Delirium
Klassifikation nach ICD-10 | |
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F05 | Delir, nicht durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingt, Delirium nicht Demenz überlagernd. Inkl. exogener Reaktionstyp, hirnorganisches Syndrom, psychoorganisches Syndrom, Psychose bei Infektionskrankheit, Verwirrtheitszustand (nicht alkoholbedingt) |
F05.1 | Delir bei Demenz |
F05.8 | Sonstige Formen des Delirs |
F05.9 | Delir, nicht näher bezeichnet |
F10.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Entzugssyndrom mit Delir |
F11.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide: Entzugssyndrom mit Delir |
F12.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: Entzugssyndrom mit Delir |
F13.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch Sedativa oder Hypnotika: Entzugssyndrom mit Delir |
F14.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch Kokain: Entzugssyndrom mit Delir |
F15.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien, einschließlich Koffein: Entzugssyndrom mit Delir |
F16.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch Halluzinogene: Entzugssyndrom mit Delir |
F17.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak: Entzugssyndrom mit Delir |
F18.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch flüchtige Lösungsmittel: Entzugssyndrom mit Delir |
F19.4 | Psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen: Entzugssyndrom mit Delir |
Delirien gibt es auch bei anderen organischen Erkrankungen: | |
E05.- | Hyperthyreose [Thyreotoxikose] |
N19 | Niereninsuffizienz |
O15.- | Eklampsie |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Unter einem Delirium (von lat. delirium, von lira ,Furche‘, de-lirare ,aus der Furche geraten‘: ,Irresein, Verwirrtheitszustand‘) versteht man ein ätiologisch unspezifisches hirnorganisches Syndrom.
Synonyme
Delir, delirantes Syndrom, organisches Psychosyndrom, akuter exogener Reaktionstypus (Karl Bonhoeffer 1914), Durchgangssyndrome (Wieck 1961)
Symptome und Beschwerden
Die Kriterien in der zehnten Auflage der International Classification of Diseases (ICD-10) für das Vorliegen eines Deliriums lauten:[1]
- Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit
- Störung der Wahrnehmung (Gedächtnis, Orientierung)
- Psychomotorische Störungen
- Schlafstörungen
- Akuter Beginn und fluktuierender Verlauf
- Nachweis einer organischen Grundlage
In der vierten Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) ist ein Delirium über folgende Kriterien definiert:[2]
- Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit
- Änderungen der Wahrnehmung (Gedächtnis, Orientierung, Sprache, Auffassung)
- Akuter Beginn und fluktuierender Verlauf
- Vorliegen eines medizinischen Krankheitsfaktors
Nach Lipowski (1990) ist ein Delirium ein akutes, schweres, prinzipiell reversibles, organisch bedingtes Psychosyndrom mit Bewusstseinsstörung. Kennzeichnend für das Delirium ist neben der Bewusstseinsstörung eine Störung der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, der Kognition, des Gedächtnisses, der Psychomotorik und der Emotionalität. Pathognomonisch ist eine deutliche tageszeitliche Fluktuation der Symptome. Die akute psychische Störung hat entweder eine organische Ursache, oder entsteht aufgrund von Drogenwirkung oder Drogenentzug.
Weitere Symptome sind Herabsetzung des abstrakten Denkvermögens, der Konzentration, ein eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis und Desorientierung: Ein Betroffener ist nicht richtig orientiert, was Ort, Zeit, seine eigene Person oder Situation betreffen kann.
Beim voll ausgeprägten Delirium kommt noch eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus hinzu.
Weitere Symptome, wie optische Halluzinationen, Wahnvorstellungen, motorische Unruhe und nestelnde Bewegungen sowie affektive Störungen wie Depression, Angst aber auch Euphorie oder Reizbarkeit und eine Agitation (krankhafte Unruhe) können auftreten. Der Beginn dieser akuten Störung ist plötzlich, die Symptomatik schwankt jedoch im Tagesverlauf.
Die zwei Prägnanztypen sind hyperaktives und hypoaktives Delirium. Letzteres bietet mehr diagnostische Schwierigkeiten. Ebenso gibt es Mischformen mit Anteilen von beiden Typen.
