Die Altweltaffen
Als Catarrhini (Schmalnasenaffen) bezeichnet man eine Teilordnung innerhalb der Primaten. Sie repräsentieren eine der drei Hauptgruppen der Unterordnung Haplorhini (Trockennasenprimaten).
Zu Catarrhini gehören alle geschwänzten Altweltaffen (Überfamilie Cercopithecoidea) sowie die schwanzlosen Menschenaffen (Überfamilie Hominoidea).
Die Menschenaffen gliedern sich weiter in die Kleinen Menschenaffen (Familie Hylobatidae), repräsentiert durch die Gibbons und die Großen Menschenaffen (Familie Hominidae), repräsentiert durch Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse und Mensch.
Die beiden anderen Hauptgruppen der Unterordnung Haplorhini sind die Koboldmakis (Tarsius), die man früher zu den Halbaffen (heute Feuchtnasenprimaten genannt) zählte, und die Platyrrhini (Neuweltaffen), die in Süd- und Mittelamerika beheimatet sind.
Catarrhini bedeutet soviel wie "schmale Nase"; der Begriff beschreibt also ihre schmalen, nach unten zeigende Nasenlöcher.
Alle geschwänzten Affen Afrikas und Asiens zählt man zu einer einzigen Familie: den Cercopithecidae. Im Gegensatz zu den Neuweltaffen sind sie nicht auf tropische oder subtropische Wälder beschränkt, obwohl die meisten von ihnen dort vorkommen. In Afrika gibt es mehrere Arten, die offene Savanne oder montanes Grasland bewohnen. Auf beiden Kontinenten gibt es Affen, die sich an ein Leben in der Nähe menschlicher Ansiedlungen angepasst haben. Sie plündern oft landwirtschaftliche Flächen oder leben von den Abfällen auf Müllkippen.
Die Ausbreitung der Altweltaffen ist nur durch Ozeane, Wüsten und extrem kalte Regionen beschränkt. Nur in Gebieten, in denen Wassermangel herrscht oder in denen sehr tiefe Temperaturen eine ganzjährige Versorgung mit Früchten oder Blättern verhindert, können Altweltaffen nicht überleben. Kein Affe hat jemals gelernt, Winterschlaf zu halten und so dieses Problem zu lösen.
In China und Japan gibt es immerhin bis hinauf zu 41° nördlicher Breite einige Primaten, die an der Grenze der für Altweltaffen erträglichen Bedingungen leben. In Nordafrika lebt eine einzige Art in den gemäßigten Wäldern Marokkos und Algeriens bis etwa 36 ° nördlicher Breite. In Europa gibt es keine heute lebenden, natürlicherweise dort vorkommenden Affen. Die weltberühmten Berberaffen (Macaca sylvanus) auf dem Felsen von Gibraltar sind eher eine Kuriosität und wurden dort erst in historischer Zeit angesiedelt. Fossilen von Makaken zeigen aber, dass sie zur Zeit des Plio- und Pleistozäns in ganz Europa recht zahlreich waren. Keine wilden Altweltaffen haben es jemals geschafft, Madagaskar oder gar Australien zu besiedeln, wo es natürlicherweise, abgesehen von Homo, auch keine plazentaren Säugetiere gibt.
Die Arten der geschwänzten Altweltaffen werden in zwei ganz unterschiedliche Unterfamilien eingeteilt: die Colobinae (Schlank- und Stummelaffen) und die Cercopithecinae (Meerkatzen, Makaken und Paviane). Die Gattungen der beiden Unterfamilien sind entweder in Afrika oder in Asien beheimatet. Nur zwei Gattungen kommen auf beiden Kontinenten vor: die Makaken (Macaca), hauptsächlich Asiaten, aber mit einer Art in Nordafrika vertreten und die Paviane (Papio), hauptsächlich Afrikaner, aber mit einer isolierten Population von Mantelpavianen (Papio hamadryas) auch in Arabien vertreten. Wahrscheinlich wurden aber auch sie während des alten ägyptischen Reichs, also in historischer Zeit, dort eingeführt.
