Ringelwürmer



Ringelwürmer

Regenwurm

Systematik
Unterreich: Vielzellige Tiere (Metazoa)
Abteilung: Gewebetiere (Eumetazoa)
Unterabteilung: Bilateria
ohne Rang: Urmünder (Protostomia)
Überstamm: Lophotrochozoen (Lophotrochozoa)
Stamm: Ringelwürmer
Wissenschaftlicher Name
Annelida
Lamarck, 1809

Die Ringelwürmer (Annelida[1]) oder auch Gliederwürmer bilden aufgrund ihres eigenständigen Bauplans einen Stamm innerhalb der Stammgruppe der Lophotrochozoen (Lophotrochozoa), die zu den Urmündern (Protostomia) gehören. Ringelwürmer werden in zwei Klassen eingeteilt: Vielborster (Polychaeta) und Gürtelwürmer (Clitellata), die sich in Wenigborster (Oligochaeta) und Egel (Hirudinea) aufteilen. Insgesamt gibt es etwa 18.000 verschiedene Arten. Die größten bekannten Arten sind der in Australien beheimatete Riesenregenwurm Megascolides australis, der eine Länge von bis zu 3 Metern erreichen kann, sowie der Meereswurm Eunice aphroditois mit einer ähnlichen Länge und bis zu 1000 Einzelsegmenten. Die kleinsten Arten leben im Grundwasser und in der Sandlückenfauna und erreichen Längen von 300 Mikrometern (Gattung Diurodrilus), die Zwergmännchen der Art Dinophilus gyrociliatus werden sogar nur 50 Mikrometer lang.

Aufbau

Die wichtigsten evolutionären Änderungen gegenüber den Bauplänen einfacher gebauter wurmförmiger Tiere, sind bei den Anneliden das Coelom und die Segmentierung. Das Coelom ermöglicht Platz für komplexe Organe und erlaubt neuartige differenzierte Bewegungsformen. Hautmuskelschlauch und Eingeweidemuskulatur können unabhängige Bewegungen vollführen. Durch die Segmentierung ist es möglich, einzelne Segmentabschnitte für bestimmte Aufgaben zu spezialisieren (heteronome Segmentierung). Insgesamt lässt sich der Ringelwurm in drei Regionen aufteilen:

  1. Kopf (Prostomium und Peristomium)
  2. Rumpf (gleichartige Segmente)
  3. Hinterende (Pygidium)

Diese Einteilung kann bei einigen Gruppen nicht mehr klar erkennbar sein.

Segmente und Parapodien

Parapodium mit Borsten bei einem Polychaeten

Wie die deutsche Bezeichnung „Ringelwurm“ bereits beschreibt, besteht er aus mehreren Ringen, so genannten Segmenten. An den einzelnen Segmenten befinden sich, vor allem bei den Polychaeten gut ausgeprägt, paarförmige laterale Stummelfüße (Parapodien) die mit Borsten, den so genannten Chaetae, durchzogen sind. Die Parapodien sind Ausstülpungen der Körperwand, in die sich die Leibeshöhle ausdehnt und in die sich Muskeln ziehen. Die Segmente werden nacheinander an der Sprossungszone vor dem Körperhinterende gebildet (Teloblastie). Bei manchen Arten ist die Anzahl der Segmente bei allen Individuen konstant, bei anderen Arten schwankt die Anzahl um wenige Segmente. Die meisten Ringelwürmer leben im Wasser, einige Arten (vor allem größere) besitzen auch Kiemen, diese sitzen meistens an den Parapodien.

Leibeshöhle und Fortbewegung

Die sekundäre Leibeshöhle (Coelom) des segmentierten Körpers, die bei den Ringelwürmern das erste Mal in der Evolution auftaucht, ist vollständig mit Flüssigkeit gefüllt und wird von einem geraden, rohrartigen Darm durchzogen. Das hydrostatische Skelett ermöglicht im Zusammenspiel mit den Ringmuskeln, den Längsmuskeln und den Borsten ein effektives Fortbewegungssystem. „Errante“, also nicht in Röhren oder Bauten lebende Ringelwürmer, erhalten durch dieses System ihr typisches Fortbewegungsmuster. Je nach Lebensraum und zum Teil auch nach unterschiedlicher Lebensphase können Anneliden kriechen, schwimmen, sich schlängeln oder auch undulieren (rhythmische Bewegung um für Wasserdurchströmung in Wohnröhren und damit für Durchlüftung zu sorgen).

