiten. Stehen die Bäume nah beieinander, prallt der Gecko zwar ungebremst gegen den angepeilten Baum, kann dies jedoch gut verkraften.

Ardian Jusufi, der an der Schnittstelle zwischen Robotik und Biologie forscht, hat in einem Wildtierreservat in den Regenwäldern von Singapur beobachtet, wie Geckos ihren Schwanz zur Steuerung des Gleitflugs einsetzen, blitzschnell ein Ziel anpeilen und unbeschadet landen, wenn der Abstand zwischen den Bäumen nicht zu groß ist. Am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart leitet er die Cyber Valley-Forschungsgruppe "Locomotion in Biorobotic and Somatic Systems". Jusufi hat bereits viele Jahre damit verbracht, Geckos und ihre vielfältige Fortbewegung im Freiland zu erforschen.


Feldfoto des Geckos nach der Landung (Ardian Jusufi), Absturzsicherungsreaktion (Andre Wee), und Soft-Roboter-Lander.

Geckos werfen ihren Schwanz bei Gefahr ab, der aber nach kurzer Zeit wieder nachwächst. Eidechsen ohne Schwanz sind daher sehr häufig anzutreffen. Dies ermöglichte es Ardian Jusufi, das Gleit- und Landeverhalten der Reptilien mit und ohne Schwanz und bei hoher Geschwindigkeit zu untersuchen.


Illustration der "Fall Arresting Response" (FAR).

Auf einer Plattform sieben Meter über dem Boden konnte Jusufi zeigen, wie ein Gecko in die Tiefe springt und zu einem nahegelegenen Baum gleitet. Hochgeschwindigkeitskameras fangen den Sprung ein und messen, dass der Gecko beim Gleitflug eine Geschwindigkeit von bis zu sechs Metern pro Sekunde - mehr als 21 Kilometer pro Stunde - erreicht, bevor er auf den benachbarten Baumstamm prallt. Im Vergleich zu einem Auto, das bei einer solch hohen Geschwindigkeit nach einem Unfall stark beschädigt wäre, zeigen die Videoaufnahmen aus dem Dschungel, dass der Gecko unbeschadet landet. Er ist unverletzt und bleibt an der Baumrinde haften. Er läuft weiter, als wäre nichts geschehen. Bei Tieren wiederum, die ihren Schwanz verloren haben, ist das Gegenteil der Fall: Diese Geckos schaffen es nicht, sich nach dem Aufprall festzuhalten. Sie plumpsen rückwärts auf den Waldboden.

Wie in diesem Video zu sehen ist, federt das Tier den Aufprall ab, indem es seinen Rumpf um bis zu 100 Grad nach hinten beugt. Bei dieser Beugung verlieren die Vorderfüße den Halt, nur die Hinterbeine bleiben haften. Durch diese Rückwärtsneigung des Rumpfes wird Energie abgeleitet, indem der Schwanz gegen den Baumstamm gedrückt wird. Tiere, die ihren Schwanz jedoch verloren haben, können die Energie nicht genügend abfedern und fallen vom Stamm. Die Vermutung der Forschenden: Der Schwanz wirkt also wie ein fünftes Bein und hilft dem Gecko, sich nach dem Aufprall zu stabilisieren.



Tails stabilize Landing of gliding Geckos crashing Head-First Into Tree Trunks


Wie kann man jedoch schlüssig nachweisen, dass der Schwanz diese stabilisierende Wirkung hat? Dieser Fragestellung gingen die Wissenschaftler im Labor nach und schufen ein physikalisches Modell, um die Kräfte, denen das Tier ausgesetzt ist, besser zu verstehen. Dazu kreierten sie einen Gecko-inspirierten Roboter: Dieser verfügt über einen weichen Rumpf, bei dem der Schwanz abgenommen und wieder montiert werden kann. Wenn der vordere „Fuß“ auf eine Oberfläche aufprallt, ist der Roboter so programmiert, dass er seinen Schwanz biegt, vergleichbar mit den Reflexen, die Jusufi zuvor bei kletternden Geckos entdeckt hat. Die Informationen werden über einen Mikrocontroller an der „Schulter“ verarbeitet, um sogleich einen Motor im „Becken“ zu aktivieren, der an einer „Sehne“ zieht und so den Schwanz gegen die Wand drückt, um den Roboter zu stabilisieren.

Zusammen mit seinem Postdoc Robert Siddall führte Ardian Jusufi nun Experimente durch: Die weiche Roboter-Eidechse katapultierten die Forscher auf eine mit Filz beklebte Wand. Eine eingebaute Waage maß die Kraft des Aufpralls. Da die Roboter-Füße mit Klettverschluss versehenen waren, blieb die Maschine an der Wand haften - allerdings nur dann, wenn der Schwanz montiert war.

Der Roboter schlug im Labor mit der gleichen Geschwindigkeit auf die Wand auf, mit der die Geckos auf dem Baum landeten, und kippte dabei mit dem Oberkörper im rechten Winkel zur Oberfläche zurück. Die Wissenschaftler maßen dann die Kraft, die auf die Vorder- und Hinterfüße des Roboters beim Aufprall wirkten. Je länger der Schwanz des Roboters war, desto geringer die Kraft, die die Hinterfüße von der Oberfläche wegzog. Je geringer diese Kraft, desto leichter war es für den Roboter sich festzuhalten. Bei einem Roboter ohne Schwanz werden jedoch die Kräfte auf die Hinterfüße zu groß: Der Roboter verliert seinen Halt und fällt.

Damit bestätigte dieses Experiment die von den Wissenschaftlern aufgestellten Hypothese, dass der Gecko nur mit Hilfe des Schwanzes in der Lage ist, sich auf einer vertikalen Oberfläche zu stabilisieren, nachdem er mit hoher Geschwindigkeit auf diese aufschlägt. „Mit dem Roboter können wir etwas messen, das wir mit Geckos in freier Natur nicht können", erklärt Ardian Jusufi, der leitende Autor der Studie. „Die Reaktionskräfte beim Aufprall nach dem Landeanflug bestätigten, dass der Schwanz ein wesentlicher Grund ist, die Landung bei kurzen Gleitflügen zu ermöglichen. Unser Roboter-Gecko dient nicht nur dazu, eine neue Entdeckung im Forschungsfeld der Biologie zu machen, sondern kann zusätzlich dazu beitragen, die Fortbewegung von Robotern zu verbessern, indem er die Robustheit erhöht und die Steuerung vereinfacht."

"Die Natur hat viele unerwartete und elegante Lösungen für technische Probleme - und das wird wunderbar durch die Art und Weise veranschaulicht, wie Geckos ihre Schwänze nutzen können, um einen Frontalzusammenprall in ein erfolgreiches Landemanöver zu verwandeln. Die Landung nach dem Flug ist schwierig, und wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse zukünftige Roboter noch beweglicher und versatiler machen", sagt Robert Siddall.

„Um das Verständnis von Biomechanik zu erweitern, setzen Forscher vermehrt Soft-Roboter ein, die lebensechte Bewegungen nachahmen. Diese können Biologen helfen, Fragestellungen zur Fortbewegung von Tieren zu konkretisieren“, so Jusufi. „In diesem Sinne tragen Roboter zum Verständnis des Bewegungsapparates bei, sodass zunehmend auf Tierversuche verzichtet werden kann.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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