Verkehrsunfälle: häufigste unnatürliche Todesursache für Wölfe in Deutschland
Bio-News vom 24.07.2024
Rund um die Jahrtausendwende kehrten Wölfe nach einer 150-jährigen Abwesenheit zurück nach Deutschland und gründeten daraufhin Territorien in vielen Regionen des Landes. Diese Koexistenz stellt sowohl für Menschen als auch für Tiere eine Herausforderung dar. Seit 2006 werden fast alle in Deutschland tot aufgefundenen Wölfe im Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) obduziert, um ihren Gesundheitszustand und die Todesursachen zu ermitteln. Vor Kurzem wurde der 1000. Wolf im Leibniz-IZW seziert. Dieses weibliche Exemplar verstarb infolge eines Verkehrsunfalls, der häufigsten unnatürlichen Todesursache bei Wölfen in Deutschland.
Der Fall verdeutlicht die erfolgreiche, aber auch schwierige Wiederansiedlung der Wölfe in Deutschland. Bald nach der Jahrtausendwende, als Wölfe wieder heimisch wurden, startete das Leibniz-IZW mit Untersuchungen zum Gesundheitszustand und den Todesursachen der Tiere. Über fast zwei Jahrzehnte hinweg wurde jeder tot aufgefundene Wolf in Deutschland im Rahmen dieses „Totfundmonitorings“ analysiert, um Einblicke in den Gesundheitszustand der wachsenden Population und deren Todesursachen zu gewinnen.
Anfangs waren es nur wenige Tiere, doch mittlerweile erreicht die Zahl der Wölfe, die jährlich in der Wildtierpathologie des Leibniz-IZW seziert werden, eine dreistellige Zahl. Aufgrund der hohen Anzahl können nur noch 50% der im Straßenverkehr getöteten Wölfe untersucht werden. Mit dem jüngsten Fall einer durch einen Verkehrsunfall verstorbenen trächtigen Wölfin hat die Anzahl seit Start des Programms die Zahl 1.000 erreicht.
„Diese Zahlen allein zeigen, dass die Rückkehr der Wölfe aus ökologischer Perspektive eine Erfolgsgeschichte ist“, sagt Prof. Dr. Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-IZW. „Die vielen Totfunde aus den verschiedensten Teilen Deutschlands zeugen davon, dass vielerorts Wolfsterritorien bestehen.“ Zudem zeigen die Untersuchungen, dass die Population im Wesentlichen gesund ist. Die Wölfin, die als 1000. Fall im Leibniz-IZW ankam, war trächtig mit sechs Welpen, das stehe sinnbildlich für die erfolgreiche Reproduktion der Karnivoren, so Hofer.
Totfundmonitoring des Leibniz-IZW
Seit 2016 erfolgt das Totfundmonitoring des Leibniz-IZW im Rahmen des Projektes „Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW)“.
Zum eng zusammenarbeitenden wissenschaftlichen Konsortium der DBBW gehören neben dem Leibniz-IZW das Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (SMNG), das LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung sowie das Zentrum für Wildtiergenetik am Senckenberg Forschungsinstitut, Standort Gelnhausen, welches als Referenzzentrum für Wolfsgenetik fungiert.
Von jedem toten Wolf wird eine Genetikprobe im Zentrum für Wildtiergenetik untersucht, um die Identität und Herkunft des Tieres abzuklären.
Das LUPUS Institut berät die Naturschutzbehörden von Bund und Ländern zu allen wolfsrelevanten Themen und stellt die Monitoringdaten der Bundesländer auf nationaler Ebene zusammen.
Das SMNG koordiniert die Zusammenarbeit der DBBW und führt Kot- und Mageninhaltsuntersuchungen zur Nahrungsanalyse sowie kraniologische Untersuchungen (Schädelanalysen) toter Wölfe durch. Die Ergebnisse der Totfund- und der genetischen Analysen werden auf der DBBW-Webseite und in den jährlichen Statusberichten zum Wolf in Deutschland veröffentlicht.
