Superantigen


Superantigene (SAG) umfassen einen Komplex von Toxinen, deren Verhalten weitab von dem Verhalten konventioneller Antigene liegt. Dennoch haben sie antigene Eigenschaften. SAG bewirken eine Dysregulation des Immunsystems, die immer in gleicher Weise abläuft. Sie sind die potentesten Aktivatoren von menschlichen T-Lymphozyten und stehen im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Krankheiten, welche sich auf die T-Zelltoxizität und den unkontrollierten Zytokinausstoß zurückführen lassen. Ihre Potenz ist darin zu sehen, dass sie schon bei extrem niedrigen Konzentrationen (10−12 bis 10−9 mg mL−1) eine sehr hohe Aktivität besitzen. Für das Streptokokken-SAG SMEZ-2 lässt sich eine Aktivität im Bereich Femtogramm pro Milliliter nachweisen, womit dies bis dato (2005) das potenteste unter den bakteriellen SAG ist.

Superantigen-Produzenten

Bakterielle Superantigene

Unter den SAG-Bildnern sind vorrangig Bakterien zu finden. Insbesondere die gram-positiven Bakterien sind dabei von erheblicher Bedeutung. Die Superantigene TSST (Toxic shock Syndrom Toxin) von Staphylococcus aureus und SPE (Streptokokken pyogenes Exotoxin) von invasiven Streptococcus pyogenes gelten für den Menschen weithin als Toxine mit hoher Letalität. Ca. 1% der Staphylococcus aureus bilden das TSST-1, welches über Interleukin und TNF-Alpha Freisetzung aus Makrophagen zum septischen Schock führt. Es ist wichtig hierbei das TSST von S. aureus von SSSS (Staphylococcal scalded skin syndrome) produzierende Stämmen zu unterscheiden. SSSS als sogenanntes exfoliatives Toxin kann bei Kleinkindern die Ritter-Krankheit verursachen kann. [1] Streptokokken der Gruppen C und G wurden ebenfalls als potentielle Toxinbildner identifiziert, jedoch scheint sich deren Bedeutung auf Tiere zu beschränken. Unter den gram-negativen Mikroorganismen sind die Toxine MAM und YPM von Mycoplasma arthritidis bzw. Yersinia pseudotuberculosis als Superantigene identifiziert worden.

Virale Superantigene

Neben den bakteriellen SAG zieht man weitere putative superantigenartige Toxine in Betracht, die von Viren der Herpes-Familie, dem Maus-Mammatumorvirus (MMTV), Epstein-Barr-Virus (EBV)) und dem humanen Immunschwächevirus 1 (HIV-1) gebildet werden.

Struktur der Superantigene

SAG sind bifunktionelle Moleküle, die simultan die Rezeptorbindungsstellen von Klasse-II-MHC-Molekülen der Antigen-präsentierenden Zellen (APC) mit den T-Zellrezeptor Vβ-Elementen (TCR Vβ) der T-Zellen verbinden können. Dadurch können sie auf negative Weise die Interaktion zwischen Klasse-II-MHC-Molekülen und TCR modulieren, indem sie ein Trimer (MHC-II / SAG / TCR) bilden. Nicht zuletzt die Struktur der Superantigene ist die Ursache für deren hohe Stabilität gegenüber Proteasen und Hitze.

Unterschied zwischen Superantigenen und konventionellen Antigenen

Im Gegensatz zu konventionellen Antigenen, deren Größe sehr stark schwanken kann, sind bakterielle SAGs bezüglich ihrer Molaren Masse, mit einer Größe von 20–30 kDa, recht konstante Moleküle. Bei Streptokokken findet man in der Regel Toxine in einer Größe von 24–28 kDa. Die meisten SAGs sind globuläre Proteine. Strukturanalysen ergaben, dass sie aus einer einzelnen Kette bestehen, geformt aus zwei globulären Domänen. Man geht davon aus, dass die Superantigene der Staphylokokken und Streptokokken gemeinsame Ursprünge haben, zumal man bei Aminosäuresequenzvergleichen Übereinstimmungen von 20 % bis 90 % finden kann.

