Brachvögel sind immer pünktlich
Bio-News vom 24.03.2021
Forschungsteam hat in einer neuen Studie mit Hightechgeräten die Zugwege und das Zugverhalten von Brachvögeln aus dem deutschen Wattenmeer entschlüsselt. Ihre Erkenntnisse: Hin- und Rückflug finden jedes Jahr zur gleichen Zeit statt. Ist das Wetter schlecht und der Rückenwind fehlt, fliegen die Vögel einfach in größere Höhen und nutzen dort den Jetstream.
Der Brachvogel (Numenius arquata) gehört mit seinem langen, gebogenen Schnabel zu den markantesten Vögeln des Wattenmeerraums. Etwa 40 Prozent der europäischen Population lebt im Küstenbereich zwischen Dänemark und den Niederlanden. Zwischen April und Mai fliegen die geselligen Vögel für etwa zwei Monate in ihre Brutgebiete, um dort ihren Nachwuchs aufzuziehen. Über ihr Zugverhalten, die Flugroute und über ihr Ziel war bislang nur wenig bekannt. Die Arbeitsgruppe Tierökologie, Naturschutz und Wissenschaftskommunikation des Forschungs- und Technologiezentrums (FTZ) Westküste der Universität Kiel ging den Geheimnissen mit High-Tech auf den Grund.
Publikation:
Schwemmer, P., Mercker, M., Vanselow, K. H., Bocher, P., Garthe, S.
Migrating curlews on schedule: departure and arrival patterns of a long-distance migrant depend on time and breeding location rather than on wind conditions
Movement Ecology 9:9
DOI: 10.1186/s40462-021-00252-y
Ihre Ergebnisse präsentieren die Forscherinnen und Forscher nun in einer Studie, die vor wenigen Tagen in der renommierten Fachzeitschrift Movement Ecology erschienen ist. „Durch die Wiederfunde von beringten Brachvögeln dachte man bisher, dass es die Tiere zum Brüten vermutlich nach Skandinavien zieht", berichtet Studienleiter Dr. Philipp Schwemmer. „Unklar war jedoch, ob das auf die Mehrheit der Vögel zutrifft oder nur für einzelne Tiere. Unbekannt war auch, welche Zugroute sie nehmen und ob sie jedes Jahr zur gleichen Zeit ins Brutgebiet und wieder zurück starten oder sich z.B. nach dem Wetter richten.“ Ersteres würde auf eine genetische Programmierung und eine geringere Flexibilität hindeuten. „Gerade in Anbetracht des Klimawandels sind flexible Arten jedoch klar im Vorteil", ergänzt der Wissenschaftler.
Es gelang ihm und seinem Team zwischen 2014 und 2020 insgesamt 23 Tiere im schleswig-holsteinischen und niedersächsischen Wattenmeer zu fangen und mit kleinen GPS-Sendern der neuesten Generation auszustatten. Die Geräte zeichnen neben der geographischen Position und Uhrzeit auch die Flughöhen und die Fluggeschwindigkeit der Brachvögel präzise auf. Das geringe Gewicht und die Befestigung mittels eines leichten Rucksacksystems, das auf dem Rücken der Tiere angebracht wird, ermöglichen es, die Geräte über einen längeren Zeitraum am Vogel zu lassen ohne ihn dabei zu beeinträchtigen. „Wir wollen Informationen über das natürliche Verhalten der Tiere bekommen. Das setzt voraus, dass sie durch unsere Geräte nicht eingeschränkt oder verletzt werden", betont Schwemmer.
Die Ergebnisse der Studie haben die Forschenden überrascht: Fast alle besenderten Brachvögel flogen nach Westrussland, wo sie zum Brüten in erster Linie Hochmoore und Grünlandflächen nutzen. Nur ein einziges Tier zog zur Brutzeit nach Finnland. Der längste Zugweg von knapp 4.000 Kilometern stammte von einem Brachvogel, der in der Nähe von Wilhelmshaven mit einem Sender ausgestattet wurde und auf seinem Zug sogar den Ural überquerte. Die Vögel fliegen allerdings nicht nonstop ins Brutgebiet, sondern legen Pausen ein, sodass sich der gesamte Flug über eine gute Woche hinzieht.
Schlechte Wetterverhältnisse wie Gegenwind und Regen können dazu führen, dass Zugvögel einen ungünstig hohen Energieverbrauch erleiden. So gingen Fachleute bisher davon aus, dass die Tiere auf günstige Rückenwinde warten, um Energie zu sparen. Zur großen Überraschung der Forschenden interessierten sich die Brachvögel jedoch nicht für das Wettergeschehen, denn es fanden ähnlich viele Abflüge sowohl bei Rücken- als auch bei Gegenwind statt. Das Datum, an dem die Tiere ins Brutgebiet starteten war in jedem Jahr gleich und schwankte nur um maximal drei Tage. Die Analysen der Flughöhen zeigten, dass die Brachvögel bei Rückenwind in relativ geringen Höhen ins Brutgebiet zogen, während sie bei Gegenwind in bis zu vier Kilometer Höhe aufstiegen. Dort dominiert in unseren Breiten der Jet-Stream, der den Vögeln, trotz Gegenwind in Bodennähe, offenbar den perfekten Rückenwind liefert.
Durch die pünktliche Ankunft in ihren Brutgebieten können die Tiere dort das relativ enge Zeitfenster guter Nahrungsverfügbarkeit von Insekten und anderen wirbellosen Tieren nach der Schneeschmelze in Westrussland optimal nutzen. Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Existenz einer inneren Uhr, die durch das genetische Programm der Tiere gesteuert wird und unabhängig von äußeren Wind- und Wetterbedingungen funktioniert.
Die Studie der Universität Kiel zeigt auf, wie wichtig die weitläufigen, noch weitgehend ungestörten Gebiete Russlands für die Brachvögel des Wattenmeeres sind. Die Ergebnisse bilden eine wichtige Grundlage für den Schutz dieser Art. Eine Kooperation mit russischen Forschenden wurde inzwischen etabliert. So sollen die jüngsten Erkenntnisse dem Schutz der Brachvögel im Wattenmeer und in ihren russischen Brutgebieten zu Gute kommen.
Über die Arbeitsgruppe:
Unter der Leitung von Professor Stefan Garthe beschäftigt sich die Arbeitsgruppe „Tierökologie, Naturschutz und Wissenschaftskommunikation“ seit fast 20 Jahren mit der Lebensweise von See- und Küstenvögeln.
Zu den Themenschwerpunkten gehören die Verbreitung und Habitatwahl in Meeres- und Küstenregionen, der Vogelzug auf dem Meer, die Ökologie des Wattenmeeres sowie Vögel als Indikatoren für Veränderungen der Umwelt. Im Rahmen von Naturschutz-Fragestellungen werden die Einflüsse menschlicher Aktivitäten auf Meeresvögel und Meeressäuger untersucht. Im Zentrum stehen dabei unter anderem Beurteilungen des Einflusses von Offshore-Windenergieanlagen.
Die Arbeitsgruppe berät zu diesem Thema politische Entscheidungsträger, Ministerien und Ämter der Bundes- und Landesregierungen.
Professor Garthe erarbeitete mit seinem Team zudem Vorschläge für die Ausweisung von Meeresschutzgebieten in Nord- und Ostsee, die durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) vor einigen Jahren eingerichtet wurden.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.