Noonan-Syndrom


Klassifikation nach ICD-10
Q87.1 Angeborene Fehlbildungssyndrome, die vorwiegend mit Kleinwuchs einhergehen
  • Noonan-Syndrom
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Noonan-Syndrom ist ein komplexes Syndrom, das durch eine Vielzahl von genetischen Entwicklungsbesonderheiten gekennzeichnet ist. Die Fehlbildungen können das äußere Erscheinungsbild betreffen, aber auch innere Organe. So sind angeborene Herzfehler typisch. Da die feststellbaren Symptome denen des Ullrich-Turner-Syndroms sehr ähnlich sind, bezeichnet man das Noonan-Syndrom auch als „Pseudo-Turner-Syndrom“ oder „Male-Turner-Syndrom“. Im Gegensatz zum Ullrich-Turner-Syndrom sind jedoch keine Besonderheiten der Chromosomen (in Bezug auf Anzahl und Struktur) nachweisbar.

Die Bezeichnung „Noonan-Syndrom“ geht auf die US-amerikanische Kinderkardiologin Jacqueline Noonan zurück, die dem Syndrom 1963 ihren Namen gab.

Ursachen

Bei einem Großteil der Menschen mit dem Noonan-Syndrom liegen Veränderungen (Mutationen) des PTPN-11-Gens vor, das sich auf dem langen Arm von Chromosom 12 befindet. Dieses Gen ist verantwortlich für ein Protein (SHP-2), das eine zentrale Funktion in der Wachstumsregulation ausübt, und beeinflusst eine Vielzahl von Stoffwechsel- und Wachstumsvorgängen. Viele dieser Vorgänge werden über die Aktivierung der mitogen-activated protein kinase-Kaskade (MAP-Kinase-Weg) reguliert. Inzwischen sind auch in der Proteinkinase RAF1, die am oberen Ende des MAP-Kinase-Wegs steht, Mutationen in Noonan-Patienten gefunden worden.

Da man nach bisherigen Daten in 40 bis 50 % der Fälle Mutationen im SHP2-Gen findet, ist es möglich, durch eine molekulargenetische Untersuchung bei Verdacht auf das Noonan-Syndrom eine exakte Diagnose zu stellen.

Es ist zu erwarten, dass für die verbleibenden Fälle weitere verantwortliche Gene im MAP-Kinase-Weg identifiziert werden.

Vererbung

Die Fälle sind überwiegend sporadisch (ca. 50 %), d. h., dass Eltern betroffener Kinder selber nicht Träger des Noonan-Syndroms sind. Bei den übrigen Menschen wird das Noonan-Syndrom vererbt, wobei der Erbgang der Genmutation autosomal-dominant verläuft (Autosomen = alle Chromosomen außer den Geschlechtschromosomen). Dies bedeutet, dass bei einem betroffenen Elternteil die Auftrittswahrscheinlichkeit für Kinder bei 50 % liegt (beide Eltern à 75 %).

Die Übertragung geschieht in der Regel durch die Mutter (3:1), da männliche Personen mit dem Noonan-Syndrom meistens unfruchtbar sind.

Häufigkeit

Das Noonan-Syndrom ist relativ häufig. Angaben über die Häufigkeit reichen von 1:500 bis 1:2500. In Deutschland sind ca. 80.000 Personen betroffen. Das Syndrom betrifft beide Geschlechter gleich häufig und ist nach dem Down-Syndrom (Trisomie 21) die zweithäufigste genetische Ursache, die gehäuft zum Auftreten eines Herzfehlers führt.

Diagnose und Symptome

Die vielgestaltige Ausprägungen, die das Noonan-Syndrom annehmen kann, erschweren die klinische Diagnose. Viele der milderen Fälle werden vermutlich nie diagnostiziert.

Die molekulargenetische Befundung des PTPN-11-Gens kann heute zur Sicherung der Verdachtsdiagnose herangezogen werden. Allerdings haben nur etwa 50 % die gesuchte Mutation. Vor allem lässt die Analyse des Gens bei den Eltern auch eine bessere Einschätzung des Risikos für Folgeschwangerschaften zu. Auch eine vorgeburtliche Diagnose ist bei konkretem Verdacht im Rahmen von Pränataldiagnostik z. B. durch Amniozentese möglich.

