International Committee on Taxonomy of Viruses
Das International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) (Internationales Komitee für die Taxonomie von Viren) ist seit 1971 ein Gremium von derzeit etwa 500 Virologen innerhalb der International Union of Microbiological Societies. Es arbeitet an der Vereinheitlichung und Organisation von taxonomischen Bezeichnungen der Viren, Viroide, Virusoide, Prionen und Retrotransposons.
Tätigkeit
Die Arbeit dieses unabhängigen Gremiums ist dann gefordert, wenn ein neues Virus entdeckt wird und ihm ein international gültiger Name zugeordnet wird. Darüber hinaus ist das ICTV mit der systematischen Umbenennung von Virusgruppen und ihrer Einteilung in Gattungen, Familien und Ordnungen befasst. Die Berichte und Festlegungen des ICTV sind verbindlich für die wissenschaftliche Benennung und bilden so die offizielle Virus-Taxonomie.
Die ICTV-Taxonomie umfasst augenblicklich drei Ordnungen, 73 Familien, 9 Unterfamilien, 287 Gattungen und mehr als 5450 Viren in mehr als 1950 Spezies.
Die Arbeit des ICTV ist nicht ohne Kritiker, so scheitern regelmäßig Versuche des ICTV, bisher auch weiterhin in Publikationen gebräuchliche Namen (zumeist nach Entdeckern oder Orten benannt) gegen systematische Bezeichnungen auszutauschen, z.B. Humanes Herpesvirus 4 (Epstein-Barr-Virus) oder HHV 3 (Varizella-Zoster-Virus). Ein jüngstes Beispiel eines Namensgebungskonfliktes war das SARS-Virus, das nahezu gleichzeitig in Asien, Amerika und Europa von Patienten mit der gleichnamigen Krankheit im Jahre 2003 isoliert wurde. Es kursierten anfänglich je nach Entdecker unterschiedliche Namen. Der vom ICTV vergebene Name „SARSCoV“ beinhaltet zum einen die Krankheit (SARS), die Virusgattung (Co) Coronavirus und „V“ für Virus.
Im Jahre 1986 war die einheitliche Namensgebung für ein ganz besonderes Virus von großer Bedeutung: aus den synonymen Begriffen: LAV, HTLV-III, ARV und einer ganzen Reihe individueller Bezeichnungen beschloss das ICTV das Taxon HIV für „Human Immunodeficiency Virus“ (Menschliches Immun-Schwäche-Virus).
Ziele des ICTV
Die offiziellen Zielsetzungen des ICTV sind (nach dem gültigen 8th Report of the ICTV 2004):
- Entwicklung einer international anerkannten Taxonomie
- Entwicklung allgemein anerkannter Namen für Taxa von Viren und subviralen Erregern
- Publikation taxonomischer Entscheidungen
- Erarbeitung von Spezieslisten und einer taxonomischen Internet-Datenbank (ICTVdB)
Taxonomische Regeln
Die virologische Nomenklatur soll grundsätzlich eine gewisse nachvollziehbare Stabilität besitzen, dabei Verwechslungsgefahren und Zweideutigkeiten von Taxa vorbeugen und unnötige Namensschöpfungen vermeiden. Für die internationale Bezeichnung einer Spezies gilt die englische Bezeichnung. Eigennamen und Nummerierungen in Verbindung mit einzelnen Buchstaben sind zu vermeiden. Gattungen besitzen die Endung -virus, Unterfamilien -virinae, Familien -viridae und Ordnungen -virales. Taxa sind stets kursiv und mit der korrekten Endung zu schreiben.
Auf die Einteilung subviraler Erreger sollen prinzipiell auch die Regeln für Viren angewendet werden. Die Speziesbezeichnung für Viroide soll auf -viroid enden, deren Gattungen -viroid, Unterfamilien -viroinae und Familien -viroidae. Retrotransposons werden bezüglich der Taxonomie als Viren angesehen; für Satelliten und Prionen wird noch eine relativ freie Taxonomie zugelassen, bis weitere Entdeckungen eine eindeutige Taxonomie zulassen.
Taxonomie und Phylogenie
Aufgrund der Vielgestaltigkeit von Viren und der Kontroversen über ihre Evolution stellt die Taxonomie keine stammesgeschichtlichen Linien dar. Die Auffassung, dass Viren ganz unterschiedlichen Systemen von Nukleinsäuren und Proteinen, von eukaryotischen und prokaryotischen Zellen entstammen, lässt auch eine klare Einordnung in evolutionsbiologisch klare Verwandtschaftsverhältnisse nur sehr eingeschränkt zu. Die Virus-Taxonomie ist daher nicht monophyletisch. Dies ist einer der Gründe, warum die Taxonomie in der Regel bereits auf der Ebene der Familie, selten der Ordnung abbricht.
Selbst taxonomisch so wichtige Kriterien wie das Genom oder das Vorhandensein einer Hülle sind keine Kriterien, um Verwandtschaftsverhältnisse anzunehmen oder auszuschließen. So kann der Erwerb oder erneute Verlust einer Hülle bei einem Wechsel des Wirtes stammesgeschichtlich möglich sein, wie auch die Verpackung unterschiedlicher Nukleinsäuren während der Replikation zum Entstehen von RNA-Viren aus DNA-Viren und umgekehrt geführt haben (Beispiel: Vertreter der Familie Hepadnaviridae, bei denen eine Verpackung des DNA-Stadiums eines ursprünglichen RNA-Virus angenommen werden kann).
Literatur
- C.M. Fauquet, M.A. Mayo et al.: Eighth Report of the International Committee on Taxonomy of Viruses, London, San Diego, 2005