Linse (Auge)

Durchschnitt des menschlichen Augapfels:

1. Lederhaut (Sclera)
2. Aderhaut (Chorioidea)
3. Schlemm-Kanal (Sinus venosus sclerae/Plexus venosus sclerae)
4. Iriswurzel (Radix iridis)
5. Hornhaut (Cornea)
6. Regenbogenhaut (Iris)
7. Pupille (Pupilla)
8. vordere Augenkammer (Camera anterior bulbi)
9. hintere Augenkammer (Camera posterior bulbi)
10. Ziliarkörper (Corpus ciliare)
11. Linse (Lens)
12. Glaskörper (Corpus vitreum)
13. Netzhaut (Retina)
14. Sehnerv (Nervus opticus)
15. Zonulafasern (Fibrae zonulares)

Äußere Augenhaut (Tunica externa bulbi): 1. + 5.
Mittlere Augenhaut (Tunica media bulbi/Uvea): 2. + 6. + 10.
Innere Augenhaut (Tunica interna bulbi): 13.

Die Linse (gr. phakos) des Auges ist ein kristallklarer elastischer Körper, der sowohl an der Vorderseite als auch an der Hinterseite – hier stärker – konvex gekrümmt ist. Er wird in der Fachsprache als Lens crystallina bezeichnet und bündelt als Sammellinse das durch die Pupille eintretende Licht an der Hinterseite des Auges so, dass auf der Netzhaut ein scharfes Bild entstehen kann. In der Augenheilkunde wird das Vorhandensein der natürlichen Linse als Phakie bezeichnet.

Embryologie

Die Linse ist ektodermalen Ursprungs. Sie entwickelt sich aus einem Linsenbläschen, welches aus einer Kapsel und darunterliegenden unreifen Zellen besteht, ansonsten jedoch hohl ist. Im weiteren Verlauf nehmen die Zellen der Hinterwand eine längliche Form an und entwickeln sich so zu Linsenfasern, die schließlich das Linsenbläschen ausfüllen. Dieser Prozess nennt sich primäre Linsenfaserdifferenzierung und führt zu der Bildung des embryonalen Linsenkerns.

Aufbau

Die reife Linse selbst besteht neben der Kapsel aus der Linsenrinde und einem Linsenkern. Ein Epithel befindet sich nur unter der Vorderkapsel der Linse. In der Äquatorregion unter der Linsenkapsel werden in einer Wachstumszone (Zona germinativa) durch Zellteilung zeitlebens neue Zellen gebildet. Diese formen sich im weiteren Verlauf in längliche Fasern um. Dabei produzieren und reichern sie transparente Proteine, die Kristalline, an und verlieren dann ihre Zellorganellen. Die neu gebildeten Fasern liegen schließlich, ähnlich den Häuten einer Zwiebel, den älteren Fasern von außen auf. Durch diesen Prozess nimmt die Linsenrinde zu Ungunsten des Linsenkerns mit zunehmendem Alter immer mehr zu, und die ursprünglich sehr elastische Linse wird immer starrer. Zu einer entsprechend stärkeren Linsenkrümmung bei Nahsicht ist sie schließlich oft kaum mehr befähigt (Altersweitsichtigkeit), was das Tragen einer Lesebrille erfordert.

Obwohl die Linse ein sehr stoffwechselaktives Organ ist, besitzt sie weder Nerven noch Blutgefäße, sondern wird ausschließlich über die im Kammerwasser enthaltenen Nährstoffe, Elektrolyte und anderen Substanzen versorgt. Damit ist die glasklare Durchsichtigkeit der Augenlinse gewährleistet.

Die Aufhängung der Linse am Ziliarkörper erfolgt über die seitlich in den Äquator der Linsenkapsel einstrahlenden Zonulafasern (Fibrae zonulares).

