Wunderbaum


Wunderbaum

Früchte des Wunderbaums (Ricinus communis)

Systematik
Ordnung: Malpighienartige (Malpighiales)
Familie: Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae)
Unterfamilie: Acalyphoideae
Tribus: Acalypheae
Gattung: Ricinus
Art: Wunderbaum
Wissenschaftlicher Name der Gattung
Ricinus
L.
Wissenschaftlicher Name der Art
Ricinus communis
L.

Der Wunderbaum (Ricinus communis) ist die einzige Pflanzenart der monotypischen Gattung Ricinus, die zur Familie der Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae) gehört.

Namen

Der botanische Name stammt vom lateinischen Wort ricinus für „Zecke“, da die Samen der Pflanze in ihrer Form an Zecken erinnern. Andere deutsche Trivialnamen sind Christuspalme, Hundsbaum, Läusebaum, Kreuzbaum oder, den Gattungsnamen verallgemeinernd, Rizinus. Dabei ist Christuspalme eine falsche Übersetzung von vorlinnéischem palma Christi „Christushand“, wo die Blätter mit der gespreizten Hand, lat. palma „flache Hand“, verglichen werden. Der vielfältige Bezug der Pflanze zur christlichen Terminologie bleibt unklar, möglicherweise bezieht sich der Name Wunderbaum auch hierauf (siehe aber auch Rizinus in der Bibel). Die Botaniker des 16. Jahrhunderts, bei denen der Name Wunderbaum erstmalig belegt ist, sehen das Wunderliche nur im äußeren Erscheinungsbild.

Im Zusammenhang mit der Verwendung des Öls der Wunderbaum-Samen als nachwachsender Energieträger wird der Wunderbaum von der Industrie und in den Medien auch als Castorpflanze (auch in Bindestrich-Schreibweise) bezeichnet. Das geht vermutlich zurück auf unsaubere Übersetzung der international verwendeten englischen Bezeichnung castor oil plant. Die Samen der Pflanze werden allerdings auch im Deutschen schon länger als Castorbohnen bezeichnet.

Beschreibung

Botanische Zeichnung
Rizinus-Blätter

In den gemäßigten Klimazonen wächst die Pflanze als einjährige krautige Pflanze, in den Tropen als mehrjährige Pflanze. Diese Pflanze ist eine schnellwüchsige Pflanze und wird unter idealen Bedingungen innerhalb von drei bis vier Monaten bis zu fünf Meter hoch. In tropischem Klima erreicht sie nach mehreren Jahren Wuchshöhen von bis zu 13 Metern und bildet einen verholzten Stamm. In saisonalen Klimaten stirbt die Pflanze jedes Jahr oberirdisch ab und treibt dann bei entsprechender Sonneneinstrahlung wieder neu aus.

Die wechselständig stehenden Laubblätter sind 30 bis 70 Zentimeter groß, glänzend, grün (bei einigen Sorten rötlich bis tief-purpurfarben), haben lange Blattstiele und sind fünf- bis elflappig handförmig (peltat). Auch die stark wasserhaltigen Stängel sind bei einigen Sorten rot überlaufen.

Der Wunderbaum blüht von August bis Oktober. Es werden große, endständige rispige Blütenstände gebildet. Die Pflanzen sind einhäusig getrenntgeschlechtig (monözisch). Die eingeschlechtigen Blüten sind unscheinbar und grüngelb. In der oberen Hälfte des Blütenstandes werden nur die an den roten Stempeln zu erkennenden weiblichen Blüten gebildet, in der unteren Hälfte nur die männlichen Blüten mit ihren typischen gelben Staubblättern.

Es werden rotbraune, mit weichen Stacheln besetzte, dreifächerige Kapselfrüchte mit rötlichbraun-marmorierten, bohnenförmigen Samen gebildet.

Vermehrung

Der Wunderbaum trägt reichlich Früchte, die sogenannten „Castorbohnen“, die an eine vollgesaugte Zecke erinnern. Die Samen sind schnellkeimend. Zusammen mit seinem schnellen Wachstum führt dies dazu, dass er in einigen südlichen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten mittlerweile als invasive Art (Neophyt) behandelt wird.

