Sjögren-Syndrom


Klassifikation nach ICD-10
M35.0 Sicca-Syndrom [Sjögren-Syndrom]
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Sjögren-Syndrom wird zur Gruppe der Sicca-Syndrome gezählt (von lateinisch siccus ‚trocken‘) und ist eine Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, bei der die Immunzellen die Speicheldrüsen und Tränendrüsen angreifen. Sie ist nach dem schwedischen Augenarzt Henrik Sjögren (1899–1986) benannt, der sie 1933 in seiner Dissertation erstmals beschrieb. Das Sjögren-Syndrom manifestiert sich in morphologischen Veränderungen der Speichel- und Tränendrüsen, was eine chronische Parotitis, Keratokonjunktivitis sicca (Versiegen der Sekretion von Tränendrüsen), Rhinitis sicca (trockene Nasenschleimhäute) und Xerostomie (Mundtrockenheit) bewirkt. Die Erkrankung betrifft Frauen deutlich häufiger als Männer (9 : 1) und tritt meist nach den Wechseljahren auf.

Symptome

Hauptsymptome

  • Mundtrockenheit (Xerostomie): Über mehr als drei Monate anhaltende Mundtrockenheit, persistierende oder rezidivierende Schwellung der Speicheldrüsen als Erwachsener, häufiges Benutzen von Getränken als Schluckhilfe bei trockenen Speisen;[1]
  • Trockenheit der Augen (Xerophthalmie) → Keratokonjunktivitis sicca: Über mehr als drei Monate anhaltendes tägliches Trockenheitsgefühl der Augen, wiederkehrendes Sandkorngefühl der Augen, Benutzung von künstlicher Tränenflüssigkeit mehr als dreimal pro Tag.[1]

Henrik Sjögren beschrieb das gleichnamige Syndrom durch das gleichzeitige Auftreten der trockenen Augen, des trockenen Mundes sowie der möglichen rheumatoiden Arthritis. Später wurde allerdings gezeigt, dass die Symptome trockene Augen und trockener Mund auch ohne gleichzeitige bestehende rheumatoide Arthritis auftreten. Aus diesem Grund erfolgte die Einteilung in ein primäres (keine Assoziation mit rheumatoider Arthritis) und sekundäres Sjögren-Syndrom (Assoziation mit rheumatoider Arthritis oder anderen rheumatologischen Erkrankungen, wie Lupus erythematodes, Polymyositis oder Sklerodermie). Das heißt, dass es bei der primären Form ebenfalls zu Muskel- und Gelenkschmerzen kommen kann. Die Gelenkveränderungen hierbei sind jedoch nicht erosiv.[1]

Als weitere Symptome finden sich abnorm geschwollene Ohrspeicheldrüsen, zuweilen auch Haut-, Nasen- und Vaginaltrockenheit, starke Müdigkeit, Gelenkentzündungen (Arthritis) und ein Raynaud-Syndrom. Selten können andere Organe wie etwa Nieren, Blutgefäße, Lungen, Leber, Pankreas oder das Gehirn betroffen sein.

Neurologische Manifestationen

Neurologische und neuromuskuläre Symptome

Myopathie wird definiert als Muskelschaden und Myalgie als Muskelschmerz. Personen mit Muskelproblemen können Schmerzen bei Druckbelastung haben oder spontanen Schmerz (Myalgien). Es kann sein, dass sie keine Treppen mehr steigen oder nichts mehr tragen können (Schwäche). Es kann sein, dass sie Symptome wie Fieber, Erschöpfung, Gelenk- und Muskelschmerzen oder Lymphadenopathie (bleibende Lymphknoten-Vergrößerung) haben. Schwäche kommt insbesondere vor bei Nierenbeteiligung, tubulärer Azidose und Kaliummangel. Wenn Verdacht auf Muskelbeteiligung beim Sjögren-Syndrom besteht, sollten entsprechende Blutuntersuchungen und eine Elektromyographie gemacht und zusätzlich Muskel- und Nervenbiopsien erwogen werden.[2]

