Paraffinom der Brust


Klassifikation nach ICD-10
M60.2 Fremdkörpergranulom im Weichteilgewebe, anderenorts nicht klassifiziert
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Ein Paraffinom der Brust und ein Silikonom sind spezielle Formen eines sklerosierenden Lipogranuloms im Bereich der Brust. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist die weibliche Brust betroffen. Beide Erkrankungen haben ausschließlich exogene Ursachen und weisen unbehandelt eine ausgesprochen schlechte Prognose auf.

Verursacht wird das Paraffinom, wie auch das Silikonom, durch eine Fremdkörperreaktion, die durch die Injektion von verflüssigten oder flüssigen Paraffinen, beziehungsweise Silikonölen, in das Parenchym der Brust[1] zum Zweck der Brustvergrößerung oder Brustrekonstruktion entsteht.

Epidemiologie und Ätiologie

Ein Silikonom in der linken Brust einer 59-jährigen Patientin. Es wurde durch einen Riss im Silikon-Transplantat der Patientin verursacht, das sie zwei Jahre zuvor für die Brustrekonstruktion nach einer Mastektomie erhielt.[2]
Das gerissene Implantat mit quervernetztem Silikon, das das Silikonom der oben abgebildeten Patientin verursachte.[2]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war in Europa die Injektion von Paraffinen oder auch Mineralölen unter die Haut der Brust eine verbreitete Technik zur Brustvergrößerung. Nachdem viele Jahre später die unerwünschten Nebenwirkungen allmählich bekannt wurden, verschwand diese Methode in Westeuropa weitgehend. Verwendet wurden meist niedrigschmelzende Paraffine, wie beispielsweise Vaseline.[3] In einigen fernöstlichen Ländern war diese Methode hingegen noch bis in die 1970er Jahre hinein weiter verbreitet[4] und wird dort auch im 21. Jahrhundert noch vereinzelt durch „Hinterhofärzte“ angeboten.[1][5] Einige Paraffinome sind auch die Folge von „Eigenbehandlungen“, wie beispielsweise die Selbstinjektion von Getriebeöl in beide Brüste.[6]

Ab den 1950er Jahren wurden Injektionen von linearen (nicht quervernetzten) Silikonölen – ebenfalls zum Zweck der Brustvergrößerung – populär. Allerdings können auch diese Substanzen, wenn sie frei in die Brust appliziert werden, zu einer Fremdkörperreaktion in Form eines Lipogranuloms führen,[7] das in solchen Fällen »Silikonom« genannt wird. Bis 1965 war diese Form der Brustaugmentation, bei der lineare Silikonöle, wie beispielsweise Polydimethylsiloxan[8] zum Einsatz kamen, weit verbreitet.

Ein Silikonom kann auch entstehen, wenn Silikonöl aus einem Brustimplantat, das lineare Silikonöle enthält, austritt. Bei den quervernetzten Silikonölen, die 1993 eingeführt wurden, sind Silikonome durch Risse der Implantathülle eine sehr seltene Komplikation.[2] Gleiches gilt für die bezüglich eines möglichen Risses deutlich sichereren Doppellumen-Implantate[9], bei denen das Silikongel von einem zusätzlichen Mantel mit Kochsalzlösung umgeben ist.[10] Es sind dennoch auch Fälle von Silikonomen bei Rissen von Implantaten mit quervernetzten Silikonen bekannt.[11]

Berichte über Paraffinome in männlichen Brüsten sind außerordentlich selten.[12]

Pathologie

siehe Hauptartikel Lipogranulom und Fremdkörperreaktion

Die subkutane Injektion von nicht-resorbierbaren Flüssigkeiten in die Brust – aber auch generell in andere Bereiche des Körpers – kann zu einer Fremdkörperreaktion führen, die die Bildung eines Fremdkörpergranuloms zur Folge hat. Ein Fremdkörpergranulom ist ein nicht-infektiöses Granulom. Dies ist eine knotenartige Gewebeneubildung, die aus Epitheloidzellen, mononukleären Zellen oder Riesenzellen besteht, die sich um den Fremdkörper legen und diesen einkapseln.[13] Lipidgranulome entstehen als Folge einer unspezifischen Immunantwort des Organismus.

