Ziegen mögen Denksport
Bio-News vom 08.01.2021
Wissenschaftler untersuchten in einem Deutsch-Schweizer Projekt die Lernfähigkeit von Ziegen. Die Studie zeigt, dass sich Ziegen gerne eine Belohnung mit einer Anstrengung verdienen, auch wenn sie diese einfach so bekommen können. Diese Eigenheit könnte zur Verbesserung der tiergerechten Haltung beitragen.
Die Studie ist Teil eines größeren gemeinsamen Projektes zwischen dem Institut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf (Deutschland) und Agroscope in Tänikon (Schweiz). Im Projekt werden die Lernfähigkeiten unterschiedlicher Ziegenrassen und die Auswirkungen von langfristiger kognitiver Umweltanreicherung auf die Stressresistenz von Ziegen untersucht. Von Seiten des FBN sind als Projektleiter Dr. Jan Langbein und als Postdoc Dr. Christian Nawroth am Projekt beteiligt. Untersuchungen zum Verhaltensphänomen des sogenannten „Contrafreeloading“ bei Zwergziegen wurden am FBN bereits im Zusammenhang mit dem Lernverhalten der Tiere durchgeführt.
Publikation:
K. Rosenberger, M. Simmler, C. Nawroth, J. Langbein, N. Keil
Goats work for food in a contrafreeloading task
Scientific Reports (2020)
DOI: 10.1038/s41598-020-78931-w
Milchziegen überraschend motiviert
Wenn sie sich mit einer Herausforderung konfrontiert sehen, wenden sich Ziegen nicht ab, sondern reagieren positiv. Im Rahmen eines gemeinsam vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekts wurden Ziegen von zwei Zuchtlinien – Milchziegen und Zwergziegen – gleichzeitig zwei Belohnungsvarianten angeboten: Die eine war frei verfügbar, die andere mussten sie sich mit dem Öffnen einer Tür verdienen.
„In dieser Versuchsanordnung entschieden sich die Ziegen beider Zuchtlinien in knapp der Hälfte der Fälle für die zweite Option. Sie stellen sich also gerne solchen Herausforderungen“, sagten zwei der Studienleiterinnen – Dr. Nina Keil, Spezialistin für tiergerechte Haltung, und Katrina Rosenberger, Doktorandin, beide bei Agroscope. Die Resultate ihrer Arbeit sind jetzt in der Zeitschrift Scientific Reports* erschienen.
Die Forschenden konnten beobachten, dass sich sowohl die Milch- als auch die Zwergziegen bereitwillig am Experiment beteiligten und motiviert waren, mit dem Maul eine Schiebetüre zu öffnen, um eine Belohnung zu erhalten. Von den 57 beobachteten Ziegen haben sich 53 mindestens ein von zehn Mal dafür entschieden, die Belohnung hinter der geschlossenen Tür zu fressen, obwohl die Belohnung auch gleichzeitig frei verfügbar war.
Das Verhalten der beiden Zuchtlinien war im Verlauf des Experiments aber unterschiedlich: Bei den Milchziegen blieb das Interesse an der geschlossenen Tür immer gleich. Insgesamt gingen sie zudem jeweils schneller auf die geschlossene Tür zu als auf die offene, was als Hinweis auf gesteigerte Motivation gewertet werden kann. Die Zwergziegen dagegen wählten erst zögerlich, dann zunehmend häufiger die geschlossene Tür. Das zeigt, dass beide Zuchtlinien anscheinend gern Probleme lösen, die Zwergziegen eventuell aber mehr Zeit brauchen, sich dieser Aufgabe zu stellen.
