Braungrüner Zärtling



Braungrüner Zärtling

Braungrüner Zärtling (Entoloma incanum)

Systematik
Unterklasse: Agaricomycetidae
Ordnung: Champignonartige (Agaricales)
Familie: Rötlingsverwandte (Entolomataceae)
Gattung: Rötlinge (Entoloma)
Untergattung: Leptonia
Art: Braungrüner Zärtling
Wissenschaftlicher Name
Entoloma incanum
(Fr. : Fr.) Hesler

Der Braungrüne Zärtling (Entoloma incanum, syn. Leptonia euchlora und L. incana, Rhodophyllus euchlorus und R. incanus) ist eine Pilzart aus der Familie der Rötlingsverwandten.[1] Die Spezies gehört zur vielgestaltigen, artenreichen Gattung der Rötlinge und darin zur Untergattung Leptonia, deren Arten aufgrund der überwiegend kleinen und zierlichen Fruchtkörper auch als „Zärtlinge“ bezeichnet werden. Wegen der geringen Maße und braungrünen Tarnfarben ist der fragile Pilz im Gras nur schwer zu entdecken. Er verströmt jedoch einen auffälligen Geruch nach verbranntem Horn oder dem Urin von Mäusen – daher rührt auch der Trivialname „Mousepee Pinkgill“ aus dem englischen Sprachraum[2], auf Deutsch „Mäusepisse-Rötling“.

Merkmale

Die gelb-weißlichen Lamellen junger Fruchtkörper des Braungrünen Zärtlings zeigen manchmal einen grünen Beiton.
Längsschnitt durch einen Fruchtkörper des Braungrünen Zärtlings
Illustration aus James Sowerbys „Coloured Figures of English Fungi or Mushrooms“ (1797)

Makroskopische Merkmale

Der Braungrüne Zärtling trägt einen 0,5–3 cm breiten, gewölbten Hut, der später abflacht und in der Mitte eine nabelartige Vertiefung entwickelt. Das Farbspektrum reicht von braungrün über grünblau und gelbgrün bis hin zu olivbraun. Das Hutfleisch ist derart dünn bis kaum vorhanden, dass bei durchfeuchteten Exemplaren die Lamellen auf der Hutunterseite als radiale Riefen durchscheinen. Bei Trockenheit blassen die Farben aus und die Riefung verschwindet. In der Hutmitte ist die seidige Oberfläche oft feinflockig strukturiert. Die anfangs gelb-weißlichen Lamellen sind bisweilen grün getönt und bekommen bei Reife durch das ausfallende Sporenpulver eine schmutzig rosa Färbung. Sie sind am Stiel ausgebuchtet angewachsen oder laufen daran mit einem Zahn herab. Auffallend ist der leuchtend hellgrüne und am Stielansatz mehr gelb gefärbte Stiel, der an Druckstellen oder bei Verletzung innerhalb kurzer Zeit dunkel- bis blaugrün anläuft. Er ist 2–6 cm lang und 1–3 mm dick. Die Oberfläche ist glatt und glänzend, am unteren Stielende hingegen weißfilzig bekleidet. Der Stiel ist hohl, teils wattig ausgefüllt und besitzt eine längsfaserige Wandung. Das hellgrüne Fleisch ist in der Stielbasis blaugrün bis blau gefärbt. Nahezu einmalig im Reich der Pilze ist der unangenehm stechende Geruch nach verbranntem Horn oder „Mäuseklo“, vor allem bei alten und angetrockneten Fruchtkörpern. Michael, Hennig und Kreisel vermerken in ihrem „Handbuch für Pilzfreunde“, dass der Geruch auch mit dem der Gewöhnlichen Hundszunge (Cynoglossum officinale) vergleichbar ist.[3]

Mikroskopische Merkmale

An den Basidien reifen unregelmäßig 6–9–eckige Sporen heran. Sie messen (9,5–)10,5–13,0(–14,0) × 7,5–9,5(–10,0) Mikrometer, das Verhältnis aus Länge und Breite liegt zwischen 1,2 und 1,7. Die Lamellenschneiden sind fertil und weisen keine Cheilozystiden auf. Die Huthaut ist am Rand eine Cutis aus liegenden Hyphen und in der Mitte ein Übergang von einer Cutis zu einem Trichoderm, bestehend aus aufgeblasenen und 20–115 × 7–30 µm großen Endzellen. Die Pigmentierung der schnallenlosen Pilzfäden ist intrazellulär.[1]

