Graell-Tamarin



Der Graell-Tamarin oder Rio-Napo-Tamarin (Saguinus graellsi, Saguinus nigricollis spp. graellsi) ist zwischen den Flußläufen des Rio Napo und des Rio Pastaza von Nord- bis Südkolumbien verbreitet

Er wurde in der Vergangenheit der Gattung Saguinus nigricollis (Schwarzrückentamarin) zugeordnet.

Verbreitung

Lebensraum

Der Lebensraum der Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) umfasst tropische Regenwälder sowie Sekundärwälder, die nach natürlich auftretenden Störungen, etwa dem Umstürzen von riesigen Bäumen, nachgewachsen sind. Heimisch sind Graell-Tamarine aber auch in Waldinseln innerhalb der Savanne, sowie in Galeriewäldern entlang der Nebenflüsse des Amazonas. [1][2].

Aussehen

Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) haben ein feines, seidiges Fell und sind im Gegensatz zu vielen anderen Tamarinen gleichmäßig gefärbt. Kopf, Nacken, Mantel und Vorderbeine sind schwarz bis schwarzbraun. Die Krone ist hellbraun und der Schwanz ist mit Ausnahme eines bräunlichen Teils im Bereich des Ansatzes schwarz.

Steckbrief

Die Partie rund um den Mund weist kurze, weiße Haare auf. Der Nachwuchs wird mit sehr kurzem Fell geboren. Erwachsene Affen wiegen zwischen 225 und 900 g, die Kopf-Rumpflänge beträgt 17,5 bis 31,0 cm. Der Greifschwanz ist etwa 25,0 bis 44,0 cm lang und somit immer länger als der Rest des Körpers, ihre Beine sind länger als die Arme. Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) haben auf allen Fingern und Zehen Krallen anstatt Nägel, mit Ausnahme der Großzehe, die mit einem flachen Nagel besetzt ist. Die Großzehe ist im Gegensatz zum Daumen opponierbar. Auf jeder Seite des Ober- und Unterkiefers befinden sich zwei Schneidezähne, ein Eckzahn, drei Prämolaren und zwei Backenzähne - das macht insgesamt 32 Zähne. Bei Saguinus graellsi sind die Eckzähne länger als die Schneidezähne. Der Sexualdimorphismus innerhalb der Art fällt moderat aus, wobei die Weibchen etwas größer als die Männchen sind [2][3].

Fortpflanzung

Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) zeigen ein monogames Fortpflanzungsverhalten, bei dem sich nur das dominante Weibchen und das dominante Männchen paaren. Die Empfängnisbereitschaft der übrigen Weibchen in der sozialen Gruppe wird möglicherweise durch eine Kombination aus Dominanzverhalten und durch Pheromone unterdrückt, die im Sekret der Duftdrüsen des dominanten Weibchens enthalten sind. Auch geht man davon aus, dass untergeordnete Weibchen aktiv bestimmen können, ob sie empfängnisbereit sind oder nicht. Wenn ein rangniedriges Weibchen trotzdem gebiert, kann es zum Infantizid (Kindstötung) durch das dominante Weibchen kommen. Untergeordnete Weibchen sammeln während ihres Schattendaseins wichtige Erfahrungen und schließlich bilden sie eigene Gruppen oder schließen sich einer anderen sozialen Gruppe an, in denen sie dann zu einem dominanten Weibchen werden und sich fortpflanzen können [1][2].


