Nukleinsäuren


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Nukleinsäuren sind aus einzelnen Bausteinen, den Nukleotiden, aufgebaute Makromoleküle. Abwechselnde Einfachzucker und Phosphorsäureester bilden eine Kette, wobei an jedem Zucker eine Nukleinbase hängt. Nukleinsäuren bilden neben Proteinen, Kohlenhydraten und Lipiden die vierte große Gruppe der Biomoleküle. Ihr bekanntester Vertreter ist Desoxyribonukleinsäure (DNS oder DNA), der Speicher der Erbinformation. Neben ihrer Aufgabe als Informationsspeicher können Nukleinsäuren auch als Signalüberträger dienen oder biochemische Reaktionen katalysieren.

Geschichte

Friedrich Miescher

Erstmals beschrieben wurde die Nukleinsäure von dem Schweizer Mediziner Friedrich Miescher im Jahr 1869 nach seinen Untersuchungen im Labor - der ehemaligen Küche - des Tübinger Schlosses. Er war Mitarbeiter des Begründers der Biochemie, Felix Hoppe-Seyler. Nachdem Miescher seine Forschungen an Proteinen aufgab, weil diese zu komplex und zu vielfältig waren, wandte er sich der Untersuchung von Zellkernen zu. Deren Funktion war zu damaliger Zeit völlig unbekannt. Aus den Kernen von weißen Blutkörperchen isolierte er eine Substanz, die sich durch ihren hohen Phosphorgehalt deutlich von Proteinen unterschied. Er nannte sie Nuclein nach dem lateinischen Wort nucleus (Kern). Obwohl Miescher der Funktion von Nuclein schon sehr nahe kam, glaubte er letztendlich nicht, dass ein einziger Stoff für die Vererbung verantwortlich sein könnte.

„Sofern wir (...) annehmen wollten, dass eine einzelne Substanz (...) auf irgendeine Art (...) die spezifische Ursache der Befruchtung sei, so müsste man ohne Zweifel vor allem an das Nuclein denken.“

Friedrich Miescher (1874)

Albrecht Kossel entdeckte, dass Nuclein aus vier Bausteinen und Zuckermolekülen aufgebaut ist. 1889 schließlich benannte Richard Altmann, der als erster Nukleinsäuren auch in Pflanzenzellen fand, das Nuclein aufgrund seiner chemischen Eigenschaften in Nukleinsäure um. Erst 1929 erkannte Phoebus Levene, dass die Nukleinsäure (hier die Desoxyribonukleinsäure) aus Desoxyribose, Phosphorsäureresten und den vier organischen Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin besteht. Er prägte den Begriff 'Nukleotid' für diese Baueinheiten der Nukleinsäure. 1944 konnten Oswald Avery, Colin McLeod und Maclyn McCarty nachweisen, dass Nukleinsäuren die Speicher der Erbinformation sind und nicht – wie bis dahin angenommen – Proteine.

Dem Amerikaner James Watson (*1928) und den Engländern Francis Crick (1916-2004) und Maurice Wilkins (1916-2004) gelang es schließlich, den Aufbau der Desoxyribonukleinsäure aufzuklären. 1962 erhielten sie den Nobelpreis. Frederick Sanger, Allan Maxam und Walter Gilbert entwickelten 1977 ein Verfahren, mit dem die Reihenfolge der Nukleotid-Bausteine, die Sequenz, bestimmt werden konnte. Diese Kettenabbruchmethode wird heute in automatisierten Verfahren verwendet um DNA zu sequenzieren.

Aufbau

Nukleinsäure mit vier Kettengliedern

Die chemische Struktur

Nukleinsäuren sind Ketten mit Nukleotiden als Glieder. Der zentrale Teil eines Nukleotids ist das ringförmige Zuckermolekül (Im Bild grau: die Ribose). Nummeriert man die Kohlenstoffatome dieses Zuckers im Uhrzeigersinn von 1 bis 5, so ist am C1 eine Nukleinbase (Bild 1: rot, grün, gelb und blau) über eine glykosidische Bindung angeknüpft. Am C3 hat ein Phosphatrest des nachfolgenden Nukleotids (blau) mit der OH-Gruppe des Zuckers eine Esterbindung ausgebildet. Am C5 des Zuckers ist über die andere der beiden Phosphodiesterbindungen ebenfalls ein Phosphatrest gebunden.

