Giftpilz
Als Giftpilze werden Großpilze bezeichnet – also größere Arten, meist mit Hut und Stiel, im Gegensatz zu Schimmelpilzen –, die nach Verzehr beim Menschen gesundheitliche Schädigungen bis hin zum Tod hervorrufen können.
Allgemeines
In Europa sind von den etwa 5000 Großpilzen etwa 150 Pilzarten als giftig bekannt. Davon sind nur wenige Arten tatsächlich lebensgefährlich giftig. Der gefährlichste und bekannteste Giftpilz ist der Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides). Ebenfalls tödlich giftig ist der Orangefuchsige Raukopf (Cortinarius orellanus) sowie der Spitzgebuckelte Raukopf (Cortinarius rubellus). Da viele der kulinarisch wertlosen, kleineren Pilzarten noch nicht ausreichend untersucht wurden, ist davon auszugehen, dass es noch viele unentdeckte giftige Pilze gibt.
Manche Arten sind nur für wenige Personen giftig wie der Kahle Krempling (Paxillus involutus), der von manchen Personen jahrelang gut vertragen wird, aber schließlich einen allergischen Schock auslösen kann. Trotzdem wird dieser Pilz in Teilen von Deutschland und auch in Osteuropa noch häufig gegessen. Obwohl viele Personen ihn jahrelang ohne Schaden verzehren, ist seine Giftigkeit durch ein Antigen, welches zur Antikörperbildung im Blut führt, eindeutig belegt. Daher ist er von der Liste der essbaren Pilze schon lange gestrichen worden. Ein weiteres Beispiel ist der Grünling (Tricholoma equestre), der in seltenen Fällen bei einer entsprechenden genetischen Veranlagung eine bis zum Tode führende Muskelschwäche (Rhabdomyolyse) hervorrufen kann.
Andere Pilze enthalten mutagene Substanzen, die keine akuten Vergiftungserscheinungen hervorrufen, jedoch über längere Zeit hinweg zu Erbgutschädigungen führen können. Als Beispiel hierfür sei der Weiße Büschelrasling genannt.
Wenige Pilze wirken bei zusätzlichem Genuss von Alkohol auch bis nach drei Tagen giftig wie der Faltentintling.
Besonders häufig treten Giftpilze in den folgenden Gattungen auf: Haarschleierlinge, Häublinge, Risspilze, Rötlinge, Trichterlinge, Schirmlinge und Wulstlinge. Wenige giftige Arten gibt es bei den ehemals als Röhrlinge bezeichneten Dickröhrlingsverwandten.
Als Kuriosum gilt noch der Fall der Frühjahrslorchel (Gyromitra esculenta). Dieser wirkliche Giftpilz wird in Nord- und Osteuropa gerne gesammelt und nach entsprechender Kochprozedur (mehrmaliges Aufkochen und Verwerfen des Kochwassers) gegessen. Auch hier treten individuell unterschiedliche Reaktionen auf: dem Einen schmeckt er ohne Nachwirkungen, ein anderer kann vom gleichen Gericht leichte bis schwere Vergiftungserscheinungen davon tragen.
Bemerkenswerterweise können Giftpilze vielen Schnecken, Insekten und vielen anderen Tieren schadlos als Nahrung dienen. So werden beispielsweise Knollenblätterpilze gerne von Pilzfliegen befallen.
Verhalten gegenüber unbekannten Arten
Bevor ein unbekannter Pilz zum Verzehr verwendet wird, sollte er zumindest von einem ausgewiesenen Experten (Pilzberatungsstelle) bestimmt werden.
Kinder sollten an „experimentellen“ bzw. probeweise erfolgenden Verkostungen von nicht eindeutig bekannten Pilzmahlzeiten nicht teilnehmen, da Kinder aufgrund ihres geringeren Körpergewichts und ihrer im Wachstum befindlichen Organe besonders gefährdet wären.
„Faustregeln“ und volkstümliche Tipps – wie die Verfärbung eines Silberlöffels beim Mitkochen – taugen keinesfalls zur Erkennung von Giftpilzen und gelten daher als grobe Fahrlässigkeit. Beim Kochen von Knollenblätterpilzen beispielsweise verfärbt sich ein Silberlöffel nicht.