„Mit dem Interesse der Zwergziegen hatten wir gerechnet, da es bereits bei einem ähnlichen Experiment beobachtet worden war"“, erklärte Katrina Rosenberger. Sie bezieht sich auf eine Untersuchung am Institut für Nutztierbiologie in Dummersdorf, dem deutschen Forschungspartner im Projekt. „Überrascht waren wir hingegen von den Milchziegen: Wir hatten erwartet, dass die für hohe Milchleistung gezüchteten Nutztiere ihre Energie sparen und weniger motiviert sein würden, sich für eine Belohnung anzustrengen. Vor allem, wenn dieselbe Belohnung auch ohne Anstrengung zur Verfügung steht.“
Ziegen wählen zwischen offener oder geschlossener Tür
Für diese Studie wurden 30 Milchziegen, die für eine hohe Milchleistung gezüchtet sind (Saanenziegen und Gämsfarbige Gebirgsziegen sowie Kreuzungen der zwei Rassen), und 27 Zwergziegen, die nicht auf Produktivität gezüchtet sind, bei Agroscope in Tänikon (TG) getestet. Die Tiere hatten freien Zugang zu Nahrung, damit ihr Verhalten beim Experiment nicht durch Hunger beeinflusst wurde. Sie waren durch frühere Experimente zudem bereits daran gewöhnt, eine Schiebetür mit einem Maul zu öffnen. Diese Bewegung korrespondiert auch ihrem natürlichen Verhalten, da Ziegen nicht nur weiden, sondern bevorzugt auch Büsche durchstöbern, um an Blätter zu gelangen.
Die Ziegen wurden jeweils einzeln in einem Raum mit Zugang zu zwei Öffnungen mit Schiebetüren platziert. Eine Tür war offen, die andere geschlossen, dazwischen befand sich eine Trennwand. Hinter beiden Türen lag als Belohnung ein Stück ungekochte Pasta. Um an die Pasta hinter der geschlossenen Tür zu kommen, mussten sie diese mit dem Maul beiseiteschieben. Die geschlossene Tür war abwechselnd zufällig links oder rechts. Bei jeder Ziege wurde das Experiment zehnmal wiederholt.
Die Forschenden haben die Resultate für jedes einzelne Tier aufgeschlüsselt: Nicht mitmachen (wenn das Tier nach 30 Sekunden auf keine der beiden Türen zugegangen war), holen der Belohnung hinter der geschlossenen Schiebetür (gemäß contrafreeloading) oder holen der Belohnung hinter der offenen Schiebetür. Es wurde auch festgehalten, ob sich die Ziegen jeweils schnell oder langsam auf die Türen zubewegt hatten.
„In vorangegangenen Studien am FBN konnten wir anhand eines Lernautomaten bereits zeigen, dass Zwergziegen für eine Ressource arbeiten wollen. Die jetzige Studie liefert nun Hinweise darauf, dass dieses Phänomen auch in einem Futterkontext besteht und Milchziegen - welche ja primär als Nutztiere gehalten werden - ebenfalls motiviert sind, für ihr Futter zu arbeiten, anstatt dieses ohne Aufwand zu erhalten", betonte auch Jan Langbein.
Kontrolle über die Umwelt befriedigt
Die Resultate basieren auf dem Prinzip des sogenannten contrafreeloading. „Dieser Begriff beschreibt das Verhalten von Tieren, sich lieber anzustrengen, um eine begehrte Ressource zu finden, als sie vorgesetzt zu bekommen“, erklärte Nina Keil. Bekannt ist dieses Phänomen sowohl bei domestizierten Tieren – Kühen, Schweinen, Ziegen und Hühnern – als auch bei wilden Tieren, die zum Beispiel in einem Zoo gehalten werden. Unbekannt ist, ob es auch bei wilden Tieren in freier Natur zu beobachten wäre. „Wir nehmen an“, führte Nina Keil weiter aus, „dass die Tiere diese Verhaltensweise an den Tag legen, weil das Lösen einer Aufgabe und die damit verbundene Kontrolle über ihre Umwelt positive Gefühle auslösen. Sie ziehen daraus wohl eine Befriedigung, die die zusätzliche Anstrengung aufwiegt.“
Sollte diese Form der Befriedigung bei der Haltung der Ziegen berücksichtigt werden? Nina Keil: „Ja, denn eine tiergerechte Haltung sollte auch die kognitiven Bedürfnisse von Tieren berücksichtigen. Unsere Resultate sind ein erster Schritt. Wir müssen das Experiment jetzt unter realen Bedingungen auf einem Bauernhof und über längere Zeit wiederholen, um zu sehen, wie sich die Motivation der Tiere entwickelt.“ Wenn sich dabei zeigt, dass solche Maßnahmen in der Haltung umgesetzt werden sollten, muss natürlich sichergestellt werden, dass sie einfach in den Arbeitsalltag integriert werden können.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Nutzierbiologie (FBN) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.