Scheidengras



Scheidengras

Scheidengras (Coleanthus subtilis), Illustration[1]

Systematik
Monokotyledonen
Commeliniden
Ordnung: Süßgrasartige (Poales)
Familie: Süßgräser (Poaceae)
Gattung: Coleanthus
Art: Scheidengras
Wissenschaftlicher Name
Coleanthus subtilis
(Tratt.) Seidl
Ährchen, Illustration[1]

Das Scheidengras oder Scheidenblütgras (Coleanthus subtilis) ist die einzige Art der Gattung Coleanthus in der Familie der Süßgräser (Poaceae). Der deutsche Name der Art verweist auf die vergrößert ausgebildeten Blattscheiden. Das in Mitteleuropa sehr seltene Gras besiedelt als Pionierpflanze periodisch austrocknende Schlammböden.[2]

Beschreibung

Das Scheidengras ist ein einjähriges, kleinwüchsiges Gras, das in kleinen, meist am Boden aufliegenden Büscheln wächst. Die Halme werden 3 bis 8 Zentimeter lang, sie sind dünn, niederliegend oder aufsteigend, etwas gerieft und haben zwei bis drei Knoten. Die Blattscheiden sind kahl und in der unteren Hälfte geschlossen, besonders die oberste Blattscheide ist stark aufgeblasen. Die Blatthäutchen sind 0,5 bis 0,8 Millimeter lang und bilden einen häutigen Saum. Die kahlen Blattspreiten werden 1 bis 2 Zentimeter lang und 1 bis 2 Millimeter breit. Sie sind gefaltet, oft sichelförmig gebogen und schwach gerieft.

Es werden 1 bis 3 Zentimeter lange Rispen gebildet. Sie sind aus mehreren in Büscheln angeordneten mehr oder weniger dichten Ährengruppen zusammengesetzt. Die Ährchen sind einblütig und werden 0,8 bis 1,2 Millimeter lang. Sie verbleiben auch nach der Reifezeit auf der Rispe. Die Hüllspelzen fehlen. Die zarthäutigen Deckspelzen sind einnervig und werden 0,8 bis 1,2 Millimeter lang. Sie sind kahl, nur der Mittelnerv ist kurz und abstehend behaart. Im unteren Teil sind sie eiförmig, darüber länglich und am oberen Ende schmal abgerundet oder grannenspitzig. Die zarthäutigen und kahlen Vorspelzen sind zweinervig und werden 0,4 bis 0,6 Millimeter lang. Sie haben breite, eingeschlagene Seitenflächen und sind am oberen Ende vierzipfelig. Die beiden Nerven laufen je in einer kurzen Spitze aus. Es werden zwei Staubblätter gebildet. Die Staubbeutel sind etwa 0,3 Millimeter lang, die Filamente sind am Grunde der Staubbeutel ansitzend. Die Narben der Fruchtknoten sind fadenförmig und ragen am oberen Ende aus den Blüten. Die Früchte werden 0,6 bis 0,8 Millimeter lang. Sie sind runzelig, stehen zwischen Deck- und Vorspelze vor und fallen ohne äußere Einwirkung ab.[3]

Das Scheidengras blüht meist von Juni bis September, selten schon im Mai oder später bis November[4]. Die Art ist diploid mit einer Chromosomenzahl von 2n = 14.[4]

Verbreitung

Das Verbreitungsgebiet des Scheidengrases erstreckt sich über mehrere kleine, stark disjunkte Teilareale:

  • Nordwest-Frankreich (Bretagne)
  • Mitteleuropa: die Hauptvorkommen liegen in Tschechien mit ehemals etwa 140 Fundorten[4] und reichen bis Deutschland (bei Freiberg und in der Oberlausitz[5] in Sachsen, Wittenberg (Sachsen-Anhalt), ausgestorben im Westerwald (Rheinland-Pfalz) und bei Mannheim (Baden-Württemberg)[6] und bis Österreich (nur an einigen Teichen im Waldviertel, vom Aussterben bedroht[7]), die Slowakei[4] und Polen (bei Wrocław)[8].
  • Südtirol, ausgestorben[7] (an zwei Seen bei Bozen und am Toblacher See)
  • Norwegen, zuletzt 1842: bei Oslo [6]
  • Gebiet südlich des Ladoga-Sees bei Sankt Petersburg[6]
  • West-Sibirien
  • am mittleren und unteren Amur (China)
  • in Nordamerika wurde das Scheidengras in sechs Gebieten im südlichen British Columbia (Kanda) und am Columbia River in Washington und Oregon (USA) gefunden. 2007 wurde es an einer weiteren Stelle in den Nordwest-Territorien von Kanada, etwa 1700 Kilometer vom nächsten Fundort entfernt, entdeckt. Da es in Amerika erst spät (1880) entdeckt worden ist, ging man davon aus, dass es aus Europa eingeführt wurde. Doch sprechen mehrere Faktoren dafür, dass die Art in Nordamerika ebenfalls heimisch ist, unter anderen die sehr speziellen Standortansprüche, die Seltenheit, die zum späten Auffinden der Art in Amerika geführt haben könnte, und fehlende Indizien, dass es tatsächlich aus Europa eingeführt wurde.[9] [10][11]

Das Scheidengras ist im Anhang II und IV der FFH-Richtlinie aufgeführt und damit als prioritäre Art eingestuft. Es ist in Deutschland nach der Bundesartenschutzverordnung besonders geschützt und gilt als gefährdet.[12]

Ökologie

Das Scheidengras ist ein Therophyt mit einem Lebenszyklus von sechs bis sieben Wochen.[13] Es wächst in kurzlebigen, lückigen Zwergbinsen-Gesellschaften, die etwa 60 bis 80 % des Bodens bedecken.[14] Es tritt an weit auseinanderliegenden Stellen auf, oft im Schlamm trockengelegter Teiche, an Bach- und Flussufern und Altwasserrändern. Es ist sehr selten und unbeständig, sobald der Boden wieder überflutet wird, verschwindet es. Nur unter günstigsten Bedingungen kann es sich zwei bis vier Jahre halten.[3] Die Samen können lange in überfluteten Böden überdauern, ohne ihre Keimfähigkeit zu verlieren, nach älteren Angaben bis zu 20 Jahre und mehr.[4]

Die Ausbreitung erfolgt durch Fließgewässer auf verhältnismäßig geringen Entfernungen (Hydrochorie) und durch Wasser- und Sumpfvögel (Zoochorie). So können die weit voneinander entfernt liegenden Verbreitungsgebiete in der Böhmischen Masse, um Sankt Petersburg und in Sibirien durch das Vertragen von Samen durch Wildenten erklärt werden.[15]

Systematik, Name und botanische Geschichte

Das Scheidengras wurde 1811 von den Brüdern Jan Svatopluk und Karl Bořiwog Presl bei Osek im Bezirk Pilsen entdeckt und 1816 durch Leopold Trattinnick unter dem Namen Schmidtia subtilis (Basionym) erstbeschrieben (Flora des Oesterreichischen Kaiserthumes. 1: 12, 1816).[16] Wenzel Benno Seidl stellte die Art 1817 in die Gattung Coleanthus (in Roemer & Schultes: Systema vegetabilium 2: 276. 1817).[11]

Der Gattungsname Coleanthus ist vom griechischen koleós = Schwertscheide und ánthos = Blume, Blüte abgeleitet.[17] Das Artepitheton subtilis (lateinisch für fein, dünn, zart) verweist auf die fadendünnen Stängel.[18] Der deutsche Name Scheidenblütgras ist eine direkte Übersetzung des Gattungsnamens. Scheidengras ist eine nicht so wörtliche Übersetzung, betont jedoch eines der auffallendsten Merkmale der Art: die vergrößerten Blattscheiden.[19]

