Den gordischen Knoten durchschlagen: Um die Artenvielfalt zu retten, sollten globale Probleme jetzt angegangen werden
Bio-News vom 12.12.2019
Seit den 1970er Jahren wächst der Einfluss der Menschheit auf die Natur rasant, berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Science. Da aber eine Reihe von eng miteinander verzahnten Einflüssen vom Klimawandel bis zu Überfischung und Landübernutzung die Umwelt in die Zange nehmen, sollten diese weltweiten Herausforderungen alle gleichzeitig an der Wurzel gepackt werden, um weitere massive globale Schäden noch zu verhindern. Und das müsste sofort geschehen, betonen die Forscher.
Dabei stützen die Wissenschaftler sich auf eine 1.500 Seiten umfassende Bestandsaufnahme der Natur, die mehrere hundert Forscher im Frühjahr 2019 der Weltkonferenz zur Artenvielfalt des UN-Weltbiodiversitätsrats IPBES in Paris vorgelegt und jetzt in Science zusammengefasst haben. Dieser Bericht zeigt, dass die immer noch wachsende Weltbevölkerung zusammen mit dem rasch wachsenden Pro-Kopf-Ressourcen-Verbrauch die Erde zunehmend dazu trimmt, die Menschheit möglichst gut mit Nahrung, Energie und Holz zu versorgen. Obendrein werden viele dieser Güter oft genug auch noch rund um den Globus transportiert.
Publikation:
Sandra Díaz et al.
Pervasive human-driven decline of life on Earth points to the need for profound change
Science 366 (2019)
Allzu große Rücksicht auf die Natur wird dabei häufig nicht genommen. Und das zeigt Wirkung: Jedes Jahr verschwinden Pflanzen- und Tierarten für immer von der Erde, gleichzeitig sinkt bei vielen der verbliebenen Arten die Zahl der Individuen. Der Zustand der Ökosysteme befindet sich vielerorts in einem raschen Sinkflug.
Das wiederum schlägt auf die Menschheit zurück, weil die Natur uns immer schlechter mit sauberem Wasser, reiner Luft oder natürlichen Heilmitteln versorgt sowie die Treibhausgase binden kann, die den Klimawandel verursachen. Besserung ist keine in Sicht, ganz im Gegenteil dürfte es in den nächsten Jahrzehnten noch schlimmer kommen. Es sei denn, wir reißen das Ruder rasch herum, stellen die Forscher fest. Das aber muss in vielen Bereichen gleichzeitig geschehen, weil die verschiedenen Einflüsse in der Natur eng miteinander verflochten sind.
So holen wir vielerorts mehr Fische aus den Ozeanen und jagen mehr Tiere in Wäldern und auf Grasländern als in der Natur wieder nachwachsen. Um genug Nahrungsmittel zu produzieren, intensivieren Landwirte ihre Wiesen und Äcker immer weiter und bringen damit Bienen und viele anderen Insekten in die Bredouille, ohne die Obst- und Gemüsebauern massive Ernteeinbrüche zu erwarten hätten. Wächst die Bevölkerung, brauchen Äcker, Wiesen, Siedlungen und Verkehrswege meist mehr Platz, der fast zwangsläufig der Natur fehlt. Dazu kommt der Klimawandel, der die Lebensbedingungen für viele Arten weiter verschärft. Und verschiedene Schadstoffe, die Verkehr, Wirtschaft und private Haushalte produzieren und die das Leben sowohl in der Natur wie auch in der Kulturlandschaft zusätzlich unter Druck setzen.
Wie diese Dinge zusammenwirken, zeigt der UFZ-Agrarwissenschaftler und Insektenforscher Prof. Josef Settele, einer der Mitautoren des Papers, gern am Beispiel von Wiesen auf magerem Boden: „Dort blühen seit Jahrhunderten Orchideen und viele andere Pflanzen, von denen sich nicht nur viele bunte Schmetterlinge ernähren“, schildert er vielerorts längst vergangene Zeiten. Diese Artenvielfalt aber lässt sich nur mit einem guten Management in Form von Weidevieh erhalten. Ohne den gesunden Appetit von Rindern, Schafen oder Ziegen, die auch so manchen Keimling verschlingen, würden diese Wiesen bald von Büschen und später von Wald überwuchert werden. Lässt der Klimawandel aber die Temperaturen steigen und die Trockenperioden zunehmen, drohen sie zu verdorren und ließen damit die Artenvielfalt zusammenbrechen. Wenn dann auch noch der Verkehr mit Verbrennungsmotoren viele Stickstoff-Verbindungen in die Luft bläst, die solche Wiesen rasch überdüngen, wachsen bald andere Pflanzen auf den Magerwiesen, die den Raupen der Schmetterlinge nicht munden, und die flatternde Vielfalt verschwindet.
„Nur wenn wir diese Probleme vom guten Weidemanagement bis zum Klimawandel gleichzeitig anpacken, haben solche Magerwiesen also langfristig eine Überlebenschance“, fasst Josef Settele zusammen. Davon aber haben dann sehr viele Menschen etwas: Nährt die Wiese doch das Vieh, das Milch, Joghurt und Käse liefert. „Und dies sicher nachhaltiger als eine sehr intensive industrielle Tierhaltung, die den Klimawandel und den Verlust von Artenvielfalt verstärkt, weil für sie zum Beispiel Regenwald gerodet wird, um dort Futter anzubauen, und große konzentrierte Tierbestände erhebliche Mengen des Treibhausgases Methan freisetzen“, ergänzt Prof. Almut Arneth, Spezialistin für Ökosystem-Atmosphären-Interaktionen am KIT und ebenso am Science-Paper beteiligt. Obendrein können Menschen vor einer bunten Blumenwiese die Seele einmal baumeln lassen und sich so vom Stress des Alltags erholen.
Ähnlich wie eine Magerwiese nehmen solche Einflüsse des Menschen auch andere Natur- und Kulturlandschaften in die Zange. Denken die Menschen dann vor allem an den eigenen Kontinent, das eigene Land und die eigene Gemeinde und ignorieren die weltweite Zusammenarbeit, verschärft das die Situation weiter, stellen die Forscher fest. Genau in diese Richtung aber läuft offensichtlich der Trend nicht nur in den USA und Brasilien, sondern auch in Europa und anderen Kontinenten. Deutlich besser fährt die natürliche Vielfalt dagegen mit reduziertem Konsum, nachhaltige Entwicklung verbessert die Situation weiter.
Es genügt allerdings schon lange nicht mehr, ähnlich wie die Feuerwehr nur die brennenden Probleme zu löschen. „Natürlich müssen wir möglichst viele Gebiete unter Naturschutz stellen oder beispielsweise als gut gemanagte Kulturlandschaften retten“, erklärt Josef Settele. Darüber hinaus aber sei es sehr wichtig, die Probleme an der Wurzel zu packen und sowohl den Klimawandel zu bremsen als auch einen Verkehr zu entwickeln, der keine Stickstoff-Verbindungen in die Luft bläst. „Und das mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen“, ergänzt Josef Settele: Positive Anreize wie Fördergelder für nachhaltige Heizungen und Verkehr lenken die Menschen sanft in die richtige Richtung. Gleichzeitig dienen Gesetze als Leitplanken für nachhaltiges Verhalten, und vorbeugende Maßnahmen verhüten das Schlimmste. Die wichtigste Forderung der Wissenschaftler aber wiederholen Josef Settele und Almut Arneth noch einmal gemeinsam: „Wir müssen sofort beginnen, weil uns sonst einfach die Zeit davonläuft!“
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung - UFZ via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.