Eine zweite Chance für das Sumatra-Nashorn?



Bio-News vom 09.11.2022

Der Nashornbulle Kertam ist 2019 gestorben, doch nun ist es einem Team vom Max Delbrück Center gelungen, aus seinen Hautzellen Stammzellen und daraus Mini-Hirne zu züchten. Das nächste Ziel seien Spermien, um die bedrohte Art vor dem Aussterben zu bewahren, schreiben die Forschenden.

Einst war das Sumatra-Nashorn in weiten Teilen Ost- und Südostasiens verbreitet. Heute leben nur noch wenige Dutzend Exemplare dieser kleinsten und ursprünglichsten Nashornart in den Regenwäldern Sumatras und des indonesischen Teils der Insel Borneo. Wilderei und die Zerstörung ihres Lebensraums haben den meisten Tieren den Garaus gemacht. Paarungsbereite Nashörner finden nur schwer zusammen.


Sumatra-Nashorn Kertam (†) auf der Insel Borneo.

Publikation:


Vera Zywitza et al.
Induced pluripotent stem cells and cerebral organoids from the critically endangered Sumatran rhinoceros

iScience (2022)

DOI: 10.1016/j.isci.2022.105414



Die Letzen ihrer Art in Malaysia

In Malaysia gilt das Sumatra-Nashorn, die einzige behaarte Nashornart, seit dem Tod des Bullen Kertam im Jahr 2019 und der Kuh Iman, die ihn nur wenige Monate überlebte, als ausgestorben. Damit geben sich Berliner Forscherinnen und Forscher um Dr. Vera Zywitza und Dr. Sebastian Diecke, Leiter der Technologieplattform „Pluripotente Stammzellen“ am Berliner Max Delbrück Center, und ihre internationalen Kooperationspartner nicht zufrieden. Ihr ehrgeiziges Ziel: Sie wollen Hautzellen verstorbener Nashörner zunächst in Stammzellen verwandeln und aus diesen wiederum Ei- und Samenzellen züchten, die sich für die assistierte Reproduktion, in diesem Fall die Befruchtung im Labor, eignen. Tierische Leihmütter sollen die in der Petrischale entstehenden Nashorn-Embryonen dann austragen – als Nachkommen von Kertam und anderer schon verstorbener Tiere.

In der Fachzeitschrift „iScience“ vermeldet das Team um die Erstautorin Zywitza und den Letztautor Diecke nun einen ersten Erfolg: Es sei gelungen, aus den Hautproben von Kertam induzierte pluripotente Stammzellen, kurz iPS-Zellen, zu generieren. Diese Zellen haben zwei entscheidende Vorteile. Zum einen sind sie unsterblich, da sie sich immer wieder aufs Neue teilen können. Zum anderen sind sie in der Lage, sich in jede beliebige Zellart des Körpers zu verwandeln. Mini-Gehirne (Hirn-Organoide) hat die Gruppe für ihre jetzt publizierte Studie bereits aus ihnen gezüchtet.

Von den Bemühungen um das Breitmaulnashorn abgeschaut

Die Technologieplattform hat die Methoden zur Stammzellgewinnung im Rahmen des Forschungsprojekts „BioRescue“ für das noch stärker bedrohte Nördliche Breitmaulnashorn entwickelt, von dem weltweit nur noch zwei Weibchen in einem kenianischen Wildtierreservat leben. „Unsere aktuelle Studie hat viel von den Erkenntnissen profitiert, die durch dieses vom Bundesforschungsministerium geförderte Großprojekt gewonnen wurden“, sagt Zywitza. Maßgeblich beteiligt waren zudem Professor Thomas Hildebrandt, Leiter der Abteilung Reproduktionsmanagement am Leibniz-Institut für Zoo und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin, und seine Arbeitsgruppe.

Alle an der Studie Beteiligten seien überrascht und erfreut gewesen, dass die Methoden, mit denen man die Hautzellen der Nördlichen Breitmaulnashörner in Stammzellen verwandelt habe, auch bei den Zellen des Sumatra-Nashorns gut funktioniert hätten, sagt Zywitza. Unter dem Mikroskop seien die Stammzellen beider Nashornarten kaum von menschlichen iPS-Zellen zu unterscheiden. Artspezifische Unterschiede gab es trotzdem: „Die iPS-Zellen von Kertam konnten wir beispielsweise – anders als die der Nördlichen Breitmaulnashörner –nicht ohne Ammenzellen kultivieren, die Wachstumsfaktoren freisetzen. Sie helfen, Stammzellen in einem pluripotenten Zustand zu halten“, erläutert Zywitza.

Tiefer Blick in die Evolution

Neben dem Erhalt der Art dienen die aus der Haut von Kertam gewonnenen Stammzellen noch einem weiteren Zweck: „Anhand von iPS-Zellen exotischer Tiere können wir einzigartige Einblicke in die Evolution der Organentwicklung gewinnen“, sagt Zywitza. Um das zu zeigen, hat Dr. Silke Frahm-Barske, die ebenfalls zur Arbeitsgruppe von Diecke gehört, aus den Zellen Hirn-Organoide gezüchtet.

„Soweit wir wissen, wurden solche Mini-Gehirne bisher nur aus iPS-Zellen von Mäusen, Menschen und nichtmenschlichen Primaten gewonnen“, sagt Frahm-Barske. „Daher waren wir sehr froh, dass sich aus den von uns erzeugten Stammzellen eines Sumatra-Nashorns Organoide bildeten, die denen des Menschen recht ähnlich sind.“ Allerdings habe das Team die iPS-Zellen von Mensch und Nashorn leicht unterschiedlich behandeln müssen, um die Gehirne im Miniaturformat zu erzeugen, ergänzt die Forscherin.

Spermien nur über Umwege

Das nächste Ziel des Teams ist es nun, aus Kertams iPS-Zellen Samenzellen zu züchten, die sich für eine künstliche Befruchtung eignen. „Dieser Schritt ist allerdings schwieriger“, sagt Zywitza. „Um Spermien zu gewinnen, ist es erforderlich, aus den iPS-Zellen zunächst primordiale Keimzellen, die Vorläufer von Ei- und Samenzellen, zu generieren.“ Diese kniffelige Aufgabe solle jetzt angegangen werden. Darüber hinaus sei geplant, auch von anderen Sumatra-Nashörnern iPS-Zellen herzustellen.

Warum ein solcher Aufwand nötig ist, erklärt der Fortpflanzungsexperte Thomas Hildebrandt: „Zwar gibt es in Indonesien Bemühungen, den Bestand zu sichern, indem die noch vorhandenen Sumatra-Nashörner in Wildtierreservaten zusammengebracht werden. Doch Weibchen, die lange Zeit nicht trächtig waren, werden oft unfruchtbar, zum Beispiel durch Zysten an ihren Fortpflanzungsorganen“, sagt er. Oder sie seien für Nachwuchs inzwischen schlicht zu alt.

„Auch wenn unsere Arbeit versucht, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen, nämlich Arten zu erhalten, die ansonsten vermutlich von unserem Planeten verschwinden würden, muss sie eine Ausnahme bleiben und darf nicht zur Regel werden“, sagt Zywitza. „Trotz aller Begeisterung: Was wir im Labor tun, kann allenfalls ein kleines Stück weit dazu beitragen, die Nashörner vor dem Aussterben zu retten.“ Ebenso wichtig sei es definitiv, die noch vorhandenen Lebensräume der Tiere zu schützen und zu bewahren.



Diese Newsmeldung wurde mit Material Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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