Amygdalin


Strukturformel
Strukturformel von D-Amygdalin
D-Amygdalin
Allgemeines
Name Amygdalin
Andere Namen
  • D(−)-Mandelonitril- β-D-gentiobiosid
  • (R)-α-((6-O-β-D-Glucopyranosyl- β-D-glucopyranosyl)oxy) phenylacetonitril
  • Amigdalina
  • Laetrile (Lätril)
  • fälschlich als Vitamin B17 bezeichnet
Summenformel C20H27NO11
Kurzbeschreibung

farblose[1] als Trihydrat orthorhombische Kristalle[2]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 29883-15-6
PubChem 656516
Wikidata [[:d:Lua-Fehler in Modul:Wikidata, Zeile 865: attempt to index field 'wikibase' (a nil value)|Lua-Fehler in Modul:Wikidata, Zeile 865: attempt to index field 'wikibase' (a nil value)]]
Eigenschaften
Molare Masse 457,4 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

0,4 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

213 °C[1]

Löslichkeit
  • mäßig in Wasser (83 g·l−1 bei 25 °C)[1]
  • löslich in Ethanol[2]
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [3]
Gefahrensymbol

Achtung

H- und P-Sätze H: 302
P: keine P-Sätze [3]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Amygdalin (griechisch amygdalis, Mandelkern) ist ein cyanogenes Glycosid, das in Gegenwart von Wasser Blausäure (HCN) abspaltet.

Chemische Eigenschaften

In verdünnten Säuren wird Amygdalin in Glucose und Mandelonitril gespalten. Letzteres zerfällt weiter zu den typischen Bittermandelaromen Benzaldehyd und Blausäure.

Stereoisomere

Das L-Enantiomer (L-Mandelonitril-β-D-gentiobiosid) wird als Neoamygdalin bezeichnet.

Vorkommen

Bittere Aprikosenkerne, Apfelkerne, Bittere Mandeln und Samen von anderen Steinfrüchten enthalten Amygdalin in hohen Konzentrationen. Dieses kann bei der Verarbeitung der Ölsamen, beispielsweise zu Persipan, in Blausäure, Benzaldehyd und Glukose aufgespalten werden. Die freigesetzte Blausäure muss entfernt werden, die Kerne werden „entbittert“.

Vorkommen in Lebensmitteln

Amygdalin, Prunasin und andere cyanogene (blausäureabspaltende) Glykoside (Linamarin, Lotaustralin (Lein, Hülsenfrüchtler, Maniok u.a.), Dhurrin (Hirse), Taxiphyllin (Bambussprossen), Sambunigrin (Holunder) und über 70 weitere) kommen in einigen unverarbeiteten Lebensmitteln in relevanten Mengen (> 0,02 % gebundene Blausäure) vor. Durch traditionelle Verarbeitungsweisen wird der Blausäuregehalt aber auf ungefährliche Konzentrationen reduziert.

Aprikosenkerne

Die höchsten Blausäuregehalte weisen die Steinfrüchte einiger Rosengewächse auf, v.a. Bittermandeln und Aprikosenkerne. So enthalten Aprikosenkerne bis zu 8 % Amygdalin [5], entsprechend etwa 0,4 % gebundene Blausäure, Bittermandeln bis zu 5 % (0,3 % Blausäure).[6]

Von Anhängern des Amygdalin werden oft auch andere Lebensmittel genannt, die aber entweder nur unwesentliche Mengen an cyanogenen Glykosiden enthalten (Brombeeren, Erdbeeren, Gartenbohnen, Erbsen) oder bei denen durch traditionelle Zubereitungsweisen die Blausäure weitestgehend entfernt wird (Maniok/Tapioka, Yams, Limabohne).

Die Limabohne enthält in rohem Zustand beispielsweise 0,2–0,3 % gebundene Blausäure (200–300 mg/100 g), Gartenbohnen und Erbsen aber nur 0,002 % (2 mg/100 g)[7]. Kirschsaft immerhin noch 0,00005 % (500 µg/l). Die tödliche Dosis beim Menschen liegt bei etwa 50 mg Blausäure (0,5–3,5 mg/kg Körpergewicht). Als unbedenklich dagegen gelten 5 µg/kg Körpergewicht, wie sie durch gewöhnliche Lebensmittel niemals überschritten werden, zumal die mit etwas höherem Gehalt an gebundener Blausäure (Hülsenfrüchte) auch bei uns nicht roh verzehrt werden. Ein einziger Aprikosenkern enthält aber bereits 0,5 mg Blausäure, so dass man besser nicht mehr als ein bis zwei solcher Kerne pro Tag verzehren sollte.

