Spiegelneuron


Ein Spiegelneuron (Plural: Spiegelneurone oder Spiegelneuronen) ist eine Nervenzelle, die im Gehirn von Primaten beim Betrachten eines Vorgangs das gleiche Aktivitätsmuster aufweist, wie es entstünde, wenn dieser Vorgang nicht bloß (passiv) betrachtet, sondern selbst (aktiv) durchgeführt würde. Auch Geräusche, welche mit bestimmten Handlungen assoziiert sind, verursachen bei einem Spiegelneuron dasselbe Aktivitätsmuster, welches die aktive Handlung verursachen würde. Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1995 herrscht eine Debatte darüber, inwieweit Spiegelneurone zu den Fähigkeiten der Empathie und Imitation bei Primaten beitragen.

Neugeborener Makake imitiert Gesichtsausdrücke

Überblick

Diese Zellen wurden von dem Italiener Giacomo Rizzolatti und seinen Mitarbeitern 1995 bei Affen im Tierversuch entdeckt. In diesen Untersuchungen fiel auf, dass Neuronen im Feld F5c des Großhirns dann reagierten, wenn zielmotorische Hand-Objekt-Interaktionen durchgeführt oder bei anderen – zumindest anatomisch ähnlichen – lebenden Individuen beobachtet wurden. Während Rizzolatti und andere Forscher zuerst vorwiegend emotionsneutrale motorische Handlungen untersucht hatten, um die grundlegenden kortikalen Mechanismen und Schaltungen zu ermitteln, konnte man in späteren Untersuchungen sehen, dass bei Handlungen mit emotionaler Färbung ebenfalls Spiegelneuronen beteiligt sind und eine wichtige Rolle in sozial kognitiven Aspekten (Empathie, Theory of Mind, facial emotion processing) übernehmen.

Rizzolatti et al. haben 2002 die Existenz des Spiegelneuronensystems (Brodmann-Areal (BA) 44) beim Menschen nahegelegt, welche man mit „action recognition“ (Wiedererkennung von Handlungen) und Imitation in Verbindung brachte. Eine 2010 publizierte Studie berichtete über den ersten direkten Nachweis von Spiegelneuronen beim Menschen.[1]

Anatomische Lage

Spiegelneuronen befinden sich unter anderem im prämotorischen Cortex von Makaken. Auch bei Menschen konnten diese Neuronen beispielsweise im Broca-Zentrum nachgewiesen werden, das dem genannten Areal homolog und für die Sprachverarbeitung bedeutsam ist. Es wird derzeit ein komplexes System von Spiegelneuronen angenommen.

Während Leslie et al. (2003) die Inselrinde als nicht zentral für die Emotionserkennung betrachten und sie lediglich im Zusammenhang mit Ekel erwähnen, weisen Rizzolatti (2008) und andere Forscher explizit auf die Wichtigkeit dieser Gehirnstruktur hin. Ihnen zufolge sind nebst der Inselrinde die Areale der somatosensorischen und der prämotorischen Rinde beteiligt (Gyrus frontalis inferior / bei Affen Areal F5 / beim Menschen BA 44).

Es wird vermutet, dass der Mechanismus der Emotionserkennung durch Spiegelneuronen eine Art „Als-ob-Schleife“ darstellt. Das Beobachten der Gesichter der Anderen, welche eine Emotion ausdrücken, soll eine Aktivierung der Spiegelneuronen in der prämotorischen Rinde zur Folge haben. Die Spiegelneuronen in der prämotorischen Rinde sollen dann zu den somatosensorischen Arealen und zur Insel eine Kopie ihrer Aktivierungsmuster (efferente Kopie) schicken, die dem Muster ähnelt, welches sie generieren, wenn der Beobachter selbst diese Emotion erlebt. Die Schleife ist damit geschlossen und die Aktivierung der sensorischen Areale gleicht der Aktivierung, als würde man die Emotion selber erleben, was einer Art Simulation entspricht. In der Insel geschieht Entscheidendes: Dort wird ein spezifischer Spiegelmechanismus aktiviert, der die eingehenden Informationen emotional einfärbt. Die Insel als Zentrum der Repräsentation der inneren Körperzustände ist ein viszeromotorisches Integrationszentrum, welches die eingehenden Informationen mit viszeralen Reaktionen zu verbinden vermag (Rizzolatti 2008). Tsoory-Shamay et al. (2009) bezweifeln zwar nicht die Wichtigkeit der Inselrinde im Zusammenhang mit der Emotionserkennung, weisen jedoch dem Gyrus frontalis inferior die Hauptrolle im Spiegelneuronensystem für die emotionale Empathie zu. Das Gehirn wäre auch ohne die Inselrinde im Stande, die Emotionen der anderen Menschen zu unterscheiden (Damasio 2003), dies würde aber in einer kalten und abstrakten Weise geschehen, denn die emotionale Färbung beruht auf dem Nachempfinden der viszeromotorischen Reaktionen (Rizzolatti 2008).

Kategorien

Spiegelneurone können in zwei Hauptkategorien eingeteilt werden. Zum einen gibt es „strictly“ kongruente, zum anderen „broadly“ kongruente Spiegelneurone.

Strictly kongruente Spiegelneurone machen ein Drittel aller Spiegelneurone aus. Sie feuern für exakt die gleiche Handlung, ob beobachtet oder selbst ausgeführt wird.

Broadly kongruente Spiegelneurone machen ca. zwei Drittel aller Spiegelneurone aus. Im Gegensatz zu strictly kongruenten Spiegelneuronen feuern diese Neurone bei Handlungen, welche logisch zusammenhängen bzw. dasselbe Ziel haben.

Bezug zu Empathie und Autismus

In den letzten Jahren hat diese Entdeckung viel Aufsehen erregt, weil diskutiert wird, ob mit den Spiegelzellen der Schlüssel für das Verständnis von Empathie, Sprache und darüber hinaus für die Kultur gefunden worden sei.

Während Tsoory-Shamay (2009) die Beteiligung des Spiegelneuronensystems, welches zu einer Simulation des emotionalen Zustandes des Gegenübers führt, unter emotionaler oder affektiver Empathie subsumiert, schlägt Blair (2005) eine zusätzliche Unterscheidung der emotionalen Empathie von der Motorempathie vor. Dabei ist die Motorempathie eine Art primitiver Form der reinen Synchronisierung (Simulation) von hauptsächlich mimischen (facial expressions) und kinästhetischen (Bewegungen, Körperhaltungen) Ausdrücken des Gegenübers und erst die neurobiologischen Substrate der affektiven Empathie würden die erhaltenen Daten der Simulation emotional einfärben.

