Das Kleine Immergrün sorgt für Furore



Bio-News vom 06.02.2019

Sie schützen Pflanzen vor Fraßfeinden, locken Insekten zur Bestäubung an und helfen bei Trockenstress – sekundäre Pflanzenstoffe. Dazu zählen auch Coffein, Morphin und Duftöle. Ein Forscherteam um Professor Dirk Selmar an der Technischen Universität Braunschweig hat bei der Analyse des Kleinen Immergrüns eine neue Kategorie dieser Naturstoffe entdeckt.

Bei ihren Studien über die Alkaloide des Kleinen Immergrüns hat die Arbeitsgruppe um Professor Dirk Selmar vom Institut für Pflanzenbiologie an der TU Braunschweig eine neue Kategorie pflanzlicher Naturstoffe, die Phytomodificine, entdeckt. Diese Substanzen werden in gestressten Pflanzen aus anderen, bereits vorhandenen komplexen Naturstoffen durch Modifikationen gebildet.

Pflanzen schützen sich vor Fraßfeinden und pathogenen Mikroorganismen durch sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe. Darüber hinaus sind derartige Naturstoffe als Farb- oder Duftstoffe auch für die Anlockung von bestäubenden Insekten und von samenverbreitenden Tieren notwendig. Des Weiteren sind diese Substanzen wichtig für die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegenüber abiotischem Stress wie Trockenheit, Hitze und Salzstress. Jeder kennt solche sekundären Pflanzenstoffe: Dazu zählen die Alkaloide Coffein, Nikotin oder Morphin, aber auch Duftstoffe wie Menthol, Limonen und die verschiedenen roten und blauen Blütenfarbstoffe.


Vinca minor, Apocynaceae, Kleines Immergrün, Blüte. Standort: Karlsruhe, Deutschland

Publikation:


Abouzeid, S., Beutling, U., Selmar, D. (2019)
Stress-induced modification of indole alkaloids: Phytomodificines as a new category of specialized metabolites

Phytochemistry 159: 102–107

DOI: 10.1016/j.phytochem.2018.12.015



Bislang haben Pflanzenbiologinnen und Pflanzenbiologen diese Naturstoffe grundsätzlich in zwei Kategorien eingeteilt: die sogenannten Phytoanticipine und die Phytoalexine. Phytoanticipine, auch “präformierte Naturstoffe“ genannt, sind von Natur aus in Pflanzen vorhanden. Sie erfüllen ihre Funktion entweder direkt, zum Beispiel aufgrund ihrer toxischen und abschreckenden Eigen¬schaften, oder die aktiven Komponenten werden erst nach dem Absterben der Zellen aus inaktiven Vorstufen gebildet.

Aus dem Alltag bekannt ist ein solcher Vorgang beim Biss in ein Radieschen: Deren typischer Geschmack tritt erst einige Augenblicke nach dem Anbeißen der Knolle auf, weil die „scharfen“ Senföle zunächst aus den Vorstufen freigesetzt werden müssen.

Die zweite Kategorie der sekundären Pflanzenstoffe, die Phytoalexine, spielt vor allem bei der pflanzlichen Abwehr gegen patho¬gene Mikroorganismen eine große Rolle. Sie werden im befallenen Organ erst als Reaktion auf den Pathogenbefall aus einfachen Vorstufen wie Amino¬säuren, Zuckern oder Fruchtsäuren de novo synthetisiert, also neu produziert.

In der Arbeitsgruppe von Professor Selmar wurde in den letzten zwei Jahren intensiv die Zusammensetzung der Alkaloide des Kleinen Immergrüns (Vinca minor) studiert. Diese Arzneipflanze enthält eine Reihe unterschiedlicher Indol-Alkaloide, die in der Krebstherapie eine wichtige Rolle spielen.

Die Forschungsarbeiten, die in enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Professor Mark Brönstrup vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Stöckheim durchgeführt wurden, haben Folgendes gezeigt: Die für das Kleine Immergrün typischen Indol-Alkaloide wie das Vincamin und das Vincadifformin werden in bestimmten Stresssituationen zu ande¬ren Alkaloiden umgebaut – und zwar in den noch lebenden Zellen. Deshalb sind diese neu gebildeten Alkaloide keine Phytoanticipine, da sie ja erst als Reaktion auf den Stress gebildet werden. Andererseits sind es auch keine Phytoalexine, denn ihre Bildung erfolgt nicht aus einfachen Vorstufen des Grundstoffwechsels. Damit repräsentieren sie eine ganz neue Naturstoffkategorie, die Professor Selmar als Phytomodificine bezeichnet. Welche Funktionen bzw. Aufgaben diese Substanzen erfüllen, ist bislang noch völlig unbekannt und wird im Institut für Pflanzenbiologie untersucht.

Die Studie wurde als Titelthema in der Elsevier-Zeitschrift „Phytochemistry“ veröffentlicht. Neben der Relevanz für die Grundlagenforschung sind die Ergebnisse geeignet für die Suche nach neuen Wirkstoffen für die Krebstherapie.


Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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