Medizinische Verwendung

Laetril, CAS-Nr. 1332-94-1, ist ein halbsynthetisches Glykosid und wird manchmal mit Amygdalin verwechselt.

Amygdalin („Amigdalina“) wird, ebenso wie das halbsynthetische und gleichfalls cyanogene Laevo-Mandelsäurenitril-β-glucuronisid („Laetrile“, „Lätril“), auch unter dem Phantasienamen Vitamin B17, alternativmedizinisch zur Vorbeugung vor und Behandlung von Tumorerkrankungen (Krebs) verwendet. Die Bezeichnung als Vitamin ist irreführend, da Amygdalin kein für den menschlichen Stoffwechsel essenzieller Stoff ist.

In der Krebsbehandlung ist die perorale (B17-Tabletten, Zerkauen von Aprikosenkernen) und intravenöse Gabe von Amygdalin beschrieben. Aus Sicht der wissenschaftlich begründeten Medizin ist Amygdalin in dieser Anwendung als ein „unseriöses Wundermittel“ anzusehen. Der postulierte Wirkmechanismus soll auf einer Aufspaltung des Amygdalins in Benzaldehyd, Glucose und die hoch toxische Blausäure (Cyanwasserstoff) unter Beteiligung des Enzyms β-Glucosidase beruhen. Durch ein angeblich vermehrtes Vorkommen von β-Glukosidase in Tumorzellen soll dort örtlich begrenzt vermehrt giftige Blausäure gebildet werden und selektiv zum Absterben der Tumorzelle führen. Tatsächlich aber kommt β-Glukosidase in weitgehend gleichen, zudem nur äußerst geringen Mengen in gesunden Zellen und in Tumorzellen vor.[8] Eine weitere Hypothese ist, dass das vermeintliche Fehlen des Enzyms Rhodanase in Tumorzellen dort selektiv eine Blausäureanhäufung bewirke. Rhodanase vermag geringere Mengen von Cyaniden durch Umwandlung in das vergleichsweise untoxische Thiocyanat zu entgiften und kommt insbesondere in der Leber vor.

Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Nachweise einer therapeutischen Wirksamkeit. Eine klinische Studie aus dem Jahr 1982[9] zeigte bei an Krebs erkrankten Menschen keinen therapeutischen Effekt nach Einnahme von Amygdalin, es traten jedoch bei einigen Patienten Symptome einer Cyanidvergiftung auf. Ein Review aus dem Jahr 2006[10] ergab nach der Auswertung von 36 Studien, dass keine einzige der bis dahin ausgewerteten Studien Hinweise auf eine therapeutische Wirksamkeit lieferte.

Rechtliche Aspekte für Deutschland

Ärzte haben im Rahmen der Therapiefreiheit eine freie Arzneimittelauswahl. Eingeschränkt wird diese allein durch § 5 des deutschen Arzneimittelgesetzes, der die Abgabe und Anwendung von bedenklichen Arzneimitteln verbietet. Amygdalinhaltige Fertigarzneimittel gibt es keine im Markt. Inwieweit amygdalin- bzw. andere mandelonitrilhaltige Einzelanfertigungen (Rezepturarzneimittel) als bedenklich anzusehen sind, kann fallweise verschieden sein. Von offizieller Seite werden sie grundsätzlich als bedenklich eingestuft,[11] da der begründete Verdacht auf eine Freisetzung von giftiger Blausäure besteht. Dennoch wurde 2007 einer Apotheke in Hannover nach einem Rechtsstreit die Verkehrsfähigkeit des dort auf ärztliche Verordnung angefertigten amygdalinhaltigen Rezepturarzneimittels rechtskräftig zugebilligt. Das Gerichtsurteil[12] stützte sich auf ein toxikologisches Gutachten, demzufolge die Bildung von Blausäure im gegenständlichen Rezepturarzneimittel auszuschließen sei und dieses somit keine gesundheitliche Gefährdung darstelle. Bei dem verwendeten Ausgangsstoff handele es sich um hochreines Amygdalin, das aufgrund einer fehlenden Verunreinigung mit Amygdalase keine enzymatische Spaltung mit der Folge von Blausäurebildung erwarten lasse. Eine generelle Unbedenklichkeit von amygdalinhaltigen Rezepturarzneimitteln stellte das Gericht hingegen in Abrede und verwies auf die übereinstimmenden Meinungen von Apothekerkammer und Gerichtsgutachter, die davor warnten, Amygdalin unklarer Herkunft und ungeklärter Reinheit einzunehmen.