Auch Autismus-Symptome werden von einigen Forschern mit einem unzureichenden Funktionieren der Spiegelneuronen in Verbindung gebracht.[2] Diese Auffassungen werden besonders von dem in den USA arbeitenden indischen Neurologen Vilayanur S. Ramachandran vertreten. Auf EEGs konnte er bestimmte Wellenfrequenzen finden, die bei gesunden Probanden unterdrückt werden, wenn sie andere Menschen beobachten, bei Autisten jedoch nicht. Er wertete dies als Folge der Aktivität von Spiegelneuronen. Allerdings muss betont werden, dass bislang wissenschaftliche Belege für eine Beteiligung der Spiegelneuronen an Prozessen wie Empathiebildung fehlen und für sprachliche Funktionsleistungen noch nicht in ausreichendem Maße vorliegen. In diesem Zusammenhang muss der Umstand beachtet werden, dass das pure Vorhandensein eines neuronalen Korrelats keine Erklärung psychischer Gegebenheiten darstellt.

Britton (2006) erklärt das Defizit autistischer Menschen, Traurigkeit zu erkennen, darin, dass die Amygdalaverbindungen gestört seien (Britton 2006). Die Amygdala ist immens wichtig für die Emotionserkennung bei Gesichtern (Adolphs 2002): Sie reagiert bei allen Basisemotionen und zeigt anderen Hirnregionen die Salienz eines emotionalen Stimulus an (Schultz 2005).

Das Betrachten von traurigen Gesichtern aktiviert laut Blair (1999) die linke Amygdala und den rechten Temporallappen. FMRI-Studien zeigen, dass bei Autisten die Amygdala bei der Gesichtserkennung für Traurigkeit unteraktiviert ist (Schultz 2005). Das Defizit der Autisten wird sowohl in der verminderten Amygdala-Aktivierung, welche auch ein aktualgenetisches Problem der Emotionserkennung bei Autisten darstellt, als auch in Defiziten der fusiformen face area (FFA) gesehen. Verschiedene Studien haben ergeben, dass diese Region vor allem bei der Gesichtserkennung aktiv ist (Schultz 2005). Natürlich kann ein Defizit bei der Erkennung von traurigen Gesichtern bei Autisten auch anders erklärt werden.

Mitarbeiter der Arbeitsgruppe von Sophie Scott vom University College London berichteten im Dezember 2006 [3], dass Spiegelneuronen auch daran beteiligt seien, dass man ‚automatisch‘ mitlache, wenn eine andere Person zu lachen beginnt. Gelächter sei ‚ansteckend‘, weil die für Spiegelneuronen bekannten Areale im prämotorischen Cortex dann besonders aktiv seien, wenn man positive Gefühlsausdrücke beobachte. In Experimenten hatte man Versuchspersonen Lautäußerungen vorgespielt, die Emotionen wie Triumph, Angst, Freude oder Ekel ausdrückten.

Unterscheidungsmöglichkeiten verschiedener Empathien aufgrund der Entdeckung des Spiegelneuronensystems

Auf den ersten Blick scheint die Fähigkeit, die Perspektive anderer Leute einnehmen zu können und ihre Intentionen zu erraten, eng mit der Fähigkeit verbunden zu sein, anderer Leute Gefühle zu verstehen. Der Begriff der Empathie wird in der wissenschaftlichen Literatur und in der Umgangssprache meist mit dem Begriff der Perspektivenübernahme gleichgesetzt (Singer 2006). Während Perspektivenübernahme oder Mentalizing in der wissenschaftlichen Psychologie mit der Bezeichnung Theory of Mind (ToM) in Beziehung steht und es sich dabei um die Einschätzung der Intentionen und des mentalen Status (Ziele, Überzeugung, Wünsche, Bedürfnisse) des Gegenübers handelt (theory-theory), referiert der Begriff Empathie mehr auf ein Mitfühlen der Gefühle des Gegenübers (simulation-theory) (Blair 2005).

Der Begriff der kognitiven Empathie ist deckungsgleich mit ToM (Blair 2005). Daneben wird in der Literatur seit einiger Zeit die Möglichkeit der Differenzierung zwischen affektiver und kognitiver Empathie diskutiert (Tsoory-Shamay 2009). Während Tsoory-Shamay (2009) die Beteiligung des Spiegelneuronensystems, welches zu einer Simulation des emotionalen Zustandes des Gegenübers führt, unter emotionaler oder affektiver Empathie subsumiert, schlägt Blair (2005) eine zusätzliche Unterscheidung der emotionalen Empathie von der Motorempathie vor. Dabei ist die Motorempathie eine Art primitiver Form der reinen Synchronisierung (Simulation) von hauptsächlich mimischen (facial expressions) und kinästhetischen (Bewegungen, Körperhaltungen) Ausdrücken des Gegenübers und erst die neurobiologischen Substrate der affektiven Empathie würden die erhaltenen Daten der Simulation emotional einfärben (Blair 2005, Tsoory-Shamay 2009).

Das Wissen um den emotionalen Zustand des anderen Menschen kann zwar wichtige Hinweise geben, um die Intentionen und die weiteren Handlungen des Gegenübers akkurat voraussagen zu können, dennoch sind Mentalizing und Empathie unterschiedliche Prozesse, welche auf unterschiedlichen neuronalen Strukturen aufbauen (Adolphs 2003, Blair 2005). Die Fähigkeit zur Empathie basiert vor allem auf sensomotorischen Arealen des limbischen und paralimbischen Systems, während die Strukturen für ToM vorwiegend im Temporallappen und im präfrontalen Cortex (Areale BA 10, BA 11) zu finden sind (Tsoory-Shamay 2009, Blair 2005). Die Strukturen des limbischen Systems bilden sich ontogenetisch vor denen des präfrontalen Cortex aus und spiegeln in ihrer zytoarchitektonischen Ausgestaltung die unterschiedlichen Zeitpunkte für die phylogenetische Entwicklung der Empathie und des Mentalizing wieder (Tsoory-Shamay 2009).

In der ontogenetischen Entwicklung des Menschen sind die Strukturen für Mentalizing und Empathie nicht getrennt voneinander, sondern interagieren miteinander (Singer 2006). Neugeborene reagieren verstärkt auf das Weinen eines anderen Neugeborenen. Nach weiteren 18 bis 24 Monaten entwickeln sie ein Selbstbewusstsein und zeigen erste Anzeichen für prosoziales Verhalten (Singer 2006). Im weiteren Entwicklungsverlauf tritt im Alter von vier Jahren die Fähigkeit auf, die emotionale Verfassung eines anderen Menschen ohne emotionale Hinweise zu erschließen (Singer 2006). Zwischen Kindheit und dem Erwachsenenalter werden die Fähigkeiten für das Mentalizing und für das emotionale Verstehen immer ausgereifter. Es wird aber vermutet, dass das Mentalizing, welches vor allem auf Strukturen im präfrontalen Cortex und des Temporallappens aufbaut, im hohen Alter für Störungen anfälliger ist als die Fähigkeit zur Empathie, welche auf limbischen Strukturen aufbaut, die phylogenetisch früher entwickelt wurden und im hohen Alter stabiler sind (Singer 2006).

