Meningokokken



Neisseria meningitidis

Neisseria meningitidis

Systematik
Abteilung: Proteobacteria
Klasse: Betaproteobacteria
Ordnung: Neisseriales
Familie: Neisseriaceae
Gattung: Neisseria
Art: Neisseria meningitidis
Wissenschaftlicher Name
Neisseria meningitidis
(Albrecht & Ghon 1901)
Murray 1929

Meningokokken (Neisseria meningitidis) sind gramnegative intrazelluläre Bakterien, die als Diplokokken auftreten. Sie besiedeln beim Menschen den Nasen-Rachen-Raum und können schwere Krankheiten auslösen. Etwa zehn Prozent der europäischen Bevölkerung tragen diese Bakterien im Nasenrachenraum, ohne dabei Krankheitsanzeichen zu entwickeln.

Merkmale

Meningokokken sind Bakterien der Art Neisseria meningitidis, die zu den aerob und fakultativ anaerob wachsenden, gramnegativen Kokken gehört. In flüssigen Nährmedien (sowie auch in der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit) lagern sich die Bakterien in Pärchen zusammen, bei denen die Längsachsen der beiden Bakterien nebeneinander gelagert sind. Die Enden der Bakterien sind dabei abgerundet, so dass ein einzelnes Bakterium an eine Kaffeebohne, ein Pärchen jeweils entfernt an ein Brötchen erinnert (daher die Beschreibung als semmelförmige gramnegative Diplokokken). Bei einer durch diese Bakterien ausgelösten Meningitis findet man in der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) zusätzlich fast immer zahlreiche weiße Blutkörperchen (Granulozyten).

Meningokokken wachsen im Labor auf reichhaltigen Nährböden wie z. B. Kochblutagar oder Columbia-Blutagar sowie aufgrund ihrer Resistenz gegen Colistin auch auf Spezialnährböden zur Anzucht von pathogenen Neisserienarten wie z. B. Thayer-Martin-Agar. Am besten gelingt die Kultur in einer Atmosphäre, die einen erhöhten Kohlendioxid-Gehalt (ca. 5 %) aufweist. Die Kolonien sind nach 24 Stunden Wachstum klein (ca. 1 mm Durchmesser), glatt, rund und von gräulicher Farbe. Sie bilden Cytochrom c Oxidase und reagieren daher im Oxidase-Test positiv.

Innerhalb der Art Neisseria meningitidis sind 13 verschiedene Serogruppen bekannt (A, B, C, D, 29E, H, I, K, L, W-135, X, Y und Z). Bei Erkrankten werden in der Regel nur die Serogruppen A (vor allem im afrikanischen „Meningitisgürtel“), B, C, W-135, Y und selten auch X (ebenfalls vorwiegend in Afrika) nachgewiesen. Bei Meningokokken-Infektionen in Deutschland wird am häufigsten die Serogruppe B nachgewiesen, gefolgt von C. Die Serogruppen unterscheiden sich aufgrund ihrer Oberflächenstruktur, welche unter anderem aus speziellen Zuckermolekülen besteht. Diese und andere Moleküle bilden eine dicke Kapsel um die Bakterien, die diese vor den Angriffen des Immunsystems schützt.

Übertragungswege

Meningokokken werden durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch beispielsweise beim Anhusten, Niesen oder Küssen übertragen. Sie heften sich mit Hilfe kleiner Fortsätze (Pili) an die Schleimhäute des Nasenrachenraumes, wo sie wochen- oder monatelang bleiben können. Vor allem, wenn das Immunsystem geschwächt ist, etwa durch andere Infektionen, vermehren sich die Bakterien, durchdringen die Schleimhäute und lösen Hirnhautentzündungen und Blutvergiftungen aus.

Meningokokken-Infektionen

Klassifikation nach ICD-10
A39 Meningokokkeninfektion
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Weltweit werden mehr als 90 Prozent der Meningokokken-Infektionen durch bestimmte Serotypen, Typ A, B, C, W135 und Y, hervorgerufen. In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 700 bis 800 Menschen an einer Meningokokken-Infektion, die zu etwa 70 Prozent der Erkrankungsfälle durch den Serotyp B verursacht wird. Einige Fälle werden von Reisenden aus dem europäischen Ausland eingeschleppt. 40 Prozent aller Patienten sind Kinder unter vier Jahren, mit Abstand am häufigsten sind Säuglinge im ersten Lebensjahr betroffen. Auch heute noch sterben etwa zehn Prozent der Patienten.

Von Dezember bis Juni kommen Meningokokken-Epidemien verstärkt im afrikanischen „Meningitisgürtel“ vor (südlich der Sahara vom Sudan bis nach Gambia). Von November bis Mai treten sie auch gehäuft in Indien, vor allem Nordindien, und Nepal auf. Grundsätzlich kann jedes Land mit schwierigen Hygiene-Verhältnissen als mögliches Meningitis-Gebiet angesehen werden. Hier werden im Allgemeinen Erkrankungen an Gruppe A oder C gesehen.