Unerwünschte Wirkungen

Nach der Einnahme von amygdalinhaltigen Lebensmitteln oder Zubereitungen besteht die Gefahr der tödlichen Vergiftung durch Blausäure. Tödliche Vergiftungsfälle durch Aprikosenkerne sind in der toxikologischen Literatur gut belegt.[13] In Regionen, in denen der Verzehr von Aprikosenkernzubereitungen üblich ist, wird durch die Zubereitungstechnik der Amygdalingehalt gesenkt. Werden diese Zubereitungstechniken nicht genau eingehalten, kann es zu tödlichen Vergiftungsfällen kommen.

In der toxikologischen Literatur werden Vergiftungsfälle auch konkret für die Therapie mit Amygdalin beschrieben.

Die niedrigste tödliche Dosis einer erwachsenen Person mit 60 kg liegt bei 0,57 mg/kg Körpergewicht, das sind etwa 40 Aprikosenkerne.[14] Betrachtet man den Blausäuregehalt vor dem Hintergrund des niedrigsten Wertes der Metabolisierungsrate (Entgiftungsrate) für Blausäure von 0,1 mg/kg/h, resultieren daraus folgende Zahlen: Ein Erwachsener kann damit pro Stunde 6,0 mg Blausäure durch Metabolisierung entgiften, was einer Verzehrrate von rund 7 Kernen pro Stunde entspricht.[15]

Literatur

  • Campa, C., et al. (2000): Analysis of cyanogenic glycosides by micellar capillary electrophoresis.J Chromatogr B Biomed Sci Appl. 739(1), S. 95–100; PMID 10744317.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Datenblatt Amygdalin (PDF) bei Carl Roth
  2. 2,0 2,1 Sybille Neidhart, in: Römpp Online - Version 3.5, 2009, Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
  3. 3,0 3,1 Datenblatt Amygdalin bei Sigma-Aldrich (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Name nicht angegebenVorlage:Sigma-Aldrich/Abruf nicht angegeben
  4. 4,0 4,1 Eintrag zu Amygdalin in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM).
  5. http://www.giftpflanzen.com/prunoidae.html
  6. http://www.giftpflanzen.com/prunus_dulcis.html
  7. H.-D. Belitz, W. Grosch, P. Schieberle: Lehrbuch der Lebensmittelchemie. 6. Auflage, 2008, Springer-Verlag Berlin, Heidelberg. ISBN 978-3540732013
  8. N. N. (1991): Unproven Methods of Cancer Management. Laetrile. In: CA Cancer J. Clin. Bd. 41, S. 187–192; PMID 1902140; PDF.
  9. Moertel, CG., et al. (1982): A clinical trial of amygdalin (Laetrile) in the treatment of human cancer.N Engl J Med. 306(4): S. 201–206. PMID 7033783.
  10. Milazzo, S. et al. (2006): Laetrile for cancer: a systematic review of the clinical evidence. Supportive Care in Cancer. 15(6), S. 583–595; doi:10.1007/s00520-006-0168-9; PMID 17106659.
  11. AMK-Empfehlungen zur Prüfung der Abgabefähigkeit von Rezepturarzneimitteln, April 2011
  12. Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (AZ 11 LB 350/05) zu einem Amygdalin-Rezepturarzneimittel aus Hannover PDF
  13. Herbert, V. (1979): Laetrile: the cult of cyanide. Promoting poison for profit.Am J Clin Nutr. 32(5), S. 1121–1158; PMID 219680; PDF
  14. Lindner, E. (1990). Toxikologie der Nahrungsmittel.
  15. Kaschuba WA, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Die News der letzten Tage