Die Prozesse für den Austausch von Gefühlen und die Prozesse der Emotionserkennung, welche man unter dem Begriff der Empathie subsumieren könnte, werden zwar früher ausgebildet und funktionieren im hohen Alter stabiler, dennoch scheinen diese Prozesse nur wichtige Unterprozesse zum Mentalizing darzustellen (Singer 2006). Von Tsoory-Shamay et al. (2009) wurde deshalb auch eine funktionelle Unterteilung in emotionaler Empathie (phylogenetically early emotional contagion systems) und kognitiver Empathie (advanced perspective-taking systems) vorgeschlagen, um eine vollständige Beschreibung einer empathischen Reaktion vornehmen zu können.

Blair (2005) schlägt eine Unterscheidung in kognitive Empathie, affektive Empathie und motorische Empathie vor (vgl. Blair 2005 für weitere Einzelheiten). Das Modell entspricht einer hierarchischen Gliederung mit kognitiver Empathie als höchste Verarbeitungsstufe und motorischer Empathie als primitivste Stufe der Analyse (Carr et al. 2003, zit. nach Blair 2005).

Emotionale Empathie und das System der Spiegelneurone

Die Fähigkeit, Empathie zu zeigen, hängt von der Fähigkeit ab, die Gefühle Anderer in unserem neuronalen System abzubilden. Während frühere Empathiemodelle natürlich ohne Miteinbezug der Spiegelneuronen auskommen mussten, hatte man die mögliche Bedeutung der Spiegelneuronen in Verbindung mit emotionaler Empathie schnell erkannt (Tsoory-Shamay 2009). Während Leslie et al. (2003) die Inselrinde als nicht zentral für die Emotionserkennung betrachten und sie lediglich im Zusammenhang mit Ekel erwähnen, weisen Rizzolatti (2008) und andere Forscher explizit auf die Wichtigkeit dieser Gehirnstruktur hin. Ihnen zufolge sind nebst der Inselrinde die Areale der somatosensorischen und der prämotorischen Rinde beteiligt (Gyrus frontalis inferior / bei Affen Areal F5 / beim Menschen BA 44). Aus der wissenschaftlichen Literatur geht hervor, dass das Areal BA 44 nebst seiner Rolle in der Sprachproduktion und Imitation kritisch für die Emotionserkennung sei (Tsoory-Shamay 2009).

Es wird vermutet, dass der Mechanismus der Emotionserkennung durch Spiegelneuronen eine Art „Als-ob-Schleife“ darstellt. Das Beobachten der Gesichter der Anderen, welche eine Emotion ausdrücken, soll eine Aktivierung der Spiegelneuronen in der prämotorischen Rinde zur Folge haben. Die Spiegelneuronen in der prämotorischen Rinde sollen dann zu den somatosensorischen Arealen und zur Insel eine Kopie ihrer Aktivierungsmuster (efferente Kopie) schicken, die dem Muster ähnelt, welches sie generieren, wenn der Beobachter selbst diese Emotion erlebt (Tsoory-Shamay 2009). Die Schleife ist damit geschlossen und die Aktivierung der sensorischen Areale gleicht der Aktivierung, würde man die Emotion selber erleben, was einer Art Simulation entspricht. Diese Annahme wiederum wird von mehreren Befunden unterstützt (Tsoory-Shamay 2009).

In der Insel geschieht Entscheidendes: dort wird ein spezifischer Spiegelmechanismus aktiviert, der die eingehenden Informationen emotional einfärbt. Die Insel als Zentrum der Repräsentation der inneren Körperzustände ist ein viszeromotorisches Integrationszentrum, welches die eingehenden Informationen mit viszeralen Reaktionen zu verbinden vermag (Rizzolatti 2008).

Die Fähigkeit zur Empathie ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff des Mitleids oder des Mitgefühls. Ob wir gegenüber jemandem, der leidet, Mitleid empfinden, hängt von verschiedenen Bedingungen ab: ob er uns wohlgesinnt ist, ob wir ihm wohlgesinnt sind oder ob wir gar Sadisten sind (Rizzolatti 2008).

Wichtiger ist, dass wir durch den Mechanismus der Spiegelung einen potentiell geteilten Handlungsraum erhalten, welcher die Grundlage für immer kompliziertere Formen von Interaktion darstellt, was Mead bereits vorweggenommen hat (Mead 1934, Rizzolatti 2008).

Spiegelneuronen in der Emotionserkennung von Gesichtern

Strukturen, welche an unterschiedlichen Zeitpunkten an der Emotionserkennung von Gesichtern beteiligt sind.

A: Amygdala, FFA: fusiformer face area, INS: Insula, O: Cortex orbitofrontalis, Sc: Colliculus superior, SCx: Area striata, SS: somatosensorischer Cortex, STG: Gyrus temporalis superior, T: Thalamus

Zeitlicher Ablauf der Emotionsrekognition von Gesichtern: von der Stimuluspräsentation bis zur kognitiven Erfassung der Emotion. Die Strukturen aktivieren sich während der Emotionserkennung zu unterschiedlichen Zeitpunkten und für unterschiedliche Prozesse. Eine Analyse der Aktivierung wird dadurch erschwert. Auch scheinen Synergien der genannten Gehirnstrukturen in der Emotionsrekognition von Gesichtern mit der Emotionserkennung in anderen Sinnesmodalitäten wie der Sprache zu existieren (Adolphs 2002).

Da die sechs Basisemotionen universell in ihrem Ausdruck und ihrer Beurteilung sind, haben verschiedene Studien versucht, ihre neuralen Korrelate zu identifizieren. Eine relativ große Anzahl Studien, welche aussagekräftige Resultate lieferten, liegen für die Emotionen der Angst und des Ekels vor. Zu der Emotion des Ekels in Bezug auf das Spiegelneuronensystem liegen genügend Studien und klare Befunde vor, sodass dies Lehrbuchwissen wird. Für die übrigen Emotionen scheinen die Befunde weniger klar zu sein, wie man an teilweise sehr unterschiedlichen und schlecht miteinander vergleichbaren Forschungsresultaten sehen kann (Rizzolatti 2008). Weitere Forschungen sind für die Emotionen Angst, Trauer, Überraschung und Glück voranzutreiben, um deren neurale Korrelate im Unterschied zueinander zu bestimmen (Adolphs 2002).

