Wanderheuschrecken
Als Wanderheuschrecken bezeichnet man zehn Arten in der Familie der Feldheuschrecken (Acrididae), die bei Massenauftreten ganze Landstriche verwüsten können. Etliche afrikanische Staaten werden regelmäßig von der „biblischen“ Plage (vgl. Altes Testament Zweites Buch Mose, Kap. 10, Vers 14 und 15, Zehn Plagen) heimgesucht. Ein einziger Heuschreckenschwarm kann aus mehr als einer Milliarde Tiere bestehen, das entspricht einem Gewicht von 1.500.000 kg. Da diese Insekten ungefähr ihr eigenes Körpergewicht an pflanzlichem Material pro Tag vertilgen, ist der wirtschaftliche Schaden für die betroffenen Länder beträchtlich.
Vorkommen
Wanderheuschrecken kommen auf allen Kontinenten, mit Ausnahme der Antarktis, vor. Noch im 19. Jahrhundert kam die Europäische Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) am Unterlauf der Donau und in den Wolgasteppen vor. Mittlerweile ist sie in Europa selten geworden. In Afrika treten hingegen vier Arten von Wanderheuschrecken auf: die Wüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria), die Wanderheuschrecke, die Rote Heuschrecke (Nomadacaris septemfasciata) sowie die Braune Heuschrecke (Locustana pardalina). Die in Afrika häufigste und den größten Schaden anrichtende Art ist die Wüstenheuschrecke. Ihr Vorkommen reicht von Nordafrika und Südeuropa bis in die Steppen Kasachstans und nach Indien. In den östlichen Teilen Australiens ist der „Australian plague locust“ (Chortoicetes terminifera) weit verbreitet und richtet dort den größten ökonomischen Schaden an.[1]
Phasen / Formen
Wanderheuschrecken kommen in zwei Formen vor, und zwar als weitgehend ortstreue, einzeln lebende Tiere (solitäre Phase) und als umher ziehende Schwarmtiere (gregäre Phase). Der Übergang von der solitären zur gregären Phase wird durch das Hormon Serotonin ausgelöst, das produziert wird, wenn sich genügend solitäre Tiere treffen, insbesondere berühren. Entscheidend für die Wandelung zu Schwarmtieren ist die Menge der Artgenossen, die die Tiere sehen, riechen oder spüren, wenn sich ihre Hinterbeine berühren. Das Schwarmverhalten geht mit einer Zunahme der Serotonin-Konzentration in Teilen des Nervensystems einher.[2][3]
Die beiden Phasen unterscheiden sich sowohl im Verhalten und in der Färbung als auch morphologisch (z. B. Verhältnis Flügellänge zu Länge des Sprungbeins). Die morphologischen Unterschiede zwischen den solitär lebenden und den schwärmenden Heuschrecken sind so groß, dass sie bis in die 1920er Jahre unterschiedlichen Arten zugeordnet wurden. Solitäre Heuschrecken haben im Gegensatz zu gregären eine größere Vermehrungsfähigkeit, leben unauffällig in meist abgelegenen Gebieten und sind nicht von wirtschaftlicher Bedeutung; gregäre dagegen halten sich in Gruppen auf, weisen ein charakteristisches Nachahmungsverhalten und eine synchrone Entwicklung auf und wandern schließlich aus ihren Rückzugsgebieten gemeinsam aus.
Lebensweise am Beispiel der Afrikanischen Wüstenheuschrecke
Im Gegensatz zu anderen Heuschreckenarten legen die Weibchen der Afrikanischen Wüstenheuschrecke nicht einmal, sondern mehrmals im Jahr ihre Eier. Die Embryonalentwicklung dauert bei einer Temperatur von 36 °C etwa 20 Tage. Der Schlupf der Tiere erfolgt nur bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit, im Allgemeinen also während oder nach einem Regen. Nach dem Schlupf durchlaufen die zu den hemimetabolen Insekten zählenden Heuschrecken fünf Larven- und Nymphenstadien, von denen jedes durch eine Häutung abgeschlossen wird. Während das erste Stadium (wurmförmige Larve) fünf Tage in Anspruch nimmt, dauern alle weiteren etwa sechs Tage. Nach der letzten Häutung benötigen die Heuschrecken noch etwa 16 bis 18 Tage zur Geschlechtsreife.
