Homo habilis



Homo habilis

Das Fossil OH7 (Nachbildung),
der Holotypus von Homo habilis

Zeitliches Auftreten
Oberes Pliozän bis Pleistozän
2,1 bis 1,5 Mio. Jahre
Fundorte
  • Afrika
Systematik
Teilordnung: Altweltaffen (Catarrhini)
Überfamilie: Menschenartige (Hominoidea)
Familie: Menschenaffen (Hominidae)
Tribus: Hominini
Gattung: Homo
Homo habilis
Wissenschaftlicher Name
Homo habilis
Leakey et al., 1964

Homo habilis ist eine ausgestorbene Art der Gattung Homo. Alle bislang als Homo habilis bezeichneten Funde stammen aus ostafrikanischen Gesteinsschichten, die auf ein Alter von ca. 2,1 bis 1,5 Millionen Jahren datiert wurden.[1]

Das Epitheton habilis kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „geschickt“, „fähig“, „begabt“; es wurde den Autoren der Erstbeschreibung von Raymond Dart anempfohlen.

Erstbeschreibung

Im Juni 1959 entdeckte Heselon Mukiri, ein langjähriger Mitarbeiter von Louis Leakey, in der Olduvai-Schlucht im Norden von Tansania ein kleines Unterkiefer-Bruchstück mit einem Weisheitszahn (Molar M3; Archivnummer OH 4 = Olduvai hominid 4) und Resten von zwei weiteren Zähnen. Im Herbst 1960 stieß Jonathan Leakey dort auf den rund 1,75 Mio. Jahre alten, vollständigeren und bezahnten Unterkiefer eines Kindes (OH 7), bei dem die Weisheitszähne noch nicht durchgebrochen waren. Nach weiteren Knochenfunden veröffentlichten Louis Leakey, Phillip Tobias und John Napier[2] 1964 in der Fachzeitschrift Nature die Erstbeschreibung der neuen Art Homo habilis, worin OH 7 (genannt „Johnnys Kind“) zum Typusexemplar erklärt und die Fossilien OH 8 und OH 4 sowie weitere Funde als Paratypen ausgewiesen wurden.[3] Unter der Archivnummer OH 7 waren der jugendliche Unterkiefer sowie ein Oberkieferzahn des zugehörigen Schädels und 13 Knochen einer jugendlichen Hand zusammengefasst worden; bei OH 8 handelt es sich um eine Gruppe zusammengehöriger Hand- und Fußknochen von einem vermutlich ebenfalls noch nicht erwachsenen Individuum.[4]

Um die neu beschriebene Art der Gattung Homo zuordnen zu können, wurde in der Erstbeschreibung von Homo habilis die Definition dieser Gattung revidiert. So war es bis dahin üblich gewesen, die Grenze zwischen Australopithecus und Homo anhand des Hirnvolumens zu definieren, wobei ein Teil der Forscher 700 cm³, andere 750 cm³ oder 800 cm³ und – am einflussreichsten – Ernst Mayr bereits im Jahr 1950 sogar 900 cm³ [5] als „cerebralen Rubikon“ ausgewiesen hatten; in der Erstbeschreibung von Homo habilis wurde diese Untergrenze des Hirnvolumens für Arten die Gattung Homo hingegen auf 600 cm³ herabgesetzt.

Erst seit den 1980er-Jahren ist die Art in Fachkreisen allgemein als eigenständig anerkannt.[6]

Merkmale

Nachbildung des Schädels KNM ER 1813 von Koobi Fora, Kenia

Im Vergleich zum früheren Australopithecus und zum gleichzeitig lebenden Paranthropus hatte Homo habilis mit ca. 650 cm³ [7] ein um 30 % größeres Hirnvolumen (zum Vergleich: Homo sapiens 1200 bis 1400 cm³).

Da außer in Verbindung mit dem Unterkiefer OH 7 zunächst keine Körperknochen gefunden wurden und die Definition der Art in der Erstbeschreibung im Wesentlichen an den Bau der Zähne und des Kiefers gekoppelt wurde, steht eine gesicherte Rekonstruktion der anatomischen Gegebenheiten unterhalb des Kopfes bisher aus: In den gleichen Fundschichten wurden nämlich auch Fossilien geborgen, die Paranthropus boisei zugeschrieben werden. Daher ist die Zuordnung von Knochen des Rumpfes und der Gliedmaßen zur einen oder anderen Art bisher nicht gesichert.

