Chordatiere



Chordatiere

Beim durchscheinenden Sternflecksalmler ist die Wirbelsäule zu sehen, die bei fortgeschrittenen Chordatieren die Chorda dorsalis ersetzt.

Systematik
Domäne: Eukaryoten (Eucaryota)
Reich: Vielzellige Tiere (Metazoa)
Abteilung: Gewebetiere (Eumetazoa)
Unterabteilung: Bilateria
Überstamm: Neumünder (Deuterostomia)
Stamm: Chordatiere
Wissenschaftlicher Name
Chordata
Bateson, 1885

Die Chordatiere (Chordata) sind ein Stamm des Tierreichs. Zu den Chordatieren gehören der Unterstamm der Schädel- (Craniota) oder Wirbeltiere (Vertebrata), und damit auch die Säugetiere (Mammalia) einschließlich des Menschen, sowie zwei weniger bekannte, ausschließlich im Meer lebende Unterstämme, die Schädellosen (Cephalochordata oder Acrania) und die Manteltiere (Tunicata oder Urochordata).

Zum Stamm der Chordatiere zählen über 56.000 Arten (54.711 Wirbeltierarten,[1] 30 Arten Schädellose und 1.600 Manteltierarten), von denen mehr als die Hälfte – hauptsächlich Knochenfischarten – im Wasser leben.

Alle Chordatiere zeigen eine Reihe gemeinsamer abgeleiteter Merkmale (Synapomorphien). Diese können bei adulten Wirbel- und Manteltieren mehr oder weniger stark abgewandelt sein, sind an den Larven bzw. Embryos aber noch deutlich zu erkennen. Gemeinsam ist den Chordaten die namensgebende Chorda dorsalis (ein stabförmiger Stützapparat im Rücken), das Neuralrohr (ein oberhalb der Chorda liegender Nervenstrang), der Kiemendarm (der zum Filterapparat erweiterte Vorderdarm), das bauchseitig gelegene Herz, das das Blut nach vorne zum Kopf pumpt, und der unterhalb der Chorda liegende Darm, der auf der Bauchseite nach außen mündet und dahinter Platz für den postanalen Schwanz schafft.

Merkmale

Die wichtigsten Merkmale der Chordatiere, dargestellt bei einer Seescheidenlarve: 3 Kiemendarm, 4 Magen, 5 After, 6 Chorda dorsalis, 7 Neuralrohr

Chorda dorsalis

Die Chorda dorsalis (Latein: Rückensaite), im englischen auch Notochord genannt, ist das namensgebende und Hauptmerkmal der Chordatiere. Sie funktioniert als Endoskelett und ist ein langgestreckter, flexibler Stab, der als Ausstülpung des Urdarms (Archenteron) entstanden ist. Sie liegt deshalb über dem Darm und unter dem Neuralrohr. Sie hat bei allen Chordatieren die gleiche Ontogenese, die durch das Brachyury-Gen gesteuert wird. Es ist nicht feststellbar, ob sich die Chorda ursprünglich nur über den Schwanzbereich oder über den ganzen Körper erstreckte. Seitlich der Chorda finden sich Längsmuskeln, die bei ursprünglichen Chordaten den Körper und den Ruderschwanz wellenartig bewegen können und der Fortbewegung dienen. Während ihrer Ontogenese durchläuft die Chorda eine Münzenstapel-Stadium genannte Phase, in der sie aus scheibenartig zusammengepressten Zellen besteht. Die Chorda der Lanzettfische bleibt in diesem Stadium und wird nur durch Muskelfasern ergänzt. Bei den Larven der Manteltiere und bei den Wirbeltieren entstehen Freiräume zwischen den Zellen, die bei den Larven der Manteltiere ineinander übergehen und einen durchgehenden Kanal bilden, der von Epithelzellen umgeben ist. Bei den Larven der Manteltiere erstreckt sich die Chorda nur über den Schwanzbereich. Die Chorda der Wirbeltiere wird im Laufe der Ontogenese von der Wirbelsäule verdrängt. Ein Überrest der Chorda dorsalis sind die Nuclei pulposi in den Bandscheiben der höheren Wirbeltiere.

Bei den Froschlurchen und verschiedenen Gruppen urtümlicher Landwirbeltiere, u.a. den Temnospondyliern und Reptiliomorphen wie den Anthracosauriern, kann die Bildung der Wirbelkörper im Verlauf der Individualentwicklung sehr stark verzögert sein,[2] so dass bei manchen fossilen Formen, besonders solchen, die auch andere neotene Merkmale aufweisen, noch im Erwachsenenstadium eine Chorda dorsalis als Strang vorliegt und manchmal fossil nachgewiesen werden kann.[3] Häufig weisen die als Fossilien erhaltenen Wirbelkörper dieser Gruppen eine körperlängsachsenparallele Perforation, den Chordalkanal, auf, der die frühere Lage des Chordastrangs anzeigt.