Verbreitung

Diese Pflanzenart ist ursprünglich in Nordost-Afrika und dem Nahen Osten beheimatet. Als Kulturflüchtling hat sie sich mittlerweile in allen tropischen Zonen verbreitet. Diese Art liebt einen vollsonnigen, warmen und windstillen Platz. Der Boden sollte humus- und nährstoffreich und gut durchlässig sein. Eine gute Wasserversorgung fördert zwar das Wachstum, ist aber nach gutem Anwachsen nicht mehr zwingend, denn die Pflanze toleriert Dürrezeiten.

Blütenstände, Blüten, junge Früchte und Blätter an einer grünen Sorte
Rizinus-Samen

Inhaltsstoffe

Rizinusöl

Das viskose, durchsichtige bis gelbliche Rizinusöl, (auch Kastoröl, pharmazeutische Bezeichnung: Ricini oleum, früher: Oleum Ricini s. Castoris) wird aus den Samen der Pflanze (Ölanteil von etwa 40 bis 50 %) kalt gepresst, es besteht zu 70 bis 77 Prozent aus Triglyceriden der Rizinolsäure. Im Gegensatz zu den Samen ist es ungiftig. Neben seiner medizinischen Anwendung wird es in Mischung mit Methanol auch zur Schmierung von Verbrennungsmotoren im Modellbau eingesetzt (Glühzündermotoren).

Rizin

Die Samenschalen des Wunderbaums sind sehr giftig, da sie das toxische Eiweiß Rizin, ein Lektin, enthalten[1][2]. Bei der Einnahme kann schon eine Menge von 0,25 Milligramm tödlich wirken, das entspricht wenigen Samen. Die parenteral tödliche Dosis beträgt bei Mäusen je nach Reinheitsgrad der Substanz etwa ein Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht. Rizin löst sich zwar in Wasser, ist aber fettunlöslich und daher im Rizinusöl nicht enthalten. Beim Pressen der Samen verbleibt das Gift somit in den Pressrückständen.

Symptome einer Rizin-Vergiftung sind:

  • Starke Schleimhautreizung (unter anderem Brennen in Mund und Rachen)
  • nach Resorption Änderung der Syntheserate von essentiellen Enzymen
  • Schädigung von Niere, Leber, Magen und Darm[2]
  • Übelkeit, Erbrechen, Krämpfe

Der Tod tritt üblicherweise durch Kreislaufversagen etwa zwei Tage nach der Vergiftung ein. Ein agglutiniertes Protein führt zum Verklumpen der roten Blutkörperchen. Es ist kein Gegengift bekannt.

Verwendung

Verwendung als Zierpflanze

Rizinus-Pflanze einer roten Sorte
Rizinus-Früchte

Der Wunderbaum ist eine beliebte Zierpflanze, zumal sie schnellwüchsig ist und von exotischem Äußeren. In gemäßigten Breiten überlebt die frostempfindliche Pflanze den Winter jedoch nicht und wird daher meist nur einjährig kultiviert. Idealer Standort im Garten ist ein Mistbeet, oder auch jede andere nicht zu schattige Stelle.

Mehrere Sorten sind gezüchtet worden, meist für die kommerzielle Ölproduktion. Einige Sorten wurden jedoch auch für den Zierpflanzenhandel gezüchtet: „Carmencita“ mit bronzeroten Blättern und leuchtend roten Blüten; „Impala“, eine Miniatursorte mit roten bis purpurnen Blättern; „Sanguineus“ mit blutrotem Stamm und Blattwerk; „Gibsonii Mirabilis“, eine Zwergsorte in dunkelrot und „Zanzibarensis“ mit weiß geäderten, grünen Blättern.

Verwendung des Rizinusöls

Medizinische Anwendung

Die Verwendung des Wunderbaumes als Medizinal- und Ölpflanze ist bereits um 1552 v. Chr. im ältesten erhaltenen medizinischen Text, dem altägyptischen Papyrus Ebers, bezeugt, auch wurden Samen der Pflanze in ägyptischen Gräbern gefunden.

