Alpenschaumzikade



Alpenschaumzikade

Alpenschaumzikade (Aphrophora major) in einem Regenmoor in Nordwestdeutschland.

Systematik
Ordnung: Schnabelkerfe (Hemiptera)
Unterordnung: Rundkopfzikaden (Cicadomorpha)
Überfamilie: Cercopoidea
Familie: Schaumzikaden (Aphrophoridae)
Gattung: Aphrophora
Art: Alpenschaumzikade
Wissenschaftlicher Name
Aphrophora major
Uhler 1896

Alpenschaumzikaden (Aphrophora major, Syn.: Aphrophora alpina Melchiar, 1900) sind Rundkopfzikaden (Cicadomorpha; Clypeorrhyncha) innerhalb der Familie der Schaumzikaden (Aphrophoridae). Kennzeichnendes Merkmal dieser Insekten ist, dass ihre Larven in selbst erzeugten Schaumnestern leben. Dieser sogenannte „Kuckucksspeichel“ (engl. „cuckoo-spit“), regional auch als „Hexenspucke“ bezeichnet, findet sich häufig auf Wiesen an Gräsern und krautigen Pflanzen. Die Alpenschaumzikade ist die größte mitteleuropäische Schaumzikadenart und kann bis zu 12,5 Millimeter Körperlänge erreichen.

Beschreibung

Die Alpenschaumzikade ist in der Grundfärbung dunkelbraun. Die Vorderflügel sind fein behaart, derb-ledrig und mit zahlreichen Punktgruben besetzt. Oft sind ein bis zwei dunklere sowie zwei hellere Flecken auf der Medianader vorhanden. Das Schildchen (Scutellum) ist flach. Die Körperform ist im Umriss schlank länglich-oval und spitz zulaufend. Alpenschaumzikaden erreichen Körperlängen zwischen 10,5 und 12,5 Millimeter, wobei die Weibchen meist etwas größer sind als die Männchen und mindestens 11 Millimeter Körperlänge erreichen.

Der Kopf der Alpenschaumzikade ist von oben gesehen fast so breit wie der Halsschild (Pronotum). Dieser trägt einen medianen Kiel. Der Kopf verfügt über zwei Punktaugen (Ocellen), ein Paar Facettenaugen und ein Paar kurze borstenförmige Fühler (Antennen). Die Stirnplatte (Clypeus) ist von vorn und seitlich betrachtet mehr oder weniger blasenförmig vorgewölbt und beinhaltet die Saugpumpe. Wie alle Zikaden verfügen auch Alpenschaumzikaden über einen Saugrüssel zur Nahrungsaufnahme. Die Unterlippe (Labium) der Tiere ist als Gleitschiene für die aus den Mandibeln und Maxillen bestehenden Stechdornen ausgebildet. Innerhalb der Lacinien (einem Teil der Maxillen) verläuft ein Kanal, durch den gesaugt werden kann, sowie ein Speichelkanal, durch den Speichel in die Fraßstelle geleitet wird. Teile der Mundhöhle sind bei allen Schnabelkerfen zu einer Saugpumpe umgestaltet.

Die Beine sind kräftig ausgebildet. Die Füße (Tarsen) der Schaumzikade sind dreigliedrig. Die Schienen (Tibien) des hinteren Beinpaares sind im Querschnitt rund. Die Schienen der Hinterbeine tragen einen kräftigen und mehrere kleinere Dornen sowie einen Dornenkranz (Meron) an der Basis. Aufgrund der kräftigen Beine können erwachsene Alpenschaumzikaden im Gegensatz zu den trägen Larven gut springen. Die mächtigen Dornen an ihren Hinterbeinen kommen ihnen beim Absprung zugute, da sie den Sprungbeinen Halt auf der Unterlage geben.[1]

Lebensweise

Die Alpenschaumzikaden sind sogenannte Stratenwechsler. Die erwachsenen Tiere leben an Gehölzen meist Weiden (Salix) oder Birken (Betula). Die Larven leben dagegen in den Kraut- und Strauchschichten in charakteristischen Schaumballen.[2]

Ernährung

Wie bei allen Zikaden erfolgt die Ernährung der Alpenschaumzikaden durch das Anstechen und Aussaugen bestimmter Pflanzenteile gewissermaßen wie durch einen Strohhalm. Zikaden sind auf bereits flüssige Nahrung angewiesen. Schaumzikaden sind Xylemsauger. Der sehr wasserreiche Xylemsaft der Leitungsbahnen ist im Gegensatz zum Phloem-Saft deutlich ärmer an Nährstoffen, weshalb davon sehr viel aufgenommen werden muss. Dies hat zur Folge, dass auch sehr viel Flüssigkeit wieder abgeschieden wird.[3]