Krankheitsbild (Symptome)

Die Inkubationszeit beträgt in der Regel durchschnittlich 3-4 Tage, kürzere und längere Inkubationszeiten (2-10 Tage) werden ebenfalls beobachtet.

Das Spektrum der Erkrankung reicht von leichten Verläufen mit spontaner Abheilung bis hin zu einem hochakuten Ausbruch, der trotz Behandlung in wenigen Stunden zum Tod führt. Die Meningitis beginnt mit starkem Krankheitsgefühl wie Abgeschlagenheit, hohem Fieber, Erbrechen, Schüttelfrost, Gelenk- und Muskelschmerzen, Krämpfen oder Bewusstseinsstörungen. Als typisches Zeichen einer Hirnhautentzündung tritt die Nackensteifigkeit auf; diese bewirkt dann das so genannte Kissenbohren: wenn der Patient liegt, zeigt sich ein überstrecktes Hohlkreuz und der Kopf drückt sich in das Kissen (Opisthotonus).

Bei Säuglingen kann neben dem fast immer auftretenden Fieber die Symptomatik zunächst wenig eindeutig sein: Apathie oder Unruhe, Nahrungsverweigerung und Berührungsempfindlichkeit.

Bewusstseinstrübung, punktförmige Hautblutungen und Kreislaufkollaps sind Hinweise auf einen lebensbedrohenden Krankheitsverlauf (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). In schweren Fällen tritt der Tod schon innerhalb weniger Stunden ein. Treten die Bakterien in die Blutbahn über und überschwemmen den Körper mit ihren Giftstoffen, spricht der Arzt von einer Sepsis. Sie ist lebensbedrohlich.

Entscheidend ist eine möglichst frühe Behandlung mit Antibiotika. Trotz Behandlung können Komplikationen und Spätfolgen wie Hörverlust, Blindheit, Lähmungen oder Krampfleiden auftreten und für jeden zehnten Patienten kommt jede Hilfe zu spät. Deshalb ist die vorbeugende Schutzimpfung für gefährdete Personen besonders wichtig.

Enge Kontaktpersonen sollten eine vorbeugende Therapie mit einem Antibiotikum (etwa Rifampicin) erhalten.

Therapie

Sind Meningokokken als Erreger nachgewiesen worden, ist das Antibiotikum der Wahl Penicillin G oder ein Cephalosporin der 3a -Generation (Ceftriaxon). Der Vorteil von Ceftriaxon ist das Erfassen weiterer bakterieller Meningitiserreger. Wichtig ist das frühzeitige Therapieren. Daher ist es in der Praxis üblich, bei Verdacht auf eine eitrige Meningitis sofort, noch vor dem Erregernachweis, Cephalosporine der 3. Generation zu verabreichen; zusätzlich ist die Gabe von Ampicillin zu erwägen, um auch eine Listerien-Meningitis antibiotisch abzudecken.

Vorbeugung (Impfung)

Impfstoffe stehen nur gegen den Serotyp C zur Verfügung, der beispielsweise in England, Spanien oder auch in einigen Regionen Deutschlands gehäuft auftritt, und gegen die Typen A, Y und W135. In Deutschland sind bislang insgesamt drei Impfstoffe erhältlich, die im Wesentlichen gereinigte Bruchstücke (Polysaccharide oder Oligosaccharide) des Bakteriums Neisseria meningitidis enthalten.

Die Zulassung eines gegen den Serotyp B wirksamen Impfstoffs wurde im November 2012 von der europäischen Arzneimittelagentur befürwortet.[1] In Kuba wurde bereits 1988 ein Impfstoff gegen Meningokokken Typ B eingesetzt.[2][3]

Polysaccharid-Impfstoffe

Bei den beiden erhältlichen Polysaccharid-Impfstoffen wird ein Schutz gegen die Serotypen A und C (AC-Impfstoff) bzw. gegen die Serotypen A, C, W135 und Y (ACWY-Impfstoff) aufgebaut. Beide schützen am besten ab einem Alter von zwei Jahren, da erst ab diesem Alter eine T-Zellunabhänige B-Zellaktivierung möglich ist.

Polysaccharid-Impfstoffe werden unter die Haut gespritzt. Der Impfschutz hält mindestens drei Jahre. Für Erwachsene und Kinder genügt eine einmalige Injektion. Der AC-Impfstoff kann ab einem Alter von 18 Monaten eingesetzt werden. Der ACWY-Impfstoff ist ab zwei Jahren wirksam. Bei jüngeren Kindern ist ein Schutz gegen die Gruppen C, W 135 und Y nicht gesichert und der Impfschutz hält höchstens zwei Jahre an. Um einen besseren Impfschutz zu erreichen, können Kinder unter zwei Jahren im Abstand von drei Monaten auch ein zweites Mal geimpft werden. Die Schutzwirkung der Impfung setzt etwa nach zwei Wochen ein. Bei bestehendem Infektionsrisiko ist nach drei Jahren eine Wiederholungsimpfung ratsam.