Ursachen
Da das Delirium pathophysiologischer Ausdruck vieler heterogener Erkrankungen ist, sind differentialdiagnostisch folgende Ätiologien in Betracht zu ziehen:
- zentralnervöse Erkrankungen (vaskuläre Erkrankungen, Blutungen, Tumoren, Schädel-Hirn-Trauma, Epilepsie, Meningitis, Enzephalitis, Migräne, Schlafentzug)
- Postanästhesie, postoperativ
- systemische Erkrankungen (Infektionen)
- Stoffwechselstörungen: Hypoglykämie, Hyperglykämie, Nierenversagen, Leberversagen, Anämie, Azidose, Alkalose, Vitaminmangel, Endokrinopathien (Nebennierenrinde, Hypophyse, Schilddrüse)
- Elektrolytstörungen: Na, K, Ca, Mg, HCO3, PO4, Dehydratation
- Medikamente (Medikamenten-induzierte Nebenwirkungen, Medikamentenintoxikation, Medikamentenentzug)
- Drogen (v. a. auch der Entzug bei Drogen- oder Alkoholabhängigen)
- Hypoxie, Hyperkapnie
- Malnutrition
- Kollagen-Vaskulitis (z. B. Lupus erythematodes)
- Fraktur, Trauma
- Kardiovaskulär: Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Schock, Lungenembolie
- Obstruktive Schlafapnoe
- Sensorische Deprivation
- Fieber
Die häufigste Ursache des Deliriums bei Alkoholismus ist der Alkoholentzug. Man spricht dann von einem Alkoholentzugsdelirium: Delirium tremens.
Komplikationen
Die Trübung des Bewusstseins stellt eine wichtige Komplikation dar und kann von Somnolenz über Sopor bis hin zum Koma reichen. Der Verlauf der Bewusstseinsstörung ist beim Delirium kaum vorherzusagen. Somit ist jedes delirante Syndrom ein psychiatrischer Notfall, der nur in einer Klinik behandelt werden kann, da im schlimmsten Fall Herzversagen, Atemstillstand oder Stoffwechselstörungen drohen.
Behandlung
Ein Delirium kann zu einem lebensbedrohlichen, akuten medizinischen Notfall werden. So sind Delirien bei älteren, dementen Patienten häufig. Hier sind Exsikkose, Infektionen (Pneumonie, Harnwegsinfekte) und Elektrolytentgleisungen häufige Ursachen. Die Behebung der Ursache (Antibiotikatherapie, Flüssigkeitssubstitution etc.) sowie symptomatische Behandlung mit zentralen Antisympathikotonika wie Clonidin oder Dexmedetomidin, sowie Neuroleptika und Benzodiazepinen können Besserung bringen.
Da das Delirium die gemeinsame Endstrecke unterschiedlichster Störungen ist, sind weitere Diagnostik und ursächliche Therapie essentiell. Die Behandlung muss direkt nach Diagnosestellung: Delirantes Syndrom, auch ohne die genaue Ätiologie des Deliriums zu kennen, eingeleitet werden.
Eine Überstimulation des Sympathikus kann symptomatisch mit Clonidin oder Dexmedetomidin therapiert werden. Erregungszustände lassen sich symptomatisch mit Benzodiazepinen und Halluzinationen mit Neuroleptika (zum Beispiel Haloperidol) behandeln. Benzodiazepine sind allerdings mit Vorsicht zu verwenden. Sie haben zum Teil langwirksame Metaboliten, die gerade bei älteren Patienten zu länger anhaltenden Verwirrtheitszuständen beitragen können.
Beim Delirium tremens wird in Kliniken zur Behandlung der meisten o.g. Symptome u.a. auch Clomethiazol eingesetzt. Dieses erfordert eine engmaschige Kontrolle der Vitalfunktionen des Patienten, da es atemdepressiv wirkt. Ein Alkoholentzugsdelirium kann lebensbedrohlich und damit überwachungspflichtig werden. Je länger und je mehr Alkohol der Patient konsumiert hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Deliriums.
siehe auch
- Somatopsychologie
Einzelnachweise
Literatur und Weblinks
- Neecham-Skala zur Erfassung von verwirrten Patienten: in Schweiz Med Forum Nr. 43 Seite 1023-1024
- Erich Grond: Die Pflege verwirrter alter Menschen. Psychisch Alterskranke und ihre Helfer im menschlichen Miteinander. Lambertus Verlag, Freiburg. 2003. 9. Auflage. ISBN 3-7841-1499-7. Rezension von Christine Riesner im socialnet.de
- John Young, Sharon K Inouye: Delirium in older people (Summary, PDF im Internet Archive), British Medical Journal, 21. April 2007, Vol 334, 842-6, doi:10.1136/bmj.39169.706574.AD (englisch)
- Dieter Ebert; Thomas Loew: Psychiatrie systematisch Bremen [u.a.] UNI-MED-Verlag 2005, ISBN 978-3-89599-166-0
- Lorenzl, S. et al.: Verwirrtheitszustände im Alter: Diagnostik und Therapie. In: Dtsch Arztebl Int. Nr. 109(21), 2012, S. 391–400 (Übersichtsarbeit).