Genau wie Menschenaffen und Menschen haben Altweltaffen an allen Fingern und Zehen Nägel statt Krallen, und keine Art hat einen wirklich tauglichen Greifschwanz. Alle Arten sind tagaktiv und Gerüche spielen bei der Wahrnehmung der Umwelt (anders als bei Feuchtnasenprimaten oder Neuweltaffen) nur eine relativ untergeordnete Rolle. Altweltaffen ruhen in der Regel in einer sitzenden Position, wobei ein "Wundsitzen" durch Gesäßschwielen - harte Pads, die sich genau am richtigen Ort befinden - verhindert wird.
Verglichen mit Feuchtnasenprimaten oder Neuweltaffen sind Altweltaffen eine bemerkenswert einheitliche Gruppe, sowohl morphologisch als auch im Verhalten. Diese Einheitlichkeit kann teilweise auf die verhältnismäßig späte Auffächerung der Arten (adaptive Radiation) zurückgeführt werden. Die Körpergröße aller Arten bewegt sich ungefähr in der gleichen Größenordung - es gibt weder extrem kleine noch extrem großen Arten. Geschlechtsdimorphismus der Eckzähne ist die Regel und Dimorphismus der Körpergröße ist weit verbreitet. Obwohl sich die bilophodonten Molaren der einzelnen Arten je nach Ernährungsgewohnheiten in den Details unterscheiden - etwa der Höhe, Länge und Breite der Höcker, oder der Länge der Scherkämme - sind sie sich insgesamt erstaunlich ähnlich (Kay, 1978).
In ihren Fortbewegungsgewohnheiten sind alle Altweltaffen in erster Linie vierbeinige Läufer, einige (meist Colobinae) sind auch ganz gute Springer. Bei der Nahrungssuche in den Bäumen sitzen sie immer auf Ästen und Zweigen, anstatt eine hängende Position darunter einzunehmen. Keine andere Primatengruppe hat so viele terrestrische Arten oder ist in ihrem Bewegungsrepertoire so beschränkt. Altweltaffen sind in erster Linie Früchte- und Blätterfresser, ein paar haben sich auf Samen spezialisiert. Obwohl sich viele Arten in unterschiedlichem Maße auch von Insekten ernähren (die meisten Cercopithecinae) oder von Pflanzensäften (Paviane, Husarenaffen), gibt es keine Art, die sich auf eins dieser Nahrungsmittel spezialisiert hat - zumindest nicht in dem Maße, wie Koboldmakis oder einige Neuweltaffen.
Altweltaffen leben im Allgemeinen in Gruppen mit entweder nur einem Männchen oder in polygynen Gruppen mit mehreren Männchen (Wrangham, 1980). Bei den meisten Arten verbringen die Weibchen ihr ganzes Leben in ihrer Geburtsgruppe, so beruht die soziale Organisation auf Matrilinearität und konzentriert sich um weibliche Hierarchien. Männchen verlassen in der Regel ihre Geburtsgruppe und wandern ab. Sie können sich im Laufe ihres Lebens mehreren Gruppen anschließen (Strum, 1987). Monogamie ist selten. Alle Arten haben Einzelgeburten, Zwillinge sind selten.
