Taube Mäuse können mit optischem Cochlea Implantat wieder hören



Bio-News vom 11.07.2018

Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) entwickeln optische Stimulation der Hörschnecke und demonstrieren Hörreaktion tauber Wüstenrennmäuse nach Gentherapie und Implantation eines optischen Cochlea Implantats. Veröffentlichung in Science Translational Medicine.

Hörminderungen sind ein weltweit stark verbreitetes Krankheitsbild, mit dem fast jeder Mensch früher oder später konfrontiert wird. Die Sinneszellen des Innenohrs – äußere und innere Haarzellen – dienen der Schallverstärkung beziehungsweise der Umwandlung des Schalls in elektrische Impulse zur Weiterleitung an unser Gehirn. Dieselben Haarzellen des Innenohres, die zu Beginn des Lebens ausgebildet werden, müssen im besten Fall auch im hohen Lebensalter noch ihren Dienst verrichten. Der Grund: Die Zellen können, wenn sie verloren gegangen sind, nicht neu gebildet werden. Diese Haarzellen sind im Laufe ihres Lebens täglich starken Belastungen ausgesetzt. Vor allem Lärm führt zu Schädigungen, aber auch Medikamente, Infektionen oder Durchblutungsstörungen können zum Haarzell- und damit Hörverlust beitragen.

Ein Team von Forschern unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), konnte nun die optogenetische Anregung des Hörnervs im erwachsenen Tiermodell etablieren. Damit haben sie eine bedeutende Hürde in Richtung einer zukünftigen Anwendung des optischen Cochlea Implantats (CI) beim Menschen nehmen können. Die Ergebnisse wurden am 11. Juli 2018 im Wissenschaftsjournal „Science Translational Medicine“ veröffentlicht.


Taube Mäuse können mit optischem Cochlea Implantat wieder hören

Publikation:


Christian Wrobel, Alexander Dieter, Antoine Huet, Daniel Keppeler, Carlos J. Duque-Afonso, Christian Vogl, Gerhard Hoch, Marcus Jeschke, Tobias Moser
Optogenetic stimulation of cochlear neurons activates the auditory pathway and restores auditory-driven behavior in deaf adult gerbils
Science Translational Medicine; 11. July 2018

DOI: 10.1126/scitranslmed.aao0540



In der vorliegenden Studie konnten die Wissenschaftler über Injektionen von harmlosen Viruspartikeln in das Innenohr von ausgewachsenen Nagern Lichtschalter in die Hör-Nervenfasern einbauen. Sie konnten nachweisen, dass die Lichtstimulation des Hörnervs das gesamte auditorische System bis hin zur Hörrinde, dem Ort der bewussten Wahrnehmung von Geräuschen, anregt. Zudem konnten die Autoren an ertaubten Tieren zeigen, dass die Lichtstimulation des Hörnervs ein Hören wiederherstellt.

Dazu wurde tauben, optogenetisch manipulierten Tieren zunächst ein einfaches optisches CI implantiert. Im Anschluss wurden funktionelle Messungen und Verhaltensversuche durchgeführt. Dabei konnten die Tiere ein zuvor durch akustische Reize erlerntes Verhalten auf eine optische Stimulation des Hörnervs übertragen. Umgedreht konnten hörende Tiere ein durch optische Stimulation des Hörnervs erlerntes Verhalten direkt auf akustische Reizung übertragen. Dabei waren Lichtpulse geringer Leistung von wenigen Milliwatt und kürzester Dauer von weit unter einer Millisekunde in den Experimenten ausreichend für eine Anregung des auditorischen Systems.

Hintergrund

Bislang existiert kein ursächlicher Therapieansatz für die Innenohrschwerhörigkeit: Zwar gibt es dabei Fortschritte in der Forschung, aber der Weg bis zu einer klinischen Nutzung ist noch weit. Patienten, die an hochgradigem Hörverlust oder gar Taubheit leiden, kann aktuell mit einem elektrischen Cochlea Implantat (CI) geholfen werden. Das elektrische CI ist ein implantierbares Hörsystem, welches Schall in elektrische Signale umwandelt und den Hörnerv direkt – unter Umgehung der geschädigten oder verlorenen Haarzellen – stimuliert. Aktuell nutzen über 500.000 Menschen weltweit ein solches Hörsystem, die meisten von Ihnen können in ruhiger Umgebung Sprache verstehen. Damit gilt das elektrische CI als die erfolgreichste Neuroprothese. Bei Umgebungsgeräuschen fällt diesen Patienten das Sprachverstehen jedoch weiterhin schwer und ein Musikgenuss ist ihnen meist nicht möglich. Diese Nachteile begründen sich auf der weiten Ausbreitung elektrischer Felder in der Cochlea, was die Zahl der unabhängigen Stimulationskanäle auf typischerweise weniger als zehn begrenzt. Vergleicht man die gesunde Hörschnecke vereinfacht mit einer Wendeltreppe, bei der jede Stufe einer Tonhöhe entspricht (bis zu 2.000 können unterschieden werden), dann stimuliert das elektrische CI statt einzelner Stufen ganze Treppenabsätze. Das heißt: CI-Nutzern gelingt eine Unterscheidung von Tonhöhen nur sehr grob.

