Humane Noroviren


Humane Noroviren im TEM nach Negativkontrastierung (Markierung entspr. 50 nm)

Die Spezies der humanpathogenen Noroviren sind unbehüllte, einzelsträngige RNA-Viren mit positiver Polarität aus der Familie Caliciviridae und der gleichnamigen Gattung Norovirus. Noro- ist ein künstlich gebildetes Präfix aus Norwalk, das 2004 offizielle taxonomische Bezeichnung wurde. Die hochkontagiösen (hochansteckenden) Noroviren verursachen beim Menschen neben weiteren zahlreichen Viren die viralen Gastroenteritiden (viraler Brechdurchfall, auch umgangssprachlich als Magen-Darm-Grippe bezeichnet). Sie sind neben den Rotaviren aus der Familie der Reoviridae für die Mehrzahl der nicht bakteriell verursachten Durchfallerkrankungen beim Menschen verantwortlich. Der Nachweis von humanen Noroviren ist in Deutschland nach § 7 Infektionsschutzgesetz namentlich meldepflichtig.

Erstbeschreibung

Als erstes humanes Norovirus wurde das Norwalk-Virus in Stuhlproben eines viralen Gastroenteritis-Ausbruchs von 1968 in Norwalk, Ohio durch Immunelektronenmikroskopie 1972 erstmals morphologisch charakterisiert.[1] Um den Zusammenhang zwischen dem gefundenen Virus und einer Gastroenteritis-Erkrankung beweisen zu können, wurde gereinigtes Stuhl-Ultrafiltrat (gewonnen aus menschlichem Kot erkrankter Patienten) an Freiwillige oral verabreicht, welche anschließend ebenfalls erkrankten.

Morphologie und Einteilung

Noroviren haben einen Durchmesser von 35 bis 39 nm. Sie weisen im elektronenmikroskopischen Bild eine sehr unscharfe, runde Struktur auf. Sie besitzen ein ikosaedrisches (zwanzigflächiges) Kapsid (T=3-Symmetrie) und ein ca. 7,3 bis 7,7 kB großes Genom. Wie die meisten einzelsträngigen RNA-Viren sind Noroviren sehr variabel in ihrer Genomsequenz, weshalb zahlreiche verschiedene Subtypen und Isolate bekannt sind. Sie zeigen Antigendrift und auch eine saisonale Antigenshift durch genetische Rekombination zwischen unterschiedlichen Norovirusstämmen.[2]

Derzeit werden drei humanpathogene Norovirus-Spezies, die Spezies Norwalk-Virus und die selteneren Spezies Humanes Norovirus Alphatron und Humanes Norovirus Saitama innerhalb der Gattung Norovirus vorläufig unterschieden. Die Spezies Norwalk-Virus wird derzeit in 7 Subtypen unterteilt, wobei vier dieser Subtypen wiederum zu sehr umfangreichen Genogruppen 1−4 ( GGI bis GGIV) zusammengefasst werden können. Die Isolate und Subtypen werden nach einem internationalen Schema benannt und klassifiziert:[3]

  • Subtyp Desert-Shield-Virus (Hu/NV/DSV395/1990/SR)
  • Subtyp Hawaii-Virus (Hu/NV/HV/1971/US)
  • Subtyp Lordsdale-Virus (Hu/NV/LD/1993/UK)
  • Subtyp Mexiko-Virus (Hu/NV/MX/1989/MX)
  • Subtyp Norwalk-Virus (Hu/NV/NV/1968/US)
  • Subtyp Snow-Mountain-Virus (Hu/NV/SMV/1976/US)
  • Subtyp Southampton-Virus (Hu/NV/SHV/1991/UK)

Epidemiologie

Noroviren sind weltweit verbreitet und weisen die für unbehüllte Viren typische Resistenz gegenüber Umwelteinflüssen auf. Sie überstehen Temperaturschwankungen von −20 bis +60 °C und zeigten ihre „Überlebensfähigkeit“ auf einem kontaminierten Teppich noch nach zwölf Tagen. Für die humanen Noroviren gilt der Mensch als einziger Reservoirwirt.