Superantigene als konventionelle Antigene

SAG wirken auch in vermindertem Maß als konventionelle Antigene. So kann man in Patientenseren auch die Immunglobuline IgE und IgG gegen SAGs nachweisen. Am Beispiel der Staphylokokken-Enterotoxine A, B und TSST-1 konnte gezeigt werden, dass auf diesem Weg eine IgE-vermittelte Histaminfreisetzung stattfindet und somit Entzündungsreaktionen verstärkt werden. In anderen Experimenten trat der bisher noch ungeklärte Effekt auf, dass bei Patienten mit einer S. pyogenes-Infektion eine konstitutive Expression von SPEA (streptococcal superantigen pyrogenic exotoxin A) stattfand. Durch die permanente Bildung von SPEA ist es dem befallenen Organismus auf Dauer theoretisch möglich, neutralisierende Antikörper gegen das Toxin zu bilden. Jedoch konnte im Fall von SPEA im Verlauf einer akuten Erkrankung keine Antikörperbildung nachgewiesen werden, was einen dramatischeren Verlauf zur Folge haben kann. Dass Superantigene auch als klassische Antigene wirken können, ist insofern interessant, als man mit kleinen Mengen oder Toxoiden eine Impfung vornehmen kann. Dieser Ansatz konnte am Tiermodell verifiziert werden. Die Prognose für einen Krankheitsverlauf könnte somit positiver ausfallen.

Mechanismus der Immunstimulation durch Superantigene

Bindungsmodi von Superantigenen mit ihren Zielzellen

Für die Interaktion mit den Zielzellen haben SAG mindestens zwei Klasse-II-MHC-Molekül-Bindungsstellen, die sich unter den SAG unterscheiden. Zur Bindung stehen ihnen dabei eine niedrig affine Bindungsstellen an der α-Kette und/oder hoch affine, zinkabhängige Bindungsstellen an der β-Kette von Klasse-II-MHC-Molekülen zur Verfügung. Die zinkabhängige Bindungsstelle kann entscheidend für die Aktivität des SAG sein. SAG, die zu einer Zinkbindung in der Lage sind, haben C-terminal das primäre Zinkbindemotiv H-X-D, bestehend aus den Aminosäuren Histidin (H), einer beliebigen (X) und Asparaginsäure (D). So ist beispielsweise bei den Superantigenen SPEC, SPEGGAS, SPEH, SPEJ und SMEZ die Zinkbindung an der polymorphen β-Kette der Klasse-II-MHC-Moleküle dominant. Die einzigen bisher bekannten Streptokokken-SAGs ohne Zinkbindung sind SSA und SPEA. Von den Staphylokokken-Enterotoxinen A (SEA) und E (SEE) weiß man, dass sie beide Formen der Bindung kombinieren.

Interaktion von Superantigenen mit ihren Zielzellen

Die Interaktion mit den T-Zellen erfolgt im Wesentlichen über die CDR2- und HV4-Regionen der Vβ-Elemente des TCR, zum Teil unter geringfügigem Einfluss anderer variabler Regionen des TCR. Dies unterscheidet SAG in ihrer Bindung im Vergleich zu konventionellen Antigenen, die dafür die "complementarity determining region" (CDR) nutzen. Die Vβ-Elemente sind beim Menschen auf etwa 50 Gene beschränkt. Von diesen wird gegenwärtig (2005) für nur circa 24 Typen eine starke Interaktion mit SAG beschrieben. Dabei besitzen alle SAG ein spezifisches Profil an unterschiedlichen Erkennungssequenzen von Vβ-Elementen und binden somit unabhängig von der Antigenspezifität an jene T-Zellen, welche die entsprechenden Vβ-Elemente exprimieren. Das ermöglicht SAG mit 5 % bis 20 % aller T-Zellen zu interagieren, so dass es infolge zu einer Hyperproliferation kommt. Im Gegensatz dazu reagieren konventionelle Antigene mit 0,1 ‰ bis 10 ‰ aller T-Zellen.

Bindung der Superantigene an die Zielzellen

Bei konventionellen Antigenen erfolgt zunächst bei der exogenen Aufnahme eine Prozessierung in kleine Peptidfragmente von 9 bis 30 Aminosäuren innerhalb des lysosomalen Kompartiments des Phagosoms der Antigen-präsentierenden Zelle. Nach Fusion von Phagosom und Endosom, das Klasse-II-MHC-Moleküle enthält, erfolgt die Präsentation der Antigenfragmente an der Zelloberfläche. Infolge wird eine spezifische und kontrollierte Immunreaktion mit Proliferation von T-Zellen, Ausstoß von Zytokinen und Antikörperbildung induziert. SAG hingegen sind unabhängig von Prozessierung und Präsentation und binden nicht in der Bindungsgrube, sondern direkt außerhalb an die DR- oder DQ-Domäne der Klasse-II-MHC-Moleküle der APC (B-Zellen, Dendritischen-Zellen, Monozyten). Es findet keine MHC-Restriktion statt, wie sie typischerweise bei Peptidantigenen zu finden ist.

