Fentanyl


Strukturformel
Strukturformel von Fentanyl
Allgemeines
Freiname Fentanyl
Andere Namen
  • IUPAC: N-(1-Phenethyl-4- piperidyl)propionanilid
  • Latein: Fentanylum, Fentanyli citras
Summenformel C22H28N2O
Kurzbeschreibung

Weißes bis fast weißes, polymorphes Pulver[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
  • 437-38-7
  • 990-73-8 (Citrat-Salz)
PubChem 3345
DrugBank APRD00347
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Arzneistoffangaben
ATC-Code

N02AB03 N01AH01

Wirkstoffklasse

Opioid-Analgetikum

Eigenschaften
Molare Masse 336,47 g·mol−1
Schmelzpunkt
  • 87,5 °C[2]
  • 149−151 °C (Citrat)[3]
Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [4]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300​‐​310​‐​317​‐​330​‐​334
P: 260​‐​264​‐​280​‐​284​‐​302+350​‐​310 [4]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das als potentes Schmerzmittel in der Anästhesie (bei Narkosen) sowie als transdermales therapeutisches System zur Therapie von chronischen Schmerzzuständen, die nur mit Opiatanalgetika ausreichend behandelt werden können, eingesetzt wird. Fentanyl wirkt als Agonist am μ-Opioidrezeptor. Fentanyl fällt in Deutschland und in der Schweiz unter das Betäubungsmittelgesetz und in Österreich unter das Suchtmittelgesetz.

Entwicklung

1960 wurde Fentanyl von Paul Janssen als erstes Anilinopiperidin entwickelt. Seitdem wurden aus Fentanyl durch Modifikationen der Molekularformel eine Reihe besser steuerbarer Derivate entwickelt.

Anwendungsformen

Gebräuchlich ist Fentanyl als Fentanyldihydrogencitrat. Dabei gibt es drei hauptsächliche Anwendungsformen: Als intravenöse Verabreichung (etwa in der Anästhesie oder Notfallmedizin), als transdermales therapeutisches System (Durogesic®) und in Form eines oral-transmukosalen therapeutischen Systems (Actiq®), welches bei Durchbruchschmerzen als Lutschtablette mit integriertem Applikator an der Mundschleimhaut angewendet wird. Seit dem 1. September 2009 ist das erste EU weit zugelassene Fentanyl-Nasenspray – (Instanyl® von Nycomed) – gegen Durchbruchschmerz erhältlich (sehr intensiver minutenlanger Schmerz, typisch bei fortgeschrittener Krebserkrankung). Das Medikament ist indiziert für die Behandlung von Durchbruchschmerzen bei Erwachsenen, die bereits eine Opioid-Basistherapie gegen ihre chronischen Tumorschmerzen erhalten.[5] Wegen seiner starken schmerzstillenden Wirkung wird Fentanyl häufig perioperativ, das heißt vor, während, und nach einem operativen Eingriff, eingesetzt. In Form von Hautpflastern wird es als Analgetikum bei starken, chronischen Schmerzen von Krebskranken als auch in der Analgesie von chronischen Nicht-Tumor-Schmerzen (wie z. B. muskuloskeletale Schmerzbilder) eingesetzt. Im Rettungsdienst kann Fentanyl bei akuten Schmerzzuständen vom Notarzt verabreicht werden.

Wirkung

Fentanyl wirkt vorwiegend stark schmerzlindernd (analgetisch) und beruhigend (sedierend). Es ist etwa 100-mal so potent wie Morphin (gemessen am Gewicht ist nur ein Hundertstel der Menge an Fentanyl nötig, um die gleiche Wirkung zu erzielen), besitzt eine höhere Wirksamkeit (das Wirkungsmaximum ist höher), während seine Wirkdauer in der Regel deutlich kürzer ist. Fentanyl wirkt bei einer intravenösen Gabe nach 2 bis 5 Minuten. Die Halbwertszeit liegt bei 3–12 Stunden, wobei nach 30 Minuten der Blutspiegel unter die effektive Konzentration sinkt. Die zur Behandlung effektive Dosis (ED50) liegt bei 0,01 mg/kg Körpergewicht, die tödliche Dosis (LD50) bei 3,1 mg/kg Körpergewicht. Letztere Angabe bezieht sich allerdings auf Ratten. Beim Menschen führen in der Regel schon deutlich niedrigere Dosen zum Tod durch Atemdepression. Fentanyl ist in übrigen Nebenwirkungen gleichzusetzen mit den Nebenwirkungen von Morphin.

Fentanyl ist lipophil, d. h. gut fettlöslich und verteilt sich daher schnell in fetthaltigem Gewebe. Fentanyl wird hauptsächlich in der Leber verstoffwechselt und nur zu weniger als 10 % unverändert über die Nieren ausgeschieden.