Norovirusinfektionen treten in Mitteleuropa saisonal gehäuft in den Monaten November bis März auf, allerdings ist die Aktivität in den Sommermonaten nur etwa zehnfach geringer. Die durch eine Infektion erworbene Immunität gegen einen Virenstamm hält länger an als bis zur nächsten Saison, sodass der Erreger einem hohen Selektionsdruck durch Herdenimmunität ausgesetzt ist. Diesem weicht er durch Gendrift und -Shift aus.[4]

Endemische Norovirusinfektionen wurden bislang v. a. in Krankenhäusern (gehäuft in geriatrischen Abteilungen) und Alten- oder Pflegeheimen nachgewiesen. In der Schweiz muss Schätzungen zufolge jährlich mit 400.000 bis 600.000 Infektionen durch diese Viren gerechnet werden. In Deutschland wurden für das Meldejahr 2007 198.992 Fälle beziehungsweise 1.370 Häufungen mit fünf und mehr Fällen an das Robert-Koch-Institut übermittelt. 75 % der Ausbrüche mit Angabe zum Umfeld spielten sich in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen ab, 14 % in Kindergärten und Kindertagesstätten.[5] Die ansteigende Zahl der gemeldeten Infektionsfälle der vergangenen Jahre sind wesentlich auch der verbesserten und häufigeren Diagnostik geschuldet. Bis in die 90er Jahre war die Norovirus-Diagnostik wenigen Speziallaboratorien vorbehalten. Seit käufliche Immuntests zur Verfügung stehen, kann auch häufiger eine spezifische Infektion mit Noroviren nachgewiesen werden.

Im Herbst 2012 haben sich über elftausend Menschen aus Ostdeutschland beim Verzehr von importierten Erdbeeren aus China mit dem Norovirus infiziert.[6]

Übertragung

Mit einer minimalen Infektionsdosis von nur 10 bis 100 Viruspartikeln ist die Kontagiosität der Noroviren außerordentlich hoch. Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch über eine Kontakt- bzw. Schmierinfektion. Die Viren werden über den Stuhl oder Erbrochenes ausgeschieden und auf fäkal-oralem Weg oder beim Einatmen des beim Erbrechen entstehenden Aerosols oral übertragen. Ferner kann die Ansteckung über mit Viren kontaminierte Getränke, Speisen und Gegenstände erfolgen. Eine direkte Zoonose über Schweine und Rinder konnte ebenfalls gezeigt werden.[7]

Besonders gefährdet sind die Bewohner sowie das Personal von Gemeinschaftseinrichtungen aller Art, da durch Benutzung z. B. gemeinsamer Toiletten ein lokaler Ausbruch gefördert wird. In den letzten Jahren waren häufig auch Kreuzfahrtschiffe betroffen.[8]

In der Regel werden die Viren von erkrankten Personen während der akuten Erkrankung und bis zu 48 Stunden nach Abklingen der klinischen Symptome ausgeschieden, danach können die Erkrankten jedoch noch weitere 7 bis 14 Tage symptomlose Virusausscheider sein. Es gibt auch Personen, die weit länger als 14 Tage Ausscheider sind und, ohne Symptome zu zeigen, das Virus weitergeben können. Daher ist die sorgfältige Beachtung üblicher Hygieneregeln auch im Anschluss an die Erkrankung von sehr großer Bedeutung.

Symptome und Beschwerden

Die Inkubationszeit der von den humanen Noroviren beim Menschen ausgelösten Erkrankung beträgt ca. 10–50 Stunden. Krankheitssymptome entwickeln sich innerhalb weniger Stunden bis Tage und bestehen in erster Linie aus einer Gastroenteritis mit plötzlich auftretendem Durchfall und Erbrechen, die zu erheblichen Flüssigkeitsverlusten (siehe Exsikkose) führen können. Daher sind besonders Kinder und ältere Menschen gefährdet. Meist besteht ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit Bauchschmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen.

Die Erkrankung verläuft meist kurz und heftig und klingt nach ein bis drei Tagen wieder ab. Erbrechen kommt bei mehr als 50 % der Patienten vor, wobei Jugendliche mehr an Erbrechen, Erwachsene mehr an Durchfall leiden.

Folgen und Komplikationen

Je nach Schwere der Erkrankung kann der Wasserverlust durch die Norovirusinfektion ohne Behandlung auch zum Tod führen. Die Mortalitätsrate liegt deutlich unter 0,1 %, betroffen sind mit 70 bis 80 % ältere Menschen ab 80 Jahre. Seit 2001 besteht in Deutschland Meldepflicht für die Erkrankung. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) starben im Jahre 2005 12 Menschen an den Noroviren, 2006 16, 2007 76, 2008 67, 2009 30, 2010 56 und 2011 43[9].