Systematik


Die Weibchen der Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) zeigen keine äußeren Zeichen der Brunst. Trotzdem wurde beobachtet, dass sich Männchen näher bei jenen Weibchen aufhalten, die empfängnisbereit sind. Die Weibchen der Graell-Tamarine können zweimal im Jahr gebären. In einer Studie über diese Affen (De La Torre et al., 2005) beobachtete man bei 40% der Weibchen eine zweite Spitze bei den Geburten. Der erste Höhepunkt der Geburtssaison findet im Januar statt, der zweite im Juni. Die Weibchen der Graell-Tamarine bringen ihre Jungen vorwiegend in der Nacht zur Welt. In der Regel haben sie zweieiige Zwillinge, die bei der Geburt zwischen 25 und 50 g wiegen - das sind bis zu 20% des Gewichts der Mutter. Mit Ausnahme der Koboldmakis bringen Graell-Tamarine die relativ schwersten Neugeborenen unter den Primaten zur Welt. Die Jungen beginnen etwa im Alter von 21 Tagen ihre Umwelt zu erkunden, klettern aber immer noch auf dem Rücken ihrer Eltern, um sich bis zu einem Alter von sechs oder sieben Wochen herumtragen zu lassen. Nach vier Wochen beginnen die Säuglinge damit, feste Nahrung zu sich zu nehmen. Mit 10 Wochen ist der Nachwuchs weitgehend unabhängig und erreicht die Geschlechtsreife im Alter zwischen 12 und 18 Monaten [1][2][4].

Wie bei vielen Krallenaffen sind die Väter bei der Geburt behilflich; sie nehmen das Neugeborene in Empfang, nachdem es den Geburtskanal der Mutter passiert hat und reinigen es von der Nachgeburt. Andere erwachsene Mitglieder der Gruppe sind ebenfalls beim Helfen beobachtet worden. Die Neugeborenen sind zwar hilflos, hängen jedoch bereits kurz nach der Geburt sicher mit Händen und Füßen im Haarkleid von Vater oder Mutter. In der Regel werden die Jungen von ihren Vätern herumgetragen und nur zum Säugen an die Mutter abgegeben. Diese Prozedur findet alle zwei bis drei Stunden statt und dauert etwa eine halbe Stunde. Der Nachwuchs wird während der ersten vier Wochen ausschließlich mit Muttermilch versorgt, danach folgen weiche Nahrungsteile. Die vollständige Entwöhnung ist nach etwa 10 Wochen abgeschlossen. Die oft herzerweichende Fürsorge der Männchen gilt, biologisch gesehen, als eine wichtige Anpassung an die hohe Reproduktionsrate der Tamarine. Wenn sich Weibchen erst einmal als das dominierende Gruppenmitglied etabliert haben, weisen sie die höchste Geburtenrate aller Primaten auf. Beide Elternteile und alle Mitglieder der Gruppe helfen dabei, die Säuglinge zu tragen und geben ihnen kleine Bissen an Nahrung ab, ebenso sorgen alle für den Schutz und die "Ausbildung" des Nachwuchses [1][3].

In der freien Wildbahn ist die Lebensdauer vonGraell-Tamarinen (Saguinus graellsi) unbekannt, aber in Gefangenschaft haben einzelne Affen ein Alter zwischen sieben und sechzehn Jahren erreicht [2].

Gruppenleben

Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) leben in Gruppen von fünf bis zehn Affen. Manchmal schließen sich zwei oder drei Gruppen zusammen und kommen so auf zehn bis zwanzig Individuen. In der Regel bleiben aber solche Gruppen weniger als einen Tag zusammen. Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) sind wie die meisten höheren Primaten tagaktiv, in der Regel verlassen ihren Schlafbereich im Morgengrauen. Das soziale Verhalten in der Gruppe umfasst meistens die Fellpflege in Zeiten der Ruhe. Die meiste Zeit konzentrieren sich diese sozialen Interaktionen auf die Weibchen und nicht auf die Jungen. Diese sind in den Pausen viel zu sehr damit beschäftigt sich gegenseitig zu jagen, miteinander zu ringen oder sich spielerisch zu beißen. Die Fellpflege (engl. grooming) wird ausgelöst, wenn sich ein Affe in einer bestimmten Körperhaltung vor den anderen legt. Das Zusammenkauern vieler Affen während Ruhezeiten ist ebenfalls üblich. Aggression zwischen den Gruppenmitgliedern ist selten. Wenn eine aggressive Interaktion auftritt, dann normalerweise nur als Reaktion auf begrenzte Nahrungsressourcen. Die Auseinandersetzungen bestehen aber in der Regel nur aus Drohgebärden - körperliche Attacken sind in freier Wildbahn äußerst selten [1][2][3].

