Der Westafrikanische oder Rote Stummelaffe (Piliocolobus [Procolobus] badius) ist mit fragmentierten Populationen vom Senegal bis nach Ghana verbreitet. Er ist ein tagaktiver Primat, der die meiste Zeit in den Bäumen verbringt.


Lebensraum

Westafrikanische Rote Stummelaffen (Piliocolobus badius) leben in alten, gewachsenen Regenwäldern in allen möglichen Baumetagen - vom Boden bis in die Baumkronen in mehr als 40 Metern Höhe. Die meiste Zeit verbringen sie allerdings in den mittleren Etagen in 20 bis 30 Metern Höhe. Die Unterart Piliocolobus b. temminckii lebt in Berg- und tropischen Regenwäldern, außerdem hat sie sich an die Trockenwälder im Senegal angepasst. Die Unterart Piliocolobus b. waldroni bewohnt (zumindest früher) dichte Wälder mit hohen Bäumen [4][5][6][7][8].


Aussehen

Bei Westafrikanischen Roten Stummelaffen (Piliocolobus badius) herrscht Geschlechtsdimorphismus vor, d. h. die erwachsenen Weibchen sind etwas kleiner als Männchen. Diese wiegen zwischen 9,1 und 12,2 Kilogramm, während Weibchen mit 6,8 bis 9,1 Kilogramm deutlich leichter sind. Die Kopf-Rumpf-Länge liegt zwischen 45 und 67 Zentimetern, hinzu kommt der Schwanz mit 52 bis 80 Zentimetern. Das Körperfell ist braun, grau oder schwarz, Kopf und Gliedmaßen sind kastanien-braun oder rot. Das Fellhaare sind überall gleich lang und der Schambereich ist von weißem Fell umgeben.

Wie bei allen Arten der Stummelaffen ist auch beim Westafrikanischen Roten Stummelaffen (Piliocolobus badius) der Daumen zu einem kleinen Stummel reduziert, die anderen Finger sind lang und sehr gut zum Umgreifen von Ästen und Zweigen geeignet. Junge Männchen und Weibchen zeigen ähnliche Genitalwülste wie erwachsene, fortpflanzungsfähige Weibchen. Bei jungen Männchen ist der Penis und der Hodensack verdeckt. Die drei Unterarten unterscheiden sich geringfügig in ihrer Erscheinung. P. b. badius hat eine schwarze Stirn und schwarze, äußere Oberschenkel. Bei P. b. waldroni gehen diese Bereiche mehr ins Rötliche [4][5][11][15][3].


Ernährung

Westafrikanische Rote Stummelaffen (Piliocolobus badius) sind Blätterfresser. Meist verzehren sie junge Blätter, aber auch reife Blätter, Samen, unreife Früchte und Triebe. Mitglieder der Unterart P. B. temmincki verbrauchen Blätter Terminalia macroptera, Celtis integrifolia, Erythrophleum guineense, Pterocarpus erinaceus und Dichrostachys glomerata sowie Früchte und Blüten am Ende der Trockenzeit, wenn die Blätter anfangen, hart zu werden. Wie alle Mitglieder der Unterfamilie Colobinae haben sie ein einzigartiges Verdauungssystem mit einem Wiederkäuer-ähnlichen Magen mit mehreren Kammern, um die Cellulose der Pflanzen aufschließen und optimal verdauen zu können [4][8][9][10][13][17].


Fortpflanzung

Bei Westafrikanischen Roten Stummelaffen ist Damenwahl angesagt: Das Weibchen wählt aus, mit welchen Männchen sie sich paart, außerdem wandern Weibchen von Gruppe zu Gruppe, da die Männchen nach Erreichen der Geschlechtsreife in ihrer Geburtsgruppe verbleiben. Dort bilden sie Koalitionen und kämpfen aggressiv um die umherwandernden Weibchen. Sind die Weibchen paarungsbereit, schwillt ihr Genitalbereich an und nimmt eine rosa Färbung an. Es ist nicht bekannt, ob sich die Weibchen nur mit einem Männchen paaren oder auch mit anderen.


