Erste in-vitro-Embryonen könnten Wendepunkt für das fast ausgestorbene Nördliche Breitmaulnashorn markieren



Bio-News vom 11.09.2019

Seit Jahrzehnten ist die Geschichte des Nördlichen Breitmaulnashorns eine Geschichte des Niedergangs. Die Zahl der Individuen sank 2018 auf nur noch zwei, so dass das komplette Aussterben scheinbar nur noch eine Frage der Zeit ist. Ein internationales Konsortium von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Forschenden hat nun einen Meilenstein in der assistierten Reproduktion erreicht, der ein Wendepunkt im Schicksal dieser großartigen Tiere sein könnte. Mit Hilfe von Eizellen, die kürzlich in Kenia von den beiden verbliebenen Weibchen entnommen wurden und gefrorenem Sperma von verstorbenen Bullen gelang es ihnen, im Labor zwei Nördliche Breitmaulnashorn-Embryonen herzustellen.

Die Embryonen werden nun in flüssigem Stickstoff gelagert, um in der Zukunft in eine Leihmutter überführt zu werden. Die in-vitro-Herstellung von Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns gelang im Labor von Avantea in Cremona (Italien). Prof. Cesare Galli und sein Team reiften und befruchteten die Eizellen, die am 22. August bei Najin und Fatu, den beiden Weibchen in der Ol Pejeta Conservancy in Kenia, gesammelt wurden, mit Sperma von den Bullen Suni und Saut.


Die beiden verbliebenen Weibchen Najin und Fatu. Ihre Eizellen wurden nun mit dem Sperma der Bullen Suni und Saut befruchtet.

Publikation:


Dr. Natalia Stolyarchuk
Erste in-vitro-Embryonen könnten Wendepunkt für das fast ausgestorbene Nördliche Breitmaulnashorn markieren

Forschungsverbund Berlin e.V.



„Wir haben zehn Eizellen aus Kenia zurückgebracht, fünf von jedem Weibchen. Nach der Inkubation reiften sieben und waren für die Befruchtung geeignet (vier von Fatu und drei von Najin)“, sagt Galli. „Fatus Eizellen wurden mit Sunis Sperma befruchtet, während wir für Najins Eizellen Sperma von Saut verwendet haben. Das eingesetzte Verfahren nennt sich ICSI (Intra Cytoplasm Sperma Injection). Saut's Sperma war von schlechter Qualität und wir mussten zusätzliche Proben auftauen, um brauchbare Spermien für ICSI zu finden. Nach zehn Tagen Inkubationszeit entwickelten sich zwei von Fatus Eizellen zu lebensfähigen Embryonen, die für den späteren Transfer kryokonserviert wurden. Najins Eizellen haben es nicht zu einem lebensfähigen Embryo geschafft, obwohl eine Eizelle die Segmentierung eingeleitet hat.“

Ermöglicht wurde diese Prozedur durch einen Meilenstein, der vor drei Wochen in der Ol Pejeta Conservancy in Kenia erreicht wurde. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zum ersten Mal überhaupt Oozyten (unreife Eizellen) von Najin und Fatu sammeln. Die erfolgreiche Eizellenentnahme wurde vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), Avantea, dem Zoo Dvůr Králové, Ol Pejeta Conservancy und dem Kenya Wildlife Service (KWS) gemeinsam durchgeführt. Unmittelbar nach der Entnahme wurden die Eizellen per Helikopter und Flugzeug zum Avantea-Labor in Cremona gebracht. „Das gesamte Team entwickelt und plant diese Verfahren seit Jahren“, sagt Prof. Thomas Hildebrandt vom Leibniz-IZW. „Heute haben wir einen wichtigen Meilenstein auf einer steinigen Straße erreicht, der es uns erlaubt, die zukünftigen Schritte im Rettungsprogramm des Nördlichen Breitmaulnashorns zu planen.“



Der gesamte Prozess ist Teil des Forschungsprojekts „BioRescue“. Dessen Ziel ist es, die Techniken der assistierten Reproduktion (ART) sowie der Stammzelltechnologie (SCAT) signifikant zu verbessern, ergänzt durch eine umfassende ethische Evaluation, die das Wohl der Nördlichen Breitmaulnashörner in den Mittelpunkt stellt. Das Konsortium wird teilweise vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und besteht aus international renommierten Institutionen aus Deutschland, Italien, Tschechien, Kenia, Japan und den USA. BioRescue zielt darauf ab, das Aussterben des Nördlichen Breitmaulnashorns zu verhindern, um so einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt von Schlüsselarten und der biologischen Vielfalt zu leisten.