Blutkreislauf und Nervensystem

Vielborster: sessile Kalkröhrenwürmer (Weihnachtsbaumwurm) auf einem Korallenriff

Das Blutgefäßsystem ist geschlossen und besteht aus einem Rücken- und einem Bauchgefäß. Das Bauchgefäß führt das Blut von vorne nach hinten, das Rückensystem liegt oberhalb des Darms und führt das Blut von hinten nach vorne. Meist ist das Rückengefäß kontraktil und manchmal auch doppelt vorhanden. Die Längsgefäße werden häufig durch Seitengefäße verbunden. Es besteht kein Endothel, das Blut fließt in den Spalträumen zwischen aneinandergrenzenden Geweben. Als Atmungspigmente wurden Hämoglobine, Chlorocruorin (grün) und Hämerythrin (violett) nachgewiesen. Der Gasaustausch und damit auch die Atmung erfolgt über die Haut.

Vor allem bei ursprünglich gebauten Ringelwürmern findet eine Cephalisation statt. Die neuronalen Zentren werden ursprünglich im Kopfbereich (Prostomium) zusammen mit den wichtigsten Sinneszellen als Oberschlundganglion konzentriert. Das Prostomium ist mit Licht- und Chemorezeptororganen und beweglichen Anhängen ausgerüstet. Auf diesen Anhängen (Palpen und Antennen) befinden sich ebenfalls Rezeptoren. Zur Steuerung der einzelnen Segmente finden sich aber nach wie vor Anhäufungen von Nervenzellen, sogenannte Ganglien, paarig in den einzelnen Segmenten. Auch hier kann es zur Konzentration von Ganglien kommen. Das für die Anneliden typische Strickleiternervensystem findet sich als Bauchmark auf der ventralen Seite dieser Tiere. Die in Lehrbüchern oft schematisch dargestellte Nervenstrickleiter ist im präparierten Tier nicht ohne weiteres zu erkennen. Mit bloßem Auge sieht man auch bei großen Ringelwürmern nur eine Ansammlung von Nervenfasern die auf den ersten Blick keiner Strickleiter ähnelt. Dies liegt daran, dass bei diesen Taxa die Nervenstränge zu einem einheitlichen Strang verschmolzen sind, oder die Nervenzellkörper verteilen sich über die Konnektive. An das Prostomium schließt sich das Peristomium mit der Mundöffnung und weiteren Anhängen an. Diese Anhänge können sekundär fehlen. Auch das Hinterende ist ursprünglich mit Anhängen versehen, auf denen sich Rezeptoren befinden. Augen kommen in vielen Ausprägungen vor – von den zweizelligen Ocellen bis hin zum komplexen Linsenauge (Tomopteris). Am häufigsten liegen sie am Prostomium, können jedoch auch an anderen Stellen (z. B. den Segmenten) vorkommen. Nuchalorgane kommen innerhalb der Anneliden nur bei den Polychaeten vor. Es sind paarige, stark bewimperte Strukturen am hinteren Ende des Prostomiums, die vor allem Chemorezeptoren enthalten.

Epidermis und Hautmuskelschlauch

Die weiche Epidermis der Anneliden besitzt viele Drüsen. Diese Drüsen produzieren beispielsweise Schleime, Sekrete zum Bau von Röhren oder sogar Leuchtsekrete. Die Epidermis wird außen von einer Kutikula umgeben welche meistens ein Gitter aus Kollagenfasern enthält. Die für die meisten Anneliden charakteristischen Borsten, welche beweglich sind, sind ebenfalls Abscheidungen der Epidermis. Das heißt, diese Borsten stehen segmental angeordnet in tiefen Epidermistaschen. Die Anzahl und Form der Borsten ist bei jeder Art sehr konstant und bilden ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Unter der Epidermis verlaufen zwei Muskelschichten: eine Ringmuskelschicht und eine Längsmuskelschicht. Zwischen diesen Schichten können diagonale Fasern liegen. Zu diesen Muskeln kommen diverse weitere Muskeln wie jene, die die Borsten bewegen, Parapodialmuskeln oder Dorsoventralmuskeln. Eine Kräfteübertragung findet durch das wassergefüllte Coelom statt, welches ja mit den Kollagenfasern der Cuticula das hydrostatische Skelett bilden. Die Muskelzellen sind einkernig und gehören zum Typ schräggestreifter Muskulatur.