Neuropathie

Neuropathien sind charakterisiert durch Empfindungsstörungen, wie Taubheit, Kribbeln oder schmerzhaftes Brennen. Hier sind die unteren Extremitäten mehr betroffen als die oberen. Die neurologische Untersuchung kann normal sein. Ausdrucksformen der möglichen Neuropathien sind Sensibilitäts-Neuropathien oder dorsale Nervenwurzel-Neuropathien. Das kann zu Störungen in Bewegungsabläufen führen, gesteigerter Schmerzempfindlichkeit (auf einen schmerzhaften Reiz) und Veränderungen in der Schmerzempfindlichkeit. Reflexe können fehlen. Die Schwäche kann symmetrisch sein und kann sich rapide verschlechtern, zum Teil mit Befunden, die Bandscheiben-Veränderungen nachahmen, mit Nervenwurzelschmerzen und Schwäche im Nervenwurzelbereich. Die Motorik kann betroffen sein, in Verbindung mit der Sensorik und Sensibilitätsstörungen im Gesicht. Sie können auf einer Seite beginnen und dann beidseitig werden. Das kann sich über Monate und Jahre hinweg ausweiten. Vielfache Einzel-Neuropathien wie Karpaltunnel-Syndrom, Ellenbogen-Neuropathie oder Tarsaltunnel-Syndrom (Kanal für den Nerven am Fußinnenknöchel) können auftreten. Schwindel mit Wechsel oder Körper-Position (Ohnmacht) durch Hypotonie ist möglich.[2]

Zentrales Nervensystem

Störungen des zentralen Nervensystems können Gehirn und Rückenmark betreffen. Sie können motorische und sensorische Schäden hervorrufen mit Lähmungen, Sprachstörungen, Schlaganfall. Bewegungsstörungen, Gehirnentzündung, aseptische Meningitis, Demenz oder psychische Abnormalitäten können auftreten. Krankheiten des Rückenmarks können sein: Knochenmarkentzündung, Brown-Sequard-Syndrom (motorische Lähmung) und neurogene Blasenentleerungsstörungen. Neuropsychologische Abnormalitäten sind Aufmerksamkeits- und Konzentrations-Schwäche sowie Defizite bei der verbalen Intelligenz (größer als bei nicht-verbaler Intelligenz). Alzheimer-Demenz kann ausgeschlossen werden. Außerdem sind Hysterie, Hypochondrie, Depression, Verstimmungen, Angst und Anfälle von Panik möglich.[2]

Depressionen

Depressionen können in verschiedenen Formen auftreten. Hierzu gehören auch Konzentrationsstörungen, ein verminderter Appetit oder Schlafstörungen. Die genaue Rolle der Entzündungen sowie des hormonellen Ungleichgewichts beim Sjögren-Syndrom als möglicher Unterstützungsfaktor ist unklar, man geht jedoch davon aus, dass bestimmte Formen der Depression zumindest teilweise durch chemische Veränderungen im Gehirn hervorgerufen sind. Stress, schlechter Schlaf und die chronische Krankheit können zur Depression beitragen.[1]

Assoziation

Das Sjögren-Syndrom kann als eigenständige Erkrankung oder als Begleiterscheinung im Rahmen anderer rheumatischer Erkrankungen auftreten: Rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes, Primär sklerosierende Cholangitis, Morbus Bechterew, Raynaud-Syndrom.

Nicht selten ist das Sjögren-Syndrom mit einer Autoimmunthyreopathie vergesellschaftet, in 6 % der Fälle auch mit der Entwicklung eines malignen Lymphoms. Noch häufiger kann ein sogenanntes Pseudolymphom auftreten, das histologisch schwer von einem echten Lymphom unterschieden werden kann.

Die Beteiligung des Nervensystems im Rahmen eines Sjögren-Syndroms kann mit den neurologischen Symptomen einer Multiplen Sklerose verwechselt werden. Beim Sjögren-Syndrom können jedoch auch Störungen peripherer Nerven auftreten.

