Die Wohlfühl-Connection / Deutschland nutzt Ökosysteme in weit entfernten, oftmals ärmeren Regionen



Bio-News vom 04.12.2019

Soja und Rindfleisch aus Südamerika, Holz aus Russland, Fisch aus China – in Zeiten der Globalisierung ist Mitteleuropa zu einem Markt für Tier- und Pflanzenprodukte aus aller Welt geworden. Doch weit entfernte Ökosysteme liefern auch immaterielle, sogenannte kulturelle Leistungen, die nicht in Handelsbilanzen auftauchen. Eine UFZ-Studie zeigt: Deutschland profitiert vorwiegend von Leistungen besonders bedrohter Ökosysteme in sehr armen Regionen. Die Verantwortung für den Schutz dieser Ökosysteme müsse daher gerechter verteilt werden, argumentieren die Forscher im Fachjournal Ambio.

Charismatische, große Vögel wie Schwarzstorch oder Kranich sind in Deutschland äußerst beliebt – und das nicht nur unter Ornithologen. Der Zug der Kraniche lockt Jahr für Jahr Menschenscharen mit Ferngläsern nach draußen. Für einige Regionen hierzulande hat sich dieses Ereignis sogar zu einem bedeutenden Tourismus-Faktor entwickelt. Damit solche Naturerlebnisse in Mitteleuropa möglich sind, müssen die Bedingungen in vielen Fällen aber auch anderswo stimmen. Denn etliche der geflügelten Sympathieträger sind Zugvögel, die auf verschiedenen Routen das Mittelmeer überqueren, um den Winter in Afrika zu verbringen.


Führt die Liste der Arten mit bedeutendem Existenzwert für Deutschland an – der Kranich (Grus grus).

Publikation:


Matthias Schröter, Roland Kraemer, Roy P. Remme, Alexander P. E. van Oudenhoven
Distant regions underpin interregional flows of cultural ecosystem services provided by birds and mammals
Ambio

DOI: 10.1007/s13280-019-01261-3



„Wenn sich in den afrikanischen Winterquartieren das Klima oder die Landnutzung verändern, kann das also auch bei uns deutliche Auswirkungen haben“, sagt Umweltwissenschaftler Dr. Matthias Schröter. Und zwar sowohl in ökologischer als auch in psychologischer Hinsicht. Denn je weniger Vögel im Frühjahr zurückkommen, umso schlechter können sie ihrer Rolle in den hiesigen Ökosystemen gerecht werden. Und umso weniger Chancen haben mitteleuropäische Naturfreunde, aus den Begegnungen mit den Tieren Glücksmomente, Entspannung oder Inspiration zu ziehen.

„Telecoupling“ nennen Experten solche engen Verflechtungen zwischen Menschen und Ökosystemen in weit voneinander entfernten Regionen. Wie diese Beziehungen funktionieren und welche Folgen sie für die Lieferanten am einen und die Konsumenten am anderen Ende der Welt haben, ist bisher vor allem für Produkte aus der Land- und Forstwirtschaft untersucht worden. „Es gibt auch ein paar Studien über Industrieländer, die Wälder in anderen Regionen als Kohlenstoffspeicher nutzen und so ihre Klimabilanz verbessern“, sagt Matthias Schröter. Auch wandernde Arten, die in weit voneinander entfernten Regionen als Schädlingsbekämpfer oder Bestäuber tätig sind, haben einige Forscher schon unter die Lupe genommen.

Deutlich schwieriger wird die Sache aber, wenn es um immaterielle Leistungen von Ökosystemen geht. Natur als Wohlfühlfaktor lässt sich nur schwer in Zahlen fassen und analysieren. Entsprechend wenig ist bisher über diese Form des Telecouplings bekannt. Von welchen anderen Regionen hängt zum Beispiel der Naturgenuss in Deutschland ab? Und woran kann man das überhaupt festmachen? „Dazu gab es bisher nur wenige Studien, die sich auf einzelne Arten beschränkt haben“, sagt Matthias Schröter. „Die haben dann zum Beispiel untersucht, welche Verbindungen der Große Panda zwischen den Herkunftsgebieten in China und den Zoos in aller Welt schafft.“

Er und seine Kollegen aber wollten das Phänomen breiter untersuchen und möglichst viele Tierarten miteinbeziehen. Dazu haben sie die Daten von zwei Online-Plattformen analysiert, auf denen deutsche und niederländische Vogelfans ihre Beobachtungen einstellen können. Die 300 dort am häufigsten genannten Arten haben sie herausgefiltert und sich deren Verbreitungsgebiete angeschaut.