Video

Nach einer Tragzeit von 6 bis 6½ Monaten bringen die Weibchen ein einzelnes Junges zur Welt. Die Verantwortung für die Aufzucht des Nachwuchses liegt beim Weibchen. Es nährt, pflegt und schützt das Junge. Ob es darüber hinausgehendes Engagement, z.B. der Männchen, gibt, ist nicht bekannt. Affen in Gefangenschaft haben nie lang genug überlebt, um sich fortzupflanzen. Außerdem haben nur wenige Freilandstudien diesen Aspekt der Fortpflanzungsbiologie untersucht [11][16].

Gruppenleben

Westafrikanische Rote Stummelaffen (Piliocolobus badius) sind tagaktive, baumlebende Primaten, die vor allem in den höheren Baumkronen (26 bis 40 m über dem Boden) leben und nur selten auf den Waldboden herunter kommen. Dies tun sie meist nur, wenn sie mit Diana-Meerkatzen (Cercopithecus diana) gemeinsam auf Nahrungssuche sind. Die sozialen Gruppen bestehen meist aus mehr als 20 Individuen. Die Gruppen sind sehr territorial, die Unterart P. b. temminckii beansprucht ein Gebiet von 0,089 - 0,22 km², die Unterart P. b. badius mehr als 1 km². Die Gruppen von P. b. temminckii sind oft lose strukturiert - sie finden zusammen und trennen sich nach gewisser Zeit wieder [4][5].


Kommunikation

Westafrikanische Rote Stummelaffen (Piliocolobus badius) kommunizieren meist über Laute. Sind Fressfeinde wie Schimpansen oder Leoparden in der Nähe, alarmieren sie ihre Artgenossen mit Alarmrufen. Sichten sie einen Schimpansen, werden die Alarmrufe kurz danach eingestellt und die Affen steigen in die obersten Baumregionen auf. Wird ein Leopard gesichtet, ertönen ebenfalls Alarmrufe, doch nun kann es vorkommen, dass sich mehrere Männchen dem Feind gegenüberstellen und ihn verjagen [6][7][11][3]


Taxonomie

Primatologen unterscheiden 3 Unterarten [2]:

  • P. b. temminckii lebt westlich des Guinea-Hauptregenwaldgürtels in Südwest-Senegal, Gambia, Guinea-Bissau und Nordwest-Guinea
  • Die Nominatform P. b. badius  lebt als fragmentierte Population von Sierra Leone und angrenzenden Teilen des südlichen Guinea über Liberia bis zum Nzi-Bandama-Fluss-System im Westen der Elfenbeinküste.
  • Von P. b. waldroni wurde seit über 25 Jahren kein lebendes Exemplar mehr gesichtet. Früher reichten die Populationen vom Bandama Nzi-Fluss-System im Südosten der Elfenbeinküste bis nach Südwest-Ghana. Miss Waldron's Stummelaffe, so der gewöhnliche Name, ist möglicherweise über den Großteil seines früheren Verbreitungsgebiets ausgerottet worden. Allerdings könnten ein paar Tiere im Gebiet zwischen dem Ehy-Wald und dem Tanoe Fluß in der Elfenbeinküste überlebt haben. Das scheinen ein kürzlich aufgetauchtes Foto, eine Haut und ein Schwanz zu belegen. Im März 2008 hörte ein Team vom Centre Suisse de Recherches Scientifiques im Tanoé Sumpfwald Rufe, die von Miss Waldron's Stummelaffen gestammt haben könnten [14].

Gefahren

Die Säuglingssterblichkeit bei Westafrikanischen Roten Stummelaffen liegt in den ersten 6 Monaten bei ca. 30%. Weitere 18% überleben nicht das erste Lebensjahr. 28% der zwischen 18 und 24 Monaten alten Jungaffen fallen Schimpansen zum Opfer. Da Weibchen zwischen den Gruppen hin und her wandern, haben sie eine höhere Sterblichkeitsrate als Männchen. Die maximale Lebenserwartung von Westafrikanischen Roten Stummelaffen (Piliocolobus badius) ist nicht bekannt [3].