Artabgrenzung

Der Zitronengelbe Glöckling (Entoloma pleopodium) hat einen vergleichbaren Habitus wie der Braungrüne Zärtling. Auch der bisweilen nicht zitronengelbe sondern grüngelbe und zentral eingedellte Hut hat eine gewisse Ähnlichkeit. Doch der Stiel ist dunkler und mehr braun als der Hut gefärbt. Weiter zeigt das Fleisch bei Druck oder Verletzung keinen Farbumschlag. Auffallend ist zudem der süßliche Geruch nach Früchtebonbons bzw. Amylacetat.

Dagegen ist der Doppelgänger des Zitronengelben Glöcklings, der Gelbgrüne oder Grünstielige Rötling (E. chlorophyllum), geruchlos. Der bis zu 2 cm große Hut ist gelb bis olivgrün gefärbt. Der bis 7 cm lange, brüchige Stiel hat eine schwach knollige, weißfilzige Stielbasis.

Die ähnlich gefärbten Fruchtkörper des Papageigrünen Saftlings (Hygrocybe psittacina) haben im Gegensatz zum Braungrünen Zärtling eine schleimige oder bei Trockenheit zumindest klebrige Hut- und Stieloberfläche. Der Hut ist gewölbt bis stumpfkegelig, aber nie genabelt. Darüber hinaus ist das Sporenpulver im Gegensatz zum rosabraunen Abdruck der Rötlinge weiß gefärbt.[4]

Ökologie und Phänologie

Magerrasen auf Kalkschotterflächen, wie hier im Schutzgebiet „Kissinger Bahngruben“ bei Augsburg, sind typische Habitate des Braungrünen Zärtlings.

Wie der Papageigrüne Saftling besiedelt die Art vorwiegend ungedüngte und extensiv bewirtschaftete Magerwiesen, selten kann sie auch in lichten Wäldern angetroffen werden. In den Alpen steigt die Art bis in die subalpine Höhenlage auf. Der Pilz ist eine Zeigerart für kalkhaltige, nährstoff- und stickstoffarme Böden. Anders als Waldpilze wie z. B. Steinpilze oder Pfifferlinge benötigt der Braungrüne Zärtling keine Bäume als Symbiosepartner. Ob sich der Rötling ausschließlich von Pflanzenresten ernährt oder er eine Lebensgemeinschaft mit anderen Höheren Pflanzen bildet, ist unzureichend erforscht.

Die Art fruktifiziert von Juli bis September, vereinzelt tauchen die Fruchtkörper auch schon im Juni auf, Nachzügler können noch im November gefunden werden.[5]

Verbreitung

Verbreitung des Braungrünen Zärtlings (Entoloma incanum) in Europa

Legende:
grün = Länder mit Fundmeldungen
cremeweiß = Länder ohne Nachweise
grau = außereuropäische Länder

Der Braungrüne Zärtling ist in Australien, Neuseeland, Südost- und Nordasien, Amerika, Kanada, den boreosubtropischen bis temperaten Regionen der Holarktis und Europa verbreitet. Auf dem europäischen Kontinent ist die Art weit verbreitet. In Südeuropa existieren Nachweise aus den Balearen, Italien, Korsika, Rumänien und Spanien. In Westeuropa kommt der Rötling in Belgien[6], Frankreich, Großbritannien nordwärts bis zu den Färöer-Inseln, Irland, Luxemburg[7] und in den Niederlanden vor. In Mitteleuropa kann der Pilz in Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Polen, der Schweiz, der Slowakei[8], Slowenien, Tschechien[9] und Ungarn gefunden werden. Fundmeldungen liegen auch aus Nordosteuropa (Estland) und Nordeuropa (Skandinavien) vor.[10]