Abhängig von der Dosis und dem Gesamtzustand des Patienten beeinträchtigt Fentanyl die Wahrnehmungsfähigkeit, wirkt beruhigend und führt zu Bewusstseinstrübungen bis hin zu einem schlafähnlichen Zustand. Deshalb wird es im klinischen Bereich zur Anästhesie (Narkose) eingesetzt.

Haupteinsatzgebiet ist die Gabe als Schmerzmittel bei Operationen in Verbindung mit einem Schlafmittel und wahlweise einem muskelentspannenden Mittel (Muskelrelaxans). Je nach Wahl des Schlafmittels spricht man von „balancierter Anästhesie“ oder „totaler intravenöser Anästhesie“ (TIVA). Fentanyl beeinträchtigt das Atemzentrum und führt bei höherer Dosierung zu einer Hypoventilation – ein Atemstillstand kann zu Koma oder zum Tod führen. Deshalb ist eine ständige Überwachung mit Beatmungsmöglichkeit erforderlich. Eine Ausnahme bilden Patienten, die auf fentanylhaltige Wirkstoffpflaster eingestellt wurden. Durch die gleichmäßige Wirkung und die im Vergleich zur Anästhesie meist deutlich geringeren Dosen ist nach einer Einstellungsphase keine dauerhafte Überwachung der Vitalfunktionen nötig.

Aufgrund der Lipophilie wird Fentanyl teilweise schwer kontrollierbar im Fettgewebe eingelagert und wieder freigegeben. Deshalb werden heute anstelle von Fentanyl häufig die verwandten Stoffe Alfentanil, Remifentanil und Sufentanil verwendet.

Wechselwirkungen

Die beruhigende Wirkung von Fentanyl kann durch andere Beruhigungsmittel und Alkohol verstärkt werden, die gleichzeitige Einnahme von anderen Opioiden (etwa anderen morphinhaltigen Schmerzmitteln) kann zu einer geringeren Wirkung führen. In Verbindung mit Monoaminooxidase-Hemmern können schwere Kreislauf- und Atemstörungen auftreten. Zwischen der Anwendung von MAO-Hemmern und Fentanyl sollen mindestens 14 Tage liegen. Durch die Plasmaeiweißbindung von 90 % kann es bei Verwendung in Schmerzpflastern zu Wechselwirkungen mit Präparaten wie Furosemid, Glibenclamid oder Omeprazol kommen. Durch den Abbauweg mittels Cytochromoxidase 450 ist eine Dosisanpassung von Fentanyl bei Rauchern zu beachten. Aus diesem Grund ist auch eine gleichzeitige Einnahme von Johanniskrautpräparaten (CYP 3A4-Induktor beschleunigt den Abbau von Fentanyl) oder Grapefruitsaft (CYP 3A4-Inhibitor verlangsamt den Abbau und steigert so die Wirkung von Fentanyl) nicht ratsam.

Nebenwirkungen

Zu den Nebenwirkungen zählt die Beeinträchtigung der Atmung bis hin zur Atemdepression, das Verkrampfen und Erstarren der Muskulatur, insbesondere der glatten Muskulatur, verlangsamte Herztätigkeit, verengte Pupillen (Miosis), Euphorie oder Angstzustände, Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung. Bei schneller Injektion kommt es gelegentlich zu kurzzeitigem Hustenreiz.

Die unkritische Anwendung von Fentanylpflastern erhöht das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen (UAW-News International)[6]

Überdosierung

Wie auch andere Opioide provoziert Fentanyl eine ZNS-Depression. Das akute Bild weist im Wesentlichen ausgeprägte Sedierung, Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination), Miosis (Verengung der Pupille), Atemdepression und Krämpfe auf, wobei die Atemdepression besonders hervorzuheben ist. Fentanyl kann mit Naloxon antagonisiert werden.

Seit 2005 berichtet die FDA über schwere Nebenwirkungen und Todesfälle in Zusammenhang mit fentanylhaltigen transdermalen therapeutischen Systemen.[7] Da weiterhin entsprechende Meldungen eingehen - allein im Jahr 2009 397 Todesfälle[8] - hat die FDA Empfehlungen für Fachpersonen und Patienten publiziert. Folgende Punkte sind unbedingt zu beachten:

  • Fentanyl-Pflaster nur gemäß Indikation bei starken, prolongierten Schmerzen und unzureichender Wirksamkeit nicht-opioider Analgetika und schwacher Opiate zu applizieren.
  • Vom Hersteller vorgeschriebene Dosierung und Applikationsintervall einhalten.
  • Einwirkung von Wärme vermeiden, welche die Resorption des Arzneistoffs steigert.
  • Gleichzeitige Verwendung von CYP 3A4-Inhibitoren (Ketoconazol, Erythromycin, Nefazodon, Diltiazem, Grapefruitsaft) kann zu erhöhten Plasmaspiegeln führen. (s. Wechselwirkungen)
  • Gefahr von tödlicher Atemdepression bei Überdosierung.

