Weißbeerige Mistel



Weißbeerige Mistel

Weißbeerige Mistel (Viscum album)

Systematik
Eudikotyledonen
Kerneudikotyledonen
Ordnung: Sandelholzartige (Santalales)
Familie: Sandelholzgewächse (Santalaceae)
Gattung: Misteln (Viscum)
Art: Weißbeerige Mistel
Wissenschaftlicher Name
Viscum album
L.

Die Weißbeerige Mistel (Viscum album), auch Weiße Mistel, ist eine Pflanzenart in der Familie der Sandelholzgewächse (Santalaceae) oder auch einer eigenen Familie der Eigentlichen Mistel (Viscaceae). Sie ist eine der wenigen parasitisch lebenden Pflanzenarten Europas, die direkt an Sprossachsen der Wirtspflanzen parasitiert.

Beschreibung

Illustration.
männliche Blüte.
Blätter, Blüten und Beere der Tannen-Mistel.
Embryonen der Weißen Mistel.
Schnitt durch einen Mistelbefall an Kiefer, deutlich sind die Abwehrbemühungen des Baumes durch Wucherung und Harzbildung zu erkennen.
Haustorium, Illustration.

Erscheinungsbild und Blatt

Die Weißbeerige Mistel wächst als gelblich-grüne, immergrüne, strauchige, ausdauernde Pflanze. Dieser Halbschmarotzer sitzt auf den Ästen von Bäumen und entzieht Wasser und darin gelöste Mineralsalze aus deren Holzteil. Im Laufe der Jahre wachsen Misteln häufig zu kugeligen Büschen heran, die bis zu 1 Meter Durchmesser erreichen können. Die oft gleichmäßig gabelig verzweigten Sprossachsen der Mistel sind an den Knoten (Nodien) durch Furchen gegliedert und brechen dort leicht ab. An den Enden der Sprossachsen sitzen gegenständig die ungestielten Laubblätter, die mehrjährig sein können. Die lederige, einfache Blattspreite ist bei einer Länge von 2,5 bis 7 cm und einer Breite von 0,5 bis 3,5 cm elliptisch bis verkehrt-lanzettlich oder verkehrt-eiförmig mit stumpfem oberen Ende. Es sind drei bis fünf undeutliche Blattnerven vorhanden.

Blüte

Die Blütezeit der Weißbeerigen Mistel reicht bei günstiger Witterung in Mitteleuropa von Mitte Januar bis Anfang April. Die Weißbeerige Mistel ist zweihäusig getrenntgeschlechtig (diözisch). Drei bis fünf Blüten stehen in den obersten Blattachseln knäuelig beisammen. Die zwei Tragblätter sind 2 mm lang, konkav und bewimpert mit stumpfem oberen Ende. Die unscheinbaren, eingeschlechtigen Blüten sind sitzend. Die drei oder vier freien, dicken Blütenhüllblätter sind bei einer Länge von etwa 1 mm dreieckig und hinfällig. Die vier Staubblätter besitzen keine Staubfäden und die rückseitig mit den Blütenhüllblättern verwachsenen Staubbeutel öffnen sich mit vielen Poren. Die Pollenkörner sind untereinander durch zarte Viszinfäden verbunden, können also nicht vom Wind verfrachtet werden. Meist sind es Fliegen, die die Bestäubung vermitteln. Der unterständige Fruchtknoten ist bei einer Länge von etwa 2 mm verkehrt-eiförmig. Die sitzende Narbe ist bei einer Länge von etwa 1 mm konisch.

Frucht und Samen

Die weißen, etwas durchscheinenden, einsamigen Beeren sind bei einem Durchmesser von etwa 1 cm kugelig. Die 5 bis 6 mm langen Samen sind von einem weißen, zähen, schleimig klebrigen Fruchtfleisch (Pulpa) umgeben, wodurch die Verbreitung der Misteln durch Vögel (Verdauungsverbreitung) ermöglicht wird. Schon im einzelnen Samen bilden sich bei unserer Laubholz- und der südwesteuropäischen Rotbeerigen Mistel bis zu drei oder sehr selten vier grüne Embryonen aus.