Emotionserkennung bei Gesichtern aktiviert verschiedene Regionen im Gehirn, wie die Amygdala, den Hippocampus, die Insel, den Cortex cingularis anterior, den medialen präfrontalen Cortex, den ventromedialen präfrontalen Cortex, den Cortex orbitofrontalis und den visuellen Cortex (Phan 2001).

Die Amygdala scheint vor allem Angst oder die Stimulussalienz anzuzeigen (Phan 2001). Die Insel übernimmt viszerale und somatische Verbindungsaufgaben und ist spezifisch bei Ekel aktiviert (Rizzolatti 2008). Anteriore cinguläre Aktivierung reflektiert Aufmerksamkeit und Selbstbewusstsein (Britton 2006). Präfrontale Aktivierung scheint mit Emotionsregulation im Zusammenhang zu stehen und generelle Aufgaben bei der Emotionserkennung zu übernehmen (Phan 2001). Insbesondere Regionen des okzipitalen und temporalen Cortex, wie der Gyrus fusiformis und die fusiforme face area, scheinen eine kritische Rolle in der Emotionserkennung von Gesichtern zu spielen (Adolphs 2002).

Laut Haxby (2002) ist die Emotionserkennung von Gesichtern hierarchisch gegliedert. Der Okzipitallappen übernehme als Kernstück die visuelle Analyse der Gesichter und die anderen, in diesem Abschnitt genannten Hirnstrukturen, würden als erweitertes System die emotionalen Reize in den Gesichtern analysieren. Die Amygdala spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Die Amygdala und der orbitofrontale Cortex sind bei der Emotionserkennung von Gesichtern auf verschiedene Weise involviert und laut Adolphs (2002) die zentrale Verbindungsstelle in der Emotionserkennung von Gesichtern. Entweder präzisieren sie durch einen Feedbackmechanismus die Perzeption des emotionalen Stimulus (Adolphs 2002) oder sie verbinden die Perzeption mit höheren Zentren des Hirns, um emotionsspezifisches Wissen zu aktivieren (Pahn 2001). Weitaus interessanter ist die Vermutung Adolphs (2002), dass die Amygdala und der obitofrontale Cortex eine Simulation des emotionalen Stimulus im Subjekt ermöglichen. Dazu verbinden sie sich mit Strukturen des motorischen Cortex, des Hypothalamus und des Hirnstamms, um eine Aktivierung der motorischen Repräsentationen des emotionalen Stimulus im rechten somatosensorischen Cortexbereich des Stimulus zu veranlassen, was die These der Beteiligung des Spiegelneuronensystems in der Emotionserkennung von Gesichtern bestätigt (Goldman 2005) und mit der Annahmen Rizzolattis (2008) betreffend der Beobachtung von ekelerregten Gesichtern übereinstimmt, dabei aber die Rolle der Insel außer Acht lässt (Adolphs 2002).

Das reversive Modell der Simulationstheorie

Nach Goldmann (2005)

Die Simulation der Emotion beginnt mit der mimischen Nachahmung der Emotion des beobachteten Gesichts (1). Danach wird innerhalb Millisekunden (80–120 ms nach Adolphs (2002), 300 ms nach Goldmann (2005)) die „Als-ob-Schleife“ durch die Aktivierung der motorischen Cortexareale geschlossen (2 und 3) und die beobachtete Emotion im Subjekt simuliert. All dies (1, 2 und 3) geschieht nach Goldman (2005) unterhalb der Wahrnehmungsschwelle; würde aber schließlich im Beobachter eine Entscheidung des Zutreffens und eine Attribution der simulierten Emotion verlangen (4) (Goldmann 2005).

Ekel und die Insula

Wicker et al. (2003) haben an früheren Arbeiten kritisiert, dass die Wahrnehmung des Ekels anderer und die darauf eintretende eigene Abscheu gegen das Ekelerregende nur „kalte“ Theorien darstellten, denn keine der Theorien würde vorschlagen, dass man selber eine Art Ekel verspüren müsse. In der kognitiven Theorie würde die Abbildung der Motorrepräsentation im Beobachter die gleichen Kognitionen wecken und dieser würde daher den Gesichtsausdruck des anderen verstehen (Hess 1999; Lipps1907; Adolphs 2001, 2002; zit. nach Wicker et al. 2003). Um einen Zusammenhang zwischen der Beteiligung von Spiegelneuronen und der Emotionsentstehung im Beobachter zu verstärken und um der Untersuchung eine weiterführende empirische Grundlage zu geben, konnten Wicker et al. (2003) lediglich indirekte Befunde zitieren.

So haben verschiedene vorwiegend mittels PET durchgeführte Arbeiten ergeben, dass die Insula und die Amygdala aktiviert wurden, wenn die Probanden ekelerregenden Gerüchen und Geschmäckern ausgesetzt wurden (Wicker 2003). Unabhängig davon haben fMRI-Studien gezeigt, dass die Insel beim Betrachten ekelerregter Gesichter aktiviert wird (Wicker et al. 2003). Das Ziel der Studie war nun eine Aktivierung der Insula bei den Probanden nachzuweisen, wenn sie selber Ekel erfuhren und auch wenn sie ekelerregte Gesichter anderer beobachteten. Dazu wurden vierzehn männlichen Probanden, während sie im fMRI-Scanner lagen, in zwei Durchgängen verschiedene kurze Filme gezeigt, welche entweder neutrale, angenehme oder ekelerregende Substanzen zeigten, die von den Darstellern gerochen wurden. In zwei weiteren Versuchen wurden den Probanden neutrale, übelriechende und angenehme Gerüche mittels einer Maske zugeführt. Das Resultat der Studie war, dass sowohl bei angenehmen als auch übelriechenden Substanzen die Amygdala und auch die Insel aktiviert wurden. Dass die Amygdala ebenfalls aktiviert wurde, stimmt mit früheren Befunden überein.

So haben Gottfried et al. (2002) mittels fMRI bei Untersuchungen zum olfaktorischen Sinn und der Geruchswahrnehmung ebenfalls eine stabile Aktivierung der Amygdala nachgewiesen und so eine starke Kopplung von Geruch und Emotion postuliert.

Hudry et al. (2001) haben an sieben verschiedenen Epilepsiepatienten mittels EEG eine stabile Amygdala-Aktivierung bei olfaktorischen Versuchen festgestellt.

Anderson et al. (2003) haben hingegen darauf hingewiesen, dass die Amygdala-Aktivierung mit der Intensität des Duftes, nicht aber mit seiner Valenz (Charakterisierung durch den Probanden) in Zusammenhang stand.