Monofokale und multifokale Linsen

Die Pupillen der Katze verengen sich bei Helligkeit zu Schlitzen

Im Laufe der Evolution entstanden bei den Wirbeltieren zwei unterschiedliche Linsentypen: monofokale Linsen und multifokale Linsen. Parallel dazu entwickelten sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Linsentyp runde bzw. schlitzförmige Pupillen, mit dem Zweck, die spezifischen optischen Eigenschaften des jeweiligen Linsentyps optimal zu ergänzen. So kommen schlitzförmige Pupillen nur bei Tieren mit multifokalen Linsen vor, also z. B. bei Katzen, Geckos oder manchen Schlangen. Arten mit runden Pupillen (z. B. Mensch, Hunde) wiederum verfügen über monofokale Linsen.

Multifokale Linsen fokussieren Licht unterschiedlicher Wellenlängen durch unterschiedliche konzentrische (ringförmige) Zonen. Auf diese Weise entsteht ein schärferes Bild als bei Augen mit runden Pupillen, deren Linsen einfallendes Licht auf einen einzigen Punkt im Zentrum fokussieren. Bei einer multifokalen Linse würde eine runde Pupille bei ihrer Kontraktion ganze kreisförmige Regionen der Linse abdecken, die jedoch für das Bündeln bestimmter Wellenlängen des Lichts notwendig wären. Dagegen kann bei schlitzförmigen Pupillen das Licht immer durch einen beliebigen Abschnitt des konzentrischen Rings der Linse durchtreten, so dass eine optimale Bündelung der unterschiedlichen Wellenlängen gewährleistet ist [1].

Akkommodation

Zur Akkommodation (Nah- und Ferneinstellung) kann die Brechkraft der Linse – sie beträgt beim gesunden menschlichen Auge in der Einstellung für Fernsicht normalerweise etwa 20 dpt – durch Veränderung der Krümmung angepasst werden. Dies geschieht durch den Ziliarkörper, dessen Muskulatur (Musculus ciliaris, Ziliarmuskel) den Krümmungsgrad der Linse reguliert. Die Kontraktion dieses glatten Muskels führt zu einer Erschlaffung der Zonulafasern, wodurch die Linse aufgrund der Eigenelastizität der Linsenfasern eine stärker gekrümmte, kugelige Form annimmt und somit auf Naheinstellung fokussiert. Bei Erschlaffung des Muskels führt der Zug der Zonulafasern zu einer Abflachung der Linse und damit einer Einstellung auf Fernsicht. Die Elastizität der Linse lässt mit zunehmendem Alter nach und führt schließlich zur Presbyopie.

Durchsichtigkeit der Augenlinse

Die Augenlinse besteht aus Zellen, die aufgrund verschiedener Faktoren die Durchsichtigkeit ohne Farbverfälschungen (beim gesunden Auge) gewährleisten:

  • keine Organellen und kein Zellkern
  • regelmäßige und dichte Ausrichtung der im Querschnitt hexagonalen Fasern
  • Produktion transparenter Proteine (Krystalline)
  • geringer Wassergehalt
  • praktisch gleiche Brechzahl der Zellmembranen wie das Zytoplasma im Innern der Zellen der Augenlinse

Die Durchsichtigkeit der Augenlinse ist ein Beispiel extremer Spezialisierung durch die biologische Evolution, da einerseits die Zellen der Augenlinse trotz fehlender Organellen und ohne Zellkern leben können, andererseits dieses Fehlen erst die Durchsichtigkeit ermöglicht. Bei der Bildung dieser besonderen Zellen scheinen Mechanismen des programmierten Zelltodes (Apoptose) eine Rolle zu spielen.

Erkrankungen der Linse

Klassifikation nach ICD-10
Z96.1 Pseudophakie
ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Linsentrübung

Eine Trübung der Linse aufgrund unterschiedlichster Ursachen wird als Katarakt oder grauer Star bezeichnet. Obwohl diese Erkrankung in Industrieländern in großen Zahlen erfolgreich durch eine Operation und die Implantierung von intraokularen Kunstlinsen behandelt wird, gilt sie weltweit als die häufigste Erblindungsursache. Krebserkrankungen der Linse kommen nicht vor. Das Fehlen einer natürlichen oder einer Kunstlinse wird in der Medizin als Aphakie bezeichnet. Den Zustand nach Entfernung oder Verlust der natürlichen Linse und ihren Ersatz durch ein Implantat nennt man Pseudophakie.