Darmtrakt und Exkretionsorgane

Der Darmtrakt der Anneliden ist primär ein mit einem einschichtigen Epithel umhülltes Rohr, welches gerade und in drei Abschnitte gegliedert ist. Er zieht sich von der ventralen Mundöffnung am Peristomium bis zum After am Pygidium. Davon ausgehend gibt es je nach Ernährungsweise und Lebensweise viele Variationen.

Die Exkretion erfolgt durch die Nephridien. Ursprünglich sind diese in jedem Segment paarweise vorhanden. Die Mehrzahl der Anneliden besitzt Metanephridien, es kommen jedoch auch Protonephridien vor.

Lebensräume, Ernährung

Pferdeegel (?)

Die Vielborster sind meist Meerestiere. Die festsitzenden Arten (Sedentaria) ernähren sich von Plankton, die freilebenden Arten (Errantia) ernähren sich meist räuberisch oder als Weidegänger. Einige Vielborster sind zwar grundsätzlich freibeweglich, werden jedoch zu den Sedentaria gezählt, weil sie in Röhren leben und an eine ortsgebundene Lebensweise angepasst sind, wie der Pier- oder Wattwurm (Arenicola marina). Sie und auch die zu den Wenigborstern gehörenden Regenwürmer wie Lumbricus terrestris ernähren sich von Bakterien und organischen Stoffen, indem sie das umgebende Substrat fressen und die nährstoffreichen Anteile verdauen. Regenwürmer und Wattwürmer sind damit erheblich an der Umwälzung und Auflockerung der bewohnten Böden beteiligt. Auch die vorwiegend im Süßwasser vorkommenden Egel gehören zu den Anneliden. Sie sind entweder blutsaugende Ektoparasiten (beispielsweise erwachsene Tiere des Medizinischen Blutegels, Fischegel und Schneckenegel) oder leben räuberisch (beispielsweise Pferdeegel, Rollegel).

Fortpflanzung

Die Fortpflanzung der Ringelwürmer ist äußerst vielgestaltig. Es gibt zwittrige und geschlechtliche Fortpflanzung, lebend gebärende Arten, Larvalentwicklung, Sprossung, Generationswechsel. Je nach Lebensweise haben sich passende Formen der Fortpflanzung herausgebildet.

Reparative Regeneration

Die Möglichkeit, Amputationen durch neue Sprossungszonen zu reparieren ist bei den Anneliden weit entwickelt und wird von ihnen auch zur Fortpflanzung genutzt. Bei einigen Arten reicht ein einzelnes Segment um die restlichen fehlenden zu ergänzen. Regenerierende Regenwürmer verfallen in eine Körperstarre.

Geschlechtliche Fortpflanzung

Die geschlechtliche Fortpflanzung der Anneliden findet ursprünglich frei im Wasser statt. Das heißt, die Gameten werden ins Wasser abgegeben und verschmelzen dort. Die direkte Übertragung des Spermas auf den Geschlechtspartner hat sich hiervon mehrfach unabhängig voneinander entwickelt, und einige Arten besitzen äußere Geschlechtsorgane.

Larvalentwicklung

Ursprünglich geht die Larvalentwicklung über eine Trochophora-Larve. Eine Reihe von Polychaeten und alle Clitellaten entwickeln sich jedoch direkt.

Systematik

Die Spritzwürmer, die Igelwürmer und die Bartwürmer galten bis vor kurzem als eigenständige Stämme, bzw. ihre systematische Einordnung war lange umstritten, und wurden erst vor kurzem den Ringelwürmer zugeordnet. Die Bartwürmer besitzen wie alle Anneliden bewimperte Trochophoralarven. Daneben verweisen auch die Segmentierung des Endstücks und das Sauerstofftransportmolekül Hämoglobin auf eine Einordnung in die Ringelwürmer.

Literatur

  • Wilfried Westheide, Reinhard Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie, Band 1. Spektrum Akademischer Verlag 2003, ISBN 3-8274-1482-2

Weblinks

Commons: Annelida – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkung

  1. Aus der Sicht des klassischen Latein müsste der Name „Anellida“ lauten, abgeleitet von (lat.) anellus „kleiner Ring“ (vgl. anus „After“ [Ringmuskel]); Annelida beruht jedoch auf annulus „Ring“ (nachklassisches Latein).