Die Wölfin starb aufgrund eines Verkehrsunfalls. „Dies ist mit Abstand die häufigste Todesursache. Unsere Daten zeigen, dass rund drei Viertel der toten Wölfe an einer Kollision im Verkehr sterben – zumeist mit Autos auf Landstraßen oder Autobahnen“, sagt Dr. Claudia Szentiks, verantwortliche Pathologin im Wolfsprojekt am Leibniz-IZW. Wölfe leben in großen Territorien, die in unserer Kulturlandschaft von zahlreichen Straßen und Bahntrassen durchzogen sind, welche die Tiere quasi täglich queren müssen. Besonders häufig sterben junge Wölfe im Straßenverkehr, die auf der Suche nach einem eigenen Territorium aus ihrem Elternrudel abwandern und durch für sie unbekannte Gebiete ziehen. „Zusätzlich zu den Verkehrstoten diagnostizieren wir auch immer wieder andere anthropogene Todesursachen“, so Szentiks. Etwa jeder zehnte eingelieferte Totfund sei illegal geschossen worden, so die Veterinärpathologin. „Tatsächlich finden wir sogar in 13,5 Prozent aller untersuchten Wölfe Hinweise auf eine Straftat wie zum Beispiel den illegalen Beschuss, wobei die Tiere nicht immer daran sterben.“
Die Statistiken zu den dokumentierten illegalen Wolfstötungen legen nahe, dass die Jagd auf Wölfe seit ihrer Rückkehr vor 25 Jahren stets im Geheimen stattgefunden hat, so Hofer. Ein Blick in die Vergangenheit, bevor die Wölfe verschwanden, bietet jedoch keine Anleitung dafür, wie ein Zusammenleben erfolgreich gestaltet werden kann. „Diesen Umgang müssen wir lernen, auch früher gab es dafür kein funktionierendes Rezept, wie das Ausmerzen der Wolfsbestände in der Mitte des 19. Jahrhunderts belegt. Nun brauchen wir einen Ansatz, der die Interessen aller Beteiligten ernst nimmt und berücksichtigt, um eine langfristig für alle Seiten tragfähige Lösung zu ermöglichen.“
Natürliche Todesursachen bei Wölfen, die im Leibniz-IZW erforscht werden, sind weitaus seltener als solche, die direkt auf Menschen zurückgehen. Zu den natürlichen Ursachen zählen in etwa einem Drittel der Fälle Kämpfe mit anderen Wölfen, Magen-Darm-Rupturen durch scharfe Knochenfragmente in der Nahrung, körperliche Schwächung oft in Verbindung mit Räudemilbeninfektionen, sowie Infektionen durch Staupe-, Parvo- oder Adenoviren und vereinzelte Fälle von Yersinien-, Listerien- und Rotlaufinfektionen. Häufig treten auch Co-Infektionen mit verschiedenen Erregern auf. Krankheiten wie die Aujeszkysche Krankheit und Tollwut wurden jedoch nicht festgestellt, und Deutschland ist seit 2008 offiziell tollwutfrei. In einigen Fällen verstarben Wölfe auch an Verletzungen, die ihnen von potenziellen Beutetieren wie Wildschweinen zugefügt wurden.
Die Untersuchung einer toten, trächtigen Wölfin vom Leibniz-IZW offenbarte eine trächtige Nutria (Myocastor coypus) in ihrem Magen, eine invasive Nagetierart aus Südamerika. Dies verdeutlicht die Nahrungsflexibilität der Wölfe und ihren Beitrag zur Regulierung invasiver Arten. Dennoch bilden heimische Rehe, Wildschweine, Rothirsche und Damhirsche, die mehr als 90 Prozent ihrer Beute ausmachen, die Hauptnahrung, wie Analysen des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz zeigen. Dort werden die Ernährungsgewohnheiten der Wölfe durch Kotanalysen und Untersuchungen von Beutetierresten sowie das Alter der Wölfe anhand von Schädelmerkmalen erforscht.
„Unter der Nahrung der Wölfe befinden sich jedoch auch Nutztiere, in erster Linie Schafe oder Ziegen“, so Hofer. „Auch wenn dies mit 1,6 Prozent der Nahrung Ausnahmefälle sind, lässt sich ein Konflikt mit der Weidetierhaltung nicht wegdiskutieren und es müssen echte Lösungen gefunden werden. Im Leibniz-IZW haben wir in anderen Kontexten, beispielsweise im Konflikt zwischen Geparden und Rinderfarmern in Namibia, gelernt, wie wichtig dabei ein integrativer, kollaborativer Ansatz in der Lösungsfindung ist. Auf Basis wissenschaftlicher Daten und Erkenntnisse ist es dort gelungen, eine gemeinsame Perspektive mit den Beteiligten auf den Raubtier-Weidetierhalter-Konflikt zu entwickeln und alle Interessen zu berücksichtigen. Das muss auch hier in Deutschland mit dem Wolf gelingen.“
Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) ist verantwortlich für die Erfassung des Gesundheitszustands und die Analyse der Todesursachen bei tot aufgefundenen Wölfen. Es stellt Informationen über das Auftreten von Krankheiten wie Tollwut, Räude oder Staupe bereit. Im Falle einer illegalen Tötung liefert das Leibniz-IZW forensische Daten an die Polizei und Justizbehörden, wobei die Auskunft über die Todesursachen den zuständigen Stellen in den Bundesländern obliegt. "Idealerweise sollten die Tiere frisch und ungefroren an das IZW geliefert werden. Zuerst wird jeder Wolf mittels unseres Forschungs-Computertomographen untersucht, um ohne Berührung erste genaue Hinweise auf mögliche Verletzungen oder Fremdkörper zu erhalten", erläutert Szentiks. Nach der Sicherung forensischer Spuren und der Fotodokumentation sowie Vermessung des Tierkörpers werden bei der Sektion Proben für weiterführende Untersuchungen entnommen. Nach der Sektion wird ein erster Befund an den Einsender und die zuständige Behörde übermittelt. Die Tierkörper der Wölfe werden anschließend für Forschung und Lehre an die zuständigen Bundesländer zurückgegeben.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.