Bedeutung

Speisewert

In der einschlägigen Fachliteratur wird der Braungrüne Zärtling weder als Speisepilz noch als Giftpilz klassifiziert. Michael, Hennig und Kreisel halten die Art hinsichtlich des Speisewerts für „bedeutungslos“[3], Laux gibt unter „Verwendung“ lediglich „kein Speisepilz“ an[4]. Gerhardt kennzeichnet den Pilz als „ungenießbar oder Speisewert unbekannt“ und beschreibt den Geschmack als „unbedeutend, nicht mehlartig“.[11] Gminder weist die Art als „ungenießbar (zu hart, zu bitter, zu klein)“ aus, lässt aber offen, welches Kriterium oder welche Kriterien letztlich zu der Einstufung führten.[12]

Pilz des Jahres 2013

Die Deutsche Gesellschaft für Mykologie hat den Braungrünen Zärtling zum „Pilz des Jahres 2013“ gewählt, weil viele Rötlinge Offenlandhabitate wie z. B. Halbtrockenrasen und Moore besiedeln, die in Deutschland durch die fortschreitende Versiegelung sowie Überdüngung stark beeinträchtigt und dadurch gefährdet sind.[13]

Quellen

Literatur

  • Andreas Gminder, Armin Kaiser, German Josef Krieglsteiner: Ständerpilze: Blätterpilze II (Hell- und Dunkelblättler). In: G. J. Krieglsteiner (Hrsg.): Die Großpilze Baden-Württembergs. Band 4. Eugen Ulmer, Stuttgart 2003, ISBN 978-3-8001-3281-2.
  • Erhard Ludwig: Beschreibungen. Die größeren Gattungen der Agaricales mit farbigem Sporenpulver (ausgenommen Cortinariaceae). In: Pilzkompendium. Band 2. Fungicon, Berlin 2007, ISBN 978-3-940316-01-1 (723 Seiten, deutsch mit englischen Zusammenfassungen, 17 × 24 cm, enthält 48 neue Taxa und 16 Neukombinationen).

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Machiel Evert Noordeloos: Entoloma s.l. In: Fungi Europaei. Band 5. Edizioni Candusso, Alassio (Italien) 1992 (760 Seiten).
  2. British Mycological Society: English Names for fungi 2012. Abgerufen am 21. Juli 2012.
  3. 3,0 3,1 Edmund Michael, Bruno Hennig, Hans Kreisel: Blätterpilze – Hellblättler und Leistlinge. In: Handbuch für Pilzfreunde. 2. Auflage. Band 3. VEB Gustav Fischer, Jena 1977, S. 212.
  4. 4,0 4,1 Hans E. Laux: Der große Kosmos Pilzführer. Kosmos, Stuttgart 2001, ISBN 978-3-440-12408-6, S. 240 (720 Seiten; über 1000 Fotos).
  5. Deutsche Gesellschaft für Mykologie (DGfM): Pilzkartierung 2000 Online. Bearbeitet von Axel Schilling, Peter Dobbitsch. Abgerufen am 21. Juli 2012.
  6. Entoloma incanum (Fr.) Hesler. In: Observations.be. Abgerufen am 21. Juli 2012 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
  7. Marie-Thérèse Tholl, Guy Marson, Ben Schultheis: Pilze - champignons - Fungi. Erfassung der Biodiversität im Waldgebiet "Schnellert" (Gemeinde Berdorf). In: Ferrantia. Band 50. Musée national d’histoire naturelle Luxembourg, 2007, ISSN 1682-5519, S. 17–26 (online verfügbar als PDF-Dokument).
  8. Roland Baranovič: Atlas húb. Abgerufen am 21. Juli 2012.
  9. Global Biodiversity Information Facility (GBIF): ... free and open access to biodiversity data. Abgerufen am 21. Juli 2012 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
  10. Ewald Gerhardt: BLV Handbuch Pilze. 3. Auflage. BLV, München 2002, ISBN 978-3-405-14737-2, S. 164 (639 Seiten; einbändige Neuausgabe der BLV Intensivführer Pilze 1 und 2).
  11. Andraes Gminder: Handbuch für Pilzsammler. 340 Arten Mitteleuropas sicher bestimmen. Kosmos, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-440-11472-8, S. 168.
  12. DGfM-Arbeitskreis Entoloma – insbesondere Andreas Kunze, Peter Karasch: 2013: Entoloma incanum (Fr. : Fr.) Hesler, Braungrüner Zärtling. Deutsche Gesellschaft für Mykologie, abgerufen am 4. Oktober 2012.

Weblinks