Nachweis

Im Rahmen der medizinischen Diagnostik ist es möglich, jedoch nicht immer sinnvoll, Noroviren in Stuhlproben nachzuweisen. Die am häufigsten angewandte, jedoch auch teuerste Methode ist die RT-PCR (Nachweis über Reverse Transkription mit anschließender Polymerase-Kettenreaktion). Sie verfügt über eine hohe Sensitivität und Spezifität. Weitere verfügbare Nachweismethoden sind der ELISA (geringere Spezifität) und die Elektronenmikroskopie (aufwendig). Besondere Bedeutung kommt dem Erregernachweis im Rahmen von Ausbrüchen zu, da diese besondere hygienische Maßnahmen erforderlich machen. Allerdings wird nicht jede Erkrankung auf den Erreger hin untersucht, daher entsprechen die Meldezahlen nicht dem wahren Ausmaß der Erkrankung. Auch aufgrund einer fehlenden spezifischen Therapie wird die Notwendigkeit einer teuren Stuhldiagnostik von Fachleuten bezweifelt, wenn im Umfeld bereits Gastroenteritiden durch Noroviren nachgewiesen wurden. Eine Untersuchung auf Noroviren bei jedem einzelnen Patienten ist daher medizinisch unnötig und wenig wirtschaftlich, wenn Erkrankungsfälle in der Umgebung bekannt sind und die klassischen klinischen Symptome vorhanden sind.

Behandlung

Eine ursächliche antivirale Therapie ist nicht bekannt; die Behandlung ist rein symptomatisch und besteht lediglich im Ausgleich des Flüssigkeits- und Elektrolyt­verlustes (z.B. Natrium, Magnesium, Kalium, Kalzium, ...). Bei starkem Erbrechen kann der Einsatz von übelkeitsmindernden Medikamenten (Antiemetika) erwogen werden. Insbesondere bei älteren Patienten oder Kleinkindern kann ein kurzer Krankenhausaufenthalt notwendig sein.

Vorbeugung

Eine vorbeugende Impfung ist bislang nicht verfügbar. Erste experimentelle Impfstoffe sind in Entwicklung.[10]

Durch die Einhaltung von Hygienemaßnahmen kann die Übertragung der Erreger begrenzt werden.[11] Dazu gehört vor allem die sorgfältige hygienische Händedesinfektion mit einem Viren-wirksamen Händedesinfektionsmittel und gegebenenfalls die Verwendung von FFP2-Mundschutzmasken. Gegen Noroviren wirksame Händedesinfektionsmittel enthalten neben Ethanol noch weitere wirksame Bestandteile. Seifen und Handtücher sollten nicht gemeinsam benutzt werden, da die Noroviren gegen übliche Seifen und haushaltsübliche Desinfektionsmittel resistent sind.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. R. Dolin, N.R. Blacklow u.a.: Biological properties of Norwalk agent of acute infectious nonbacterial gastroenteritis. in: Proceedings of the Society for Experimental Biology and Medicine. New York 2.1972, 140, 578-583. PMID 4624851 ISSN 0037-9727
  2. Noroviren. in: Laborlexikon. Dorsten 4. Januar 2007. ISSN 1860-966X
  3. C.M. Fauquet, M.A. Mayo u.a.: Eighth Report of the International Committee on Taxonomy of Viruses. Elsevier, London 2004, S.847f. ISBN 0122499514
  4. Ben Lopman et al.: The Evolution of Norovirus, the “Gastric Flu” doi:10.1371/journal.pmed.0050031
  5. Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten. Robert Koch-Institut, Berlin 2005
  6. Brechdurchfall in Ostdeutschland: China-Erdbeeren waren mit Noroviren verseucht Spiegel Online, 8. Oktober 2012
  7. Mattison K, Shukla A, Cook A, Pollari F, Friendship R, Kelton D, Bidawid S, Farber JM.: Human noroviruses in swine and cattle. In: Emerging Infectious Diseases Vol. 13, August 2007
  8. Virus wütet erneut auf größtem Kreuzfahrtschiff der Welt. Spiegel Online, 12. Dezember 2006
  9. Infektionsepidemiologisches Jahrbuch für 2011 Robert Koch-Institut, Berlin
  10. Lars Fischer: Duell mit dem perfekten Virus Spektrum, 16. Januar 2013
  11. Christina Berndt: Wie man sich Noroviren am besten vom Leib hält. In: Süddeutsche Zeitung. 21. Februar 2012, abgerufen am 27. Januar 2013.