Sonderfall rohe Pilze
Eine große Anzahl von Pilzen enthält Hämolysine (= blutauflösende Stoffe) und andere hitzelabile giftige Substanzen. Sie sind somit im rohen Zustand mehr oder weniger giftig. Diese werden traditionell nicht zu den Giftpilzen gerechnet, da Pilze – von wenigen Ausnahmen abgesehen – generell gut gekocht oder durchgebraten verzehrt werden sollten. Bei Wildpilzen besteht bei unzureichender Erhitzung zudem die theoretische Gefahr einer Infektion mit dem Fuchsbandwurm.
Zu den roh giftigen Pilzen zählen insbesondere viele bekannte Speisepilze wie Maronenröhrling, Hallimasch, Perlpilz und Parasol. Auch Kulturpilze wie der Austernseitling oder Shiitake sollten vor dem Verzehr erhitzt werden.
Umweltgifte in Pilzen
- Radioaktivität: Obwohl das Reaktorunglück von Tschernobyl sich schon 1986 ereignete, sind immer noch einige Pilze überdurchschnittlich hoch mit Caesium 137 belastet. Die gemessenen Werte sind zwar schon zurückgegangen, doch sie variieren regional sehr stark. Daher sollten Maronenröhrlinge, Frostschnecklinge, Reifpilze (auch als Zigeuner bekannt) und Trompetenpfifferlinge nicht in großen Mengen verzehrt werden, da vor allem diese Speisepilze Caesium in besonders hohem Maße anreichern können. Des Weiteren besteht eine erhöhte Grundbelastung durch die oberirdischen Atomtests der 50er- und 60er-Jahre. Jedoch lassen sich teils enorme Schwankungen der Belastung auch innerhalb einer Art damit nicht erklären. Weitere Faktoren für den Grad der Belastung sind Wald- und Bodenart, Bodenparameter wie pH-Wert und Feuchtigkeit sowie die herrschenden Wetterbedingungen. Bei Mykorrhizapilzen und Parasiten spielen auch die physiologischen Eigenschaften des Symbionten beziehungsweise der Wirtspflanze eine Rolle.[1] Nähere Informationen hierzu gibt es beim Umweltinstitut München und beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
- Schwermetalle: Pilze, die entlang stark befahrener Straßen oder auf mit Klärschlamm gedüngten Feldern wachsen, reichern sich besonders mit schädlichen Schwermetallen an (Blei, Cadmium) und tragen so bei Verzehr zu einer erhöhten Gesundheitsbelastung bei. Zu den Schwermetall anreichernden Arten gehören bekannte Speisepilze wie der Weiße Anischampignon, der Parasol und der Fichtensteinpilz; Arten, die keine Schwermetalle anreichern, sind der Wiesenchampignon, Hexenröhrlinge, Morcheln und alle holzbewohnenden Pilze.[2] Der Bleigehalt ist in saprophytisch lebenden Arten höher als in Mykorrhiza-Pilzen.[3]
- Pflanzenschutzmittel: Innerhalb oder am Rande von intensiv bewirtschafteten Kulturen (Mais, Obst, Hopfen, Wein, …) besteht eine erhöhte Rückstandsgefahr an Pestiziden und Herbiziden, die von Pilzen aufgenommen werden und somit in den menschlichen Körper gelangen können.
Widersprüchliches
Für einige Pilzarten existieren widersprüchliche Angaben über deren Genusswert beziehungsweise Giftigkeit.
- Nebelkappe (Clitocybe nebularis): die Angaben schwanken von Autor zu Autor und von Land zu Land. In den Vereinigten Staaten gilt er generell als giftig, in Frankreich ist er ein beliebter Speisepilz, in Deutschland herrscht weitgehende Uneinigkeit. Roh ist dieser Pilz in jedem Fall giftig, gekocht wird er wohl von einigen Menschen vertragen, von anderen wiederum nicht. Daher sollte man auf seinen Genuss verzichten, vor allem da sein geschmacklicher Wert auch nicht besonders groß ist.
- Netzstieliger Hexenröhrling (Boletus luridus): roh ist er in jedem Fall giftig. Für gekochte oder gebratene Pilze reicht das Spektrum der Angaben zur Genießbarkeit von "sehr gut" über "giftig bei gleichzeitigem Alkoholkonsum" bis "giftig". Wer auf diesen manchmal ergiebigen Pilz partout nicht verzichten will, sollte ihn daher mindestens zwanzig Minuten kräftig erhitzen oder kochen und zur Mahlzeit möglichst keinen Alkohol einnehmen. Vorsichtshalber sollte auf seinen Genuss verzichtet werden.
