Klimakrise und Biodiversitätskrise im Verbund betrachten
Bio-News vom 21.04.2023
Oftmals werden die Klima- und Biodiversitätskrise als getrennte Probleme betrachtet, obwohl der Klimawandel in Kombination mit der intensiven Nutzung und Zerstörung von natürlichen Ökosystemen zu einem beispiellosen Artensterben geführt hat. Ein internationales Team von Forschern und Wissenschaftlern fordert ein Umdenken und betont in einer umfassenden Studie die Dringlichkeit, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Sie unterstützen auch Maßnahmen wie die Einrichtung von Schutzgebieten auf mindestens 30 Prozent der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen.
Die menschengemachte Klimakrise hat Folgen für den ganzen Planeten – beispielsweise verschiebt sich die Verteilung von Niederschlägen, der globale Meeresspiegel steigt, Extremwetterereignisse werden häufiger und die Ozeane versauern zunehmend. Zugleich schreitet der Verlust von Tier- und Pflanzenarten weltweit voran.
Publikation:
H.-O. Pörtner, R. J. Scholes, A. Arneth, D.K.A. Barnes et al.
Overcoming the coupled climate and biodiversity crises and their societal impacts
Science (2023)
Die menschengemachte Klimakrise hat Folgen für den ganzen Planeten – beispielsweise verschiebt sich die Verteilung von Niederschlägen, der globale Meeresspiegel steigt, Extremwetterereignisse werden häufiger und die Ozeane versauern zunehmend. Zugleich schreitet der Verlust von Tier- und Pflanzenarten weltweit voran.
„Wir müssen Klima- und Artenschutz zwingend zusammen denken. Denn Maßnahmen, die sich beispielsweise allein auf den Klimaschutz konzentrieren, können sich durchaus auch negativ auf die Biodiversität auswirken“, sagt Professorin Almut Arneth vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung, dem Campus Alpin des KIT in Garmisch-Partenkirchen, und Mitautorin der Studie. „Beide Systeme funktionieren nur zusammen. Gesunde arten- und funktionsreiche Ökosysteme etwa tragen viel zur Minderung des Klimawandels bei.“
Laut der Übersichtsstudie haben menschliche Aktivitäten rund 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Ozeangebiete der Erde stark verändert. Durch Zerstörung von Lebensräumen und Übernutzung sind mehr Arten vom Aussterben bedroht als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit, was durch den Klimawandel weiter verstärkt wird. Die Erwärmung und die Zerstörung natürlicher Lebensräume reduzierten auch die Speicherkapazitäten von Organismen, Böden und Sedimenten für Kohlenstoff, was wiederum die Klimakrise verschärfe, so die Forschenden. Weil Organismen bestimmte Toleranzfenster für Umweltbedingungen wie die Temperatur haben, verschieben sich infolge der globalen Erwärmung die Lebensräume der Arten oder sie verschwinden ganz.
Renaturierung mindert Artensterben und bindet CO2
Um der Klima- und Biodiversitätskrise zu begegnen, schlagen die Forschenden ein Aktionspaket aus Emissionsreduktion, Renaturierungs- und Schutzmaßnahmen, intelligentem Management von Nutzflächen sowie institutionsübergreifenden Kompetenzen in der Politik vor. „Ganz oben auf der Prioritätenliste steht natürlich nach wie vor die massive Reduktion der Treibhausgasemissionen und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels“, sagt Professor Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und Leitautor der Studie. Darüber hinaus müssten mindestens 30 Prozent der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen unter Schutz gestellt oder renaturiert werden, um die größten Biodiversitätsverluste zu vermeiden und die Funktionsfähigkeit der natürlichen Ökosysteme zu erhalten. Das helfe auch im Kampf gegen den Klimawandel. „Die tatsächliche Umsetzung des vor Weihnachten 2022 beschlossenen Kunming-Montreal Protokolls zum Schutz der Biodiversität hat daher ebenso hohe Priorität wie das Pariser Klimaabkommen“, betont Arneth.
Laut der Studie könnte schon eine weitgehende Renaturierung von 15 Prozent der zu Nutzland umgeformten Flächen ausreichen, um 60 Prozent der noch zu erwartenden Aussterbeereignisse zu verhindern. Zudem könnten damit bis zu 300 Gigatonnen Kohlendioxid langfristig aus der Atmosphäre entnommen und gebunden werden, was 12 Prozent des seit Beginn des Industriezeitalters insgesamt ausgestoßenen Kohlenstoffs entspräche.
Nachhaltige Maßnahmen schonen Ressourcen, sichern die Lebensmittelversorgung und verstärken die CO2-Aufnahme
Weiterhin schlagen die Studienautorinnen und -autoren vor, Schutzgebiete nicht als isolierte Rettungsinseln für Artenvielfalt zu begreifen, sondern als Teil eines Netzwerks, das Gebiete mit naturnaher Wildnis über Migrationskorridore miteinander verbindet. Dabei gelte es, vor allem indigene Gesellschaften in das Schutzmanagement einzubinden und staatlich zu unterstützen. In der Landwirtschaft und Fischerei gehe es um ein nachhaltiges Nutzen der Flächen, das Ressourcen schont und die Lebensmittelversorgung sichert. Konzepte, die zu einer verstärkten Kohlendioxidaufnahme und Kohlenstoffbindung in Biomasse und Böden führen, seien dabei zu bevorzugen. Zugleich gehe es darum, Refugien für Arten zu schaffen, die ihrerseits den Ertrag erst möglich machen, wie Insekten, die Obstbäume bestäuben. In Städten schließlich sollte nach Einschätzung der Forschenden vor allem die Verbesserung der Kohlendioxid-Bilanz absolute Priorität haben.
Damit die für 2030 und 2050 geplanten globalen Biodiversitäts-, Klima- und Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können, müssen bei allen Maßnahmen Klimaschutz, Biodiversitätserhalt und soziale Vorteile für die lokale Bevölkerung zusammengedacht werden, so das Fazit der Studie.
Zusammenarbeit
Die Studie ist das Ergebnis eines Workshops, den die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) und das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC), beide auch bekannt als „Weltbiodiversitätsrat“ und „Weltklimarat“, gemeinsam durchführten.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Karlsruher Instituts für Technologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.