Zald et al. (1998) haben in einer PET-Studie den zerebralen Blutfluss von zehn gesunden Frauen untersucht. Die Probandinnen wurden unter drei verschiedenen Bedingungen (einer neutralen „Wasserbedingung“, wenn die Frauen Schokolade aßen, und einer „Salzbedingung“) untersucht. Das Resultat der Studie zeigte, dass die Aktivierung der rechten Amygdala, des linken Cortex orbitofrontalis sowie des Cortex cingularis praegenualis unter der „Salzbedingung“ im Vergleich mit der angenehmen „Schokoladenbedingung“ signifikant war. Dies zeigt an, dass der orbitofrontale Cortex und die Amygdala auf negative aversive Reize reagieren.

Der Cortex cingularis ist für die Verarbeitung von aversiven Reizen wichtig (Royet 2000, zit. nach Wicker 2003, Zald 1998), wird aber laut Phans et al. (2001) Metaanalyse von 55 PET und fMRI-Studien auch bei der Erinnerung an persönliche, emotionale Situationen aktiviert (Phan 2001), was auch den Schluss einer generellen Beteiligung bei der Erinnerung nahelegt und von früheren Studien zum episodischen und semantischen Gedächtnis gestützt wird (Phan 2001).

Eine Differenzierung betreffend der Amygdala-Aktivierung haben Wicker et al. (2003) gefunden. Zwar wurde die Amygdala bei angenehmen und unangenehmen Substanzen gleichermaßen aktiviert, was mit den oben genannten Befunden übereinstimmt. In der Insel hingegen hat die Aktivierung bei angenehmen und unangenehmen Substanzen getrennte Bereiche ergeben. Bilaterale und anteriore Aktivierung der Insel fanden bei übelriechenden Gerüchen statt, während wohlriechende Substanzen mehr die posteriore Seite der Insel aktivierten. Es existiert eine starke Evidenz für die vermehrte Verarbeitung von Informationen für übelriechende im Gegensatz zu wohlriechenden Substanzen für die linke Hirnhälfte (Wicker et al. 2003).

Weit interessanter ist jedoch, dass die anteriore Seite beider Insulae sowohl beim Riechen übelriechender Substanzen als auch beim Beobachten von Individuen, welche an übelriechenden Substanzen rochen, aktiviert wurde. Dies ist ein Beleg für die Existenz geteilter Netzwerke in der Insel. Gestützt wird diese Behauptung durch die Tatsache, dass bei Menschen mit Läsion in der anterioren Insel die Fähigkeit fehlt, die Emotion des Ekels bei anderen zu erkennen (Rizzolatti 2008).

Angst, Ärger und die Amygdala

Ärger und Angst haben insofern etwas gemeinsam, als diese Emotionen uns wichtige, wenn nicht überlebensnotwendige Informationen liefern (Darwin 1972). Im Gegensatz zu Angst hat Ärger mehr eine adaptive Signalwirkung, indem er das Verhalten gegenüber demjenigen anpasst, auf den man ärgerlich ist (Pichon 2009).

Phillips et al. (1997) haben bei Angst eine Aktivierung der Amygdala und des Gyrus fusiformis festgestellt. Ihre Studie war eine fMRI-Studie, bei der die Aktivierungen von gesunden Probanden beim Betrachten von ekelerregten und angsterfüllten Gesichtern im Gegensatz zu neutralen Gesichtern untersucht wurden.

Verschiedene Untersuchungen am Menschen haben gezeigt, dass bei Ärger und bei Angst außerdem der Gyrus frontalis inferior sowie der Cortex orbitofrontalis lateralis aktiviert wurden (Gyrus frontalis inferior mit BA 47) (Pichon 2009). Eine Metaanalyse von 55 PET und fMRI-Studien zwischen 1990 und 2000 hat gezeigt, dass eine Amygdala-Aktivierung vor allem für die Emotion Angst stattfindet (Phan 2001). Verschiedene Läsionsstudien haben außerdem gezeigt, dass die Fähigkeit, die Emotionen der Furcht und des Ärgers zu erkennen, nach bilateraler Amygdalaläsion herabgesetzt ist (Adolphs 2002).

Für die Behauptung, dass die Amygdala nicht nur für Gefahren signalisierende negative Emotionen zuständig ist, liefert die Untersuchung von Fitzgerald et al. (2005) Evidenz. Bei der Studie wurden zwanzig Versuchspersonen mittels fMRI gescannt, während sie Fotografien von verschiedenen Emotionen betrachteten, mit dem Resultat, dass sich unter jeder Bedingung (Angst, Ekel, Ärger, Trauer, Glück) die linke Amygdala aktivierte. Diese Studie legt den Schluss nahe, dass die Amygdala eine generellere Aufgabe bei der Emotionserkennung von Gesichtern übernimmt als bisher angenommen (Adolphs 2002, Fitzgerald 2005). Der orbitofrontale Cortex ist bei der Emotionserkennung aber essentiell, da Probanden mit Läsionen in diesem Bereich Defizite in der Emotionserkennung und bei ihrem eigenen emotionalen Verhalten an den Tag legen (Hornak 1996, Adolphs 2002). Der orbitofrontale Cortex scheint eine wichtige Aufgabe bei der Rekognition von Emotionen von Gesichtern und von Stimmen zu spielen, da bei Läsion des orbitofrontalen Cortex die Fähigkeit zur Emotionsrekognition in diesen Modalitäten abnimmt (Hornak 1996, zit. nach Adolphs 2002).

Grosbras et al. (2003, zit. nach Pichon 2009) haben Handbewegungen und den Ausdruck des Ärgers untersucht und eine Aktivierung des Sulcus temporalis superior (STS), des dorsalen prämotorischen Cortex, des dorsalen präfrontalen Cortex, des Gyrus frontalis inferior, der Insel und des Gyrus supramarginalis festgestellt.

Grèzes (2007) haben beim Beobachten von angsterfüllten Körperbewegungen ebenfalls eine Aktivierung der Amygdala gefunden. Daneben beschreiben sie eine Aktivierung des STS und des prämotorischen Cortex für angstanzeigende Körperbewegungen.

Pichon (2009) hatte den Unterschied in der Aktivierung der Gehirnareale bei Angst im Gegensatz zu Furcht untersucht. Seine Untersuchung unterschied zwischen Angst, Ärger und einer neutralen Bedingung und postulierte eine erhöhte Aktivierung der Amygdala für Furchtsignale bei präferierter Aktivierung des STS, der inferioren frontalen Regionen (BA 45 und 47), sowie des Gyrus fusiformis, während anteriore temporale Cortexregionen und der Cortex orbitofrontalis eher bei Ärger aktiviert seien. Die Versuchspersonen waren sechzehn gesunde ProbandenInnen (8 Frauen und 8 Männer), denen man eine Reihe kurzer Videosequenzen vorführte, auf denen man lediglich den Körperausdruck von Angst und Ärger sehen konnte, während man sie mittels fMRI untersuchte. Die Resultate zeigten, dass bei Angst und bei Ärger jeweils die linke Amygdala aktiviert wurde, was im Gegensatz zu der Untersuchung von Murphy (2003) steht, der eine gleichermaßen hohe Aktivierung der Amygdala festgestellt hatte. Pichon (2009) weist auf die Untersuchung von Williams (2005) hin und berücksichtigt deren Resultate in der Interpretation seiner Untersuchung. Er interpretiert folglich seine Resultate dahingehend, dass Angst und Ärger die Amygdala aktivierten, nur nicht im gleichen Maße und auch nicht zur gleichen Zeit, was auch mit den Befunden Adolphs übereinstimmt (Adolphs 2002).