In Anpassung an die spezielle Ernährung verfügt die Alpenschaumzikade wie alle Rundkopfzikaden über eine besondere Konstruktion des Verdauungstraktes, um überschüssiges Wasser beziehungsweise Kohlenhydrate abzugeben. Im Darm der Pflanzensaftsauger existiert eine Filterkammer, die eine Übergangsregion zwischen Vorder- und Mitteldarm und dem Hinterdarm herstellt. Sie ermöglicht die direkte Ableitung des überschüssigen Wassers in den Enddarm und der Nahrungssaft wird vor dem Eintritt in den Mitteldarm verdickt.[4]

Die meisten Zikadenarten sind auf bestimmte Nährpflanzen beschränkt. Alpenschaumzikaden sind dagegen polyphag, das heißt, sie nutzen mehrere Pflanzengattungen oder -familien. Nährpflanzen der erwachsenen Tiere sind vor allem Birken und Weiden. Jene der Larven sind nicht genau bekannt. Angegeben werden für Bayern Schilf (Phragmites) und Läusekraut (Pedicularis), für Japan auch Beifuß (Artemisia)[2].

Fortpflanzung und Entwicklung

Die Männchen der Alpenschaumzikaden sind, wie alle Zikadenmännchen und manchmal auch die Weibchen, in der Lage, rhythmische Gesänge zu produzieren. Diese werden durch spezielle Trommelorgane (Tymbalorgane), die sich an den Seiten des 1. Hinterleibssegmentes befinden, erzeugt. Durch Zug eines kräftigen Singmuskels werden die Membranen der Trommelorgane in Schwingungen versetzt. Das Geräusch wird durch Eindellen (Muskelzug) und Zurückspringen (Eigenelastizität) erzeugt [4]. Die erwachsenen Tiere leben zwischen Mitte Juli und Ende September.

Paarung Die Paarung wird vom Männchen durch Verankerung seiner Genitalarmatur an derjenigen des Weibchens begonnen. Es sitzt dabei während der gesamten Kopulation schräg neben dem Weibchen und hält sich dabei seitlich fest.

Larven der Alpenschaumzikade (Aphrophora major) im Schaumnest.

So entsteht eine für Schaumzikaden sowie weitere Vertreter der Cicadomorpha typische V-Stellung. Zur Eiablage wandern die Weibchen in die Krautschichten. Die Eier überwintern und im folgenden Frühjahr schlüpfen die Larven. Alpenschaumzikaden bilden nur eine Generation im Jahr, sie sind univoltin.[3]

Entwicklung der Larven Alpenschaumzikaden sind hemimetabol. Sie vollziehen eine unvollständige Verwandlung vom Ei über die Larve direkt (ohne Puppenstadium) zum Vollinsekt (Imago). Die Entwicklung der Larven erfolgt über fünf Stadien, wobei sich mit zunehmendem Alter die Anlagen für die Organe des erwachsenen Tieres (Flügel, Genitalarmatur) bilden und vergrößern. Die verschiedenen Stadien gehen über Häutungen ineinander über. Die Rückenseite der Larven ist im Querschnitt halbkreisförmig hoch gewölbt, die Bauchseite konkav. Der Kopf ist vor den Antennen und Augen stark ausgebuchtet und insgesamt rundlich. Der Hinterleib ist etwas aufgeblasen und hell. Die Flügelansätze sind dunkel gefärbt. Die Larven leben eingehüllt in einem Schaumnest an Stängeln und Blättern krautiger Pflanzen. Sie besitzen am Bauch eine Atemhöhle, die im Verlauf der Evolution aus Einfaltungen der Hinterleibsringe entstanden ist. In der Atemhöhle befinden sich die Atemöffnungen (Stigmata), die Einmündungsstellen der Tracheen an der Körperoberfläche. Die Tracheen bilden ein System aus Atemröhren, das den ganzen Körper eines Insekts durchzieht und das funktionale Äquivalent zu unserer Lunge darstellt. Durch rhythmisches Einpumpen von Luftbläschen aus der Atemhöhle in eine eiweißhaltige Flüssigkeit, welche die Larven aus dem After abscheiden, wird der Schaum erzeugt. Dieser Vorgang hält bis zum Verlassen des Exkrets durch die Imago an. Die Konsistenz des Schaumes kann nur deshalb aufrechterhalten werden, da die Tiere aus speziellen Exkretionsorganen im Darm (Malpighische Gefäße) Schleimstoffe aus (Glykosaminoglykane, früher Mucopolysaccharide) und Eiweißen ausscheiden [5]. Der Schaum schützt die darin sitzende Larve auch vor Feinden, erhält aber in erster Linie die für die Weiterentwicklung nötige Feuchtigkeit und Temperatur. [3]

