Einfach mal die Tiere fragen!



Bio-News vom 15.10.2013

Viele Tiere haben sich notgedrungen damit abgefunden, dass der Mensch in ihre natürlichen Lebensräume vordringt und diese mit Wohnsiedlungen und Straßen zergliedert. Da gerade Raubtiere auf ausreichend große Reviere angewiesen sind, wandern sie zwischen einzelnen kleinen Habitaten hin und her. Diese schützenswerten Routen haben Forscher bisher vor allem mit mathematischen Modellen festgelegt. Mit GPS-Sensoren ausgestattete Fischermarder zeigen nun, dass die Berechnungen mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben.

Korridore sind wenig beachtete Räume und doch so wichtig. Wie sonst kämen wir vom Schlafzimmer ins Bad oder von der Couch in die Küche? In der freien Natur sind Korridore, die unterschiedliche Lebensräume von Tieren verbinden, für den Erhalt von Arten ist es entscheidend. Sie ermöglichen, dass Tiere sich frei und gefahrlos zum Beispiel vom Jagdrevier zum Paarungsplatz bewegen können. Wird eine neue Wohnsiedlung mitten in einen wichtigen Korridor gebaut, kann das eine ganze Population in Gefahr bringen.

Welche Wege die Tiere nutzen, wird meistens berechnet. Martin Wikelski und sein Doktorand Scott LaPoint vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und der Universität Konstanz haben gemeinsam mit Kollegen aus den USA Korridore von den Tieren selbst bestimmen lassen. Sie statteten Fischermarder mit GPS-Sensoren aus und beobachteten über drei Winter ihre Bewegungen in der Nähe der Stadt Albany im US-Bundesstaat New York. Dabei fanden sie heraus, dass die Marder ganz andere Wege wählten als theoretisch vorhergesagt wurde.


Wissenschaftler dokumentieren mit Hilfe von GPS-Sendern und Kameras die Bewegungsmuster der Fischermarder. Die einst scheuen Tiere besiedeln zunehmend Städte, so ähnlich wie Fuchs und Wildschwein in Deutschland.
Foto: © Roland Kays, NC State University

Publikation:


Scott LaPoint, Paul Gallery, Martin Wikelski, Roland Kays
Animal behavior, cost-based corridor models, and real corridors
Landscape Ecology Oktober 2013, Band 28, S. 1615-1630

„Ich war doch sehr erstaunt, wie schlecht die Modelle waren“, so Wikelski, der in Radolfzell die Abteilung Tierwanderungen und Immunökologie leitet. Die zwei mathematischen Modelle konnten gemeinsam nur fünf von 23 Korridoren korrekt vorhersagen. Dabei schnitt das Modell der „Least-Cost Path Analysis“ - Weg des geringsten Widerstands - mit nur einem richtigen Korridor schlechter ab als die „Schaltkreistheorie“, die immerhin fünf Treffer landete.

In diese Gleichungen fließen vor allem Informationen über die Landschaftsstrukturen ein. Da Fischermarder hauptsächlich in Wäldern leben und offene Gebiete meiden, nahm man an, dass diese Regel auch für die Korridore zutreffen würde. „Das war ein Trugschluss. Die Tiere zeigten sich bei der Besiedelung der Städte weitaus flexibler“, bemerkt Scott LaPoint. Sie flitzten durch Auen- und Laubwälder sowie über Wiesen, Felder und sogar menschengemachte Landschaften wie Golfplätze oder Friedhöfe, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.

Auch vor der Überquerung von Straßen machten sie nicht halt. Statt sich aber auf einer sechsspurigen Autobahn in Todesgefahr zu begeben, huschten sie schlau und furchtlos durch alte Abwasserrohre. „Das hätte ich überhaupt nicht gedacht, denn nach allem, was man über diese scheuen Tiere weiß, schien es unmöglich, dass sie solche potenziell gefährlichen Strukturen benutzen“, äußert sich Martin Wikelski erstaunt. Ein Abwasserrohr könnte schließlich auch eine Falle sein.

Landschaftsplaner und Umweltschützer interessieren sich für Tierkorridore, weil sie als besonders schützenswerte Regionen gelten. Korridore vereinfachen die Ausbreitung der Tiere, erhalten den Genfluss zwischen Populationen aufrecht und vermindern somit das Risiko des Aussterbens. Aber viel zu oft werden Millionen von Euro in Brücken oder Tunnel investiert, die später kein Tier nutzt. „Wir müssten die Tiere fragen, was sie brauchen“, erklärt Wikelski, „und durch die Überwachung der Bewegungsmuster haben wir eine solche Kommunikationsmöglichkeit zwischen Tier und Mensch geschaffen.“

Eine positive Ausnahme sind die Krötentunnel. Sie werden nicht berechnet, sondern genau an den Stellen angelegt, an denen Jahr für Jahr viele tote Kröten auf den Straßen kleben. Hier wird genau das gemacht, was die Ergebnisse von Scott LaPoint und Martin Wikelski verlangen: Einfach mal das Tier fragen „Was denkst du? Was willst du?“ Das würde Landschaftsplanungen einfacher, effizienter und durchschaubarer machen und nebenbei viel Geld sparen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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