Bis zur Bildung eines klinisch relevanten Paraffinoms, beziehungsweise Silikonoms, in der Brust können vom Zeitpunkt der Injektion gerechnet mehrere Jahrzehnte vergehen. So ließ sich beispielsweise eine Berlinerin 1907 in Mailand ihre Brüste durch die Injektion von Paraffin vergrößern. Mit dem kosmetischen Ergebnis, straffe weiche Brüste ohne Knoten, war die Patientin etwa zehn Jahre sehr zufrieden. Danach bildeten sich kleine schmerzlose harte Knoten, die im Laufe der nächsten Jahre größer wurden. Fast 20 Jahre nach der Injektion klagte sie über Schmerzen und hatte in der linken Brust einen hühnereigroßen und in der rechten einen haselnussgroßen Knoten.[14] In einer Studie mit acht Patientinnen lag die durchschnittliche Dauer von der Paraffininjektion bis zum Auftreten von Symptomen bei 24 Jahren. Das Zeitintervall betrug 11 bis 30 Jahre.[15]

Klinisches Bild

Das Paraffinom, beziehungsweise Silikonom, entwickelt sich in den meisten Fällen in dem Bereich, in dem die Substanz ursprünglich injiziert wurde. Durch die Migrationseigenschaften der Fremdkörper (insbesondere des Silikonöls) können sich die Lipogranulome allerdings auch an anderen Stellen des Körpers, wie beispielsweise an der Stirn[16], der Bauchwand, der Leistenregion, an den Beinen[17], den Lymphknoten[18] oder in der Lunge (intrapulmonal)[19], bilden.

Ein Teil der Lipogranulome neigt zum ulzerieren.[20]

a) Sonogramm (Ultraschallaufnahme)der Brust einer Patientin mit einem Silikonom (weißes Dreieck) und einem durch das Silikonom induzierten malignen Tumor (schwarzes Dreieck). b) Mikroskopaufnahme eines histologischen Präparates der entfernten Geschwulst in HE-Färbung.[21]
a) Schnitt durch die der Patientin entfernte Geschwulst, bestehend aus Silikonom, Karzinom und umgebendem gesundem Gewebe. b) Schematische Darstellung der Bereiche des Silikonoms und drei Karzinomen.[21]
Mikroskopaufnahmen histologischer Präparate der entfernten Geschwulst mit HE-Färbung. a) Das Karzinom, ein invasives mikropapilläres Karzinom (IMPC), und b) das Silikonom mit einer Vielzahl von Vakuolen, Fetttröpfchen (Silikonöl), Makrophagen und Fremdkörperriesenzellen.[21]

Aus der permanenten Entzündung des umliegenden Gewebes durch das Paraffinom kann sich nach etwa ein bis zwei Dekaden ein maligner Tumor (eine Krebsgeschwulst) entwickeln.[15] Dieses Phänomen wurde als Spätfolge von Paraffininjektionen in die Brust bereits in den 1920er Jahren beschrieben[22][23], ist aber noch nicht endgültig bewiesen. Statistisch gesehen sind dazu die Fallzahlen zu gering.[24] Auch im Fall von Silikonomen besteht der Verdacht, dass sich daraus langfristig Karzinome entwickeln können.[25][26][27][28][29][21]

Diagnose

Die Diagnose eines Silikonoms oder Paraffinoms der Brust ist ausgesprochen schwierig. In vielen Fällen wird in der Erstdiagnose ein Karzinom vermutet, das ein sehr ähnliches Erscheinungsbild hat. Die sehr geringe Häufigkeit der Erkrankung und die im Vergleich dazu wesentlich höhere Häufigkeit von Brustkrebs sind für die Differentialdiagnose erschwerend. Auch die Anamnese ist in vielen Fällen keine Hilfe für die Diagnosestellung, da die meisten Patientinnen Jahrzehnte nach der Injektion des Paraffins beziehungsweise Silikons keinen kausalen Zusammenhang mehr zwischen Injektion und Erkrankung sehen. Von den bildgebenden Verfahren ist die Magnetresonanztomographie (MRT) der Sonografie und der Mammografie überlegen und ermöglicht die Unterscheidung zwischen maligner Neoplasie (Brustkrebs) und Lipogranulom.[30] Die MRT liefert zudem wichtige Informationen für die Planung des operativen Eingriffes und die notwendige vollständige Entfernung des Lipogranuloms.[31]

Diagnostische Sicherheit kann eine Biopsie gewährleisten, da erhebliche histologische Unterschiede zwischen Lipogranulom und Karzinom bestehen.

Therapie

Eine einseitige Mastektomie.

Das Mittel der Wahl zur Behandlung eines klinisch relevanten Lipogranuloms der Brust ist die Mastektomie, die in den meisten Fällen beidseitig durchgeführt werden muss. Einige Autoren empfehlen die radikale Mastektomie[32][33][34][35], während andere die einfache Mastektomie[36] favorisieren. Nur die vollständige Entfernung des Lipogranuloms bietet die Möglichkeit einer Heilung.[32] Für die anschließende Rekonstruktion der Brust ist die autologe Transplantation (körpereigenes Gewebe) besonders vorteilhaft.[37]