Optogenetik verspricht verbesserte Anregung des Hörnervs

Eine optische Anregung des Hörnervs würde wesentlich mehr separate Stimulationskanäle ermöglichen und könnte diesen Flaschenhals des gegenwärtigen CI überwinden. Der Grund: Licht kann besser gebündelt werden als der elektrische Reiz. Hörnervenzellen sind jedoch nicht lichtempfindlich. Daher müssen diese mit lichtempfindlichen Proteinen (vereinfacht: „Lichtschalter“) ausgestattet werden. Dies wird durch die Optogenetik möglich, eine neue Technik, die in den letzten Jahren die Neuro- und Lebenswissenschaften geprägt und teilweise revolutioniert hat.

Die Forscher um Prof. Tobias Moser haben erstmals die funktionelle Manipulation von Hörnervenfasern mit lichtsensitiven Proteinen am erwachsenen Tiermodell entwickelt und eine hieraus resultierende Möglichkeit der Hörrehabilitation demonstriert. Diese Erkenntnisse ebnen den Weg zur Entwicklung eines optischen Cochlea-Implantats mit außerordentlichem Potential in der Hörrehabilitierung und dessen zukünftiger Anwendung im Menschen.

„Es war unsicher, ob die optogenetische Kontrolle des Hörnervs an einem erwachsenen Tier gelingen könne“, sagt Dr. Marcus Jeschke, einer der korrespondierenden Autoren und Nachwuchsgruppenleiter am Institut für auditorische Neurowissenschaften der UMG und am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. „Jetzt müssen wir die optische Stimulation so anpassen, dass sie eine dem natürlichen Hören möglichst vergleichbare Wahrnehmung bedingt.“ Dr. Christian Wrobel, einer der Erstautoren, ein HNO-Weiterbildungsassistent, der in dem Projekt seine wissenschaftliche Ausbildung zum Hochschulmediziner (Clinician-Scientist) absolviert, sagt: „Die Gentherapie und Optogenetik in der Hörschnecke erwachsener Tiere zu etablieren, war nicht trivial. Ich bin begeistert, dass ich zur Entwicklung des optischen Cochlea Implantats beitragen konnte.” Alexander Dieter, zweiter Erstautor, Doktorand des Göttingen Neurowissenschaften-Programms und Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, sagt: „Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Studie ist, dass die Tiere neben einer elektrisch messbaren Aktivität des Hörsystems auch eine Wahrnehmung des optischen Reizes hatten, die sie zur Lösung einer Verhaltensaufgabe nutzen konnten.”

„Es bleibt noch sehr viel zu tun, bevor wir überhaupt über eine klinische Studie nachdenken können“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Tobias Moser: „Selbstverständlich sind einfache optische CIs, wie wir sie eingesetzt haben, nicht ausreichend. Zusammen mit unseren Kollegen aus Chemnitz und Freiburg, und mit dem neuen OptoGenTech Team am Göttinger Photonik Inkubator arbeiten wir intensiv an der Entwicklung von optischen Vielkanal-CIs. Die in der aktuellen Studie erzielten molekularmedizinischen Durchbrüche stimmen uns aber zuversichtlich, dass der Ansatz zur klinischen Anwendung entwickelt werden kann.”

Noch sind die Wissenschaftler weit von ihrem Ziel eines verbesserten Cochlea Implantats für Schwersthörige entfernt. Die vorklinische Forschung wurde durch das Projekt „OptoHear“ des Europäischen Forschungsrats, durch das Leibniz Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), den Sonderforschungsbereich 889 „Cellular Mechanisms of Sensory Processing“ der UMG sowie das Exzellenzcluster „Mikroskopie im Nanometerbereich und Molekularphysiologie des Gehirns (CNMPB)“ gefördert.

Video

Demonstration der Funktionsweise eines optischen Cochlea Implantats, entwickelt vom Cochlea-Optogenetik Programm am Göttingen Campus.


Diese Newsmeldung wurde mit Material idw erstellt

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