Spermien oder Eier?
Bio-News vom 14.02.2022
Für zwittrige Arten stellt sich eine fundamentale Frage: Wie viel Energie sollen sie für ihre männliche und wie viel für ihre weibliche Seite aufwenden? Plattwürmer haben darauf im Lauf der Evolution verschiedene Antworten gefunden, die direkt mit ihrem Paarungsverhalten zusammenhängen.
Viele Pflanzen und Tiere haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane. Damit die Fortpflanzung gelingt und sie ihre Gene an möglichst viele Nachkommen weitergeben können, sind diese Zwitter auf beide Geschlechter angewiesen. Offen aber bleibt, wie viel Ressourcen in die männliche und die weibliche Geschlechtsfunktion fliessen sollen, um dieses Ziel bestmöglich zu erreichen.
Während diese Frage bei Pflanzen seit Längerem erforscht wird, sind entsprechende Arbeiten zu zwittrigen Tieren eher selten. Aufgrund eines Stammbaumes von 120 Plattwurm-Arten der Gattung Macrostomum konnten Evolutionsbiologen der Universität Basel nun nachvollziehen, welche Strategien die Zwitterwürmer verfolgen.
Publikation:
Jeremias N. Brand, Luke J. Harmon and Lukas Schärer
Mating behavior and reproductive morphology predict macroevolution of sex allocation in hermaphroditic flatworms
BMC Biology (2022)
DOI: 10.1186/s12915-022-01234-1
Dabei stiessen die Forscher nicht nur auf eine Lösung. „Wie die Würmer die zur Reproduktion verfügbaren Ressourcen verteilen, ist variabel“, sagt der Evolutionsbiologe PD Dr. Lukas Schärer vom Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel. „Gleichzeitig können wir die verschiedenen Strategien durch Unterschiede im Paarungsverhalten erklären.“
Bizarre Praktik
Macrostomum-Würmer kommen weltweit im Wasser und an feuchten Standorten vor. Sie sind sogenannte Simultanzwitter, also gleichzeitig männlich und weiblich. Die Würmer sind praktisch durchsichtig, sodass sich die Grösse von Hoden und Eierstöcken unter dem Mikroskop am lebenden Tier leicht messen lässt.
Viele Arten dieser Gattung paaren sich meist reziprok in einem quasi einvernehmlichen Geben und Nehmen. Einige Arten wenden aber auch eine brachiale Praktik an: Dabei rammen sie ihre nadelartigen Penisse durch die Haut des Partners, von wo die Spermien durchs Gewebe zur Eizelle kriechen. Fachleute bezeichnen dies als hypodermale Paarung. Die Forscher um Schärer konnten nachweisen, dass die Paarung durch die Haut bei den Plattwürmern im Lauf der Evolution mehrfach unabhängig voneinander entstanden ist.
Zwei Strategien
Das Paarungsverhalten hat einen erheblichen Einfluss darauf, in welche Geschlechtsausprägung eine Art im Lauf der Evolution mehr investiert, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift BMC Biology. Sie konnten zwei dominante Strategien feststellen: Bei Arten, die reziprok paaren, fliessen die Ressourcen stärker in die männlichen Geschlechtsorgane. Hingegen investieren die meisten Arten, die eine hypodermale Paarung kennen, deutlich mehr Energie in ihre weiblichen Organe.
„Das ist auf den ersten Blick überraschend“, sagt Dr. Jeremias Brand, der heute am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften forscht. „Man könnte erwarten, dass die hypodermale Paarung zu einer männlich geprägten Geschlechtsausprägung führt.“ Eine solche wird erwartet, wenn die Spermien von vielen Tieren um die Befruchtung der Eizellen konkurrieren.
In reziprok paarenden Arten gibt es viele Mechanismen, die diese Spermienkonkurrenz reduzieren. Zum Beispiel, wenn Spermien von Konkurrenten verdrängt werden oder wenn der Spermienempfänger nach einer Mehrfachpaarung beeinflusst, welches Sperma zur Befruchtung kommt. Hingegen finden diese Mechanismen bei einer Besamung durch die Haut nicht statt.
Fähigkeit zur Selbstbefruchtung
Warum also investieren die Arten mit vorwiegend hypodermaler Paarung trotzdem mehr in die weibliche Seite? Dazu haben die Forscher Hypothesen entwickelt, bei der eine weitere Beobachtung eine entscheidende Rolle spielt: Wie populationsgenetische Analysen zeigen, neigen hypodermal paarenden Arten vermehrt dazu, sich selbst zu befruchten.
Dies geschieht, indem sie sich selbst Sperma in den vorderen Körperteil zu spritzen, von wo es zu den Eiern wandert. Der komplizierte Weg ist nötig, weil die Würmer zwar Zwitter sind, aber dennoch keine innere Verbindung zwischen den männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen besitzen. Da eine Konkurrenz durch andere Spermien bei einer Selbstbefruchtung ausgeschlossen ist, haben die Arten hier mehr zu gewinnen, wenn sie ihre Energie stärker in ihre weiblichen Anlagen leiten.
Interessanterweise findet man einen ähnlichen Zusammenhang in Pflanzen. Auch hier investieren Pflanzen, die sich häufig oder sogar ausschliesslich selbst befruchten, deutlich mehr in ihre weiblichen Fortpflanzungkomponenten. Auch wenn Pflanzen und Plattwürmer sehr unterschiedlich aussehen, bestimmen dennoch gemeinsame Prinzipien ihre evolutionäre Entwicklung.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Basel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.