Das Scheidengras ist die einzige Art in der Gattung Coleanthus.[20] Die Gattung wird der Tribus Poeae in der Unterfamilie Pooideae zugeordnet.[11] Andere Autoren stellen sie aufgrund der großen Unterschiede zu anderen Süßgräsern (fehlende Hüllspelzen, fehlende Schwellkörper, zwei Staubblätter, verlängerter Griffel) in eine eigene Tribus Coleantheae.[21] Fälschlicherweise werden der Gattung Coleanthus häufig sechs weitere Arten zugeordnet, die eigentlich zur Gattung Coleosanthus aus der Familie der Korbblütler gezählt wurden. Inzwischen werden diese Arten der Gattung Brickellia zugerechnet.[9]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Illustration aus Otto Wilhelm Thomé: Flora von Deutschland Österreich und der Schweiz. Gera-Untermhaus, 1885
  2. Monika Kriechbaum, Marcus Koch: Coleanthus subtilis (Poaceae) – wiederentdeckt. In: Neilreichia. Band 1, 2001, S. 51–56, PDF-Datei.
  3. 3,0 3,1 Hans Joachim Conert, Elfriede Michels: Pareys Gräserbuch. Die Gräser Deutschlands erkennen und bestimmen. Blackwell, Berlin/Wien 2000, ISBN 3-8263-3327-6, S. 186.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 Slavomil Hejný: Coleanthus subtilis (Tratt.) Seidl in der Tschechoslowakei. In: Folia Geobotanica et Phytotaxonomica. Band 4, Nr. 4, 1969, S. 345–399 DOI: 10.1007/BF02854697.
  5. Birgit Fleischer: Coleanthus subtilis (Tratt.) Seidl – ein Neufund für die Oberlausitz. In: Sächsische Floristische Mitteilungen. Band 7, 2002, S. 14–19.
  6. 6,0 6,1 6,2 Siegfried Woike: Beitrag zum Vorkommen von Coleanthus subtilis (Tratt.) Seidl (Feines Scheidenblütgras) in Europa. In: Folia Geobotanica et Phytotaxonomica. Band 4, Nr. 4, 1969, S. 401–413, DOI: 10.1007/BF02854698.
  7. 7,0 7,1
  8. Jerzy Fabiszewski, Jan Cebrat: Coleanthus subtilis (Tratt.) Seidel [sic!] – a new species to the Polish vascular flora. In: Acta Societatis Botanicorum Poloniae. Band 72, Nr. 2, 2003, S. 135–138. online (englisch).
  9. 9,0 9,1 Paul M. Catling: Coleanthus subtilis (Poaceae), New to Northwest Territories, and its Status in North America. In: Rhodora. Band 111, Nr. 945, 2009, S. 109–119, doi:10.3119/08-8.1.
  10. Kriechbaum, Koch: Coleanthus subtilis (Poaceae) – wiederentdeckt, S. 52–53
  11. 11,0 11,1 11,2 Coleanthus subtilis, Eintrag im Germplasm Resources Information Network (engl., Zugriff am 14. Dez. 2008)
  12. Floraweb
  13. Kriechbaum, Koch: Coleanthus subtilis (Poaceae) – wiederentdeckt, S. 53
  14. Karl-Georg Bernhardt, Elisabeth Ulbel, Marcus Koch, Josef Webhofer: Erhalt des Scheidengrases in Österreich. Überleben gefährdeter Pflanzenarten im Teichboden am Beispiel Coleanthus subtilis. In: Naturschutz und Landschaftsplanung. Zeitschrift für angewandte Ökologie. März 2005, ISSN 0940-6808, S. 88–92 (PDF-Datei [abgerufen am 14. Mai 2010]).
  15. Kriechbaum, Koch: Coleanthus subtilis (Poaceae) – wiederentdeckt, S. 54
  16. Schmidtia subtilis, Eintrag im Germplasm Resources Information Network (engl., Zugriff am 14. Dez. 2008)
  17. Helmut Genaust: Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. 3. Auflage. Nikol, Hamburg 2005, ISBN 3-937872-16-7, S. 167 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Nachdruck von 1996).
  18. Helmut Genaust: Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. 3. Auflage. Nikol, Hamburg 2005, ISBN 3-937872-16-7, S. 620 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Nachdruck von 1996).
  19. Kriechbaum, Koch: Coleanthus subtilis (Poaceae) – wiederentdeckt, S. 51
  20. Shou-liang Chen, Sylvia M. Phillips: Coleanthus Seidel (sic!) in Roemer & Schultes. In: PDF-Datei (engl.).
  21. Kriechbaum, Koch: Coleanthus subtilis (Poaceae) – wiederentdeckt, S. 52

Weblinks

Commons: Scheidengras – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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