Konjugat-Impfstoffe

Speziell für Kinder im Alter zwischen zwei Monaten und zwei Jahren sind C-Konjugat-Impfstoffe entwickelt worden. Sie können bei Bedarf aber auch bei älteren Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen eingesetzt werden. Sie schützen vor Infektionen des Meningokokken-Typs C, der in Deutschland etwa jede fünfte Erkrankung verursacht. Bei einem Konjugatimpfstoff sind die Teile der Bakterienhülle zusätzlich an ein Eiweiß (Protein) gebunden, wodurch eine bessere Immunantwort erzielt wird. Die Impfung mit dem Konjugatimpfstoff kann bei Bedarf ab dem dritten Lebensjahr mit einem Polysaccharidimpfstoff ergänzt werden.

Seit Oktober 2010 ist in Europa ein tetravalenter Konjugatimpfstoff gegen A, C, W135 und Y verfügbar [4], der nicht nur früher als der entsprechende Polysaccharidimpfstoff einsetzbar ist, sondern zudem auch auffrischbar ist, da hier – im Gegensatz zu Polysaccharidimpfstoffen – ein immunologisches Gedächtnis gebildet wird. Zudem erlaubt die T-Zellhilfe einen Klassenwechsel, so dass auch IgA gebildet werden kann (Polysaccharidimpfstofe nur IgM) und damit der Trägerstatus vermindert werden sollte.

Die Meningokokken-Impfung kann meistens gleichzeitig mit anderen Schutzimpfungen vorgenommen werden. Zeitabstände zu anderen Impfungen sind nicht einzuhalten.

Impfempfehlungen

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C mit dem C-Konjugat-Impfstoff standardmäßig für alle Kinder ab 12 Monate.[5] Dabei werden die Reduzierung der Morbidität invasiver Meningokokken-Erkrankungen durch diese Serogruppe und die resultierenden Folgen wie Hospitalisierung, schwere Komplikationen, Behinderung und Tod als primäres Ziel angesehen. Für noch nicht geimpfte Kinder und Jugendliche wird das Nachholen der Impfung bis zum 18. Lebensjahr empfohlen.[5]

Ferner wird eine Impfung allen Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko empfohlen, etwa bei beruflich oder individuell erhöhtem Risiko sowie als Reiseimpfung.[5] Besonders gefährdet sind zum Beispiel Personen mit Immundefekten oder fehlender beziehungsweise funktionsuntüchtiger Milz. Auch Reisende in Gebiete, in denen Meningokokken-Infektionen häufig auftreten, tragen ein erhöhtes Infektionsrisiko, wenn sie sich dort länger aufhalten oder engen Kontakt zur Bevölkerung haben. Je nach Erfordernis kommt ein Impfschema mit einem der Polysaccharid-Impfstoffe, dem Konjugat-Impfstoff oder auch beiden zur Anwendung.

Saudi-Arabien verlangt während der Mekka-Wallfahrten von Pilgern und Besuchern eine Impfbescheinigung, die maximal drei Jahre und minimal zehn Tage vor dem Eintreffen in Saudi-Arabien ausgestellt worden sein darf. Pflicht ist der Vierfach-Impfstoff A,C,W135,Y. Pilger, die aus Endemiegebieten einreisen, werden untersucht und bei Verdacht auf Meningitis beobachtet. Alle anderen Reisenden müssen nicht geimpft sein.

Nur gegen die jeweils genannten Serogruppen wird ein Schutz aufgebaut. Die Impfungen bieten keinen Schutz gegen die in Mitteleuropa und Brasilien häufiger vorkommende Meningitis durch Meningokokken der Gruppe B.

Die EU-Kommission hat im Januar 2013 eine Marktzulassung für einen Menigokokken-B-Impfstoff erteilt.[6]

Literatur

  • Ulrich Vogel und Matthias Frosch: Gramnegative aerobe und fakultativ anaerobe Kokken. In: Birgid Neumeister, Heinrich K. Geiss, Rüdiger W. Braun und Peter Kimmig (Hrsg.): Mikrobiologische Diagnostik. Georg Thieme Verlag, Stuttgart - New York 2009, ISBN 978-3-13-743602-7, S. 419-425.

Weblinks

Commons: Meningokokken (Neisseria meningitidis) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. European Medicines Agency recommends approval of first vaccine for meningitis B, 16. November 2012
  2. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13918399.html DER SPIEGEL 27/1999 (Stand: 26. April 2011)
  3. http://www.granma.cu/aleman/kuba/3marzo-Eine%20Revolution.html Digital Granma International vom 3. März 2011, 50 JAHRE IMPFPROGRAMM IN KUBA, Eine Revolution in Sachen Gesundheit (Stand: 26. April 2011)
  4. http://www.menveo.com
  5. 5,0 5,1 5,2 Epidemiologisches Bulletin 2012, Nr. 30 (30. Juli 2012)
  6. http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=44903 Pharmazeutische Zeitung PZ 23.01.2013

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