Die größte Bedrohung für den Fortbestand der Westafrikanischen Roten Stummelaffen sind Lebensraumverlust und Jagd. Fast überall und vor allem im letzten Jahrhundert fand Entwaldung durch Holzeinschlag und Umwandlung des Lebensraums in landwirtschaftliche Flächen statt. Besonders die kommerzielle Jagd nach Buschfleisch (Bushmeat) hat die Populationen stark dezimiert, besonders von P. b . badius und P. b . waldroni. Verbesserter Zugang zu entlegenen Waldgebieten durch Forststraßen hat den Jagddruck stark erhöht. Ein Großteil des Verbreitungsgebiets wird seit 1989 von zivilen Konflikten heimgesucht, und es ist noch nicht klar, in welchem ​​Ausmaß dies auch den Populationen im Senegal, in Sierra Leone, Liberia und der Elfenbeinküste schadet [2].

Obwohl die Jagd ist auch eine Bedrohung für P. b . temminckii ist (insbesondere im Süden des Verbreitungsgebiets), scheint diese Unterart etwas weniger betroffen zu sein als P. b waldroni und P. b . badius. In Gambia werden die Affen zumeist als landwirtschaftliche Schädlinge und nicht zum Fleischverzehr gejagt, obwohl sie viel weniger Schaden als Paviane, Grüne Meerkatzen oder Husarenaffen anrichten. Die große Gefahr für diese Unterart ist Lebensraumverlust als Folge der Waldumwandlung durch Landwirtschaft, Überweidung, Brände und Holzeinschla, kombiniert mit abnehmender Niederschlagsmenge in diesem Teil Westafrikas [2].


Systematik


Literatur

1 Rowe, N. 1996; [2] Oates, J.F., Struhsaker, T., McGraw, S., Galat-Luong, A., Galat, G. & Ting, T. 2008. Procolobus badius. In: IUCN 2011. IUCN Red List of Threatened Species. Version 2011.1. <www.iucnredlist.org>. Downloaded on 13 October 2011; 3 Stanford, C. 1998; 4 Beacham und Beetz. 1998a; 5 Beacham und Beetz. 1998b; 6 Bshary und Noe. 1997a; 7 Bshary und Noe. 1997b; 8 Galat-Luong und Galat. 2005; 9 Hayes, V. et al. 1996; 10 Hopkins, J. 1964; 11 Kuhn, H. 1971; 13 Maisels, F. et al. 1994; 14 McGraw, S. 2005; 15 Oates, J. et al. 2000; 16 Struhsaker und Pope. 1991; 17 Ting, N. 2008.