Folgen der superantigen-vermittelten Aktivierung

Durch die superantigen-vermittelte Aktivierung der APC und T-Zellen kommt es innerhalb der ersten Stunden zu massiven systemischen Lymphokinausstößen. Insbesondere die Zytokine TNF-α, gefolgt von Schüben der T-zellprolifertiven Faktoren IL-1, 2, 6 und IFN-gamma, konnten in verschiedenen in vivo- und in vitro-Versuchen dokumentiert werden. Die Interaktion von SAG und Klasse-II-MHC-Molekülen führt zur Aktivierung von Phospholipase C und Proteinkinase C, gesteigerten Zytokingenexpressionen (IL-1, IL-12, TNF-α) und Phosphoinositol-Zusammenbruch. Der abnormale Ausstoß von Lymphokinen scheint die Ursache für das Toxische Schock-Syndrom TSS und eine Reihe anderer Erkrankungen zu sein.

Bedeutung der Superantigene für den Mikroorganismus

Warum Mikroorganismen über so potente Aktivatoren des Immunsystems verfügen, ist noch unklar, da eine Blockierung der Immunreaktion ebenfalls sinnvoll erscheint. So vermutet man, dass die superantigen-vermittelte Stimulation zum Verbrauch von lokal produzierten Interleukin-2 durch T-Zellen führt, wodurch eine effektive Immunantwort gegen Erreger unterdrückt wird. Der massive Zytokinausstoß führt vermutlich auch zu einer verzögerten Erkennung des Bakteriums, wodurch eine effektive Ausbreitung möglich wird. Weiterhin können SAG eine Anergie und/oder Deletion von T-Zellen bewirken, was ebenfalls zu einem effektiven Schutz für den Erreger führt. Von den streptokokken-pyrogenen Exotoxinen A und C und dem Staphylokokken-Enterotoxin B gibt es In vitro-Studien, die belegen, dass diese Toxine die humorale Immunantwort in bestimmten Fällen unterdrücken können und somit auch die Bildung von Antikörpern unterbinden.

Die Verwicklung von Superantigen in Erkrankungen

Krankheiten, deren Assoziation zu Superantigenen vermutet wird

Verschiedene Anhaltspunkte weisen auf die Implikation von SAG mit bestimmten Krankheiten hin oder werden sogar als deren Ätiologie in Betracht gezogen. Jedoch ist für viele Krankheiten die Rolle von SAG noch nicht bewiesen. Bei insulinabhängiger Diabetes mellitus wird eine Beziehung zum T-Zellsuperantigen IDDMK1,222 des Humanen-Endogenen-Retrovirus (HERV) K-18 und zu Enterotoxinen von S. aureus diskutiert. Ähnliches gilt für Autoimmunreaktionen, wie rheumatische Endokarditis, Sjögren-Syndrom, akutes rheumatisches Fieber, rheumatoide Arthritis, Kawasaki-Syndrom und Multiple Sklerose, bei denen ein Zusammenhang mit bakteriellen SAG vermutet wird. Die pyrogenen Exotoxine A, C, G bis J, SSA und Varianten von SMEZ scheinen eine bedeutende Rolle bei akuter Tonsillitis, nekrotisierende Fasziitis, rheumatischem Fieber und Scharlach zu spielen. Die gleiche ungeklärte Rolle haben SAG beim plötzlichen Kindstod (SIDS), bei dem nach Autopsien auffällig oft Stämme von S. aureus, die pyrogene Exotoxine bilden, isoliert werden konnten. Es wird vermutet, dass SAG ebenfalls einen Einfluss bei einigen Hautkrankheiten, wie dem atopischen Ekzem, atopischer Dermatitis und Psoriasis, haben, da bei Patientenproben signifikant erhöhte Mengen an SAG isoliert werden konnten. Für SPE A und C konnte gezeigt werden, dass diese im Zusammenhang mit Psoriasis guttata stehen.

Krankheiten, die im Zusammenhang mit Superantigenen stehen

Unbestritten ist, dass die Enterotoxine A bis M und TSST-1 von S. aureus das Toxische Schocksyndrom (TSS) mit folgendem Multiorganversagen als auch Lebensmittelvergiftungen (außer TSST-1) verursachen können. Gleiches gilt für Streptokokken-SAG, die auch pyrogene Exotoxine genannt werden. Sie verursachen das Streptokokken-induzierte toxische Schocksyndrom und Scharlach.

Einzelnachweise

  1. GK2 Kompakt Grundlagen, 1. Auflage 2008

Weblinks