Gleichwohl wurden zwei als OH 35 bezeichnete, isoliert gefundene Beinknochen 1982 – und erneut 2008 – Homo habilis zugeschrieben und aus deren Gestalt „gewohnheitsmäßige Zweibeinigkeit“ abgeleitet.[4][8] Die Körpergröße eines weiblichen Homo habilis wurde auf rund einen Meter geschätzt, das Körpergewicht auf 25 bis 35 Kilogramm.[9] Leakey et al. benannten in der Erstbeschreibung zugleich als weiteres Kriterium für die Zugehörigkeit von Homo habilis zu Homo den opponierbaren Daumen und den mit ihm verbundenen Präzisionsgriff. Beide Aussagen werden heute jedoch angezweifelt: Möglicherweise bewegte sich Homo habilis nur zeitweise aufrecht fort[10], und auch der behauptete Präzisionsgriff wurde infrage gestellt.[11]

Die mit OH 7 assoziierte Hand weist – wie beim modernen Menschen – einen relativ großen Daumen und breite Fingerspitzen auf, auch sind die Arme länger als die Beine. Jedoch sind die Finger – wie bei den Schimpansen – relativ lang und gekrümmt, was auf einen häufigen Aufenthalt auf Bäumen hinweist.[4] Auch eine Analyse des Oberarmknochens von OH 62 ergab, dass er deutliche Schimpansen-ähnliche Merkmale aufweist und signifikant von den Merkmalen des Homo erectus abweicht;[12]. Da auch andere Funde aus den gleichen Schichten der Olduvai-Schlucht (Tansania) und vom Turkana-See (Kenia) teils schimpansen-, teils menschenähnliche Merkmale aufweisen, deren Zuordnung zu Homo habilis oder Paranthropus boisei aber nicht abzusichern ist, ist auch noch ungeklärt, ob der Körperbau von Homo habilis gemischte Merkmale aufwies oder ob alle menschenähnlichen Fossilien zu Homo zu stellen sind, die schimpansenähnlichen hingegen zu Paranthropus.

Neben den Funden aus Olduvai-Schlucht in Tansania wurden mehrere Fossilien vom Ostrand des Turkana-Sees (Kenia) Homo habilis zugeschrieben, unter anderem das 1975 entdeckte, teilweise erhaltene Skelett KNM-ER-3735 von der Fundstelle Koobi Fora, ferner Funde aus Sterkfontein (der Schädel Stw 53), Swartkrans (das Schädelfragment SK 847) und Hadar (der Oberkiefer A.L. 666-1).

Die Begleitfunde (u. a. vorzeitliche Verwandte der Pferde, Tapire, und Schweine sowie der Flusspferde und Flussottern) lassen auf einen Lebensraum schließen, der aus grasbewachsenen Savannen, Wasserläufen und Seen mit Ufergehölzen (Galeriewäldern) bestand. In den Fossilien führenden Schichten wurden Steinwerkzeuge vom Oldowan-Typ sowie Tierknochen mit Einkerbungen gefunden, die als Schnittspuren gedeutet werden können; daraus wurde geschlossen, dass Homo habilis Fleisch von den Knochen getrennt und verzehrt hat.

Merkmal [13] Homo rudolfensis Homo habilis
Gehirnvolumen ca. 750 cm³ ca. 610 cm³[14]
Überaugenwulst fehlt leicht entwickelt
obere Vorbackenzähne 3 Wurzeln 2 Wurzeln
untere Vorbackenzähne breite Kronen schmale Kronen
Weisheitszahn verkleinert nicht verkleinert
Extremitäten ? Pongiden-ähnlich
Oberschenkel Homo-ähnlich (?) wie Australopithecus
Fuß Homo-ähnlich (?) wie Australopithecus