Die Phosphorsäure hat in ungebundenem Zustand drei Säuregruppen (drei OH-Gruppen, die Protonen abspalten können). In einer Nukleinsäure sind zwei dieser drei Säuregruppen verestert und können somit kein Proton mehr freisetzen. Für den sauren Charakter, der der Nukleinsäure ihren Namen gab, ist die dritte ungebundene Säurefunktion verantwortlich. Sie kann als Protonendonator agieren oder liegt in der Zelle deprotoniert vor (negative Ladung am O). Unter physiologischen Bedingungen (pH 7) ist die Nukleinsäure aufgrund dieses negativ geladenen Sauerstoffatoms insgesamt ein großes Anion. Bei der Auftrennung von Nukleinsäuren nach ihrer Größe kann man daher ein elektrisches Feld nutzen, in dem Nukleinsäuren grundsätzlich zur Anode wandern (siehe Agarose-Gelelektrophorese).

Die Orientierung

Ihr Aufbau verleiht der Nukleinsäure eine Polarität respektive Orientierung in der Kettenbausteinabfolge. Sie hat ein 5'-Ende (sprich: 5-Strich-Ende) benannt nach dem C5-Atom des Zuckers, an dem ein Phosphatrest gebunden ist und ein 3'-Ende, an dem die freie OH-Gruppe am C3-Atom die Kette abschließt. Üblicherweise schreibt man Sequenzen, also Nukleotidfolgen, mit dem 5'-Ende beginnend zum 3'-Ende hin auf. In Organismen ist die Polarität sehr wichtig. So gibt es beispielsweise DNA-Polymerasen die einen DNA-Strang nur in 5' → 3'-Richtung aufbauen können und wieder andere korrigieren falsch eingebaute Nukleotide nur in 3' → 5'-Richtung.

Die räumliche Struktur

Basenpaarung in einem Doppelstrang

Als Sekundärstruktur bezeichnet man bei Nukleinsäuren die räumliche Ausrichtung. Während die Primärstruktur (die Sequenz) die Informationen speichert, bestimmt die Sekundärstruktur über Größe, Haltbarkeit und auch Zugriff auf die gespeicherten Informationen.

Die einfachste räumliche Struktur ist der Doppelstrang. Hier liegen sich zwei Nukleinsäureketten in entgegengesetzter Orientierung gegenüber. Sie sind über Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Nukleinbasen miteinander verbunden. Dabei paaren sich jeweils eine Pyrimidinbase mit einer Purinbase, wobei die Art des jeweiligen Paares die Stabilität des Doppelstranges bestimmt. Zwischen Guanin und Cytosin bilden sich drei Wasserstoffbrückenbindungen aus, während Adenin und Thymin nur durch zwei Wasserstoffbrücken verbunden sind (siehe Bild 2). Je höher der GC-Gehalt (Anteil an Guanin-Cytosin-Paaren) ist, desto stabiler ist der Doppelstrang und desto mehr Energie (Wärme) muss aufgewendet werden, um ihn in Einzelstränge zu spalten. Ein Doppelstrang kann aus zwei verschiedenen Nukleinsäuremolekülen bestehen oder nur aus einem einzigen Molekül. Am Ende des Doppelstranges bildet sich dann eine Schlaufe, in der die Kette 'umkehrt' so dass die entgegengesetzte Orientierung entsteht.

Bei der DNA windet sich der Doppelstrang als Ergebnis der vielen verschiedenen Bindungswinkel um seine eigene Achse und bildet eine Doppelhelix. Es gibt sowohl links- als auch rechtsgängige Helices. Dieser um sich selbst gewundene Doppelstrang kann dann noch weiter verdrillt werden und sich um andere Strukturen wie Histone (spezielle Proteine) wickeln. Sinn dieser weiteren Verknäulung ist das Sparen von Platz. Unverdrillt und ausgestreckt wäre die DNA eines einzigen menschlichen Chromosoms etwa 4 cm lang.