Bei der transparenten Seescheide Clavelina lepadiformis ist der Kiemendarm gut sichtbar.

Neuralrohr

Das Neuralrohr entsteht durch die Einstülpung eines länglichen Bereichs des Ektoderms, also einer außen liegende Zellschicht, und befindet sich deshalb zwischen Außenhaut und Chorda dorsalis. Es ist zunächst an beiden Seiten offen und mit der Außenwelt über einen vorderen (rostralen) und kaudalen Neuroporus verbunden. Bei Embryos verbindet der Canalis neurentericus Urdarm und Neuralrohr. Bei den Larven der Manteltiere erstreckt sich das Neuralrohr nur über den vorderen Körperteil.

Herz

Das Herz liegt ventral (auf der Bauchseite) und pumpt das Blut nach vorne zum Kiemendarm. Es fließt dann über dorsal (am Rücken) gelegene Gefäße wieder nach hinten. Bei den Kiemenlochtieren (Hemichordata) und den Urmündern (Protostomia) ist es genau umgekehrt.

Kiemendarm

Der Kiemendarm ist ein zum Filtrieren von Plankton und Detritus umgewandelter Vorderdarm. Mit der Außenwelt steht er durch Öffnungen – den Kiemenspalten – in Verbindung. Hieraus entstehen bei Wirbeltieren die Kiemen, bei Landwirbeltieren zeigt sich der Kiemendarm nur noch embryonal. Im Unterschied zu den Eichelwürmern, die ihre auf der Körperoberfläche eingeschleimte Nahrung über Kiemenporen aufnehmen und dann durch den Kiemendarm in den Darm saugen, nehmen Chordatiere ihre Nahrung über den Mund auf, filtrieren die Nahrungspartikel im siebartigen Kiemendarm aus, umhüllen sie mit Schleim und geben sie über das Endostyl, einen Streifen von Wimpern- und Drüsenzellen, in den Verdauungstrakt ab. Das mit der Nahrung aufgenommene Wasser wird über den Peribranchialraum und die Kiemenspalten ausgestoßen. Bei den Wirbeltieren – einzige Ausnahme sind hier die den ursprünglichen Zustand bewahrenden Larven der Neunaugen – dienen die Kiemenspalten nur noch zur Atmung. Das Endostyl, das schon bei ursprünglichen Chordaten Iod enthaltende Hormone wie Thyroxin in das Blut abgibt, wurde zur Schilddrüse.

Evolution und äußere Systematik

Die Chordatiere gehören zu den Neumündern (Deuterostomia), diejenigen zweiseitig symmetrisch aufgebauten Tiere (Bilateria), bei denen in der Embryonalentwicklung des Darmes der Urmund (Blastoporus) zum After wird und der Mund sekundär aus dem Urdarm (Archenteron) durchbricht. Die Chordatiere sind innerhalb der Neumünder die Schwestergruppe der Ambulacraria, einem Taxon, das die Stachelhäuter (Echinodermata) und die wurmartigen Kiemenlochtiere (Hemichordata) vereint. Für die Entstehung der Chordatiere aus primitiven Neumündern gibt es zwei Hypothesen:

Tornaria-Hypothese

Bei der Tornaria-Hypothese entstanden die Chordatiere aus modifizierten Tornaria-Larven der Hemichordaten. Die Chorda dorsalis ist nach dieser Theorie homolog zum rückseitigen Nerv der Eichelwürmer. Die Chordatiere sind normale Bilateria, deren Anatomie um Chorda, Neuralrohr und Endostyl ergänzt wurde. Ihre Rückenseite entspricht der Rückenseite der Hemichordaten. Die Unterschiede in der dorsoventralen Organisation der Chordatiere und der anderer Bilateria werden so aber nicht erklärt.

Dorso-ventrale Umkehr

Die Hypothese der dorso-ventralen Umkehr hat zur Grundlage, dass die Anordnung der Organe der Chordatiere oft umgekehrt zu der Organanordnung bei Nicht-Chordatieren ist. Sie nimmt eine Drehung des Chordatenkörpers in eine Rückenlage an. So ist vor allem eine der wichtigsten Apomorphien der Chordatiere, die dorsale Lage des Hauptnervenstrangs zu erklären. Das Nervensystem der meisten anderen Tiere, z.B. der Gliederfüßer und der Ringelwürmer befindet sich ventral (Bauchmark).

