Salamander kauen mit dem Gaumen
Bio-News vom 22.03.2019
Forschungsteam der Universitäten Jena und Massachusetts entdeckt urtümliches Kauverhalten bei Schwanzlurchen
„Triturus carnifex“ frisst alles, was er überwältigen kann. Auf seiner Speisekarte stehen Regenwürmer, Mückenlarven und Wasserflöhe, aber auch Schnecken, kleine Fische und sogar die eigenen Nachkommen. „Triturus carnifex“ – zu deutsch Alpen-Kammmolch oder Italienischer Kammmolch – ist ein Schwanzlurch und gehört zu den Echten Salamandern. Ein Forschungsteam um Dr. Egon Heiss von der Universität Jena hat jetzt das Kauverhalten des Molchs untersucht und dabei Erstaunliches festgestellt.
„Laut Lehrbuch verschlucken Amphibien ihre Beute unzerkaut, diese Ansicht konnten wir widerlegen“, sagt Dr. Egon Heiss. Gemeinsam mit dem Doktoranden Daniel Schwarz und Dr. Nicolai Konow von der University of Massachusetts konnte Heiss jetzt belegen, dass die Kammmolche ihre Beute tatsächlich kauen, jedoch anders als die meisten landlebenden Wirbeltiere. Ihre Ergebnisse haben die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift „Journal of Experimental Biology“ veröffentlicht (doi: 10.1242/jeb.189886).
Publikation:
Heiss, E., Schwarz, D., and Konow, N.
Chewing or not? Intraoral food processing in a salamndrid newt
J. Exp. Biol. 222
DOI: 10.1242/jeb.189886
Gaumenzähne töten die Beute
„Diese Salamander nutzen ihre sogenannte Gaumenbezahnung, um die Beute zu töten und gleichzeitig aufzubrechen“, sagt Egon Heiss. Das heißt, die Kieferbezahnung dient vor allem dazu, die Beute zu fangen bzw. festzuhalten. Mit Hilfe der Zunge werden die Beutetiere dann rhythmisch gegen den Gaumen gerieben. Dort befinden sich sehr scharfe Zähne, die etwa 0,5 bis einen Millimeter lang sind und ständig nachwachsen. Diese Zähne reißen beispielsweise die extrem zähe Kutikula von Fliegenmaden auf: „Dadurch werden die Beutetiere getötet und gleichzeitig können Verdauungssekrete besser angreifen“, sagt Dr. Heiss.
Für den Molch zugleich eine Lebensversicherung: Manche Insektenlarven haben so starke Beißwerkzeuge, dass sie sich damit durch den Leib des Jägers bohren könnten. Den ersten Anstoß für das verblüffende Forschungsergebnis gaben Beobachtungen von Nicolai Konow und Egon Heiss während eines Forschungsaufenthaltes in Antwerpen. Die Biologen beobachteten einen Molch bei der Nahrungsaufnahme und wunderten sich über dessen Kopf-, Kiefer- und Zungenbewegungen, nachdem er eine Beute aufgenommen hatte. „Der Molch schien tatsächlich zu kauen“, sagt Dr. Heiss. Klarheit brachte dann die Röntgenvideoanlage am Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Universität Jena.
Salamander kauen wie urtümliche Landwirbeltiere
Das Kauverhalten der Molche wirft die Frage auf, wie es sich mit Blick auf die Evolution erklären lässt. „Wir können davon ausgehen, dass echte Gaumenzähne beim gemeinsamen Vorfahren von Reptilien und Säugetieren vorhanden waren und wir vermuten, dass der Zunge-gegen-Gaumen-Kaumechanismus, wie wir ihn bei Molchen fanden, sehr ursprünglich für Landwirbeltiere ist“, sagt Heiss. Tatsächlich finden sich sehr ähnliche Kaumechanismen bei ursprünglichen Säugetieren wie Ameisenigel und Schnabeltier, aber auch bei Seekühen; auch wenn diese Tiere die Gaumenzähne mit rauen Keratinstrukturen ersetzt haben, reibt die Zunge immer noch die Nahrung gegen den Gaumen.
Die Zunge entstand mit dem Landgang der Wirbeltiere
In evolutionärer Hinsicht kam mit der Eroberung des Landes buchstäblich Bewegung in den Kauapparat der Tiere. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Zunge, die sich erst mit dem Landgang der Wirbeltiere entwickelte. Sie ermöglicht überhaupt erst das Kauen, indem sie die Nahrung an die richtige Stelle transportiert. „Bei Fischen hilft hier die Wasserströmung“, so Egon Heiss.
Ähnlich ist das bei Amphibienlarven und entsprechend wandelt sich der Kiemenapparat von Amphibien im Zuge der Metamorphose zu einem Zungenapparat, wenn die Larven das Wasser verlassen.
Die nun vorgestellten Ergebnisse sind erste Resultate des Forschungsprojekts „Form, Funktion und Evolution der Nahrungsmanipulation bei Urodela“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird und Anfang 2017 gestartet wurde. Das Projekt läuft noch bis Ende 2019 und vielleicht lässt sich „Triturus carnifex“ bis dahin noch weitere Geheimnisse entlocken.
Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.