Trotz dieser relativen Einheitlichkeit haben Altweltaffen mehr Vegetations- und Klimazonen kolonisiert, als jede andere Gruppe von heute lebenden Primaten. In Bezug auf Anzahl der Individuen oder der Arten sind Altweltaffen wahrscheinlich die erfolgreichsten, nicht-menschlichen Primaten. Dieser Erfolg resultiert aus einer Vielzahl von Faktoren. Bei den Colobinae ist es fast sicher ihre Fähigkeit, Zellulose zu verdauen und folivore Nahrungsmittel (Blätter) zu nutzen, die für andere Tiere nicht genießbar sind. Bei den Cercopithecinae ist es das Potential ihres terrestrischen Bewegungsapparates, die Geschicklichkeit ihrer Hände und ihre Intelligenz, die ihnen eine breite Palette von Nahrungssmitteln und Umwelten erschließt, die für weniger flexible Arten nicht nutzbar sind. Außerdem sind Cercopithecinen, was ihre Nachkommen betrifft, recht produktiv, so stellt sich bei vielen Arten jedes Jahr Nachwuchs ein.
Die Linien der Alt- und Neuweltaffen trennten sich vor etwa 40 Millionen Jahren, zur Zeit des mittleren Eozän. Vor etwa 25 Millionen Jahren begannen sich dann die Altweltaffen nocheinmal aufzuspalten, als sich die Menschenaffen entwickelten. Vor 18 Millionen Jahren schließlich begann die getrennte Entwicklung von kleinen Menschenaffen und großen Menschenaffen.
Im Mai 2005 wurden drei Aufsehen erregende Primaten-Fossilien in den Bugti-Hills in Pakistan entdeckt. Diese Hügel bergen viele Primatengeheimnisse, so führte bereits im Jahr 2001 die Entdeckung des frühen Primaten Bugtilemur zu der Annahme, dass die Lemuren in Asien und nicht in Afrika entstanden sein könnten. Die drei Primaten Bugtipithecus inexpectans, Phileosimias kamali und Phileosimias brahuiorum datieren zurück ins Oligozän vor etwa 30 Millionen Jahren - eine Zeit, aus der man Altweltaffen nur aus Afrika kennt. Es waren kleine, lemurenähnliche Catarrhini, die in einem tropischen Regenwald lebten. Möglicherweise sind diese asiatischen Catarrhini ein Seitenzweig der Eosimias-Gruppe und führten in eine evolutionäre Sackgasse. Andere mögliche neue Catarrhini-Fossilien wurden in China, Thailand und Myanmar entdeckt.
Bei der Bestimmung der phylogenetischen Beziehungen der Cercopithecoiden - den geschwänzten Altweltaffen - gibt es relativ wenig Probleme. Die unterschiedlichen Ansichten der Fachautoren drehen sich meist um taxonomische Fragen, z. B. ob die afrikanischen und asiatischen Colobinae in einer oder mehreren Gattungen zusammengefasst werden sollten. Die interessanteste Frage in Bezug auf die Phylogenese betrifft die Gattung Cercocebus (Mangaben). Aus morphologischer und verhaltensbiologischer Sicht scheint diese Gruppe eine kohärente Gattung darzustellen. Aber immunologische Untersuchungen deuten darauf hin, dass mindestens eine Spezies näher mit den Pavianen verwandt ist, als mit anderen Mangabenspezies. Oberhalb der Gattungsebene stimmen jedoch die cercopithecoiden Phylogenien, die auf Zahn- und Schädeluntersuchungen beruhen, mit denen auf Basis der Immunologie fast völlig überein.
Literatur
Andrews P. 1985. Family group systematics and evolution among catarrhine primates. In: E. Delson (ed.) Ancestors: The Hard Evidence, pp 14-22. New York: Alan R. LissKay R. F. 1978. Molar structure and diet in extant Cercopithecoidae. In: P. M. Butler and K. A. Joysey (eds.) Development, Function and Evolution of Teeth, pp. 309-339. New York: Academic Press.
Rose M. D. 1974. Ischial tuberosities and ischial callosities. Am. J. Phys. Anthropol. 40(3):375-384. DOI: 10.1002/ajpa.1330400309
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DOI: https://dx.doi.org/10.1163/156853980X00447
Strum S. C. 2003. Almost Human: A Journey Into the World of Baboons. Chicago: University of Chicago Press.