Innere Systematik

Notochordata-Urochordata-Hypothese

Für die innere Systematik der Chordatiere gibt es zwei alternative Hypothesen. Bei der älteren, der Notochordata-Urochordata-Hypothese sind Schädellose und Wirbeltiere Schwestergruppen und stehen gemeinsam den urtümlicheren Manteltieren gegenüber. Dies wird in folgendem Kladogramm dargestellt:

Lanzettfischchen (Branchiostoma lanceolatum)
  Chordatiere  

 Manteltiere (Urochordata)


  Notochordata  

 Schädellose (Cephalochordata)


   

 Wirbeltiere (Vertebrata)




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Apomorphien der Notochordata:

  • Eine Chorda dorsalis, die sich über den gesamten Körper erstreckt
  • Die Segmentierung des Körpers (segmentierte Rumpfmuskulatur und Rückenmarknerven) durch Abschnürung des Mesoderms und des Coeloms aus dorsalen und lateralen Abschnitten der Darmtaschen
  • Differenzierter Kopf und Schwanz bei ausgewachsenen Tieren
  • Ähnliche Morphologie des Neuralrohrs
  • Blutgefäßsystem ist geschlossen
  • Ein vertikaler Flossensaum im Bereich des Rückens und des Schwanzes, zwei Metapleuren (laterale Bauchfalten)
  • Direkte Entwicklung (mehr oder weniger)

Nach dieser Hypothese hatten die ursprünglichsten Chordaten eine direkte Entwicklung, waren auch als Adulti freischwimmend und die Adulti der Manteltiere entwickelten sich erst sekundär (später) in ihrer Geschichte zu sessilen (festsitzenden) Formen.

Die Merkmale der Notochordata könnten jedoch auch plesiomorphe Merkmale der Chordatiere sein, die bei den Manteltieren sekundär reduziert wurden. Da sie während ihrer Entwicklung über die Hälfte ihrer Hox-Gene verloren haben, ist es wahrscheinlich, dass sie stark vereinfachte Tiere sind. Wirbeltiere und Schädellose entsprächen so eher den ursprünglichen Chordaten, während die Manteltiere durch ihre sekundäre Vereinfachung stark abgeleitet wären. Gegen die Notochordata-Urochordata-Hypothese spricht auch, dass die Schädellosen sehr einheitlich segmentiert sind und in der Ontogenese der Wirbeltiere kein Stadium auftritt, das dem entspricht.

Olfactores-Cephalochordata-Hypothese

Die alternative Olfactores-Cephalochordata-Hypothese sieht die Manteltiere als stark abgeleitete Verwandte der Wirbeltiere. Die Schädellosen sind hier basal.

Verschiedene Wirbeltiere
  Chordatiere  

 Schädellose (Cephalochordata)


  Olfactores  

 Manteltiere (Urochordata)


   

 Wirbeltiere (Vertebrata)




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Apomorphien der Olfactores:

  • Die Zellen werden durch Tight Junctions verbunden
  • Morphologie der Chorda dorsalis, die auf der Grundlage des Turgordrucks (in den Vakuolen) funktioniert
  • Bei der Ontogenese der Muskeln und des Pharynx sind besondere Pax-Gene aktiv
  • Neuromasten, das sind Sinneszellen, die bei Wirbeltieren z. B. im Seitenlinienorgan zu finden sind
  • Keine Myoepithelien
  • Pigmentzellen aus dem Mantel der Manteltiere sind Zellen aus der Neuralleiste der Wirbeltiere sehr ähnlich

Die ursprünglichsten Chordaten könnten, wie die Manteltiere, einen Entwicklungszyklus mit zwei Phasen gehabt haben: eine freischwimmende Larve und ein sessiles Adulttier. In diesem Fall hätten sich die Olfactores (Manteltiere und Wirbeltiere) aus den Schwimmlarven der ursprünglichsten Chordaten entwickelt.

Fossilüberlieferung

Erste fossile Nachweise für Chordatiere gibt es mit Haikouichthys und Myllokunmingia schon aus dem Unterkambrium von Yunnan (Maotianshan-Schiefer) und mit Metaspriggina und Pikaia aus dem mittelkambrischen Burgess-Schiefer vor ungefähr 505 Millionen Jahren.

Zu den Chordatieren könnten auch die Vetulicolia gehören, seltsame unterkambrische Tiere, die aus einem voluminösen Vorderteil und einem aus sieben Segmenten bestehenden Hinterteil bestehen. Zwischen Vorder- und Hinterteil sind sie eingeschnürt.

Literatur

  • Hynek Burda, Gero Hilken, und Jan Zrzavý: Systematische Zoologie. UTB, Stuttgart, 2008, ISBN 978-3-8252-3119-4

Einzelnachweise

  1. Joseph S. Nelson: Fishes of the World. Seiten 17, 28 und 21, John Wiley & Sons, 2006, ISBN 0-471-25031-7
  2. Robert L. Carroll, Andrew Kuntz, and Kimberley Albright: Vertebral development and amphibian evolution. Evolution and Development 1(1), 1999, S. 36-48.
  3. Ralf Werneburg: Timeless design - colored pattern of skin in Early Permian branchiosaurids (Temnospondyli: Dissorophoidea). Journal of Vertebrate Paleontology 27 (4), 2007, S. 1047-1050.

Weblinks

Commons: Chordata – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Chordatier – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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