Die ethische Bewertung des gesamten Projekts und jeder einzelnen Prozedur durch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von BioRescue ist ein wesentlicher Bestandteil des Programms. „Neuland zu betreten bedeutet automatisch, dass sich neue Fragen stellen, die sich aus dem neuen Handlungsspielraum ergeben, den wir uns durch wissenschaftlichen Fortschritt erschlossen haben“, erklärt BioRescue-Projektleiter Hildebrandt. „Für die Eizellenentnahme bei Najin und Fatu haben wir eine spezielle ethische Risikoanalyse entwickelt, um das Team auf alle möglichen Szenarien solch ehrgeiziger Verfahren vorzubereiten und sicherzustellen, dass das Wohlergehen der beteiligten Tiere voll und ganz respektiert wird“, sagt Barbara de Mori, die Expertin für Naturschutz und Tierschutz an der Universität Padua. „Auch für die Laborarbeiten bei Avantea haben wir eine solche ethische Risikoanalyse entwickelt und durchgeführt, die sich auf die Qualität und Sicherheit aller Prozeduren im Labor konzentriert hat.“

„Vor fünf Jahren schien es, als wäre die Produktion eines Nördlichen Breitmaulnashorn-Embryos ein fast unerreichbares Ziel - und heute haben wir dieses Ziel erreicht. Diese fantastische Leistung des gesamten Teams gibt uns Optimismus für unsere nächsten Schritte: In den kommenden Monaten müssen wir den Prozess des Transfers und der anschließenden Entwicklung eines Embryos im Körper einer Leihmutter optimieren. Die Technik zur Gewinnung von Eizellen wurde in Zusammenarbeit mit vielen europäischen Zoos entwickelt und wir freuen uns, dass diese einzigartige Zusammenarbeit auch bei Versuchen zum erfolgreichen Embryotransfer fortgesetzt werden kann“, sagt Jan Stejskal, Direktor für Kommunikation und internationale Projekte vom Dvůr Králové Zoo, wo Najin und Fatu geboren wurden.

Es war die Partnerschaft zwischen Dvůr Králové Zoo, Ol Pejeta Conservancy und Kenya Wildlife Service, die im Dezember 2009 zum Umzug von Najin, Fatu und zwei männlichen nördlichen Breitmaulnashörnern aus der Tschechischen Republik nach Kenia führte - und letztendlich zu der internationalen Zusammenarbeit, die nun die Trendwende im Schicksal des Nördlichen Breitmaulnashorns einleitete. „Dies ist ein großer Fortschritt in unseren Bemühungen, die Nördlichen Breitmaulnashörner zu retten. Alle Beteiligten sind herzlich zu beglückwünschen. Wir haben einen sehr langen Weg vor uns und müssen uns zugleich vor Augen führen, dass für die meisten Arten, die vom Aussterben bedroht sind, Ressourcen wie für die Rettung der Nördlichen Breitmaulnashörner nicht existieren. Das Verhalten der Menschheit als Ganzes muss sich noch radikal ändern, wenn Lehren aus dem Schicksal der Nördlichen Breitmaulnashörner gezogen werden sollen“, sagt Richard Vigne, Geschäftsführer der Ol Pejeta Conservancy.

„Die kenianische Regierung fühlt sich durch den Durchbruch in der assistierten Reproduktion ermutigt und bestätigt. Sie hat ihre volle Unterstützung und Förderung für das Projekt der Rettung der Nördlichen Breitmaulnashörner zugesichert. Wir haben ein Jahrzehnt des Kampfes gegen die Uhr hinter uns und sind erleichtert, dass wir nun offenbar eine Umkehr der Vorzeichen in diesem Kampf zugunsten der Nördlichen Breitmaulnashörner erleben“, sagt Hon. Najib Balala, Minister für Tourismus und Umweltschutz in Kenia. „Die Erschaffung von in-vitro-Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns legt Zeugnis davon ab, was eine engagierte Partnerschaft und Zusammenarbeit erreichen kann“, sagt Brid. (Rtd) John Waweru, Direktor des Kenia Wildlife Service. „Sie vermag es sogar, die Grenzen des Möglichen im Artenschutz zu verschieben.“

Etablierte, inspirierende Partnerschaften sind ein Schlüssel zum Erfolg des BioRescue-Projekts. Das Konsortium freut sich und ist stolz darauf, eine langfristige Partnerschaft mit Merck bekannt zu geben. „Die Zeugung zweier lebensfähiger Embryonen ist ein bedeutender Schritt, um das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren. Wir bei Merck sind stolz darauf, Teil dieses ehrgeizigen Projekts zu sein, und sind zuversichtlich unsere enge und langjährige Partnerschaft zur Sicherung der Artenvielfalt mit dem Konsortium noch weit in die Zukunft fortzusetzen. Wenn wir zusammen arbeiten, können wir dem Projekt die besten Erfolgschancen bieten“, sagte Jan Kirsten, Global Head of Fertility bei Merck. „Als Experten im Bereich Fertilitätstechnologien freuen wir uns, diesem kollaborativen Vorhaben mit unserem Fachwissen beistehen zu dürfen.“

Die Unterstützung durch zusätzliche Mittel von Unternehmen und privaten Geldgebern wird dazu beitragen, den Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen und ist ein grundlegender Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt und zur Übernahme von Umweltverantwortung.



Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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