Die News der letzten 7 Tage

24.09.2023
Biodiversität | Insektenkunde
Streetlife: Insektenvielfalt auf Berliner Mittelstreifen
Das Museum für Naturkunde Berlin beobachtet seit 2017 im Rahmen des Projektes „Stadtgrün“ die Insektenvielfalt auf den Grünflächen der Mittelstreifen ausgewählter Straßen in der grünen Hauptstadt Europas.
23.09.2023
Anthropologie | Genetik
Studie zur genetischen Geschichte der Menschen Afrikas
Mithilfe von Erbgutanalysen moderner Populationen ist es einem internationalen Forschungsteam gelungen, die komplexen Abstammungsverhältnisse verschiedener in der angolanischen Namib-Wüste ansässiger Bevölkerungsgruppen besser zu erforschen.
22.09.2023
Bionik, Biotechnologie und Biophysik | Evolution | Neurobiologie
Der Quallentrainer
Quallen können aus Erfahrungen lernen, ähnlich wie der Mensch oder andere komplexe Lebewesen – das hat jetzt ein Team von Biologinnen und Biologenaus Deutschland und Dänemark gezeigt.
20.09.2023
Biodiversität | Citizen Science | Ethologie | Vogelkunde
Das Erfolgsgeheimnis steckt im Verhalten
Während viele Arten gerade zahlenmäßig und hinsichtlich ihres Verbreitungsgebiets drastisch zurückgehen, scheinen andere gut zu gedeihen.
19.09.2023
Land-, Forst-, Fisch- und Viehwirtschaft
Vitamine vom Dach
Obst und Gemüse wird heute über Tausende von Kilometern nach Deutschland transportiert.
19.09.2023
Land-, Forst-, Fisch- und Viehwirtschaft
Optimierte Kakaobestäubung für höhere Erträge
Wie lässt sich der Anbau von Kakao durch die richtige Bestäubungstechnik verbessern?
18.09.2023
Mikrobiologie
Stinkender Schleim: Wohlfühlort für Würmer und Mikroben
Kieler Forschungsteam untersucht am Beispiel von Fadenwürmern in einem naturnahen Kompost-Experiment, welchen Beitrag Wirtslebewesen und Mikroorganismen zur gemeinsamen Anpassung an einen neuen Lebensraum leisten.
18.09.2023
Anthropologie | Evolution | Neurobiologie
Evolution der sprach-relevanten Hirnstrukturen aufgedeckt
Sprache ist ein Aspekt, der uns zu Menschen macht.
18.09.2023
Mikrobiologie | Taxonomie
Darmmikrobe produziert stinkendes Giftgas, schützt aber vor Krankheitserregern
Taurin abbauende Bakterien beeinflussen das Darmmikrobiom, so ein internationales Team von Wissenschafter*innen unter der Leitung des Mikrobiologen Alexander Loy von der Universität Wien.
17.09.2023
Insektenkunde | Ökologie
Dieselabgase schädigen Insekten: erstmals Auswirkungen auf Hummeln erforscht
Der Rückgang der Insekten bedroht weltweit viele Ökosysteme - Während die Auswirkungen von Pestiziden gut erforscht sind, fehlte es bisher an Erkenntnissen über die Folgen anderer anthropogener Schadstoffe.
17.09.2023
Mikrobiologie | Toxikologie
Wie man Giftschlangen auf den Zahn fühlt
Nicht nur in den Tropen führen Schlangenbisse zu gefährlichen Vergiftungen – auch Bisse europäischer Giftschlangen können ernste körperliche Beschwerden hervorrufen.
16.09.2023
Evolution | Paläontologie
Langzeitseen als Motor für die Evolution von Süßwasserschnecken
In Millionen Jahre existierenden Langzeitseen entwickelten Süßwasserschnecken im Laufe der Erdgeschichte eine besonders große Vielfalt an Arten.
13.09.2023
Biodiversität | Ökologie
Neue Bienenart aus dem Osten in Regensburg aufgetaucht
Neben der allseits bekannten Honigbiene sind aus Deutschland nach neuestem Stand 604 Wildbienenarten bekannt.
12.09.2023
Biochemie | Entwicklungsbiologie | Physiologie
Neues zur Bildung von Wurzelhaaren
Wurzelhaare sind ein wichtiger Bestandteil der Wurzeloberfläche, über die Pflanzen Nährstoffe aufnehmen: Bekannt ist, dass es bei einem leichten Stickstoffmangel zu einer Verlängerung der Haupt- und Seitenwurzeln kommt.
11.09.2023
Fischkunde | Physiologie
Große Fische werden kleiner und kleine Fische immer zahlreicher
Organismen werden im Laufe der Zeit weltweit immer kleiner – das liegt zum einen am Austausch der Arten untereinander und zum anderen an Veränderungen innerhalb der Arten selbst.
08.09.2023
Klimawandel | Paläontologie
Als üppige Laubwälder die Arktis bedeckten
Forschungsteam der Universität Tübingen untersucht das Pflanzenwachstum im nördlichen Polargebiet vor rund 50 Millionen Jahren – Paläoklima mit Parallelen zur aktuellen globalen Erwärmung.
07.09.2023
Fischkunde | Land-, Forst-, Fisch- und Viehwirtschaft | Meeresbiologie
Fast zwei Drittel aller Korallenriffe werden überfischt
Ein internationales Team von Forschenden hat mit einem umfangreichen Datensatz aus über 2000 Korallenriff-Standorten ermittelt, wie es um die Fischbestände und Vielfalt der Fischarten in den Riffen der Weltmeere bestellt ist.