- Glimmertintling (Coprinus micaceus): er ist mit dem Faltentintling nah verwandt, der zusammen mit Alkohol giftig wirkt. Ein ähnlicher Zusammenhang konnte jedoch beim Glimmertintling trotz anderslautender Literaturangaben bisher nicht beobachtet werden. Fazit: essbar.
Die Liste ließe sich noch um etliche Fälle erweitern. Als Ursache für derart widersprüchliche Angaben werden individuelle Unverträglichkeiten vermutet, die dann ungeprüft verallgemeinert wurden.
Notrufnummern bei Pilzvergiftungen
- vgl. Giftnotruf
Symptome einer Pilzvergiftung
Folgende Symptome treten häufig nach einer Pilzvergiftung durch Giftpilze oder verdorbene Pilze auf, können aber auch Symptome einer anderweitig verursachten Lebensmittelvergiftung sein:
- Übelkeit und Erbrechen
- Benommenheit, Verwirrtheitszustände, Wahrnehmungsstörungen
- Rauschzustände, Halluzinationen
- Schweißausbrüche
- Schwindel, Gleichgewichtsstörungen
- Herzrasen
- Durchfall
- Magenschmerzen
- Bauchschmerzen
- asthmatische Atembeschwerden
Das zeitliche Auftreten der Symptome hängt davon ab, welcher Pilz der Auslöser war. Muscarin-haltige Pilze wie z.B. der Ziegelrote Rißpilz führen fast umgehend zu Übelkeit und Erbrechen. Bei anderen Pilzvergiftungen – vor allem durch die besonders gefährlichen Knollenblätterpilze – treten die Symptome frühestens nach sechs Stunden auf. In seltenen Fällen können Vergiftungsanzeichen auch nach mehr als 24 Stunden auftreten (bei Intoxikation mit dem Orangefuchsigen Schleierling).
Maßnahmen bei einer Vergiftung
- bei Verdacht auf eine Pilzvergiftung umgehend den ärztlichen Notdienst, den Hausarzt, das Krankenhaus oder den Giftnotruf alarmieren.
- Niemals ohne Rückfrage bei Giftinformationszentrum oder anderem Arzt Erbrechen auslösen!
- betroffene Personen beruhigen und bei Bewusstlosigkeit in die stabile Seitenlage bringen.
- Reste der Pilzmahlzeit oder Überbleibsel von der Pilzreinigung, eventuell Erbrochenes sicherstellen.
- Erfragen, wie lange die Pilzmahlzeit zurücklag und wann die ersten Symptome auftraten
- Keine Hausmittel (Milch, Salzwasser, Kohletabletten etc.) anwenden.
Siehe auch: Liste der Giftpilze, Pilzvergiftung, Pilzgifte, Acromelalga, Pilzsammler, Speisepilz
Gezielte Einnahme als Droge
Siehe: Halluzinogene Pilze
Literatur
- René Flammer, Egon Horak: Giftpilze – Pilzgifte. Pilzvergiftungen. Ein Nachschlagewerk für Ärzte, Apotheker, Biologen, Mykologen, Pilzexperten und Pilzsammler. Schwabe, Basel 2003, ISBN 3-7965-2008-1
- Roth, Frank, Kormann: Giftpilze, Pilzgifte - Schimmelpilze, Mykotoxine. Nikol, Hamburg 1990, ISBN 3-933203-42-2
Weblinks
- Pilz-Informationsdienst der Toxikologischen Abteilung des Klinikums Rechts der Isar
- Giftpilze bei www.gifte.de
- Giftpilze - Pilzgifte des Pilzvereins Augsburg Königsbrunn
- Die wichtigsten Giftpilze
Einzelnachweise
- ↑ Radioaktivität und Strahlung in Österreich 2005 und 2006. Daten und Bewertung. Republik Österreich, BMG Sektion III, BMLFUW Sektion V, Mai 2009. S. 57 f.
- ↑ Jochen Kurth: Pilze nach Jahreszeiten. Verlag für die Frau, Leipzig 1990. S. 22
- ↑ P. K. Ouzouni, K. A. Riganakos: Nutritional value and metal content profile of Greek wild edible fungi. In: Acta Alimentaria. 36 (1). 2007. S 99–110. doi:10.1556/AAlim.36.2007.1.11. S. 107