Am bekanntesten ist die Verwendung als unverdauliches Abführmittel bei Verstopfung oder zur beschleunigten Darmentleerung. Die Wirkung tritt zwei bis vier Stunden nach der Einnahme von rund 10 bis 30 Millilitern Rizinusöl ein. Einige Verbindungen des Öls wirken aber schon nach 10 bis 20 Sekunden. Die eigentlich wirksame Substanz ist die Rizinolsäure, eine C18-Fettsäure, die erst im Dünndarm durch körpereigene Lipasen (fettspaltende Enzyme) freigesetzt wird. Durch die Sammlung von Wasser im Darm entsteht eine vergrößerte und erweichte Stuhlmenge und damit die abführende Wirkung. Zusätzlich führt die freigesetzte Rizinolsäure zu einer Reizung der Darmschleimhaut, wodurch ebenfalls eine abführende Wirkung entsteht.

Als Nebenwirkung wird die Aufnahme von Natrium und Wasser und von fettlöslichen Vitaminen aus dem Darm gehemmt, ein erhöhter Kalium- und Elektrolytverlust kann die Wirkung von Herzglykosiden verstärken. In höheren Dosen können Übelkeit, Erbrechen, Koliken und heftiger Durchfall auftreten. Während des italienischen Faschismus war die Zwangsverabreichung von Überdosen Rizinusöl eine berüchtigte Foltermethode mit vielen Todesopfern.

Außerdem wird über eine Anwendung als wehenförderndes Mittel (durch die abführende Wirkung) in einem so genannten Wehencocktail berichtet.

Äußerlich wird Rizinusöl zur Behandlung von Warzen und Ringelflechte angewandt.

Kunststofferzeugung und chemische Industrie

Die bei weitem wichtigste Anwendung ist die Verwendung als natürliches Polyol für Polyurethankunststoffe. Rizinusöl ist das einzige in großen Mengen verfügbare Pflanzenöl, das von Natur aus die nötige OH-Funktionalität mitbringt, um mit Di- oder Polyisocyanaten zu Polyurethanpolymeren zu reagieren. Die Anwendungsbereiche sind PU-Schäume (z. B. Polster und Matratzen, Bauschäume), Gießharze (z. B. Elektrovergussmassen), Klebstoffe und viele weitere.

Auch als Rohstoff für Linoleumböden, Lack- und Farbherstellung ist Rizinusöl im Einsatz, als Weichmacher in der Kunststoffindustrie sowie als Gleit- und Schmiermittel.

In der Kosmetikindustrie wird es als Grundstoff für Lippenstifte, Shampoo und andere Kosmetika verwendet.

Energiegewinnung

Das Öl der Samen wurde früher vor allem in Europa als Brennöl eingesetzt. Der Einsatz als Energieträger zur Herstellung von Biodiesel wird neuerdings wieder diskutiert. Die Rückstände der Ölpressung (Ölkuchen, Schrot) werden (nach Entgiftung durch Hitzeinaktivierung) häufig in organischen Düngern oder als Tierfutter verwendet.

Im Modell- und Motorsport wird Rizinusöl bei Zweitaktmotoren als schmierender Bestandteil dem Treibstoff beigegeben (Gemischschmierung). Bei Verbrennung solcher Zweitaktgemische entsteht ein charakteristischer Geruch.

Verwendung des Rizins

Keimblätter von Ricinus communis

Alkaloide im Rizinusöl sind Nudiflorin, Ricinidin und Ricinin.

Rizin ist eines der potentesten natürlich vorkommenden Gifte überhaupt und außerdem sehr leicht herstellbar. Da es auch über die Atemwege wirkt, wurde es von der britischen Armee auf seine Verwendbarkeit als Kampfstoff geprüft, sein Einsatz jedoch verworfen und die entsprechenden Vorräte vernichtet, insbesondere, da es sich nur schwer als Aerosol verteilen lässt und eher für Anschläge auf Einzelpersonen geeignet ist. Trotz seiner mangelnden Eignung für einen Angriff mit dem Ziel von Massentötungen ist Rizin in der Liste 1 der Chemiewaffenkonvention (CWC) aufgeführt, welche die giftigsten Toxine enthält, und zugleich auch in der letzten Version der Bio- und Toxinwaffen-Konvention (BTWC).