Einzelnachweise

  1. (Tim Malmström and Ronald H. H. Kröger: Pupil shapes and lens optics in the eyes of terrestrial vertebrates. In: The Journal of Experimental Biology 209, S. 18-25, 2005.

Literatur

  • Axenfeld/Pau: Lehrbuch und Atlas der Augenheilkunde. Unter Mitarbeit von R. Sachsenweger u. a., Stuttgart: Gustav Fischer Verlag, 1980, ISBN 3-437-00255-4
  • Ralf Dahm: Klare Sicht durch Augenlinsen. Spektrum der Wissenschaft 02/2005, S. 24 - 30 (2005), ISSN 0170-2971

Die News der letzten Tage

22.03.2023
Physiologie
Startschuß zur optischen Wahrnehmung
Forschende haben den molekularen Vorgang entschlüsselt, der als Allererstes im Auge abläuft, wenn Licht auf die Netzhaut trifft.
22.03.2023
Neurobiologie
Wettbewerb zwischen den Gehirnhälften im Schlaf
Der Mensch ist beidseitig symmetrisch: unser Gehirn besteht aus zwei Hälften, den so genannten Hemisphären.
22.03.2023
Neurobiologie | Physiologie
Warum wir von Schokoriegeln und Co. nicht die Finger lassen können
Schokoriegel, Chips und Pommes - warum können wir sie im Supermarkt nicht einfach links liegen lassen?
22.03.2023
Biochemie | Genetik | Zytologie
Aus Perspektive eines Ingenieurs ist Biologie chaotisch und unvollkommen
Der Vorteil von Redundanz in biologischen Systemen.
21.03.2023
Paläontologie
Neue Augen bei Trilobiten entdeckt
Wissenschaftler*innen der Universitäten Köln und Edinburgh entdecken bisher übersehene Augen bei Trilobiten.
21.03.2023
Bionik, Biotechnologie und Biophysik | Bioinformatik
Molekularbiologie trifft auf Quantenphysik
Biologische Systeme sind hochkomplex: Sie werden vor allem über genregulatorische Netzwerke gesteuert, in denen Gene, Proteine und RNA auf vielfältige Art interagieren.
21.03.2023
Astrobiologie | Bionik, Biotechnologie und Biophysik
Leben auf fernen Monden
Flüssiges Wasser gehört zu den wichtigsten Bedingungen für die Entstehung von Leben, wie wir es auf der Erde kennen.
21.03.2023
Biodiversität | Ökologie
Die Fichte stirbt und andere Bäume leiden
Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2022 zeigen: Kronenverlichtungen für alle Baumarten weiterhin hoch.
21.03.2023
Genetik | Klimawandel | Physiologie | Zytologie
Modell Arabidopsis thaliana: Ein neuer Signalweg bei niedrigem Sauerstoffgehalt
Der Klimawandel führt zu einem vermehrten Auftreten von Wetterextremen: Im Fokus stehen bisher vor allem lange Dürre- und Hitzeperioden.
21.03.2023
Biodiversität | Taxonomie
Neue Arten der Riesenkrabbenspinnen beschrieben
Ein Forschungsteam aus Deutschland und aus China hat 99 neue Arten aus der Familie der Riesenkrabbenspinnen in Süd-, Ost- und Südostasien beschrieben.
20.03.2023
Biodiversität | Neobiota
Weitverbreitete Arten auf dem Vormarsch
Das menschliche Verhalten treibt den Wandel der Biodiversität und Veränderungen in der Zusammensetzung der Arten rapide voran.