Lawrence (2002) hat eine Unterscheidung zwischen Angst und Ärger vorgenommen. In seiner Studie wurde gesunden Männern ein Dopaminantagonist injiziert (Sulpiride D2-class receptor antagonist) mit dem Resultat, dass die Emotionserkennung anhand von Gesichtern für die Emotion des Ärgers beeinträchtigt wurde, aber nicht für Angst und andere Gefühle. Dies verweist auf den Umstand, dass es neben der Aktivierung der Amygdala eine Reihe anderer wichtiger Unterscheidungskriterien für Angst und Ärger gibt.

Die Befunde deuten darauf hin, dass der orbitofrontale Cortex und die Amygdala auf saliente emotionale Stimuli innerhalb kürzester Zeit reagieren (80–120 ms) (Adolphs 2002).

Weitaus interessanter ist, dass die Studien von Pichon (2009) und Grèzes (2007) zeigten, dass der rechte prämotorische Cortex bei der Beobachtung von Ärger aktiviert wurde – was mit früheren Befunden und der Annahme der Simulation der Emotionen des Gegenübers von Adolphs (2002) übereinstimmt (Adolphs 2002) – und auf eine generelle Beteiligung von Spiegelneuronen in der Emotionserkennung von Gesichtern schließen lässt.

Freude

Die Untersuchung von Trautman et al. (2009), bei der statische und dynamische Gesichtsemotionserkennung untersucht wurde, zeigt zum einen, dass die Untersuchung dynamischer Gesichtsausdrücke zu höheren, klareren sowie realitätsnäheren Ergebnissen führt, zum anderen wurde bei der Lektüre dieser Studie klar, dass für die Emotion der Freude wenige Anhaltspunkte in Bezug auf das Spiegelneuronensystem vorhanden sind.

Bei der Studie wurden die Emotionen des Ekels mit Freude verglichen, um eine erhöhte Eindeutigkeit der Ergebnisse zu erreichen und um den Unterschied gegenüber neutralen Gesichtern zu erhöhen. Insgesamt wurden sechzehn weibliche Probandinnen mittels fMRI untersucht, während sie glückliche, ekelerregte und neutrale Gesichter betrachteten und unterscheiden mussten. Im Gegensatz zu dynamischen wurde bei statischen Stimuli eine erhöhte Aktivierung der Amygdala, des Gyrus fusiformis, des Gyrus frontalis inferior, des Cortex occipitalis und Cortex orbitofrontalis gefunden, was mit den Befunden von Adolphs (2002) übereinstimmt.

Laut Adolphs (2002) ist der Gyrus temporalis superior vor allem für die Verarbeitung von dynamischen Details des Gesichts zuständig, während der Gyrus fusiformis die statischen Details des Gesichts verarbeitet (Adolphs 2002).

Sato et al. (2004) haben ebenso eine Aktivierung des prämotorischen Areals bei der Betrachtung von dynamischen Gesichtsausdrücken gefunden, was auf eine Beteiligung des Spiegelneuronensystems schließen lässt. Diese fMRI-Untersuchung fokussierte auf die Abgrenzung von statischen und dynamischen Gesichtserkennungsaktivierungen bei der Emotionenerkennung. Es ist deshalb nichts Zusätzliches, Spezifisches zur Spiegelneuronenforschung in dieser Studie zu finden.

Laut Entikott (2008) ist die Beteiligung des Motorcortex darin zu sehen, dass das Spiegelneuronensystem den mimischen Ausdruck dekodieren würde. Wenn der mimische Ausdruck nämlich unterdrückt wird, hat dies zur Folge, dass die eigene Fähigkeit zur Erkennung eines Emotionswechsels in einem Gesichtsausdruck kompromittiert wird (Entikott 2008). Dies lässt ebenfalls auf eine Beteiligung des motorischen Cortex bei der Emotionserkennung von Gesichtern schließen.

Obermann et al. (2007) haben untersucht, ob es weitere Anhaltspunkte für eine Beteiligung des eigenen mimischen Ausdrucks bei der Erkennung von Emotionen bei anderen gebe. Seine Untersuchung wurde mittels Elektromyograph über Wangen-, Mund- und Nasenregionen durchgeführt. Die Bedingungen waren vier unterschiedliche Emotionen (Freude, Ekel, Angst und Trauer) und zwei Aktionen, welche dem mimischen Ausdruck entgegengesetzt waren, nämlich einen Kaugummi zu kauen und auf einen Stift zu beißen. Die Frage war, ob die Probanden den Gesichtsausdruck, den sie sahen, auch unwissentlich nachahmen würden und wie gut sie in der Emotionserkennung desselben Gesichtsausdrucks waren. In der Bedingung „auf den Stift beißen“ waren die Probanden vor allem in der Wiedererkennung von fröhlichen Gesichtern benachteiligt. Die Simulationstheorien gehen davon aus, dass der eigene mimische Ausdruck der eigenen Simulation entspringt und damit die Emotionserkennung unterstützt (Obermann 2007), was mit diesen Befunden und der Annahme Entikotts (2008) übereinstimmt.

Überraschung

Peter Entikott und Mitarbeiter haben 2008[4] eine Untersuchung mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS) durchgeführt. Es wurden verschiedene Gefühle (Angst und Überraschung) an gesunden Erwachsenen mit statischen und dynamischen Bildern und Videos von Gesichtern (mittels computerised behavioral tasks) durchgeführt. TMS, auf das prämotorische Areal gerichtet, erzeuge einen Impuls an entsprechende Muskeln (peripher). Diesen Impuls könne man mittels Elektromyographie messen. Wenn TMS nun während des Beobachtens von Aktionen appliziert wird (hier emotionale Gesichtserkennung), sollte es eine erhöhte Amplitude im motorisch evozierten Potenzial der Muskeln geben. Dadurch könne auf eine Beteiligung des Spiegelneuronensystems geschlossen werden (Fadiga 1995; Maeda et al. 2002; zit. nach Entikott 2008). Die Probanden mussten nun zwischen angsterfüllten und überraschten Gesichtern unterscheiden. Die Stimuli waren entweder statisch oder dynamisch, das heißt, dass sich der Ausdruck im Gesicht langsam zu der anderen Emotion morphte. Eine Beschleunigung der Emotionserkennung für statische, aber nicht für dynamische Gesichtserkennung von Überraschung und Angst konnte gefunden werden.