Ökologie

Die Samen der Mistel werden durch Vögel verbreitet (Verdauungsverbreitung, Endozoochorie). Vögel, wie zum Beispiel der Specht oder der Eichelhäher fressen die weißen fleischigen Früchte der Mistel, können die Samen jedoch nicht verdauen. Deshalb werden diese zusammen mit dem Kot und Resten des klebrigen Nährgewebes wieder ausgeschieden und verfangen sich zusammen mit diesen in den Ästen der Bäume. Wenn der Samen dabei direkt auf einem Ast liegen bleibt, beginnt der Samen bald daraufhin zu keimen. Bei der Keimung wächst zunächst ein kleiner Stängel mit einer Haftscheibe aus dem Samen, aus der kurz nach der Keimung ein Saugfortsatz (Haustorium) in den Ast des Wirtes hinein wächst. Das Haustorium entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einer Primärwurzel, die immer weiter in das Wirtsgewebe eindringt. Aus der Primärwurzel wachsen im folgenden Jahr sog. Senkerwurzeln, die bis in das Leitungsgewebe des Wirtes vordringen und selber auch wieder in der Lage sind, neue Senker sowie Wurzelsprosse auszubilden. Erst nachdem die Senkerwurzel die Leitungsbahnen des Wirtes erreicht haben, entwickelt sich die Mistel weiter. Nach einigen Jahren ist die Mistel dann so reich verzweigt, dass sie kugelige Büschel von bis zu einem Meter Durchmesser erreichen kann. Der Parasitismus der Mistel kann für die Wirtspflanze bedeuten, dass der Ast, auf dem die Mistel lebt, oder auch der ganze Baum abstirbt. Auf Obstplantagen kommt es häufig zu Ernteverlusten, wenn die Wirtspflanze nicht mehr ausreichend Nährstoffe zur Verfügung hat, um genügend Früchte auszubilden. [1]

Die Weiße Mistel ist einer der wenigen Hemiparasiten Mitteleuropas, der direkt auf dem Spross seiner Wirtspflanze parasitiert.

Die Pflanze ist bereits direkt nach der Keimung photosynthetisch aktiv und kann daher in diesem Entwicklungsstadium auch einige Jahre überdauern, wenn die Haustorien-Zellen die Leitungsbahnen der Wirtspflanze nicht erreichen können. Die Ursache, warum die Mistel in diesem Zustand verbleibt, ist bis heute nicht erforscht.

Eine weitere Besonderheit der Mistel ist, dass sie als photosynthetisch aktiver Halbschmarotzer ihrem Wirt eigentlich nur Wasser und Mineralsalze entziehen müsste, deshalb erstaunt es auch heute noch viele Forscher, dass sie dennoch die Leitungsbahnen für die organischen Substanzen (das Phloem) des Wirtes anzapft. Ob sie dabei dem Wirt auch Nährstoffe entzieht, wird im Moment noch kritisch diskutiert. [1]

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet der Weißbeerigen Mistel sind die wintermilden Regionen Südskandinaviens sowie Mittel- und Südeuropas. Dort gedeiht sie zerstreut auf Laubbäumen wie zum Beispiel verschiedenen Obstbaumarten, Linden, Ahorn oder Weißdorn bevorzugt an basenreichen Standorten. Neben Viscum album kommt in Südeuropa noch Loranthus europaeus L. vor. In Mitteleuropa wächst jedoch nur die Weiße Mistel. Um 1900 wurde die Mistel in den Vereinigten Staaten eingeschleppt oder vom Gärtner Luther Burbank bewusst eingebürgert und hat sich nördlich von San Francisco verbreitet. [1]

Unterarten

Nach der Bindung an unterschiedliche Wirtsbaumarten werden innerhalb der Art Viscum album mehrere Unterarten oder "Wirtsrassen" unterschieden:

  • Laubholz-Mistel (Viscum album subsp. album) - auf Pappeln, Weiden, Apfelbäumen, Weißdorn, Birken, Haseln, Robinien, Linden, Ahornbäumen, amerik. Rot-Eiche, amerik. Schwarznuß, amerik. Eschen, Hainbuche und anderen, nicht aber zum Beispiel auf Rot-Buche, Süßkirsch- und Pflaumenbäumen, Walnußbaum, Platanen, Paulownien, Götterbäumen oder Magnolien.
  • Tannen-Mistel (Viscum album subsp. abietis; Synonym Viscum abietis) - auf Weißtannen.
  • Kiefern-Mistel (Viscum album subsp. austriacum; Synonym Viscum laxum) - auf Kiefern, sehr selten auf Fichten. Vorkommen in Süd- und Ostdeutschland (ab Iffezheim nordwärts, im und um den Nürnberger Reichswald; Brandenburg), Österreich (Wachau), Südtirol und Japan. [1]
  • Im Jahr 2002 wurde mit der Kretischen Mistel (Viscum album subsp. creticum) eine weitere Unterart beschrieben, die als Endemit nur auf Kreta vorkommt und dort auf der Brutia-Kiefer (Pinus halepensis subsp. brutia) schmarotzt.[2]

Die früher gelegentlich als Unterart (Viscum album subsp. coloratum) geführte Koreanische oder Japanische Mistel wird dagegen heute als eigene Art (Viscum coloratum) angesehen.[3] Bei manchen Autoren gibt es die asiatische Unterart Viscum album subsp. meridianum (Danser) D.G.Long [4]

Giftigkeit

Die Ganze Pflanze gilt als giftig oder weniger giftig. Am giftigsten sind die Misteln von Ahorn, Linde, Walnuss, Pappel und Robinie, am wenigsten giftig die vom Apfelbaum.

Hauptwirkstoffe: Viscotoxine (Polypeptide aus 46 Aminosäuren). In den Beeren sollen Viscotoxine vorhanden sein, in den Blättern und Zweigen ß-Amyrin, Lupeol, Oleanolsäure und zahlreiche weitere Stoffe.

Allgemeine Verwendung

Die Früchte vor allem der Eichenmistel (die allerdings zu einer anderen Gattung gehört) wurden früher wegen des klebrigen Mesokarps zur Herstellung von Vogelleim verwendet. In einigen europäischen Ländern ist diese Art des Vogelfangs immer noch ein beliebter Sport. Misteln eignen sich sehr gut für Wildgärten, da sie einfach anzupflanzen sind, denn es reicht aus, die frischen noch klebrigen Samen an eine junge Borke eines geeigneten Wirtsbaumes anzuheften.

Verwendung als Heilpflanze

Als Heildroge dienen die getrockneten, jungen Zweige mit Blättern, Blüten und Früchten.

Wirkstoffe: Lektine (Gycoproteine), Viscotoxine (toxische Polypeptide), wasserlösliche Polysaccharide, biogene Amine, Flavonoide, Lignane, Cyclitole, wie Viscumitol und Phenolcarbonsäuren.

Anwendung: Traditionell werden Misteltee oder auch entsprechende Fertigpräparate mit Mistelextrakten zur Unterstützung des Kreislaufs bei Neigung zu erhöhtem Blutdruck und zur Arterioskleroseprophylaxe eingenommen. Bisher liegt aber kein ausreichender Nachweis für die Wirksamkeit bei diesen Indikationen vor. Nur nach intravenöser Injektion kann ein vorübergehender Blutdruckabfall festgestellt werden, der auf die biogenen Amine zurückgeführt wird.

Hiervon abzugrenzen sind Präparate, aus frischem Mistelkraut, die man zeitweise intracutan zur Segment-Therapie u.a. bei entzündlich-degenerativen Gelenkerkrankungen, Arthrosen sowie Bandscheibenerkrankungen heranzog. Ausgelöst durch die Vicotoxine kommt es am Injektionsort zu lokalen Entzündungen, die eine Aktivierung der zellulären Immunabwehr zu Folge haben.

Große Beachtung findet heute die Injektionsbehandlung mit speziellen Mistelextrakten aus den einzelnen Unterarten der Mistel, die in ihrem Wirkstoffmuster nicht ganz einheitlich sind. Man verwendet sie zur begleitenden Therapie bei gutartigen und bösartigen Geschwulsterkrankungen, insbesondere auch bei der Rezidiv- und Metastaseprophylaxe. Die Lektine gelten hier als wirksame Bestandteile, vor allem das Mistel-Lektin I. Die Erfolge werden im Sinne einer unspezifischen Reiztherapie gedeutet, keinesfalls als direkte zytotoxische Wirkung der Präparate. Die Verbesserung der Lebensqualität scheint erwiesen zu sein. Die Anwendung stammt aus der anthroposophischen Therapierichtung.

