Wohin mit Kopf und Schwanz?



Bio-News vom 19.06.2024

Beta-Catenin wurde als neuer Schlüsselspieler in der Entwicklung der Hauptkörperachse während der Embryogenese bei Säugetieren identifiziert.

Damit uns keine Ohren auf dem Rücken wachsen und alle Körperteile dort landen, wo sie hinsollen, bilden sich während der Embryonalentwicklung verschiedene Körperachsen. Die Kopf-Schwanz-Achse z. B. bestimmt dabei die Ausrichtung der beiden Körperenden. Bisher wurde angenommen, dass diese Achse maßgeblich durch das Gegenspiel der Signale Nodal und BMP festgelegt wird.


Embryo-ähnliches Modellsystem unter dem Mikroskop.

Publikation:


Schumacher S, Fernkorn M, Marten M, Chen R, Kim YS, Bedzhov I, Schröter C
Tissue-intrinsic beta-catenin signals antagonize Nodal-driven anterior visceral endoderm differentiation

Nat Commun (2024)

DOI: 10.1038/s41467-024-49380-0



Forschungsgruppen um Christian Schröter vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund und Ivan Bedzhov vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster haben einen weiteren Akteur im System identifiziert. Sie entdeckten mit einem von ihnen entwickelten embryoähnlichen Modellsystem, dass in Abwesenheit von BMP das Signalmolekül beta-Catenin die Funktion des Nodal-Antagonisten übernimmt. Dieser neuartige Mechanismus könnte eine anpassungsfähige Methode für die Achsenbildung bei verschiedenen Säugetierarten darstellen.

Die Struktur unseres Körpers wird schon während der embryonalen Entwicklung durch die Ausbildung von drei Hauptachsen bestimmt. Diese Achsen definieren vereinfacht, wo sich oben und unten, vorne und hinten sowie rechts und links befinden. Die Kopf-Schwanz-Achse legt insbesondere die Position des Mundes und des Afters fest. Die Aktivierung unterschiedlicher regulatorischer Gene entlang der Kopf-Schwanz-Achse und zwei weiteren Achsen führt zur Bildung spezifischer Zelltypen und Gewebe. Auf diese Weise legen die Achsen den Grundriss für die spätere Körperform fest. Dennoch bleiben viele Aspekte der Achsenbildung ein ungelöstes Rätsel.


Schema der embryonalen Entwicklung der Maus (oben) und des Embryo-ähnlichen Modellsystems zur Modellierung der Interaktionen zwischen Epiblast (grün), viszeralem Endoderm (violett) und extraembryonalem Gewebe (grau).

Mäuse sehen aus wie Becher …

Die Kopf-Schwanz-Achse, evolutionär gesehen die älteste Körperachse, wird bereits früh in der Embryonalentwicklung festgelegt. Bei Mäusen bildet sie sich schon wenige Tage nach der Befruchtung. Zu diesem Zeitpunkt ähnelt der Embryo einem Becher mit zwei Zellschichten und einem dicken Deckel. Am Becherboden bildet sich im viszeralen Endoderm, der äußeren Zellschicht, eine neue Zellpopulation. Diese Zellen des sogenannten anterior viszeralen Endoderms (AVE) bewegen sich dann in Richtung des Becherrandes und stoppen etwa auf halber Strecke. Dort entwickelt sich später aus dem Epiblast, der inneren Zellschicht des Bechers, der Kopf, während auf der gegenüberliegenden Seite der Schwanz entsteht. Man ging bisher davon aus, dass dieser Prozess durch das Zusammenspiel der molekularen Signale Nodal und BMP initiiert und reguliert wird. Das Epiblast setzt Nodal frei, während der Deckel BMP aussendet. Am Becherboden, der am weitesten vom Deckel entfernt ist, ist das BMP-Signal am schwächsten, wodurch das Nodal-Signal überwiegt und die Differenzierung der AVE-Population stattfindet.

… Menschen wie Scheiben

In ihrer aktuellen Studie identifizierten die Forschenden des Max-Planck-Instituts einen weiteren Schlüsselspieler in der Achsenbildung. Sie entwickelten ein neuartiges, embryoähnliches Modellsystem, das aus einer Schicht Epiblast und einer Schicht VE-Zellen besteht – vergleichbar mit einem Becher ohne Deckel. Durch die gezielte Behandlung embryonaler Mausstammzellen mit Wachstumsfaktoren gelang es ihnen, und trotz des fehlenden BMP-Signals des extraembryonalen Gewebes bildete sich aus den VE-Zellen eine AVE-Zellpopulation – der Ausgangspunkt für die Entwicklung der ersten Körperachse. Die Forscher zeigten, dass beta-Catenin für diesen Prozess erforderlich ist, ein Signalmolekül, das in der Embryonalentwicklung bisher nur als Regulator einer anderen Körperachse bekannt war.

“Es ist durchaus möglich, dass beta-Catenin auch in humanen Embryonen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Kopf-Schwanz-Achse spielt. Der menschliche Embryo erinnert mehr an eine Scheibe als an einen Becher. Deshalb liegt es nahe, dass die Verteilung von BMP ganz anders aussieht als im Mausembryo, und somit andere Mechanismen für die Bildung der ersten Körperachse eine Rolle spielen“, sagt Christian Schröter.

Stammzellen auf einer Wellenlänge

„Unsere zweischichtigen Embryo-ähnlichen Aggregate waren der Schlüssel zum Erfolg. Andere Studien nutzen meistens eine Mischung aus verschiedenen Stammzelllinien. Die von uns verwandten Zellpopulationen stammen jedoch aus nur einer Stammzelllinie. Somit haben sie nicht nur einen identischen genetischen Hintergrund, sondern nutzen auch dieselben Kommunikationssysteme. Man könnte auch sagen, sie sind auf einer Wellenlänge“, fasst Schröter zusammen. „Aggregate aus humanen embryonalen Stammzellen, die sich an unserem System orientieren, könnten in Zukunft ein vielversprechendes experimentelles Werkzeug zur Untersuchung der Ereignisse während der Embryonalentwicklung sein.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für molekulare Physiologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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