Myoadenylatdesaminase-Mangel


Der Myoadenylatdesaminase-Mangel (MAD-Mangel, Myoadenylate Deaminase Deficiency, MADD) ist der häufigste erbliche Stoffwechseldefekt der Skelettmuskulatur, dessen klinische Bedeutung seit der Erstbeschreibung 1978 umstritten ist.

Biochemie der Myoadenylatdesaminase

Die Myoadenylatdesaminase ist eine Isoform der AMP-Desaminase, ein Enzym, das im Purinnukleotidzyklus der menschlichen Skelettmuskulatur durch sog. hydrolytische Desaminierung die Bildung von IMP aus AMP unter Bildung von Ammoniak und Wasser katalysiert. Die genaue Bedeutung des Purinnukleotidzyklus im Energiestoffwechsel, dem Purine unterliegen, ist bislang nicht vollständig geklärt.

Ursachen des MADD

Üblich ist die Unterscheidung zwischen drei Formen eines MADD:

  • Ein primärer MADD wird durch Mutationen im AMPD1-Gen verursacht,
  • ein sekundärer MADD ist Folge einer schweren Muskelschädigung, beispielsweise bei fortgeschrittenen Muskeldystrophien, ohne Nachweis von Veränderungen im Erbgut,
  • bei koinzidentem MADD liegen gleichzeitig ein durch Mutationen verursachter MADD und eine andere Muskelerkrankung vor, ohne dass ein erkennbarer Zusammenhang bestünde.

Der MADD ist nach heutigem Kenntnisstand nicht mit anderen Muskelerkrankungen vergesellschaftet. Ein in der Vergangenheit vermuteter Zusammenhang mit Maligner Hyperthermie konnte in späteren Untersuchungen nicht aufrechterhalten werden.

Genetik des MADD

1992 gelang Morisaki et al. mit der Entdeckung der häufigsten Mutation die Entschlüsselung der Genetik des primären MADD: der C34-T-Transition im AMPD1-Gen (Chromosom 1p, Exon 2, Codon 12), verbunden mit einer C143-T-Transition (Chromosom 1p, Exon 3, Codon 48): an Stelle 34 des Exons 2 des AMPD1-Gens wird die Base Cytosin gegen Thymin ausgetauscht. Dieser Austausch der Purinbasen hat die Entstehung eines Stop-Codons zur Folge, die in der Translation zur Bildung eines stark verkürzten und wirkungslosen Polypeptides führt: es entsteht ein Eiweiß, das aus nur 11 Aminosäuren besteht, verglichen mit 747 Aminosäuren eines normalen, gesunden Enzyms. Die C143-T-Mutation hat keine Bedeutung, da sie aufgrund der vorangehenden Stop-Mutation an Position 34 nicht mehr abgelesen wird. Vereinzelt wurde ein MADD bei zusammengesetzter Heterozygotie („compound heterozygosity“) beobachtet: die Mutation C34-T liegt hierbei nur auf einem Allel vor, die zweite, anders geartete Mutation liegt auf dem Allel, das nicht von dieser Mutation betroffen ist: es wird in diesem Fall ebenfalls kein wirksames Enzym synthetisiert. In Einzelfällen konnten als Ursache für einen MADD seltene Mutationen wie G468-T (Exon 5), G53-A, 405delT, G1721-A u. a. festgestellt werden.

Klinik des MADD

Die klinische Symptomatik bei primärem Myoadenylatdeaminase-Mangel, wie erstmals 1978 beschrieben von William N. Fishbein am amerikanischen AFIP,[1] umfasst im typischen Fall belastungsbedingte Muskelschwäche, Muskelschmerzen und Krämpfe, bevorzugt in den stammnahen Muskelgruppen wie Oberarmen und Oberschenkeln. Die Symptome allerdings variieren ganz erheblich bei Betroffenen: während, wie bei der Erstentdeckung des MADD als Erkrankung, manche Patienten ganz erheblich derartige Beschwerden leiden, wird in wissenschaftlichen Veröffentlichungen von zahlreiche Personen berichtet, die keinerlei oder nur sehr geringe Symptome angeben. In vielen Fällen bleibt der MADD völlig asymptomatisch, auch die Leistungsfähigkeit ist nicht eingeschränkt. Dementsprechend ist bis heute die klinische Bedeutung des MADD mehrdeutig, wurde vielfach untersucht und mitunter kontrovers diskutiert.

