Curare


Strychnos toxifera, Koehler 1887

Curare stellt eine Sammelbezeichnung verschiedener alkaloider Gifte dar, die von den Indios Südamerikas als Pfeilgift genutzt werden, um Tiere zu jagen. Hergestellt wird Curare aus eingedickten Extrakten von Rinden und Blättern verschiedener südamerikanischer Lianenarten, wobei die Rezepturen der einzelnen Volksgruppen unterschiedlich sind. Nach den Aufbewahrungsformen der Gifte werden sie in Tubo-Curare, Topf-Curare und Calebassen-Curare aufgeteilt.

Unterarten

Tubocurare

Tubocurare – gelegentlich auch Tubo-Curare geschrieben – wird aus der Rinde der Art Chondrodendron tomentosum sowie verschiedener anderer Arten der Mondsamengewächse (Menispermaceae) gewonnen. Diese Form des Curares wird vor allem von den Ureinwohnern Guayanas und des oberen Amazonasbeckens hergestellt. Der Name Tubo-Curare leitet sich von der Aufbewahrung des flüssigen Curares in Bambusröhren (spanisch: „tubo“) ab[1]. Die Hauptkomponente ist das Tubocurarin, welches auch in der Anästhesie Verwendung fand, heute jedoch durch die Verfügbarkeit neuerer Substanzen mit günstigeren Wirkprofilen obsolet ist.

Calebassencurare

Calebassencurare – gelegentlich auch Kalebassen-Curare geschrieben – wird vor allem aus Arten der Gattung der Brechnüsse (Strychnos) gewonnen und enthält verschiedene Strychnosalkaloide wie das Alcoferin oder das Toxiferin. Es wird traditionell vor allem von Einwohnern des heutigen Kolumbien und Venezuelas hergestellt. Aufbewahrt wird es in kleinen ausgehöhlten und flaschenförmigen Kürbissen (spanisch: „calabaza“).

Topf-Curare

Topf-Curare ist typisch für die Indios des Orinoco-Beckens. Aufbewahrt wird das Gift in kleinen Tontöpfen.

Wirkung

Curare ist ein kompetitiver Antagonist nikotinischer Acetylcholinrezeptoren. Curare fungiert als Antagonist des Acetylcholins, das heißt, es besetzt die Bindungsstellen am Acetylcholinrezeptor, ohne diesen Rezeptor zu aktivieren. Eine Aktivierung durch den eigentlichen Agonisten des Rezeptors, das Acetylcholin selbst, kann somit nicht mehr stattfinden. Acetylcholin ist der Transmitter an der neuromuskulären Endplatte der Synapse zwischen motorischen Nerven und Skelettmuskeln. Deswegen bewirkt Curare eine schlaffe Muskellähmung. Zum Tode führt letzten Endes Atemstillstand durch Lähmung der Atemmuskulatur. Das zentrale Nervensystem bleibt weitgehend intakt, auch der Herzmuskel ist nicht betroffen. Zur Therapie des neuromuskulären Blocks muss der Patient ausreichend beatmet werden, bis die Wirkung nachlässt. Alternativ kann durch den Einsatz eines Cholinesterase-Inhibitors (Pyridostigmin, Neostigmin) durch Erhöhung des Acetylcholinspiegels das Curare von der motorischen Endplatte verdrängt werden.[2]

Curare wirkt bei Aufnahme über die Blutbahn, nicht aber über den Verdauungstrakt, tödlich. Der Genuss der erlegten Beute ist daher ungefährlich.[3]

In der Anästhesie wurde Tubocurarin als Hydrochlorid als stabilisierendes (nicht depolarisierendes) Muskelrelaxans eingesetzt. Dies ist nach der Hypnose, Analgesie und Amnesie die vierte Komponente einer Narkose. Tubocurarin bewirkt auch eine Histaminfreisetzung mit Konstriktion der Bronchien und einem Abfall des Blutdrucks. Auf Grund dieser sehr ungünstigen Nebenwirkungen finden in der modernen Anästhesie als nicht-depolarisierendes Muskelrelaxans heutzutage stattdessen Nachfolgesubstanzen wie Atracurium, Mivacurium, Pancuronium (lange HWZ), Vecuronium (mittlere HWZ) oder Rocuronium (kurze HWZ) Verwendung, die ein günstigeres Wirkprofil aufweisen. Der Wirkmechanismus ist jedoch prinzipiell der gleiche. Die Anwendung geringer Dosen nicht-depolarisierender Relaxantien vor Verabreichung depolarisierender Relaxantien (derzeit klinisch nur Succinylcholin) nennt man Präcurarisierung. Ziel ist die Vermeidung von Muskelfaszikulationen durch die Depolarisation der Muskelfasern.

Geschichte

Entdeckung des Gifts durch die Europäer

Bereits die Conquistadoren beschrieben die tödlichen Giftpfeile der südamerikanischen Einwohner, deren Gift innerhalb kurzer Zeit das Muskelsystem des Getroffenen lähmte. So beschrieb der Dominikanermönch Gaspar de Carvajal, wie auf einer 1541 in Quito gestarteten Expedition auf dem Amazonas auf der Suche nach dem sagenhaften Eldorado zwei spanische Söldner von Giftpfeilen getroffen wurden und qualvoll starben.[4] Das traditionelle Jagdgift ist beim Verzehr nicht schädlich, da es nicht ins Blut der Menschen gelangt und so keine giftige Wirkung erzielen kann. Sein Gebrauch war in Südamerika weit verbreitet, wobei Rezeptur und Zubereitungsweise nach Region und Volksgruppe unterschiedlich waren.