Missbrauch

Zum Strecken von Heroin wird Fentanyl entgegen einer verbreiteten Meinung nur selten verwendet. Es ist schwer zu beschaffen, da es fast ausschließlich bei Operationen eingesetzt wird und wie Heroin im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt ist.

Im April und Mai 2006 wurde in den USA eine Häufung von Vergiftungen mit Fentanyl (in der Form des Citratsalzes) bei Drogenkonsumenten beobachtet, teilweise mit Todesfolge. Das Fentanyl, das meist zum Strecken von Heroin und vereinzelt auch Kokain verwendet wurde, soll illegal hergestellt worden sein. Diese Entwicklung setzte sich fort und in einem Bericht spricht das CDC von 1000 Toten zwischen 2005 und 2007; die meisten Fälle wurden in Chicago, Philadelphia und Detroit registriert.[9]

Neben ihrem Einsatz in der Medizin wurden Fentanyl-Derivate auch auf ihre Verwendbarkeit als chemische Kampfstoffe hin untersucht.[10][11] Es wurden Vermutungen darüber angestellt, ob ein besonders potentes, in der Humanmedizin nicht zugelassenes Fentanyl-Derivat, das Carfentanyl, in Aerosol-Form bei der Geiselbefreiung im Moskauer Dubrowka-Theater im Oktober 2002 zum Einsatz kam und dabei für 127 Todesfälle mitverantwortlich war.[12]

Durch das Einführen verschiedener Reste in das Fentanylmolekül wurden eine Reihe gefährlicher Designerdrogen synthetisiert, beispielsweise Methylfentanyle und Benzylfentanyl (im Szenejargon „China White“ genannt).[13]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Europäische Arzneibuch-Kommission (Hrsg.): EUROPÄISCHE PHARMAKOPÖE 5. AUSGABE. Band 5.0–5.7, 2006.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Eintrag zu Fentanyl in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM)
  3. Royal Pharmaceutical Society (Hrsg.): Clarke's Analysis of Drugs and Poisons FOURTH EDITION. Pharmaceutical Press, London/Chicago 2011, ISBN 978-0-85369-711-4.
  4. 4,0 4,1 4,2 Datenblatt Fentanyl citrate salt bei Sigma-Aldrich (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Abruf nicht angegeben
  5. Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Instanyl®, Stand: 20. Juli 2009 auf der Website der Europäischen Arzneimittelagentur EMEA, (PDF, 381 KB) Abgerufen am 1. Oktober 2009.
  6. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 109, Heft 14, 6. April 2012 abgerufen von WebSite der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
  7. Fentanyl Transdermal System (marketed as Duragesic) Information. In: FDA ALERT 7/15/2005; Update 12/21/2007. 30. September 2009, abgerufen am 26. August 2010 (englisch)..
  8. Reported Patient Deaths Increased by 14% in 2009. (68 kB) In: QuarterWatch: 2009 Quarter 4. Institute for Safe Medication Practices, 16. Juni 2010, S. 2, abgerufen am 26. August 2010 (englisch, US 501c (3) nonprofit organization): „In 2009 fentanyl products accounted for 397 reported patient deaths, ranked 4th among all drugs“.
  9. "Nonpharmaceutical Fentanyl-Related Deaths — Multiple States, April 2005–March 2007". CDC, MMWR, July 25, 2008/57(29); 793–796.
  10. Medical ethics and non-lethal weapons, in: Am J Bioeth 2004; 4(4): W1-2; PMID 16192174.
  11. Fentanyl and its analogues in clinical and forensic toxicology, in: Przegl Lek. 2005; 62(6): 581–584; PMID 16225129.
  12. Unexpected „gas“ casualties in Moscow: a medical toxicology perspective, in: Ann Emerg Med. 2003 May; 41(5): 700–705; PMID 12712038.
  13. Enno Freye: Opioide in Der Medizin. Springer, 2008, ISBN 3-540-46570-7, S. 371 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Handelsnamen

Monopräparate

Abstral (D, A), Actiq (D, CH), Durogesic (D, A, CH), Effentora (D, A), Ernsdolor (A), Fentadolon (D), Fentamed (A), Fentaplast (A), Fentarichtex (A), Fentoron (A), Gelitanyl (A), Ionsys (A), Matrifen (D, A), Sintenyl (CH), zahlreiche Generika (D, A, CH)

Weblinks