Natürliche Nukleinsäuren

Nukleinsäuren kommen in allen lebenden Organismen vor. Ihre Aufgabe ist es unter anderem die genetische Information, den Bauplan des jeweiligen Organismus, zu speichern, mit anderen ihrer Art auszutauschen und an nachfolgende Generationen zu vererben. In allen Organismen tut das die DNA. Nur einige Viren (Retroviren wie zum Beispiel HIV) nutzen die weniger stabile RNA als Speichermedium.

Desoxyribonukleinsäure (DNA)

siehe Hauptartikel: Desoxyribonukleinsäure

DNA hat als Zuckerbestandteil Desoxyribose (daher der Name Desoxyribonukleinsäure), die sich von der Ribose nur durch die fehlende OH-Gruppe am C2-Atom unterscheidet. Die Reduktion der OH-Gruppe zum einfachen H findet erst am Ende der Nukleotidsynthese statt. Desoxyribonukleotide entstehen also aus den Ribonukleotiden, den RNA-Bausteinen. Der Unterschied jedoch macht DNA chemisch sehr viel stabiler als RNA (Begründung siehe Abschnitt RNA) und zwar so stabil, dass sie gelöst in Meerwasser (1 ppb) und Flussmündungen (bis 44 ppb) nachzuweisen ist. In der DNA kommen die Nukleinbasen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin vor, wobei letztere spezifisch für DNA ist. Trotz der geringen Menge von vier verschiedenen Grundbausteinen kann viel Information gespeichert werden.

DNA in einer eukaryotischen Zelle
Rechenbeispiel:
  1. Ein DNA-Stück aus 4 möglichen Grundbausteinen mit einer Gesamtlänge von 10 Basenpaaren ergibt 410 = 1.048.576 mögliche Kombinationen
  2. Das Genom des Bakteriums E. coli hat eine ungefähren Umfang von 4 × 106 Basenpaaren. Da es für ein Basenpaar 4 Möglichkeiten (A, C, G oder T) gibt, entspricht es 2 bit (22 = 4). Damit hat das gesamte Genom einen Informationsgehalt von 1 Megabyte.

Die DNA liegt als Doppelstrang vor, der um sich selbst gewunden eine Doppelhelix bildet. Von den durch Röntgenstrukturanalyse identifizierten drei Helixtypen, ist bisher nur die B-DNA in vivo nachgewiesen worden. Sie ist eine rechtsgängige Helix mit einer Ganghöhe (Länge der Helix für eine komplette Windung) von 3,54 nm und 10 Basenpaaren und einem Durchmesser von 2,37 nm. Weiterhin existieren die breitere A-Helix (Ganghöhe 2,53 nm; Durchmesser 2,55 nm) und die gestrecktere Z-Helix (Ganghöhe 4,56 nm; Durchmesser 1,84 nm). Soll ein in der DNA kodiertes Gen abgelesen oder die DNA selbst im Zuge der Zellteilung verdoppelt werden, so wird die Helix auf einem Teilstück durch Enzyme entwunden (Topoisomerasen) und der Doppelstrang in Einzelstränge gespalten (Helikasen).

In Bakterien liegt die DNA als ringförmiges Molekül vor, während sie bei Eukaryoten freie Enden, die sogenannten Telomere besitzt. Die Beschaffenheit des DNA-Replikationsmechanismus führt dazu, dass lineare DNA-Moleküle pro Verdopplung um ein paar Basenpaare verkürzt werden. Je häufiger sich eine Zelle teilt, desto kürzer wird die DNA. Das bleibt bei begrenzter Zellteilung ohne Folgen, da sich am Ende eines solchen Stranges kurze Sequenzen befinden, die sich mehrere tausend Male wiederholen. Es geht also keine Erbinformation verloren. Teilweise wird die Verkürzung auch durch das Enzym Telomerase ausgeglichen (Nur in Stammzellen und Krebszellen). Unterschreitet die Länge der repetetiven Sequenzen am Strangende eine bestimmte Länge, so teilt sich die Zelle nicht mehr. Hier liegt einer der Gründe für eine begrenzte Lebensdauer. Da Bakterien ein ringförmiges DNA-Molekül haben, kommt es bei ihnen nicht zu einer Verkürzung des Stranges.