Curare wurde das erste Mal durch den französischen Chemiker und Geograph Charles Marie de La Condamine beschrieben. La Condamine war Teilnehmer einer am 16. Mai 1735 gestarteten Expedition zum Äquator. Ziel der Expedition waren eigentlich Meridianmessungen. La Condamine sammelte darüber hinaus jedoch auch Informationen über die Rohstoffe der durchquerten Länder und die Bräuche der dort lebenden Einwohner. Unter anderem gelangte er auch in Besitz von vergifteten Pfeilen und schrieb über das von den Ticunas verwendete Gift:

Dieses Gift ist ein Extrakt, der aus dem Saft verschiedener Pflanzen, insbesonderer bestimmter Lianen, hergestellt wird. Man versichert, dass das bei den Ticunas verwendete Gift mehr als 30 Sorten an Kraut oder Wurzeln enthält. Es ist unter den verschiedenen Arten, die entlang des Amazonas bekannt sind, das am meisten geschätzte. Die Indios stellen es immer auf die gleiche Weise her und folgen dabei genau der Rezeptur, die ihnen von ihren Vorfahren überliefert ist … [5].

Alexander von Humboldt beschrieb in seinem Reisebericht von der Station Esmeralda am Orinoco detailliert, wie das Curare-Gift von einem Indianer, der gewissermaßen “Chemiker“ des Ortes war, aus den frisch gesammelten Pflanze Mavacure über die Prozesse Eindampfen und Filtrieren gewonnen wurde. Humboldt und sein Begleiter Aimé Bonpland wurden dabei aufgefordert, von dem Saft zu kosten und sich von der Bitterkeit des Stoffes zu überzeugen.[4]

Eine genaue Beschreibung der Verwendung, wie sie Indios des brasilianischen Urwalds praktizieren, stammt im 19. Jahrhundert von dem französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss:

Die Männer jagen mit großen Bogen aus Palmholz und Pfeilen, von denen es mehrere Arten gibt: die einen, die für die Vogeljagd bestimmt sind, haben eine stumpfe Spitze, damit sie nicht in den Ästen steckenbleiben: die Pfeile für den Fischfang sind länger, haben keine Fiederung und enden in drei bis fünf auseinanderstrebenden Spitzen; die vergifteten Pfeile schließlich, deren in Curare getauchte Spitze durch einen Bambusbehälter geschützt wird, sind dem mittleren Wild vorbehalten, während diejenigen für das Großwild – Jaguar oder Tapir – eine lanzenförmige Spitze haben, die aus einem großen Bambussplitter besteht und eine Blutung erzeugt, denn die Giftdosis eines einzigen Pfeils würde nicht ausreichen, das Tier zu töten …[5].

Medizingeschichte

Zu den ersten, die in der europäischen Medizingeschichte mit Curare experimentierten, gehörte der französische Wissenschaftler Claude Bernard. An Experimenten mit Fröschen zeigte Bernard, dass das Gift die Leitungsfunktion der neuro-muskulären Synapsen blockiert. Damit kommt es zu keiner Reizübertragung zwischen Nerv und Muskel. Die Aufhebung der Curare-Wirkung durch Physostigmin wurde um 1900 durch den Wiener Arzt Jakob Pál entdeckt.[6] Medizinische Verwendung fand das D-Tubocurarin, ein Alkaloid der Mondsamengewächse, das zur Ruhigstellung der Muskulatur der inneren Organe verwendet wurde.

Fußnoten

  1. Jean Marie Pelt: Die Geheimnisse der Heilpflanzen, Verlag Knesebeck, München 2005, ISBN 3-89660-291-8, S. 100
  2. Bowman WC. Neuromuscular block. Br J Pharmacol. 2006 Jan;147 Suppl 1:S277-86. PMID 16402115
  3. Teuscher, Lindquist: Biogene Arzneimittel, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2004, ISBN 3-8047-2073-0 S. 522
  4. 4,0 4,1 Jens Soentgen, Klaus Hilbert: Präkolumbianische Chemie – Entdeckungen der indigenen Völker Südamerikas. In: Chemie in unserer Zeit. Band 46, Nr. 5, 2012, ISSN 0009-2851, S. 322 – 334, doi:10.1002/ciuz.201200575.
  5. 5,0 5,1 zit. n. Jean Marie Pelt: Die Geheimnisse der Heilpflanzen, Verlag Knesebeck, München 2005, ISBN 3-89660-291-8, S. 95 f
  6. Jakob Pál. Physostigmin, ein Gegengift des Curare. Zentralbl Physiol 1900; 14:255–258.

Literatur

  • Bernhard Witkop: Neuere Arbeiten über Pfeilgifte. Die Chemie (Angewandte Chemie, neue Folge) 55 (11/12), S. 85–90 (1942), ISSN 1521-3757

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