Kommunikation

Graell-Tamarin (Saguinus graellsi) geben für den Menschen hörbare Laute von sich, die man bis in eine Entfernung von 150 bis 200 m hören kann. Diese sog. Long-Calls bestehen aus 2 bis 30 Noten. Die Rufe sind zwischen Arten, Populationen und einzelnen Individuen unterschiedlich. Innerhalb einer Gruppe kann der Aufbau der Long-Calls ein Gradmesser für den sozialen Status eines Affen sein. Die Rufe haben die Funktion, soziale Gruppen zusammen zu halten und den Abstand zwischen den benachbarten Gruppen zu regeln. Neben dem "Long-call" geben Graell-Tamarine auch viele andere Rufe von sich, etwa das Alarmschlagen, wenn ein Gruppenmitglied einen Raubvogel sieht oder das Kreischen der Jungaffen, wenn sie ihren Nahrungsanteil von den Erwachsenen einfordern oder die unmelodiösen, atonalen Lautäußerungen, wenn Aggression im Spiel ist. Kleinkinder sind unablässig in falschen Tonfolgen am Schnattern, lernen jedoch von anderen Gruppenmitgliedern, je älter sie werden.

Neben dem akustischen Austausch zwischen den einzelnen Affen spielt der Geruchssinn eine weitere wichtige Rolle bei der Kommunikation. Graell-Tamarin (Saguinus graellsi) verfügen über Duftdrüsen rund um die Genitalien (Anogenitale oder circumgenitale Drüsen), am Unterbauch (suprapubische Drüsen) und am Brustbein (sternale Drüse). Die Drüsensekrete - eine Mischung aus Fettsäuren, Estern, Proteinen und anderen organischen Verbindungen, übermitteln Informationen über Art, Geschlecht, sexuellen Status und Identität des einzelnen Affen. Das Sekret kann mit Urin vermischt und auf Äste, Baumstämme und Lianen durch einfache Reibebewegungen übertragen werden. Abhängig von der Art der Sekretion bezeichnet man die Duftmarken als anognitale, suprapubische oder sternale Markierungen. Erwachsene Weibchen setzen mehr Duftmarken als erwachsene Männchen.

Graell-Tamarin (Saguinus graellsi) bedienen sich aber auch visueller Signale zur Kommunikation. Sexuelle Erregung wird durch aufgestellte Haare auf dem Kopf, den Ohren, den Schultern oder auf dem ganzen Körper angezeigt. Zu den Gesichtsausdrücken, die Aggression andeuten, gehören das Runzeln der Stirn, ein offener Mund oder das Schütteln des Kopfes [1][3].

Alle Männchen und ein Drittel der Weibchen verfügen über dichromatisches Sehen; die restlichen zwei Drittel der Weibchen verfügen über trichromatisches Farbensehen. Während das Gen für kurzwelliges Licht nicht geschlechtsgebunden ist, sind die Gene für mittel- und langwelliges Licht rezessiv und befinden sich auf dem X-Chromosom. Man nimmt im Allgemeinen an, dass dichromatisches Sehen besser für die Erkennung von getarnten Raubtieren oder Beute ist, während trichromatisches Sehen besser für die Erkennung von reifen, farbigen Früchten ist [1][2][3].