Ribonukleinsäure (RNA)

Wie schon im oberen Abschnitt angedeutet, ist die OH-Gruppe am C2-Atom der Ribose für die geringere Stabilität der RNA verantwortlich. Sie kann nämlich, ebenso wie die OH-Gruppe am C3-Atom für die normale Kettenbildung, eine Verknüpfung mit dem Phosphatrest eingehen. Kommt es spontan zu einer solchen Umesterung, wird die Nukleinsäurekette unterbrochen.

Cytosin.svg
Cytosin
Uracil.svg
Uracil
Thymin.svg
Thymin

Ein weiterer Unterschied ist, dass in der DNA Thymin verwendet wird, während in der RNA Uracil vorkommt. Durch oxidative Bedingungen oder andere Einwirkungen können Nukleinbasen innerhalb der DNA chemisch verändert werden. So kommt es gelegentlich zu einer Desaminierung (Abspaltung einer NH2-Gruppe, es entsteht stattdessen eine O=Gruppe). In einem Doppelstrang passen dann die Stellen für Wasserstoffbrückenbindungen der gegenüberliegenden Nukleinbasen nicht mehr zusammen und es kommt zu einer partiellen Aufspaltung. Enzyme können veränderte Nukleinbasen ausschneiden und ersetzen oder reparieren. Als Vorlage orientieren sie sich dazu an der zweiten nicht veränderten Nukleinbase. Kommt es nun bei Cytosin zu einer solchen Desaminierung so entsteht Uracil. Würde Uracil auch gewöhnlich in der DNA vorkommen, könnte ein Enzym jetzt nicht mehr unterscheiden, ob das Uracil die falsche Nukleinbase ist oder das gegenüberliegende Guanin (das zuvor mit Cytosin paarte). In diesem Falle könnte eine wichtige Information verändert werden, eine Mutation könnte entstehen. Um dieser Verwechslung zu entgehen, wird in der DNA prinzipiell kein Uracil sondern Thymin verwendet, Uracil wird in der DNA durch spezifische Enzyme, die Uracil-Glykosylasen erkannt und entfernt. Das können Enzyme durch seine zusätzliche Methylgruppe einwandfrei erkennen und so ist klar, dass jedes Uracil in der DNA ein kaputtes Cytosin ist. In der RNA ist diese Gefahr der Informationsverfälschung nicht gravierend, da hier Informationen nur kurzfristig gespeichert werden und dazu nicht nur ein RNA-Molekül der jeweiligen Sorte, sondern hunderte vorhanden sind. Sollten einige davon defekt sein, so hat das keine gravierenden Auswirkungen auf den gesamten Organismus, da es genug Ersatz gibt.

Synthetische Nukleinsäuren

Eine in der Natur nicht auftretende, für die Biotechnologie interessante Nukleinsäure ist die Peptid-Nukleinsäure (abgekürzt PNA, vom englischen Peptide Nucleic Acid).

Darüber hinaus wurden zahlreiche Nukleinsäurevarianten entwickelt, deren Bausteine auf den ersten Blick nicht mehr als Ribo- (im Fall von RNA) oder Desoxyribonukleotide (im Fall von DNA) erkennbar sind:

  • Phosphorthioat-Desoxyribonukleinsäure
  • Cyclohexen-Nukleinsäuren (CeNA)
  • N3'-P5'-Phosphoramidate (NP)
  • Verbrückte Nukleinsäure (engl. locked nucleic acid, LNA)
  • Tricyclo-Desoxyribonukleinsäuren (tcDNA)
  • Morpholino-Phosphoramidate (MF)

Siehe auch

Literatur

  • Hans Beyer und Wolfgang Walter: Lehrbuch der organischen Chemie, 23. Auflage, Hirzel, Stuttgart 1998, ISBN 3-7776-0808-4
  • Lubert Stryer: Biochemie, 5. Auflage, Spektrum Verlag, 2003, ISBN 3-8274-1303-6
  • R. Dahm: Das Molekül aus der Schlossküche, Max Planck Forschung (2004 / 1), S. 50-55 (online-Version)

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