Dies entspricht den Befunden von Kilts (2003), welche feststellten, dass Emotionserkennung von statischen, aber nicht von dynamischen Gesichtern mit den prämotorischen und motorischen Arealen zusammenhing. Entikott (2008) geht davon aus, dass das Spiegelneuronensystem bei statischen Gesichtern aktiviert wird, um eine mentale dynamische Abbildung zu erhalten. Dies ist nicht ganz im Einklang mit den bisher formulierten Simulationstheorien (Goldmann 2005), da diese Befunde zeigen, dass das Spiegelneuronensystem nur dann aktiviert würde, wenn die dynamischen Informationen nicht verfügbar seien.

Eine Studie von Buccino (2001, zit. nach Entikott 2008) erhält ein gegenteiliges Resultat, was auch Entikott (2008) dazu veranlasst, nach weiteren Forschungen in diese Richtung insbesondere mit der Komparation von dynamischen und statischen Gesichtern zu verlangen (Entikott 2008).

Traurigkeit

Die Unfähigkeit, Traurigkeit zu erkennen, wie auch generell Defizite in emotionaler Empathie, scheinen im Zusammenhang mit verschiedenen psychopathischen Persönlichkeitsstörungen zu stehen (Blair 2005). Auch gibt es verschiedene Studien, welche Traurigkeit in Zusammenhang mit Autismus untersuchen (Britton 2006). Autismus wird in der neueren wissenschaftlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Spiegelneuronensystem gesehen. Laut Blair (2005) scheinen Autisten vor allem Defizite in der Emotionserkennung von Gesichtern aufzuweisen.

Wang (2005) berichtete in Bezug auf Traurigkeit von einer Aktivierung vor allem der ventralen Hirnregionen (Amygdala, Gyrus fusiformis, Gyrus frontalis inferior) und stellte fest, dass die Amygdala nebst ihrer Rolle bei Angst und Furcht ebenfalls beim Betrachten von traurigen Bildern aktiviert wurde (Wang 2005). In früheren Studien wurde eine Amygdala-Aktivierung auch für die Erkennung von traurigen Gesichtern ebenfalls postuliert (Adolphs 2002, Phan 2001).

Brittons (2006) Studie über die Basisemotionen zielte auf den Unterschied der Emotionserkennung von Gesichtern im Gegensatz zu emotionalen komplexen Bildern von emotionsevozierenden Situationen ab. Sie sagte zwar nichts Zusätzliches über Traurigkeit betreffend des Spiegelneuronensystems aus als die bereits genannte allgemeine Aktivierung im Zusammenhang mit Emotionserkennung in Gesichtern (siehe Abschnitt zu face based perception), die Untersuchung fand jedoch eine robuste Aktivierung der Amygdala für die Gesichtserkennung bei traurigen Gesichtern. Dies stimmt mit früheren Befunden überein (Britton 2006).

Weitaus interessanter ist, dass sich der Gyrus temporalis superior und die Amygdala vor allem bei Emotionserkennung von Gesichtern aktivierten und weniger bei emotionsevozierenden Situationen (beispielsweise ein Bild eines Begräbnisses). Für Traurigkeit bei Gesichtern aktivierte sich der Cortex cingularis anterior, während er sich für traurige Szenen deaktivierte. Dieser Hirnbereich wurde in verschiedenen Studien zu induzierter Traurigkeit und Depression in Zusammenhang mit Traurigkeit gebracht (Britton 2006).

Mayberg (1997, 1999) hatte in einer PET-Studie an gesunden und depressiven Probanden festgestellt, dass bei Traurigkeit der Blutfluss in paralimbischen Arealen (Cortex cingularis subgenualis und die Insula anterior) erhöht und gleichzeitig in neokortikalen Regionen (präfrontaler und parietaler Cortex) verringert war. Insgesamt betrachtet, muss man den aufgeführten Befunden kritisch gegenüberstehen, da es sich bei induzierter Traurigkeit zwar um eine Emotion handelt, diese in der Studie aber nicht im direkten Zusammenhang mit dem Spiegelneuronensystem erforscht wurde, sondern in Verbindung mit Depression.

Insgesamt betrachtet muss aufgrund der niedrigen Anzahl von Studien im Zusammenhang der Emotion der Trauer und des Spiegelneuronensystems weitere Forschung vorangetrieben werden.

Videotherapie

Aktuell wird die vermutete Beteiligung der Spiegelneuronen an der Sprachverarbeitung in der medizinischen Forschung dazu genutzt, Menschen mit Hirnschäden wie beispielsweise bei Schlaganfällen zu helfen.[5] Eine daraus entstandene Rehabilitationsmaßnahme ist die Videotherapie. Ergebnisse einer kommerziellen Untersuchungsgruppe von Advanced Telecommunications Research in Kyōto zeigen, dass die Spiegelneuronen sprachlich-akustische Funktionen übernehmen können. In dem Versuch bekamen Probanden ein Video vorgespielt, in dem die von Sprecherinnen und Sprechern vorgelesenen Texte verzerrt oder gestört wurden. In dieser Situation wurden die Spiegelzellen besonders aktiv. Es wird vermutet, dass sie die fehlenden Informationen durch ein Nachvollziehen der Gesichtsbewegungen ergänzen.

Psychotherapie

Eine praktische Anwendung wird den Erkenntnissen über das Verständnis von Empathie mitunter in den nicht kanonischen psychotherapeutischen Verfahren des Psychodramas oder der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) zugeschrieben. Man versucht, auch die Folgen anderer Methoden der ‚Körperarbeit‘ (beispielsweise Alexander-Technik, Feldenkrais und Eutonie) mit den Spiegelneuronen in Verbindung zu bringen, allerdings liegen bislang auch hierzu keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor.

Historisches

Morris N. Eagle und Jerome C. Wakefield haben darauf hingewiesen, dass diese Entdeckung der Spiegelneuronen von den Vertretern der Gestalttheorie, insbesondere Wolfgang Köhler, schon in den 1920er-Jahren mit ihrer Isomorphie-Annahme vorweggenommen worden ist.[6]

Noch früher war es Hugo Karl Liepmann (1863–1925), der darauf verwies, dass wir eine Menge Dinge nachahmen, imitieren können: u. a. Bewegungen, Handlungen, Geschicklichkeiten, Verhaltensformen, Gesten, Pantomimen, Gesichtsausdruck, Vokalisationen, Töne, Laute und Sprache. Liepmanns hierarchisches Modell der Handlungsplanung von 1908 ist noch immer aktuell. Intensiv untersuchte Liepmann die cerebrale Lokalisation des Imitierens; er postulierte, dass geplante oder kommandierte Handlungen im Parietallappen der dominanten Hemisphäre und frontal vorbereitet werden. Seine wichtigste Pionierleistung war die extensive Untersuchung von Patienten mit Läsionen in diesen Hirngebieten, bei denen er entdeckte, dass die Patienten u. a. ihre Fähigkeit des Nachahmens verloren hatten: So war er derjenige, der den Begriff Apraxie geprägt hat, wobei er zwischen ideatorischer und ideomotorischer Apraxie differenzierte, was bis heute gilt. Auf dieser Basis und auf dem Boden klassischen neurologischen Wissens muss die Entdeckung der Spiegelneurone gesehen werden, die bei Affen gemacht wurde, aber auch für den Menschen gilt.