Dagegen hat der systemische Lupus erythematosus mit seiner Beteiligung des zentralen Nervensystems Ähnlichkeit mit der neurologischen Beteiligung beim Sjögren-Syndrom, wobei Schlaganfälle beim Lupus häufiger vorkommen. Bei Gefäßerkrankungen und Mikroinfarkten im Gehirn und Rückenmark ist es schwer, zwischen Sjögren und Lupus zu unterscheiden.[2]

Diagnostik

Feingeweblicher Schnitt einer Biopsie

Das Sjögren-Syndrom kann, wie auch andere Kollagenosen, im Blut zum Abfall verschiedener Zellreihen sowie zu ANAs oder Rheumafaktoren führen. Durch die Entzündung kommt es zum Anstieg der BSG und des CRP. Wenngleich es die Nomenklatur nahelegt, sind Anti-SS-AK keineswegs für das Sjögren-Syndrom spezifisch. SS-A-Ak finden sich bei Sjögren-Syndrom, systemischem Lupus erythematodes und rheumatoider Arthritis; SS-B-Ak bei Sjögren-Syndrom und systemischem Lupus erythematodes.

Zur Diagnosesicherung kann eine Biopsie aus den Speicheldrüsen entnommen werden. Dies ist deutlich sensitiver als die Probenentnahme aus der Lippe oder Wangenschleimhaut. In dem Bioptat ist eine Drüsenentzündung mit Lymphozyteninfiltration zu sehen.

Weiter zu erwähnen ist der Schirmer-Test, bei dem mit einem Löschpapier die Produktion der Tränenflüssigkeit im Auge geprüft wird. Besonders zu Beginn der Erkrankung kann die Tränensekretion sogar reflektorisch erhöht sein, wodurch die Diagnose maskiert wird. Im Verlauf der Erkrankung wird der Schirmer-Test langsam auffällig, und erst im Endstadium des Sjögren-Syndroms bleibt das Löschpapier völlig trocken.

Spezifisch beim sekundären Sjögren-Syndrom ist die Diagnose der rheumatologischen Erkrankungen durch spezielle Blutuntersuchungen oder Röntgenaufnahmen möglicher beteiligter Gelenke möglich.[1]

Therapie

Die Therapie richtet sich gegen die Gefäßerkrankung und die neurologische Manifestation. Diese kann enthalten: Cortison (zur Immunsuppression bei stärkerer Ausprägung), Azathioprin, Cyclophosphamid und intravenöse Immunglobulingaben. Die neurologischen Manifestationen beim Sjögren-Syndrom sollen möglichst früh erkannt werden und werden zur Vermeidung späterer Komplikationen üblicherweise aggressiv behandelt.[2]

Die manifesten Symptome können durch sorgfältige Mundhygiene, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und speichelanregende Maßnahmen (saure Speisen, Kaugummi), Lichtschutz der Augen und Augentropfen („künstliche Tränenflüssigkeit“) gelindert werden.

Parasympathomimetische Medikamente können die Drüsensekretion anregen (z. B. Pilocarpin). Gegen Gelenkschmerzen beim Sjögren-Syndrom hilft oft Chloroquin. Die recht häufig auftretenden Mykosen der Mundschleimhaut werden meist mit Antimykotika behandelt.

Falls antidepressive Medikamente zur Verbesserung des Schlafs bzw. zur Behandlung der Müdigkeit eingenommen werden, sollten Medikamente ohne anticholinerge Nebenwirkungen bevorzugt werden. Da bestimmte Antidepressiva wie die sogenannten trizyklischen Antidepressiva oder Monoaminooxidase-Hemmer Trockenheit verstärken können, wird von deren Einnahme üblicherweise abgeraten.[1]

Siehe auch

Literatur

  • Steven Carsons, Elaine K. Harris (Hrsg.): The New Sjogren’s Syndrome Handbook. Oxford Univ. Press 1998, ISBN 0-19-511724-7

Weblinks

Einzelnachweise