Mythologie

Die Mistel war schon in der Mythologie des Altertums bekannt und wurde von den gallischen Priestern, den Druiden, als Heilmittel und zu kultischen Handlungen benutzt. Sie galt nicht nur als Wunderpflanze gegen Krankheiten, sondern wurde auch als Heiligtum verehrt, als Zeichen des immerwährenden Lebens. [1] Die Germanen glaubten, dass die Götter die Mistelsamen in die Bäume streuten, sie also ein Geschenk des Himmels wären. Auch heute noch werden einige alte Bräuche gepflegt. So ist die Mistel in einigen Ländern, wie beispielsweise der Schweiz, ein Fruchtbarkeitssymbol. In England gibt es ein Ritual, dass ein Mistelzweig in der Weihnachtszeit über die Tür gehängt wird und die junge Dame, die sich unter diesem Mistelzweig befindet, auf der Stelle geküsst werden darf. In Frankreich wird ein Mistelzweig am Neujahr auch über die Tür gehängt und jedermann küsst die Verwandten und die Freunde darunter. Ein Spruch wird auch gesagt : Au gui, l'an neuf, das heißt „Mit dem Mistel kommt das Neujahr“.

In der germanischen Mythologie wurde der Asengott Balder mit einem Mistelzweig getötet.

Sonstiges

  • Vergleiche auch:
    • Eichenmistel, Riemenblume (Loranthus europaeus),
    • Zwergmistel (Viscum minimum) - Vollparasit/Endophyt im Inneren einiger kakteenähnlichen Wolfsmilch-Arten in Südafrika, mit roten Beeren,
    • Zwergmisteln im eigentlichen Sinne sind die blattlosen, unscheinbaren, aber forstlich teilweise schädlichen Arten der Viscaceae-Gattung Arceuthobium. Diese parasitieren nur in Nadelgehölzen. Sie sind über die ganze Nordhemisphäre verbreitet. Sie schleudern ihre Samen mit extremem Wasserdruck bis zu zwanzig Meter weit, ein im Pflanzenreich äußerst seltener Ausbreitungsmechanismus (Canadian Journal of Botany, Bd. 82, S. 1566). Besonders artenreich treten sie in Nordamerika auf. In Europa kommt aus dieser etwas über 30 Arten umfassenden Gattung nur die sehr unauffällige Wacholdermistel vor, zum Beispiel in Südfrankreich.

Literatur

  • Priscilla Abdulla: Loranthaceae in der Flora of Pakistan: Viscum album - Online.
  • Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands. Ein botanisch-ökologischer Exkursionsbegleiter zu den wichtigsten Arten. 6. völlig neu bearbeitete Auflage. Quelle und Meyer, Wiebelsheim 2005, ISBN 3-494-01397-7.
  • Thomas Schauer: Der BLV Pflanzenführer für unterwegs. blv, München 2005, ISBN 3-405-16908-9.
  • Hans Christian Weber: Schmarotzer. Pflanzen die von anderen leben. Belser, Stuttgart 1978, ISBN 3-7630-1834-4.
  • Hans Christian Weber: Parasitismus von Blütenpflanzen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1993
  • Ingrid und Peter Schönfelder: Das neue Buch der Heilpflanzen Franckh-Kosmos Verlag (2011), ISBN 978-3-440-12932-6
  • Roth/Daunderer/Kormann: Giftpflanzen Pflanzengifte. 6. Auflage (2012), ISBN 978-86820-009-6

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 album L. - Mistel
  2. N. Böhling u. a.: Notes on the Cretan mistletoe, Viscum album subsp. creticum subsp. nova (Loranthaceae/Viscaceae). In: Israel Journal of Plant Sciences 50 (Supplement, 2002), S77–S84.
  3. Viscum coloratum in der "Flora of China"
  4. Viscum album Linnaeus subsp. meridianum (Danser) D. G. Long in der "Flora of China".

Weblinks

Wiktionary: Mistel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Weißbeerige Mistel (Viscum album) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien