Wenn man selbst nicht weiterkommt: Schimpansen können von Artgenossen lernen
Bio-News vom 08.03.2024
Schimpansen, die selbst nicht in der Lage sind, ein komplexes Rätsel zu lösen, können die Lösung von anderen Schimpansen lernen, die dafür trainiert wurden. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam im Rahmen einer Studie mit Schimpansen in Sambia. Die Studie zeigt erstmals, dass Schimpansen genau wie Menschen Fähigkeiten voneinander lernen können, über die sie selbst nicht verfügen.
Schimpansen benutzen Stöcke, um Termiten zu “fischen”. Wie genau sie diese Stöcke einsetzen, ist von Gruppe zu Gruppe verschieden. In einigen Gruppen stecken sich die Menschenaffen die mit Insekten beladenen Stöcke direkt in den Mund. In anderen Gruppen streifen die Schimpansen die Insekten zuerst mit der freien Hand in einer einzigen Bewegung vom Stock und fressen die Leckerbissen dann aus der Hand.
Publikation:
van Leeuwen, E.J.C., DeTroy, S.E., Haun, D.B.M. et al.
Chimpanzees use social information to acquire a skill they fail to innovate
Nat Hum Behav (2024)
DOI: 10.1038/s41562-024-01836-5
Lange Zeit glaubte man, solche Verhaltensunterschiede zwischen Gruppen seien auf soziales Lernen zurückzuführen - die Fähigkeit, durch Beobachtung und Nachahmung von Artgenossen zu lernen. Einige Forscherinnen und Forscher bezweifeln jedoch, dass Schimpansen und andere Menschenaffen in der Lage sind, komplexe Handlungen voneinander zu “kopieren”. Sie gehen davon aus, dass einzelne Tiere das Rad immer wieder neu erfinden und sich dabei möglicherweise von Artgenossen inspirieren lassen. Die aktuelle Studie von Erstautor Edwin van Leeuwen von der Universität Utrecht in den Niederlanden und einem internationalen Forschungsteam zeigt nun, dass Schimpansen sehr wohl in der Lage sind, von ihren Artgenossen Fähigkeiten zu erlernen, die sie sich selbst nicht aneignen können.
Rätselbox bereitet Schimpansen Schwierigkeiten
In der Studie gab van Leeuwen zwei Gruppen von Schimpansen eine Rätselbox mit Erdnüssen. Obwohl die Tiere die Erdnüsse sehen und riechen konnten, waren diese nicht leicht zu erreichen. Um an das Futter zu gelangen, mussten die Schimpansen zunächst eine Holzkugel aufheben, die die Forschenden in großer Zahl in der Umgebung verteilt hatten, und diese zur Kiste bringen. Die Kiste hatte eine Schublade, die die Menschenaffen öffnen und offen halten mussten (sonst schloss sie sich durch eine Zugfeder), um die Kugel in eine Vertiefung in der Schublade zu legen. Sobald der Ball durch die Vertiefung in der Kiste verschwunden war, bekamen die Schimpansen ihre Belohnung: eine Handvoll Erdnüsse.
In beiden Gruppen, in denen die Rätselbox drei Monate lang stand, konnte keines der Tiere das Rätsel lösen. Van Leeuwen: "Sie haben alles versucht, um an die Erdnüsse zu kommen. Sie versuchten, den Deckel der Dose zu öffnen, sie klopften und warfen Bälle auf die Dose. Aber keines der Tiere fand die Lösung.” Als sich herausstellte, dass das Rätsel die Schimpansen überforderte, begannen die Forschenden, aus jeder Gruppe ein etwas älteres und intelligenteres Weibchen zu trainieren. "Man kann nicht einfach ein Tier nach dem Zufallsprinzip auswählen. Es muss ein Tier sein, das den Mut hat, das Rätsel in der Gruppe zu lösen, und dem die anderen dann auch erlauben, das Futter zu fressen”, sagt van Leeuwen.
Schimpansen lernen von trainierten Artgenossen
Sobald die Weibchen erfolgreich gelernt hatten, wie sie an das Futter gelangen konnten, wurde die Rätselbox wieder in die Gruppen zurückgebracht. Nach weiteren zwei Monaten beobachteten die Forschenden, dass nun auch 14 der insgesamt 66 untrainierten Tiere in der Lage waren, das Rätsel zu lösen. Jedes der Tiere, das schließlich an die Erdnüsse gelangte, hatte zuvor mindestens neun Mal beobachtet, wie ein Artgenosse erfolgreich eine Belohnung erhielt. Diese Schimpansen scheinen also eine neue und komplexe Fähigkeit durch soziales Lernen von bereits trainierten Tieren erworben zu haben.
Soziales Lernen wird als eine der Voraussetzungen für die kumulative kulturelle Evolution angesehen, einen Prozess, durch den Innovationen von Generation zu Generation weitergegeben werden, die sich im Laufe der Zeit zu Technologien akkumulieren, die ein einzelnes Individuum niemals hätte entwickeln können. Kumulative kulturelle Evolution ist eine der möglichen Erklärungen für die in der menschlichen Kultur beobachtete Komplexität und Vielfalt und wird von einigen Forschenden als etwas für den Menschen Einzigartiges angesehen.
Trotz der überzeugenden Ergebnisse halten es die Autorinnen und Autoren für verfrüht, aus dieser einen Studie weitergehende Schlüsse zu ziehen. Van Leeuwen: "Ich denke, diese Studie ist ein wertvoller Beitrag zu unserem Verständnis der kulturellen Evolution, aber es ist eben nur eine Studie. Es gibt immer noch große Unterschiede zwischen Schimpansen und Menschen. Während Menschen dazu neigen, voneinander zu lernen, konzentrieren sich Schimpansen viel mehr auf sich selbst. Menschen übernehmen zum Beispiel gerne Verhaltensweisen voneinander, die auf den ersten Blick keinen Nutzen zu haben scheinen, während Schimpansen das in den meisten Fällen nicht tun. Das heißt aber nicht, dass sie es nicht können. Ich vermute, dass die Hauptunterschiede zwischen Menschen und Schimpansen in ganz anderen Bereichen liegen.”
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.