Wie tierische Sprinter enorme Spitzengeschwindigkeiten erreichen
Bio-News vom 23.07.2021
Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe hat ein physikalisches Modell entwickelt, um zu erforschen, von welchen Eigenschaften die maximale Laufgeschwindigkeit bei Tieren abhängig ist. Dabei konnten Mathematiker Modellrechnungen am Computer anstellen, wie lang zum Beispiel ein Bein sein und in welchem Winkel es zum Boden anstehen müsste, damit das Tier seine maximale Laufgeschwindigkeit erreichen kann.
Zudem können sie bestimmen, welche Effekte eine leichte Veränderung der Beinlänge oder des Anstellwinkels, zum Beispiel durch genetische Veränderungen, auf die maximale Laufgeschwindigkeit haben kann.
Viele vierbeinige Säugetiere können erheblich höhere Laufgeschwindigkeiten erreichen als der zweibeinige Mensch. Perfekt an den Sprint angepasste Tiere, wie Antilopen oder der Gepard, zeichnen sich durch eine schlanke Körperform, lange Beine sowie eine besonders bewegliche Wirbelsäule aus, um sehr hohe Geschwindigkeiten beim Laufen zu erreichen
Publikation:
Michael Günther et al.
Rules of nature's Formula Run: Muscle mechanics during late stance is the key to explaining maximum running speed
Journal of Theoretical Biology
DOI: 10.1016/j.jtbi.2021.110714
Menschliche Spitzensprinter können Laufgeschwindigkeiten von fast 45 Stundenkilometern erreichen. Dies entspricht etwa der Höchstgeschwindigkeit einer Hauskatze. Geparden können mit etwa 100 km/h Spitzengeschwindigkeit mehr als doppelt so schnell und Antilopen mit 90 km/h zweimal so schnell laufen. Selbst Warzenschweine und Hasen würden mit knapp 60 km/h menschliche Sprinter abhängen.
Sprintleistung von verschiedenen Faktoren abhängig
„Wir konnten widerlegen, dass eine Ermüdung der Muskulatur für die Limitierung der Geschwindigkeit bei großen Tieren verantwortlich ist. Dafür haben wir die Energiebereitstellung des Stoffwechsels nachgerechnet bzw. abgeschätzt. Dass große Tiere langsamer sind, liegt also nicht an fehlender Bereitstellung von Energie ihres Organismus, sondern an der Trägheit ihrer eigenen Masse,“ erläutert Dr. Robert Rockenfeller von der Universität in Koblenz.
Ein Forschungsteam unter Leitung von Dr. Michael Günther von der Universität Stuttgart hat untersucht, von welchen physikalischen und biologischen Faktoren die Höchstgeschwindigkeit der Tiere abhängt. Kern ihrer theoretischen Arbeit sind das physikalische Gleichgewicht von vorwärtstreibender Beinkraft und zu überwindendem Luftwiderstand sowie die Massenträgheit der antreibenden Muskulatur. Dabei zeigen sie eine Art Hauptweg für die Änderung der Bauform von Tierkörpern in Abhängigkeit von der Körpergröße, in Anpassung an schnelle beingetriebene Fortbewegung auf. “Dieser Hauptweg beschreibt, wie sich in Abhängigkeit von der Körpergröße die Gestalt eines Organismus ändern muss, um eine hohe Laufgeschwindigkeit zu erreichen und wie sich diese Gestaltänderung auf die erreichbare Höchstgeschwindigkeit auswirkt”, erläutert Dr. Tom Weihmann vom Zoologischen Institut der Universität zu Köln.
Das klassische Beispiel sind die Maus und der Elefant. Eine elefantengroße Maus wäre schlicht nicht lebensfähig, weil ihre Knochen unter dem eigenen Gewicht brechen würden. Elefanten haben entsprechend relativ zum Gewicht viel dickere und schwerere Knochen sowie deutlich gestrecktere Beine. Diese ermöglichen die enorme Größe der Tiere. Die schweren Knochen und geraden Beine begrenzen aber die Höchstgeschwindigkeit, die deutlich niedriger ist als die von Geparden, obwohl Elefantenbeine viel länger sind. Die Höchstgeschwindigkeiten hängen aber nicht nur von der Größe, sondern auch von der Konstruktion der Tiere ab, wie zum Beispiel von der Anzahl der Beine und der Beweglichkeit der Wirbelsäule.
So sind viele vierbeinige Säugetiere in der Lage, viel höhere Laufgeschwindigkeiten zu erreichen als zweibeinige Entwürfe wie Menschen und Vögel, weil sie galoppieren und dabei ihre Rumpfmuskulatur für den Vortrieb nutzen können. Werden die Tiere zu schwer, helfen allerdings auch kräftigere Muskeln nicht mehr weiter, da größere Muskeln mehr Zeit benötigen, um sich mit höchster Geschwindigkeit zusammen zu ziehen. Entsprechend liegt die Gewichtsgrenze, ab der die Sprintgeschwindigkeiten wieder abnehmen, bei etwa 50 Kilogramm, also dem mittleren Gewicht von Geparden und Gabelböcken, den schnellsten Sprintern auf unserem Planeten.
Das Modell lässt sich sogar auf Fantasiewesen anwenden. So würde die Riesenspinne Kankra aus Tolkiens “Herr der Ringe” eine Spitzengeschwindigkeit von etwa 60 km/h erreichen. Bezogen auf die menschliche Körpergeometrie zeigt das Modell, dass Spitzensprinter im Sport schon sehr nah an ihrem Geschwindigkeitsoptimum sind. Abgesehen von technischen Entwicklungen, wie speziellen Laufschuhen oder Exoskeletten, durch die verlängernde Hebel oder zusätzliche Elastizitäten verfügbar werden können, würden nur längere Beine oder elastischere Sehnen noch höhere Geschwindigkeiten ermöglichen.
Ein Erklärvideo zum Modell findet sich unter: tinyurl.com/FormulaRun
Gefördert wurde das Projekt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Exzellenzcluster „SimTech“ der Universität Stuttgart, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) und das baden-württembergische Wissenschaftsministerium (MWK).
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Koblenz-Landau via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.