Allerdings haben Deutsche wie Niederländer auch eine Schwäche für exotischere Arten, denen sie selbst vielleicht nie begegnen werden. Eine Welt ohne Löwen oder Elefanten, Pandas oder Menschenaffen wollen sich viele Mitteleuropäer lieber nicht vorstellen – auch wenn sie von diesen Tieren keinen unmittelbaren Nutzen haben. „Solche charismatischen Arten haben schon allein durch ihre bloße Existenz für viele Menschen einen Wert“, sagt Matthias Schröter. Um solche lebenden Kostbarkeiten zu identifizieren, haben er und seine Kollegen 40 Jahresberichte von großen Naturschutzorganisationen wie dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) und dem niederländischen Zweig des WWF durchforstet. „Wir sind davon ausgegangen, dass die darin genannten Arten auch besonders populär sind und eine hohe gesellschaftliche Relevanz besitzen“, erklärt der UFZ-Wissenschaftler.

Auf diese Weise hat das Team 108 Vögel und 22 Säugetiere identifiziert, die in Deutschland Promi-Status genießen. Auf den ersten fünf Plätzen landeten Kranich, Seeadler, Fischadler, Kiebitz und Schwarzstorch, auf Platz 6 folgte dann mit dem Tiger das erste Säugetier. In den Niederlanden dagegen führte der Afrikanische Elefant die Liste an. „Fast die Hälfte der bei deutschen Naturschutzorganisationen populären Tiere verbringen zumindest einen Teil ihres Lebens in fernen Ländern“, resümiert Matthias Schröter. Bei den für deutsche Vogelbeobachter wichtigen Arten sind es sogar fast 60 Prozent.

Im nächsten Schritt haben die Forscher dann die Verbreitungsgebiete all dieser lebenden Schätze übereinander gelegt. So konnten sie die Regionen identifizieren, die besonders viele davon beherbergen und deren Ökosysteme daher die vielfältigsten Leistungen für die beiden untersuchten Länder erbringen. Für Deutschland liegen diese Hotspots vor allem in den afrikanischen Savannen und Buschländern südlich der Sahara. In den Niederlanden spielen zusätzlich auch nähergelegene Wälder und Grasländer im östlichen Europa und in Zentralasien eine große Rolle.

„Wenn man sich diese Regionen genauer ansieht, fallen zwei Trends auf“, sagt Matthias Schröter. Zum einen handelt es sich ausgerechnet um Lebensräume, die vom Menschen stark beeinflusst werden und die nur zu einem geringen Teil unter Schutz stehen. Nicht einmal fünf Prozent der für Deutschland wertvollen Hotspots liegen zum Beispiel in Nationalparks oder anderen Reservaten mit ähnlich strengen Auflagen. Und zu allem Überfluss handelt es sich auch noch um besonders arme Regionen. In den für Deutschland wichtigen Gebieten liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen zum Beispiel gerade mal bei 1.424 US-Dollar pro Kopf.

„Solche Erkenntnisse kann man zum einen für einen effektiveren und besser koordinierten Naturschutz nutzen“, sagt Matthias Schröter. „Es stellen sich aber auch Fragen nach der Gerechtigkeit.“ Werden die ärmeren Länder angemessen für Ökosystemleistungen entlohnt, die reicheren zugutekommen? Nach Ansicht der Forscher ist das nicht der Fall. Die Kosten für die Einrichtung von Schutzgebieten könne man nicht allein den jeweiligen Ländern und ein paar international tätigen Naturschutzorganisationen aufbürden. „Auch Staaten, deren Bürger von den Dienstleistungen in der Ferne profitieren, sollten sich finanziell beteiligen“, findet Matthias Schröter. Um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, könnte man das künftig zum Beispiel in Zielen der internationalen Biodiversitätskonvention verankern.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung - UFZ via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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