Kontroversen

Zahn von Homo habilis KB 5223 aus Kromdraai, Südafrika

Die Einordnung der als Homo habilis bezeichneten Funde in den Stammbaum der Hominini ist seit der Erstbeschreibung dieser Art im April 1964 umstritten.[6] Bereits im Mai 1964 wurden die ersten Vorbehalte veröffentlicht,[15] und wenige Wochen später schrieb der einflussreiche britische Anatom und Paläoanthropologe Wilfrid Le Gros Clark, er hoffe, dass Homo habilis ebenso schnell wieder verschwinde, wie er gekommen sei.[16] Von den Kritikern der Namensgebung wurden die Fossilien zu Australopithecus gestellt, weswegen in Teilen der Fachliteratur zeitweise auch die Bezeichnung „Australopithecus habilis“ („geschickter Affe des Südens“) Verwendung fand. So schrieb beispielsweise Bernard Wood 1999 in Science, dass „das früheste Taxon, das die Kriterien [für die Gattung Homo] erfülle, Homo ergaster bzw. der frühe afrikanische Homo erectus“ sei.[17]

Akzeptiert wurde jedoch von beiden Seiten, dass die habilis-Fossilien eine zeitliche und anatomische Lücke zwischen den bis dahin bekannten Australopithecus-Varianten und denen des Homo erectus schlossen. Die Funde wurden häufig sogar dahingehend gedeutet, dass Homo habilis ein direkter Vorfahre von Homo erectus gewesen sei. Schon der Fund von OH 62 im Jahr 1986 sowie neuere Funde ließen an dieser von Louis Leakey eingeführten und bisher allgemein vertretenen These allerdings Zweifel aufkommen.[18] 2007 wurde von einer Gruppe um Meave Leakey und Louise Leakey ein Fund veröffentlicht, der Homo habilis zugeordnet wird und auf ein Alter von nur 1,44 Millionen Jahren datiert wurde. [19] Das würde bedeuten, dass Homo habilis und Homo erectus / Homo ergaster bis zu einer halben Million Jahre nebeneinander existierten. Die Wissenschaftler vermuten, dass beide Arten unterschiedliche ökologische Nischen besetzt hatten und so keine direkten Konkurrenten waren.[20]

Möglicherweise erlebt nun die schon früher gelegentlich von Forschern vertretene Auffassung, Homo habilis sei dem Formenkreis der Australopithecinen zuzuordnen und daher als Australopithecus habilis zu bezeichnen, neuen Auftrieb.[21] So haben beispielsweise auch Analysen des Baus der Zähne und der Gliedmaßen sowie der Ernährungsgewohnheiten eine größere Nähe von Homo habilis zu Australopithecus als zu Homo ergaster / Homo erectus ergeben.[22] Allerdings wurde beispielsweise aus einer Analyse der Beschaffenheit des Zahns KB 5223 aus Kromdraai (Südafrika) geschlossen, dass die Nahrung von Homo habilis – anders als jene von Australopithecus africanus – in deutlich größerem Maße aus Fleisch bestand und insofern den Gewohnheiten anderer Arten der Gattung Homo glich.[23]

Literatur

  • Phillip Tobias: Olduvai Gorge. Volume 4: The skulls, endocasts and teeth of homo habilis. Cambridge University Press, Cambridge/New York 1991, ISBN 978-0-521-75886-4