Nahrung

Graell-Tamarin (Saguinus graellsi) verbringen 25% bis 30% ihrer aktiven Zeit mit der Suche nach Nahrung. Da sie in erster Linie frugivor sind, ernähren sie sich von Früchten, Blüten, Nektar, Pflanzenexsudaten, Insekten und kleinen Wirbeltieren. Wenn verfügbar, machen kleine süße Früchte den größten Teil ihrer Ernährung aus, vor allem bevorzugen sie die Pflanzengattungen Pourouma, Ficus, Cecropia, Inga und Miconia. Pflanzenexsudate wie Baumsäfte oder Harz werden auch konsumiert, aber im Gegensatz zu Marmosetten ist Saguinus graellsi nicht in der Lage, die Bäume aktiv anzuzapfen (durch Aufmeißeln des Holzes mittels Zähnen) und den Fluß des Exsudates zu stimulieren. Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) konsumieren nur Exsudate aus Baumlöchern, die durch Insekten oder Wind-Schäden entstanden sind. Während den Jahreszeiten, in denen Mangel an Früchten besteht, versuchen Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) den Ausfall durch Aufnahme von Nektar und Baumharzen zu kompensieren. Zu ihrer tierischen Beute gehören Frösche, Schnecken, Eidechsen und Insekten - vor allem Heuschrecken und Käfer. Oft fressen sie auch Jungvögel und wahrscheinlich Eier [1][2][3].

Bedrohungen und Ökologie

Feinde der Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) sind vor allem Greifvögel wie der Würgadler (Morphnus guianensis), der Prachthaubenadler (Spizaetus ornatus) oder verschiedene Falkenarten. Auch große Schlangen wie Anakondas, Regenbogenboas, die Jararaca-Lanzenotter (Bothrops jararaca) und Tayras, eine südamerikanische Marderart, machen Jagd auf Saguinus graellsi. Auch Ozelots werden verdächtigt, Tamarinen nachzustellen - zumindest hat man Haare in ihrem Kot gefunden. Saguinus graellsi reagiert auf Fleischfresser zuerst mit Alarmrufen - wenn das nichts nützt, mit Flucht und Verstecken. Wenn ein Graell-Tamarin (Saguinus graellsi) auf einem Baum ohne Versteckmöglichkeit in die Enge getrieben wurde, kann er sich urplötzlich aus großer Höhe auf den Boden fallen lassen und dann die Flucht ergreifen. Sobald ein Raubtier in ihrer Nähe auftaucht, wird es von den Gruppenmitgliedern oft umzingelt und mit verschiedenen Lautäußerungen schikaniert. Mindestens ein Mitglied der Gruppe ist ständig auf der Hut, um überrasche Angriffe von Raubtieren anzuzeigen. Um sich zu tarnen, schlafen sie nur an Stellen, die von dichtem Laub umgeben sind. [1][2].

Graell-Tamarine (Saguinus graellsi) spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Pflanzensamen. Sie schlucken Samen, die bis zu 1,5 cm lang sind. Innerhalb von 1 bis 3 Stunden passieren sie den Verdauungstrakt und werden weit entfernt von der Futterpflanze wieder ausgeschieden. Obwohl es den Anschein hat, dass sie den Samen nur schlucken, weil es zu aufwändig ist, sie vom Fruchtfleisch zu trennen, sind einige Forscher der Ansicht, dass das Verschlucken solch großer Samen hilfreich ist, um lästige Darmparasiten los zu werden [2][5].

Im Jahr 2008 wurde der Graell-Tamarin (Saguinus graellsi) auf die rote Liste der IUCN gesetzt und als gefährdet eingestuft, weil die Populationen kontinuierlich immer kleiner wurden. Als Ursache wird die rücksichtslose Abholzung ihres westlichen Verbreitungsgebiets am Amazonas angegeben. Die IUCN schätzt, dass in den nächsten drei Affengenerationen, das sind lediglich ca. 18 Jahre, die Populationen um 20% bis 25% zurückgehen werden.


Literatur

[1] Primate Ecology and Social Structure: New World Monkeys: 2, von Robert W. Sussman (Autor), ISBN-10: 0536743649; [2] Macdonald, 1984; [3] Nowak, 1999; [4] De La Torre, Campos, and De Vries, 2005; [5] Garber und Kitron, 1997

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