Die in der solitären Phase einzeln lebenden Tiere sind an das trockene Klima von Halbwüsten angepasst. Begünstigen die ökologischen Bedingungen wie hohe Temperatur, lockere Bodenbeschaffenheit und Regen die Eientwicklung und übersteigt die Populationsdichte - also die Individuenzahl pro Fläche - ein bestimmtes Maß, werden Nachkommen hervorgebracht, die sich von der Ausgangspopulation sowohl äußerlich als auch im Verhalten unterscheiden. Nach wenigen Generationen hat sich so die typische Wanderform gebildet (gregäre Phase), deren Individuen größer und dunkler sind und über größere Flügel verfügen. Bei der Afrikanischen Wüstenheuschrecke liegt die Vorzugstemperatur für den Übergang von einer Phase zur anderen zwischen 20 und 30 °C. Massenwanderungen als Ausdruck höchster Aktivität finden nur zwischen 27 und 40 °C statt. Das Schwarmverhalten wird neuester Forschung zufolge ausgelöst, wenn die Tiere häufig Berührungsreize von Artgenossen an ihren Hinterfüßen empfangen, wenn sie also in dichter Menge umherlaufen. Die Umwandlung selbst von einer Phase zur anderen wird wahrscheinlich durch ein oder mehrere Gregarisierungpheromone gesteuert.
Bei Heuschrecken geht man aufgrund von Verhaltensversuchen von folgenden Pheromontypen aus:
- Gregarisierungspheromone, die den Übergang von der solitären zur gregären Phase bewirken
- Solitarisierungspheromone, die den Übergang von der gregären zur solitären Phase bewirken
- Reifungspheromone, die die rasche Reifung der Tiere bewirken
- von Männchen produzierte Pheromone, die die Eiablage stimulieren
- Sexualpheromone
- Aggregationspheromone, die das „Zusammenrotten“ der Heuschrecken unterstützen.
Bekämpfung
Um das Anwachsen der Heuschreckenpopulationen zu unterbinden, setzt man Insektizide wie Organophosphate (z. B. Malathion), Carbamate (z. B. Bendiocarb) und synthetische Pyrethroide (z. B. Deltamethrin) ein, so dass die Zahl der Larven reduziert wird. Intensiv wird auch nach biologischen Heuschreckenbekämpfungsmitteln (wie Pheromonen) geforscht. Die Vorteile liegen auf der Hand: Pheromone lassen eine artspezifische Bekämpfung der Heuschrecken zu, schädigen nicht die natürlichen Feinde der Heuschrecken und führen allenfalls zu geringen Umweltbelastungen.
Ähnliche Wirkungen erzielt man mit den Inhaltsstoffen des Niembaumöls. Die wichtigsten Wirkstoffe sind Azadirachtin, Salannin, Meliantriol, Nimbin und Nimbidin. Azadirachtin ist der Hauptbestandteil des Niemöls und wird aus den gepressten Samen des Niembaumes gewonnen. Der Stoff hemmt die Larvenentwicklung, während Meliantriol die Nutzpflanzen direkt schützt und Wanderheuschrecken abschreckt. Für Menschen, Säugetiere und viele andere Insekten sind die Niemwirkstoffe dagegen relativ unschädlich.
Literatur
- Martin Battran: Wanderheuschrecken - eine ständige Bedrohung Afrikas. In: Naturwissenschaftliche Rundschau. Band 58(7), 2005, S. 357–362, ISSN 0028-1050
- R. F. Chapman: A biology of locusts. The Institute of Biology's Studies in Biology no. 71, E. Arnold (Pub.), London 1976
- V. M. Dirsh: Genus Schistocerca, Series Entomologica 10, Dr. W. Junk B. V. Publishers 1974
- H. Weidner: Die Wanderheuschrecken. Die Neue Brehm Bücherei. Heft 96, Akad. Verlagsgesellschaft Geest und Portig K.-G., Leipzig 1953
- D. H. Whitman: Grasshopper Chemical Communication. In: The biology of grasshoppers. 1990, Kap. 12, S. 357
- Hannelore Kluge, Verlag: Gesundheit und Natur, Niembaum - die Kraft der indischen Wunderpflanze, ISBN - 3-7787-3580-2
Einzelnachweise
- ↑ Identification of Locusts. (PDF) Department of Employment, Economic Development and Innovation, Queensland Government, 2007, abgerufen am 24. April 2009 (englisch).
- ↑ Michael L. Anstey et al., Science, Bd. 323, S. 627: http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/323/5914/627 (englisch)
- ↑ „Erst Serotonin macht Heuschrecken zur Plage“; Bericht in der Schwäbischen Zeitung vom 29. Januar 2009 (abgerufen am 30. Januar 2009).