Siehe auch

Weblinks

Commons: Homo habilis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Homo habilis – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Friedemann Schrenk, Ottmar Kullmer und Timothy Bromage: The Earliest Putative Homo Fossils. Kapitel 9 in: Winfried Henke und Ian Tattersall: Handbook of Paleoanthropology. Springer Verlag, Berlin und Heidelberg 2007, S. 1611-1631, doi:10.1007/978-3-540-33761-4_52
  2. John Napier war Forscher an der London University und Experte für die vergleichende Anatomie der Hand- und Fußknochen
  3. L. S. B. Leakey, P. V. Tobias und J. R. Napier: A new species of the genus Homo from Olduvai Gorge. In: Nature. Band 202, 1964, S. 7–9; doi:10.1038/202007a0, Volltext (PDF)
  4. 4,0 4,1 4,2 Randall L. Susman, Jack T. Stern: Functional Morphology of Homo habilis. In: Science. Band 217, Nr. 4563, 1982, S. 931–934, doi:10.1126/science.217.4563.931
  5. Ernst Mayr: Taxonomic categories in fossil hominids. In: Cold Spring Harbor Symposia on Quantitative Biology 15. 1950, S. 109–118; Exzerpt
  6. 6,0 6,1 Zur Übersicht siehe: Phillip Tobias: The species Homo habilis: example of a premature discovery. In: Annales Zoologici Fennici. Band 28, 1992, S. 371–380; Volltext (PDF)
  7. G. J. Sawyer, Viktor Deak: Der lange Weg zum Menschen. Lebensbilder aus 7 Millionen Jahren Evolution. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008, S. 85. – Dieser Mittelwert beruht auf der Vermessung von vier Individuen, deren Hirnvolumen zwischen 590 und 690 cm³ lag.
  8. Randall L. Susman: Brief communication: Evidence bearing on the status of Homo habilis at Olduvai Gorge. In: American Journal of Physical Anthropology. Band 137, Nr. 3, 2008, S. 356–361, doi:10.1002/ajpa.20896
  9. Francis Clark Howell: Homo habilis in Detail. In: Science. Band 253, Nr. 5025, 1991, S. 1294–1295, doi:10.1126/science.253.5025.1294
  10. Bernard Wood, Brian G. Richmond: Human evolution: taxonomy and paleobiology. In: Journal of Anatomy. Band 197, Nr. 1, 2000, S. 19–60, doi:10.1046/j.1469-7580.2000.19710019.x, Volltext (PDF)
  11. Mary W. Marzke: Precision grips, hand morphology, and tools. In: American Journal of Physical Anthropology. Band 102, Nr. 1, 1997, S. 91–110, DOI:10.1002/(SICI)1096-8644(199701)102:1<91::AID-AJPA8>3.0.CO;2-G
  12. Christopher Ruff: Relative limb strength and locomotion in Homo habilis. In: American Journal of Physical Anthropology. Band 138, Nr. 1, 2009, S. 90–100, doi:10.1002/ajpa.20907
  13. entnommen aus: Friedemann Schrenk: Die Frühzeit des Menschen. Der Weg zum Homo sapiens. C. H. Beck, 1997, S. 70
  14. Aufgrund des meist schlechten Erhaltenszustands variieren die Angaben zum Gehirnvolumen in Abhängigkeit von den zugrunde gelegten Fossilien.
  15. Kenneth P. Oakley, Bernard Campbell: Newly Described Olduvai Hominid. In: Nature. Band 202, 1964, S. 732; doi:10.1038/202732b0
  16. Wilfrid Le Gros Clark: Discovery. Band 25, 1964, S. 49
  17. Bernard Wood, Mark Collard: The Human Genus. In: Science. Band 284, Nr. 5411, 1999, S. 65–71, doi:10.1126/science.284.5411.65
    vergl. dazu auch: Bernard Wood: Origin and evolution of the genus Homo. In: Nature. Band 355, 1992, S. 783–790; doi:10.1038/355783a0
  18. Ann Gibbons: New fossils challenge line of descent in human family tree. In: Science. Band 317, S. 733, 10. August 2007
  19. F. Spoor, M. G. Leakey et al.: Implications of new early Homo fossils from Ileret, east of Lake Turkana, Kenya. In: Nature. Band 448, 2007, S. 688-691, doi:10.1038/nature05986
  20. Spiegel.de vom 9. August 2007: Fossilien lassen menschlichen Stammbaum wackeln.
  21. modernhumanorigins.net, Dump vom 16. August 2012: Homo / Australopithecus habilis.
  22. Ann Gibbons: Who was Homo habilis — and was it really Homo? In: Science. Band 332, Nr. 6036, 2011, S. 1370–1371, doi:10.1126/science.332.6036.1370
  23. Vincent Balter et al.: Evidence for dietary change but not landscape use in South African early hominins. In: Nature. Band 489, 2012, S. 558–560, doi:10.1038/nature11349
    eurekalert.org vom 8. August 2012: Early human ancestors had more variable diet. Scientists reconstruct dietary preferences of 3 groups of hominins in South Africa.

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