Der erste bekannte Einsatz von Rizin als Waffe war 1978 beim Regenschirmattentat, als der bulgarische Journalist und Dissident Georgi Markow in London von bulgarischen Geheimdienstagenten auf offener Straße mit einem Regenschirm, dessen Spitze mit einer 1,52 Millimeter großen Kugel mit 40 Mikrogramm des Toxins präpariert worden war, angegriffen und in den Unterschenkel gestochen wurde. Markow starb einige Tage später im Krankenhaus an einem Kreislaufversagen als Folge der Vergiftung. Von Terrororganisationen wurde auf den Einsatz von Rizin bisher nicht zurückgegriffen. Allerdings wurde im Januar 2003 bei der Festnahme mutmaßlicher Islamisten in Großbritannien eine geringe Menge Rizin gefunden.

Rizin wird wegen seiner zytostatischen, also wachstumshemmenden Wirkung auf Krebszellen derzeit für die Verwendung in der Tumor-Therapie geprüft.

Welthandel

Das wichtigste Produzentenland für Rizinusöl ist Indien, das mit jährlich 750.000 Tonnen etwa 60 Prozent zur Weltproduktion beisteuert. Weitere wichtige Produzentenländer sind die Volksrepublik China und Brasilien.

Bibel

Im Alten Testament der Bibel wird der Rizinus im Buch Jona, Kapitel 4, in den Versen 6 bis 8 erwähnt: „Gott ließ den Rizinusstrauch über Jona wachsen, um seinem Kopf Schatten zu geben. Am nächsten Morgen jedoch schickte er einen Wurm, sodass der Rizinus verdorrte.“(Jona 4,6 EU) Da schon lange bekannt war, dass Rizinus sehr giftig ist und zum Beispiel seine Blätter als Insektizide verwendet wurden, wurde diese Pflanze auch als Weinstock, Efeu oder Kürbis gedeutet.

Die Natur des „Wurmes“ blieb lange völlig unklar. Es wird vermutet, dass es sich dabei um die Raupen eines Nachtfalters der Familie der Bärenspinner (Arctiidae) handelt, der im Jahre 2005 neu beschrieben wurde und den Namen Olepa schleini erhielt. Diese Raupen fressen an Rizinus und sind vor allem nachtaktiv.[3]

Literatur

  • Guido Majno: The Healing Hand. Man and Wound in the Ancient World. Harvard University Press, Cambridge/Mass. 1975, ISBN 0-674-38330-3.
  • Heinrich Marzell: Macleya–Ruta. Parkland, Köln 2000. ISBN 3-88059-982-3 (Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Band 3, Nachdruck der Ausgabe von 1977).
  • Axel Hausmann: Olepa schleini, Wiederentdeckung eines biblischen Schmetterlings aus dem Buch Jona. In: Tiere und Kunst aus Israel. München 2005, ISBN 3-00017303X (Berichte der Freunde der ZSM. Band 2).

Weblinks

Commons: Wunderbaum – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Genom entschlüsselt

Einzelnachweise

  1. B. Soto-Blanco, I.L. Sinhorini, S.L. Gorniak, B. Schumaher-Henrique: Ricinus communis cake poisoning in a dog. Vet Hum Toxicol. Juni 2002, 44(3):155-6.
  2. 2,0 2,1 Wissenschaft-Online-Lexika: Eintrag zu Ricin im Lexikon der Biochemie, abgerufen am 27. Juli 2011.
  3. Axel Hausmann: „Olepa schleini: Wiederentdeckung eines biblischen Schmetterlings aus dem Buch Jona“. In: Tiere und Kunst aus Israel. Berichte der Freunde der ZSM. Bd. 2. München 2005. S. 22–25. ISBN 3-00-017303-X (PDF)