Siehe auch

  • Carpenter-Effekt
  • Couvade-Syndrom
  • Gefühlsansteckung

Literatur

  • Joachim Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst: intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2005. ISBN 3-455-09511-9
  • M.N. Eagle & J.C. Wakefield: Gestalt Psychology and the Mirror Neuron Discovery. Gestalt Theory, Vol. 29 (1/2007), 59–64. Deutsche Fassung 2010: Die Gestalt-Psychologie und die Entdeckung der Spiegelneuronen. Phänomenal, Vol. 2 (1/2010), 3-8. Italienische Fassung 2012: La psicologia della Gestalt e la scoperta dei neuroni specchio. Quaderni di Gestalt, Vol. XXIV (2/2012),45-52.
  • Vittorio Gallese et al. (1996): Action recognition in the premotor cortex. Brain, Vol. 119, No. 2, 593–609
  • V. S. Ramachandran: Phantoms in the Brain: Human Nature and the Architecture of the Mind Fourth Estate 1999, ISBN 1-85702-895-3
  • Giacomo Rizzolatti, Leonardo Fogassi, Vittorio Gallese: Mirrors in the Mind. Scientific American Band 295, Nr. 5, November 2006, S. 30–37
  • Giacomo Rizzolatti et al. (1996): Premotor cortex and the recognition of motor actions. Cognitive Brain Research 3 131–141
  • Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia: Empathie und Spiegelneurone: Die biologische Basis des Mitgefühls. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2008. ISBN 3-518-26011-1.
  • Nadia Zaboura, 2008: Das empathische Gehirn. Spiegelneurone als Grundlage menschlicher Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag. ISBN 3-531-16390-6
  • Rizzolatti, G., Fogassi, L., Gallese, V. (2002). Motor and cognitive functions of the ventral premotor cortex. Current Opinion in Neurobiology 12:149-154
  • Blair, R. (2005). Responding to the emotions of others: Dissociating forms of empathy through the study of typical and psychiatric populations. Consciousness and Cognition 14:698- 718, 2005
  • Lehmann, J., W. (2009). Ein Literaturreview über Spiegelneuronen und Emotionserkennung. Universität Bern PDF via Bibliothek Uni Saarland
  • Tsoory-Shamay, G., S., Ahron-Peretz, A., Perry, D. (2009). Two systems for empathy. A double dissociation between emotional and cognitive empathy in inferior frontal gyrus versus ventromedial prefrontal lesions. Brain 132: 617-627, 2009
  • Rizzolatti, G. (2008). Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag
  • Damasio, A. R. (2003). Alla ricerca di Spinoza. Emozioni, sentimenti e cervello. Tr. It. Adelphi: Milano 2003
  • Adolphs, R. (2003). COGNITIVE NEUROSCIENCE OF HUMAN SOCIAL BEHAVIOR. Nature Reviews Neuroscience 4: 165-178, 2003
  • Blair, R. (2005). Responding to the emotions of others: Dissociating forms of empathy through the study of typical and psychiatric populations. Consciousness and Cognition 14:698-718, 2005
  • Britton, J., Taylor, S.,F., Sudheimer, K., D., Liberzon, I. (2006). Facial expressions and complex IAPS pictures: common and differential networks. NeuroImage 31: 906-919, 2006
  • Enticott, G. Johnston, P., Herring, S., Hoy, E., Fitzgerald, B. (2008). Mirror neuron activation is associated with facial emotion expressing. Neuropsychologia 46: 2851-2854, 2008
  • Haxby J., V., Hoffman, A., Gobbini, M. (2002). Human Neural Systems for Face Recognition and Social Communication. Biological Psychiatry 51:59-67, 2002
  • Leslie, R. K., Johnson-Frey, S., Grafton, S. T. (2003) Funktional imaging and hand imitation: towards a motor theory of empathy. NeuroImage 21:601-607, 2003
  • Mead, G.H. (1934). Mind, Self and Society. Chicago: University Chicago Press
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  • Pichon, S., Gelder, B., Grèzes, J. (2008) Two different faces of threat. Comparing the neural systems for recognizing fear and anger in dynamic body expressions. In: NeuroImage, Band 47, Nr. 4, 2009, S. 1873–1883, doi:10.1016/j.neuroimage.2009.03.084 (Volltext, PDF)
  • Schultz, R. (2005). Developmental deficits in social perception in autism: The role of the amygdale and fusiform face area. International Journal of Developmental Neuroscience 23: 125-141, 2005
  • Wicker, B., Keysers, C. Plailly, J., Royet, J., P., Gallese, V., Rizzolatti, G. (2003). Both of Us Disgusted in My Insula: the Common Neural Basis of Seeing and Feeling Disgust. Neuron 40:655-664, 2003

Videos

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Mukamel R, Ekstrom AD, Kaplan J, Iacoboni M, Fried I: Single-Neuron Responses in Humans during Execution and Observation of Actions. In: Current Biology. Band 20, Nr. 8, 2010, S. 750–756. doi:10.1016/j.cub.2010.02.045
  2. http://www.journalmed.de/newsview.php?id=10841
  3. Warren JE, Sauter DA, Eisner F, Wiland J, Dresner MA, Wise RJ, Rosen S, Scott SK: Positive emotions preferentially engage an auditory–motor „mirror“ system. In: The Journal of Neuroscience. Band 26, 2006, S. 13067-13075 [1]
  4. Enticott PG, Hoy KE, Herrin SE, Johnston PJ, Daskalakis ZJ, Fitzgerald PB: Reduced motor facilitation during action observation in schizophrenia: A mirror neuron deficit? In: Schizophrenia Research, Band 102, Nr. 1–3, 2008, S. 116-121
  5. http://www.innovations-report.de/html/berichte/medizin_gesundheit/bericht-17706.html
  6. Morris N. Eagle, Jerome C. Wakefield: Gestalt Psychology and the Mirror Neuron Discovery. In: Gestalt Theory, Band 29, Nr. 1, 2007, S. 59–64