Diagnosestellung

Ischämischer Belastungstest

Die Verdachtsdiagnose kann mittels eines ischämischen Belastungstestes (ischaemic forearm exercise test, IFET oder auch LAER-Test, lactate ammonia exercise ratio) erhärtet werden. Die Durchführung erfolgt, indem der Proband nach Unterbindung der Blutzufuhr am Oberarm etwa durch eine Blutdruckmanschette mehrfach für einen festgelegten Zeitraum gegen einen Widerstand, etwa einen Schaumstoffball, die Faust schließt, wodurch im Bereich der Unterarmmuskulatur ein anaerober Stoffwechsel provoziert wird: bei positiver Diagnose wird in aus einer Ellenbeugenvene entnommenem Blut ein nur geringer Ammoniakanstieg verzeichnet, Folge der annähernd vollständig unterbundenen AMP-Desaminierung. Der Anstieg der Lactatkonzentration als Ausdruck der Aktivität von Glykogenolyse und Milchsäuregärung fällt normal aus. In aller Regel kann mit sehr hoher Spezifität und Sensitivität ein MADD belegt werden, wenngleich das Verfahren in der diagnostischen Sicherheit der Kombination aus biochemischer und humangenetischer Untersuchung unterlegen ist. Der Ammoniakanstieg beträgt beim Gesunden in jedem Fall mehr als 0,4 %, normalerweise 1–3 % des Lactatanstiegs, während bei vorliegendem MADD der Wert stets unterhalb dieses Niveaus liegt.[2]

Muskelbiopsie

Fehlende enzymatische Färbung bei MAD-Mangel (links) und zum Vergleich normal gefärbter Muskel als Kontrolle (rechts)

An einer Muskelbiopsie kann durch enzymhistochemische Bestimmung der Myoadenylatdeaminase-Aktivität die Verdachtsdiagnose bestätigt werden.

Genetische Untersuchungen

Zunehmend etabliert sich der Nachweis der bekannten Mutationen mittels PCR und Restriktionsanalyse an DNA-Proben, die beispielsweise aus weißen Blutkörperchen (Leukozyten) gewonnen werden können.

Prognose der Erkrankung

Die Symptome treten bei Betroffenen mit erheblichen Unterschieden auf, sowohl bezüglich des Manifestationsalters als auch in der Ausprägung. In etwa 50 % aller Fälle entwickelt sich eine klinische Symptomatik nur unter äußerster anaerober Muskelarbeit oder zeitlebens nie. Die Symptomatik ist meist nicht progredient; nur eine kleine Anzahl von Patienten ist erheblich beeinträchtigt. Schwere Verläufe kommen nicht vor, eine eingeschränkte Lebenserwartung ist nicht zu erwarten. Hinweise auf eine Auswirkung des MADD auf den Verlauf von Schwangerschaft und Geburt fehlen ebenfalls. Dennoch: wenngleich der Krankheitsverlauf meist milder Natur ist, führt die Erkrankung bei einer Anzahl von Patienten zu erheblichen Beeinträchtigungen; in nicht wenigen Fällen verursacht die Erkrankung nach anfänglich langsam nachlassender Belastbarkeit einen zunehmenden Leistungsverfall. Problematisch bei der Beurteilung der Bedeutung des Enzymmangels ist seit dessen Erstbeschreibung, dass nicht klar ist, inwieweit Symptome, die Menschen mit nachgewiesenem MADD wahrnehmen, auch tatsächlich auf den Mangel an Myoadenylatdeaminasemangel zurückzuführen sind. Eine Aussage, wer und aus welchen Gründen von Symptomen betroffen ist oder mit deren Entwicklung rechnen muss, kann bis heute nicht gemacht werden.

Literatur

  • M. Gross: Der MAD-Mangel. I. Holzapfel, München 1994
  • S. Fischer: Untersuchungen zur klinischen Bedeutung des primären Myoadenylatdeaminase-Mangels (MADD). 2005. katalog.ub.uni-leipzig.de
  • JCW Drenckhan: Die Myoadenylatdesaminase-Defizienz (MADD): molekulargenetische Untersuchungen des AMPD1-Gens und myopathologische Korrelation. 2010. katalog.ub.uni-leipzig.de
  • S Fischer, C Drenckhahn, C Wolf et al.: Clinical significance and neuropathology of primary MADD in C34-T and G468-T mutations of the AMPD1 gene. In: Clin Neuropathol., 2005 Mar-Apr, 24(2), S. 77–85, PMID 15803807

Weblinks

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Armed Forces Institute of Pathology in der englischsprachigen Wikipedia
  2. Fishbein et al., 1990

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