Symptomatik

12-jähriges Mädchen mit Noonan-Syndrom und ausgeprägter Skoliose

Durch die Fehlinformationen auf dem betroffenen Gen werden verschiedene Symptome und Erkrankungen ausgelöst. Nicht alle Merkmale treten bei allen Kindern auf und in gleicher Ausprägung und mit steigendem Alter werden die Symptome zunehmend unauffälliger. Das macht eine eindeutige Diagnose noch schwieriger.

Viele Symptome erinnern, wie bereits erwähnt, an das Ullrich-Turner-Syndrom. Dazu gehören in erster Linie Minderwuchs, der beim Noonan-Syndrom allerdings weniger stark ausgeprägt ist, der tiefe Haaransatz im Nacken, sowie gelegentlich das Pterygium colli oder „Flügelfell“. Darunter versteht man eine verbreiterte Nackenhaut mit zur Schulter ziehender Falte.

Die häufigsten möglichen Symptome seien im Folgenden stichwortartig zusammengefasst:

  • Wachstumsverzögerungen, Minderwuchs (bei 40 %) / Durchschnittsgröße bei der Geburt: ca. 47 cm
  • Weit auseinander liegende Augen (Hypertelorismus) (bei 95 %)
  • Hängende Augenlider (Ptosis)
  • geschrägte Lidachsen
  • zusätzliche Hautfalte in der inneren Lidwinkeln (Epikanthus medialis)
  • Unübliche Hornhautkrümmung (Keratokonus)
  • Schielen (Strabismus)
  • Breite Nasenflügel
  • Ausgeprägtes Philtrum / Einbuchtung in der Mitte der Oberlippe (bei 95 %)
  • Hoher Gaumen,
  • Kleine Kiefer (Mikrogenie),
  • Zahnfehlstellungen
  • Nach hinten gekippte, tief ansetzende Ohren (bei 90 %)
  • Auffallend modellierte Ohrmuscheln („Krempe“)
  • Gelegentlich Schwerhörigkeit
  • Tiefer Haaransatz (häufig lockiges Haar)
  • Pterygium colli („Flügelfell“, s.o.)
  • Vertiefung oder Wölbung des Brustbeins („Trichterbrust“)
  • weit auseinander liegende Brustwarzen (Mamillen)
  • Gelegentlich Skoliose (S-förmig gebogene Wirbelsäule)
  • Vergrößerter Haltungswinkel der Arme (Cubitus valgus)
  • Vierfingerfurche
  • Bei Jungen Unterentwicklung der äußeren Geschlechtsorgane
  • Fehlender Eintritt der Hoden in den Hodensack (Kryptorchismus)
  • Herzfehler (bei 80 %), z. B. Verengung der Lungenschlagader (Pulmonalstenose), Verdickung des Herzmuskels (hypertrophe Kardiomyopathie)

Therapie

Es ist lediglich eine symptomatische Therapie des Noonan-Syndroms möglich, z. B. eine operative Korrektur von Herzfehlern oder des Pterygiums, Tragen von Brillen oder Hörgeräten, Behandlung von Sprachfehlern durch Logopädie oder eine Hormontherapie gegen die Kleinwüchsigkeit. Eine ursächliche Behandlung zur Heilung gibt es zur Zeit nicht.

Lernschwierigkeiten und kognitive Einschränkungen

Während die Mehrzahl der Personen mit Noonan-Syndrom einen durchschnittlichen IQ haben, haben ungefähr ein Drittel eine leichte kognitive Behinderung (IQ zwischen 69 und 82): „Die gewöhnlichste Lernschwierigkeit bei Kindern mit Noonan-Syndrom ist die Schwierigkeit in der mündlichen Argumentation. Kein spezifisches Verhaltensmuster ist identifiziert worden, obwohl betroffene Personen häufig Zeichen von Ungeschicklichkeit, Widerspenstigkeit und Reizbarkeit zeigen.“

Literatur

  • G. Neuhäuser, H.-C. Steinhausen (Hrsg.): Geistige Behinderung – Grundlagen, Klinische Syndrome, Behandlung und Rehabilitation. Stuttgart/Berlin/Köln 1999
  • SA Yatsenko, M del Valle Torrado, PH Fernandes, J Wiszniewska, M Gallego, J Herrera, CA. Bacino: Molecular characterization of a balanced rearrangement of chromosome 12 in two siblings with Noonan syndrome. In: American journal of medical genetics, Part A, Dec. 2009, PMID 19938085. Baylor College of Medicine, Houston, Texas, USA.

Weblinks

  • Noonan-Syndrom. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  • VB Gerritsen: the matchmaker. In: protein spotlight. SIB, abgerufen am 23. September 2010.

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