Verbreitung und Lebensräume

Alpenschaumzikade (Aphrophora major) mit charakteristischer Zeichnung der Vorderflügel

Die Alpenschaumzikade ist sibirisch verbreitet. In Mitteleuropa kommt sie nur an kühleren Standorten vor[6]. Sie ist in England, Irland, Niederlande, Frankreich, Deutschland, Schweiz, Österreich, Italien, Tschechien, Polen, Zentral und Nord Russland, Ukraine, in Teilen des Balkan sowie in Japan nachgewiesen. Hier ist die Art oft nur lokal häufiger und meist nur in geringen Individuenzahlen anzutreffen, wie beispielsweise im nordwestlichen Tiefland der Bundesrepublik, im Nordosten Polens oder im Norden Frankreichs.[7]

Alpenschaumzikaden besiedeln vorwiegend gehölzreiche, feuchte bis nasse, kühle anmoorige Feuchtbiotope. Sie leben entlang von Waldrändern, überwiegend aber in Nieder- und Zwischenmooren sowie am Rand von Regenmooren[1].

Gefährdung und Schutz

Die Alpenschaumzikade genießt keinen gesonderten gesetzlichen Schutz. In Deutschland wird sie jedoch in der Roten Liste als stark gefährdet eingestuft. Gefährdungsursachen sind in erster Linie in der Zerstörung ihrer Lebensräume durch Entwässerungen und Inkulturnahme von Moorgebieten zu sehen.[6]

Arten der Gattung Aphrophora in Europa

In Europa existieren sieben Arten der Gattung Aphrophora Germar 1821[7]. Deutsche Artnamen existieren weitgehend nur für die in der Bundesrepublik Deutschland nachgewiesenen Arten[6].

  • Erlenschaumzikade, Aphrophora alni (Fallén, 1805)
  • Kiefernschaumzikade, Aphrophora corticea Germar, 1821
  • Alpenschaumzikade, Aphrophora major Uhler, 1896
  • Bunte Weidenschaumzikade, Aphrophora pectoralis Matsumura, 1903
  • Braune Weidenschaumzikade, Aphrophora salicina (Goeze, 1778)
  • Aphrophora similis Lethierry, 1888
  • Aphrophora willemsi Lallemand, 1946

Quellen und weiterführende Literatur

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 R. Biedermann & R. Niedringhaus: Die Zikaden Deutschlands – Bestimmungstafeln für alle Arten. Fründ, Scheeßel 2004, ISBN 3-00-012806-9
  2. 2,0 2,1 H. Nickel: The leafhoppers and planthoppers of Germany (Hemiptera, Auchenorrhyncha): Patterns and strategies in a highly diverse group of phytophagous insects. Pensoft, Sofia and Moskau, 2003, ISBN 954-642-169-3
  3. 3,0 3,1 3,2 R. Remane & E. Wachmann: Zikaden – kennenlernen, beobachten – Naturbuch Verlag, Augsburg 1993, Seite 35. ISBN 3-89440-044-7 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Remane & Wachmann“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Remane & Wachmann“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  4. 4,0 4,1 Wilfried Westheide & Reinhard Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie, Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, Jena, New York, 1996. Seite 650-651
  5. J. R. Cryan: Molecular phylogeny of Cicadomorpha (Insecta: Hemiptera: Cicadoidea, Cercopoidea, and Membracoidea): adding evidence to controversy. Systematic Entomology 30 (4), Oktober 2005, Seite 563-574.
  6. 6,0 6,1 6,2 H. Nickel & R. Remane: Artenliste der Zikaden Deutschlands, mit Angabe von Nährpflanzen, Nahrungsbreite, Lebenszyklus, Areal und Gefährdung (Hemiptera, Fulgoromorpha et Cicadomorpha). – Beiträge zur Zikadenkunde 5/2002. pdf 229 kB
  7. 7,0 7,1 nach Fauna Europaea [1] abgerufen am 1. September 2006

Weiterführende Literatur

  • M. Boulard: Diversité des Auchénorhynques Cicadomorphes Formes, couleurs et comportements (Diversité structurelle ou taxonomique Diversité particulière aux Cicadidés). In: Denisia 4, S 171-214, 2002. ISBN 3-85474-077-8
  • Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. Landwirtschaftsverlag, Münster 1998, ISBN 3-89624-110-9

Weblinks