Medizingeschichtliches

Der US-amerikanische Chirurg James Leonard Corning verwendete 1891 als erster Paraffinöl bei chirurgischen Eingriffen. Die erste Rekonstruktion einer Brust beschrieb Vincenz Czerny 1895.[38] Er transplantierte in Heidelberg einer Patientin, nach der Entfernung eines Tumors in der Brust, ein körpereigenes Lipom „als Ausgleich“.[39] Der österreichische Arzt Robert Gersuny benutzte 1899 verflüssigtes Paraffin als prothetisches Material. Dazu mischte er einen Teil Paraffin mit drei Teilen Olivenöl und injizierte die Flüssigkeit in mehreren Versuchen in kleinen Dosen. Gersuny nahm dabei an, dass das Olivenöl vom Körper vollständig resorbiert wird und um die zurückbleibenden Paraffinpartikel körpereigenes Gewebe wachsen würde. Die Mischung wurde für verschiedene kosmetische und prothetische Zwecke sowie für Wundverschlüsse verwendet. Der Effekt wurde dabei nicht durch das Paraffin selbst, sondern durch das sich darum bildende Bindegewebe erreicht. Um 1899 injizierte er diese Mischung erstmals in die Brust einer Frau. Die Indikation für diesen Versuch ist unklar. In den folgenden Jahren übernahm eine Vielzahl von Ärzten die von Gersuny entwickelte Methode für verschiedenste Indikationen. Teilweise mit unterschiedlichen Substanzen beziehungsweise Substanzgemischen. 1911 schrieb Frederick Strange Kolle über Gersunys Methode, dass sie „schmerzlos, schnell, ohne Blutungen und ohne Narben und mit – Ausnahme bestimmter Fälle – unbedenklich sei.“ Bei den „bestimmten Fällen“ listete er 22 unterschiedliche Komplikationen auf. Sie reichten von mangelhafter Ästhetik über Rötung der Haut an der Injektionsstelle und Diffusion des Paraffins in andere Bereiche bis zur Hyperplasie des Bindegewebes und Paraffinembolie. Diese „unerwünschten Ergebnisse“ ließen sich aber, so Kolle, durch eine „ordentliche Durchführung der Prozedur“ vermeiden.[40]

Der erste Bericht über Komplikationen infolge der Injektion von Paraffin[41] stammt aus dem Jahr 1908.[42] Der Berliner Arzt F. Holländer berichtete erstmals 1912 von den Folgen der Injektion in die Brust.[43] Danach veröffentlichten weitere Autoren Artikel über unerwünschte Folgeerscheinungen dieses kosmetischen Eingriffs. Die Deutschen Kach[44] und Bettmann[45] beschrieben danach das pathologische Bild des Paraffinoms.[42] Es vergingen aber noch viele Jahre, bis ein allgemeiner Konsens darüber herrschte, dass der kurzfristige, für den Patienten sofort sichtbare Erfolg langfristig zu äußerst unangenehmen, schmerzhaften wie kosmetisch unbefriedigenden Ergebnissen führt. 1926 bezeichnete H. Lyons Hunt Injektionen von Paraffin als „unentschuldbare Praktik“, für die er „Schönheitschirurgen und Hochstapler“ verantwortlich machte.[46] Auf Lyons Hunt geht auch der Begriff »Parafinoma« zurück.[38] In der westlichen Welt wurde diese Methode der Brustaugmentation in der Folge nahezu vollständig aufgegeben.

In den 1950er Jahren wurden die neuentwickelten Silikonöle vom Typ Polydimethylsiloxan für die Brustaugmentation „entdeckt“. Von Japan aus verbreitete sich diese Methode über die Vereinigten Staaten auch nach Europa. Man ging davon aus, dass diese inerten, „auf Sand basierenden“ Materialien gut verträglich seien. Nachdem sich in den 1960er Jahren die Berichte über Komplikationen bei Japanerinnen mehrten, die eine Brustaugmentation in Form einer „Silikonspritze“ erhielten, verbot die Food and Drug Administration 1965 solche Injektionen. Die Anzahl der Frauen, die solche Injektionen erhielten, ist unbekannt. Alleine in Las Vegas schätzt man ihre Zahl auf über 10.000.[8]

Siehe auch

  • Paraffinom des Penis

Weiterführende Literatur

Fachbücher

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  • H. Kerl: Histopathologie der Haut. Verlag Springer, 2003, ISBN 3-540-41901-2 S. 228f. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  • P. P. Rosen: Rosen's breast pathology. Verlag Lippincott Williams & Wilkins, 2001, ISBN 0-781-72379-5 S. 48f. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
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  • R. Bässler: Pathologie der Brustdrüse. Verlag Springer, 1978, ISBN 3-540-08579-3 S. 245f

Fachartikel

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Weblinks

  • Big Lift. In: Der Spiegel 7, 1968, vom 12. Februar 1968, S. 122–123.

Einzelnachweise

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